Ich gegen Osborne - Joey Goebel

  • Englischer Originaltitel: I against Osborne



    Inhalt:
    Ein ganz normaler Schultag. Doch der schüchterne James hat Stress an seiner Highschool Osborne: Er, der im Anzug seines gerade verstorbenen Vaters in die Schule geht, scheint der einzige verantwortungsbewusste Heranwachsende in einer haltlosen, sexbesessenen Gesellschaft zu sein. Er kann seine Mitschüler nicht ausstehen (was auf Gegenseitigkeit beruht), die cool sein wollen und doch nur gefühllos und vulgär sind und sich gegenseitig drangsalieren. Und nun scheint auch noch seine Angebetete, Chloe, die so tickt wie er, während der Ferien in Florida ihre weibliche Seite entdeckt zu haben – und das nicht zu knapp. Notgedrungen nimmt James den Kampf auf: Ich gegen Osborne! Nicht nur gegen den Direktor, den er mit seinem Wissen um dessen Sex-Eskapade mit einer Schülerin erpresst, sondern gegen die ganze Highschool. Der »Outsider der Outsider« beschließt, die Schule so aufzumischen wie noch nie ein Schüler vor ihm.



    Der Autor
    Joey Goebel wurde im Jahre 1980 als Sohn von Adam Goebel und Nancy Bingemer geboren. Sowohl die Eltern als auch seine ältere Schwester CeCe sind Sozialarbeiter. Mit fünf Jahren schon schrieb er seine erste Geschichte. Bevor er 2003 mit The Anomalies (Name der deutschsprachigen Ausgabe: Freaks) seinen Debütroman veröffentlichte, war er Frontmann, Gitarrist und Songwriter der Punkband The Mullets und tourte zwischen 1996 und 2001 durch den Mittleren Westen der USA. Später war er Sänger und Gitarrist bei der Band Novembrists, mit der er eine CD veröffentlichte.


    2005 wurde Vincent als sein erstes Buch in deutscher Sprache veröffentlicht. Es folgten 2006 Freaks und 2009 Heartland. Alle drei Romane erschienen im Diogenes Verlag.


    Goebel hat einen Bachelor in Anglistik vom Brescia College in Owensboro, Kentucky und schloss an der University of Louisville einen Master of Fine Arts in "Creative Writing" ab.





    Das Buch spielt an einem einzigen Tag, während des Unterrichtes an der Osborne High School irgendwo in Kentucky. Die Kapitel sind nach den Unterrichtsfächern benannt, einzelne Abschnitte sind mit der aktuellen Uhrzeit gekennzeichnet. Ich-Erzähler ist James Weinberg, über den wir zuerst wenig erfahren, nach und nach aber durch kurze Rückblicke mehr.


    James gehört nicht zu den coolen Leuten der Schule. Dass er jeden Tag einen Anzug mit Krawatte trägt, fördert sein uncooles Image nicht gerade. Er hat eine gleichgesinnte Freundin, für die er aber mehr empfindet als reine Freundschaft. Besagter Tag, den wir mit James erleben, ist der 1. Tag nach dem Spring Break, also nach den amerikanischen Frühlingsferien. Wie der Klappentext schon enthüllt, kommt Chloe, James Angebetete, leicht verändert aus diesen Ferien zurück. In den Schulkorridoren kursieren Gerüchte über ihre sexuellen Ausschweifungen während der Ferien.


    James empfindet sich selber als leicht überlegen gegenüber seinen Mitschülern. Er legt wert auf "Klasse", auf gutes Benehmen. Er verurteilt die sexuelle Freizügigkeit seiner Altersgenossen, die Unverbindlichkeit der Beziehungen, ihre Fäkalsprache, ihre Unlust am Lernen, ihr Trinken und ihren Drogenkonsum, ihre Kleidung - einfach alles. Wir als Leser begleiten James auf seinen Gedankengängen und es wird sehr schnell klar, das er eigentlich nur so ist, wie er ist und das meiste verurteilt, weil er selber nicht so sein kann. Er wäre es gerne, aber auf Grund seines Charakters ist er eben nicht so. Er möchte eine Freundin, am liebsten Chloe, aber da er sie nicht haben kann, missgönnt er anderen auch diese Freude.


    James Tag wird zusehends schlimmer. Ist er zuerst nur der Enttäuschung durch Chloes Interesse an einem anderen Jungen ausgesetzt, kommen kleine Hänseleien und Erniedrigungen dazu, die schließlich darin gipfeln, das er spontan den Schulleiter erpresst, den Abschlussball abzusagen. Wenn er schon nicht gehen kann mangels Partnerin, ihm sowohl die Erfüllung seiner Gefühle für Chloe nicht gegönnt sind wie auch die erwartete Begeisterung eines Auszuges seines Romans ausbleibt, der in einem Kurs besprochen wird, so sollen alle anderen auch ihres Spaßes beraubt werden. Doch leider ist dieser Erfolg nicht ganz so triumphal wie er erhofft hatte.


    James ist ein schwieriger Charakter. Ein typisch hormongeplagter Teenager, der sich für den Mittelpunkt der Welt hält, an einem Tag mehrere Entwicklungen durchläuft und denkt, mit jedem neuen Enttäuschung ist der Rest seines Lebens versaut.


    Das Buch hat auf mich einen satirischen Eindruck gemacht. Alles ist etwas überspitzt, es fehlt kein typisches amerikanisches Teenieklischee. Es passiert so viel an diesem Tag, so viele Meinungen werden gebildet und eine Stunde später wieder verworfen. Das liest sich über weite Strecken recht amüsant. Im letzten Drittel wird es z.T. etwas anstrengend, den James nervt zusehends. Das Buch endet schließlich, als James sich nach Schulschluss endlich ins Auto setzten kann und nach Hause fährt. So amüsant und auch witzig das ganze zwischenzeitlich war, so ganz verstanden habe ich nicht, was der Autor mir eigentlich sagen wollte. Was wollte er mir erzählen? Warum junge Menschen so sind, wie sie sind? Wie es an amerikanischen Highschools zugeht? Keine Ahnung. Das Thema ist mir entgangen. So lässt mich das Buch ein wenig ratlos zurück. Aber wenigstens habe ich mich nicht gelangweilt.

  • Ich habe das Buch auch gelesen und muss sagen, dass es mir nicht ganz so gut gefallen hat, wie die drei Vorgänger. Wobei ich Vincent so unglaublich gut fand, dass es auch schwer ist, das wieder zu erreichen.


    Allerdings hat mir wieder einmal gefallen, wie Joey Goebel sich auf einer der 'Verlierer' der Gesellschaft (in diesem Fall vor allem auf die Highschool bezogen) konzentriert und einen Auszug aus dessen Leben beschreibt.
    Natürlich ist es teilweise schwierig, das Verhalten von James nachzuvollziehen und natürlich werden einige Klischees bedient, aber andererseits wird auch aufgezeigt, dass James selbst manchmal erkennen muss, dass Klischees nicht immer stimmen müssen. Und dass er sich selbst, dadurch dass er in fast allen anderen Schülern nur das Schlechte sieht, von ihnen abgrenzt.


    Was mir allerdings ein wenig gefehlt hat, war so ein .. ich nenne es mal 'Aha-Moment'. Sei es irgendeine tatsächliche Veränderung in James' Leben oder irgendein Ereignis, das wirklich alle Beteiligten nachhaltig erschüttert. Klar, er sorgt dafür dass der Abschlussball abgesagt wird und ja, er muss sich plötzlich mit Menschen auseinandersetzen, die er immer gemieden hat, aber letzten Endes hatte ich nicht das Gefühl, dass sich wirklich etwas verändert hat. Sei es in ihm oder um ihn herum. Man steht am Ende des Buches ein bisschen so da wie davor.


    Dennoch ein gutes Buch mit einer guten Sprache, einem interessanten Protagonisten und einer nicht langweilig werdenden Geschichte.

  • Ich gegen mich selbst


    Der neueste Roman von Joey Goebel ("Vincent", "Freaks", "Heartland"), der bislang nur auf Deutsch erschienen ist, obwohl der Autor in Amerika lebt, spielt am 19. April 1999 im fiktiven "Vandalia" in Kentucky/USA. Schauplatz ist die riesige "Osborne Highschool", Protagonist und Ich-Erzähler ist James Weinbach, der kurz vor seinem Abschluss steht. Der große, schlaksige, belesene, eigenbrötlerische Schüler hasst die Highschool mit jeder Faser seines Körpers, er ist aber auch sonst energischer Nonkonformist, weshalb er beispielsweise im Anzug zur Schule kommt. An diesem Morgen, dem ersten nach den Frühlingsferien, hat er sich vorgenommen, die gute Freundin Chloe, die er heimlich liebt, um ein Date zu bitten, aber Chloe hat sich verändert, wie James schon auf dem Parkplatz bemerkt: Sie trägt jetzt Sneakers. Offenbar hat sie, während James u.a. seinen Vater zu Grabe getragen hat, einen orgiastischen Spring-Break miterlebt. Er verschiebt den Antrag vorläufig.
    Und dann erlebt der Leser diesen Schultag minutiös mit, beginnend mit dem Chemieunterricht, endend mit Kunst. Goebel skizziert seine Hauptfigur als hochintelligenten, aber äußerst unsicheren Underdog, der im Laufe dieses Tages die Möglichkeit bekommt, das Leben seiner verhassten Mitschüler drastisch zu beeinflussen, und er nimmt diese Gelegenheit auch wahr - eine Entscheidung, die ihm erleichtert wird, als sein ambitionierter Romananfang im "Creative Writing"-Kurs von den anderen zerfleischt wird und nicht einmal Chloe unterstützend eingreift. Innerhalb weniger Minuten wird der Outsider zum meistgehassten Schüler. Die spannende Frage lautet also, ob und wie er diesen Schultag überleben wird, jedenfalls bildlich gesprochen. Faktisch geht es um Prügel oder keine Prügel.


    Solche Vermutungen gehören eigentlich nicht in eine Rezension, aber ich erlaube mir dennoch, an dieser Stelle spekulativ zu werden: Wahrscheinlich hat Goebel diese Geschichte vor mehr als 13 Jahren geschrieben, nämlich 1999, denn es gibt innerhalb des Romans keine hinreichende Begründung dafür, warum sie ausgerechnet in jenem Jahr spielt - sie wäre auch in der Jetztzeit ohne gravierende Änderungen möglich. Hauptindiz für diese Vermutung ist jedoch, dass "Ich gegen Osborne" unfertig und, leider, oft linkisch-spätpubertär wirkt. Dieser James Weinbach, von dem sich Joey Goebel, wie er auf seiner Website schreibt, wünscht, er würde beim Leser das Verlangen wecken, ihn anzurufen und ihm die Freundschaft anzubieten, wirkt wie jemand, der viel (und durchaus in kluger Weise) nachdenkt, dem es aber ob des fehlenden Erfahrungshorizonts nicht gelingt, all diese Gedanken in aller Konsequenz zu einem halbwegs vernünftigen Ende zu bringen. Dasselbe gilt für das gesamte Buch, das arm an Höhepunkten, aber reich an Wiederholungen ist, weshalb es im Mittelteil ziemlich langweilt. Der Standpunkt der Hauptfigur wird - wie so oft bei Goebel - überdeutlich betont, aber es bleibt fast bis zum Schluss bei einer krassen Schwarzweißzeichnung, obwohl es reichlich Möglichkeiten und Angebote für Weinbach gäbe, seine Position zu überdenken und zu relativieren (allerdings würde dann das Romankonzept scheitern, klar). Wenn er reflektiert und sich um Verständnis bemüht, bleibt das dennoch unreif und häufig verblüffend oberflächlich. Allein aus der Figur heraus ist das aber nicht erklärbar.


    Im Klappentext ist sinngemäß die Rede davon, dass "Ich gegen Osborne" der Spaßgesellschaft einen Spiegel vorhalten will, aber eigentlich handelt es sich nur um die altbekannte Geschichte über die einen und die anderen: Jene, die Spaß haben können und diese Option auch wahrnehmen, und die anderen, die außen vor bleiben, weil sie mittellos und/oder nicht sehr attraktiv sind. Das hat schon Musil in seinem "Törleß" beschrieben, und nicht einmal der war der erste.


    Richtig ärgerlich wird es jedoch, wenn der Erzähler versucht, Orwells "1984", das im Englischunterricht thematisiert wird, als Motiv für die Metapher, die der Roman irgendwie sein soll, zu formulieren. Hier tritt das Konzepthafte der Geschichte besonders zutage, die mit vielen Elementen überfrachtet ist, gegen die im Einzelfall nichts zu sagen wäre, die aber in der Summe kein stimmiges Werk ergeben. Möglich auch, dass Goebel seine eigene Hauptfigur zu sympathisch war, weshalb er darauf verzichtet hat, sie wie eine Romanfigur zu behandeln. Deshalb wirkt "Ich gegen Osborne" wie ein Kammerspiel, das von jemandem inszeniert wurde, der nicht weiß, wie das geht, und/oder es mit der klassischen Tragödie verwechselt hat. Die Rolle des "Deus ex machina" übernimmt ein nicht im Detail ausgeführtes Geheimnis des Schuldirektors, das Weinbach kennt und als Druckmittel verwendet.


    Wenn man reichlich seltsame Dialoge und die unübersichtliche, konturenarme Figurenflut hinter sich gebracht hat, bleibt ein Buch, das ausführlich einen fiktiven Schultag beschreibt, an dem viel passiert, sich aber fast nichts bewegt. Die überschrittene Erkenntnisschwelle ist in etwa so hoch wie eine Nacktschnecke, und mit der Geschwindigkeit dieses Tierchens schreitet die Story auch voran. Es handelt sich also um eine leider ziemlich ermüdende Fingerübung eines fraglos talentierten Autors, der leider immer denselben Fehler macht, nämlich gute Ideen auszuwalzen, bis fast nichts mehr von ihnen übrig bleibt. Ich bin sicher, dass Joey Goebel irgendwann einen richtig, richtig großen Roman vorlegen wird, weshalb ich ihm auch vorläufig treu bleiben werde, aber dieser ist es nicht.

  • Hm, nein. So kann ich das nicht stehen lassen und muß jetzt mal eine Lanze für dieses Buch brechen.
    Zunächst: ich habe mich zu keiner Sekunde gelangweilt, im Gegenteil: ich war eher traurig, dass nach 432 Seiten Schluß war, aber das ist natürlich meine ganz persönliche Einschätzung.


    Joey Goebel hat mit James Weinbach erneut einen Charakter erschaffen, der dem Leser dauerhaft im Gedächtnis bleiben wird. Das Buch ist eine scherenschnittartige Schwarz-Weiß-Darstellung des High School Lebens, aber es spiegelt leider die traurige Realität wieder: Kinder/Jugendliche sind in ihren Urteilen oft gnadenlos und so läuft eine sichtbare Trennlinie zwischen denen, die "Cool" sind und den ewigen Verlierern. Ein Wechsel nach unten oder oben findet in der Regel nicht statt.


    James und Chloe sind so ziemlich die einzigen, die an dieser Schule eine gewisse Klasse aufweisen, wenngleich man in Chloes Fall Sorge haben muss, dass nach ihrem Spring Break ihr Niveau sich nach unten bewegen könnte. Joey Goebel ist es gelungen, die Gedankenwelt des Protagonisten überzeugend vor uns auszubreiten. James wird als intelligenter Junge mit einer nicht unerheblichen emotionalen Intelligenz gezeichnet. Seine Gedanken geben den Sorgen und Nöten eines jeden schulischen Verlierers ein Gesicht, er wird zu ihrem Sprachrohr.


    Was Toms Vermutung hinsichtlich des Enststehungsjahres dieses Romans angeht, biete ich hier eine alternative Erklärung an: das Jahr 1999, die Schwelle zum nächsten Jahrtausend - einer kalendarischen Veränderung, wie sie nur wenige Menschen miterleben dürfen, einem epochalen Ereignis (was sie natürlich nicht war - abgesehen von dem Computerproblemen, die sich durch Y2K ergeben haben). Hierzu passt, das auch alle diese Schüler in ihrem Abschlussjahr vor großen, epochalen Veränderungen stehen: dem Wechsel von High School aufs College, aber natürlich noch viel mehr vor dem Ende der Jugend und dem unwiderruflichen Eintritt ins Erwachsenenleben.


    Der Abschlussball: der verzweifelte Versuch, das Übertreten der Schwelle zum Erwachsensein zu verhindern (und sei es nur durch die spätere Erinnerung daran, beim Betrachten der Fotos des Jahresabschlussbuches oder in Gedanken an den langsam geschwoften Tanz mit der großen Liebe im Arm, welche kurz darauf schon wieder vergessen ist).


    James Weinbach: der leidende Chronist des jugendlichen Endzeitszenarios, erhaben in seinen Gefühlen, unfähig (wie alle auf der Schattenseite stehenden), wirklich etwas zu verändern. Den Lauf der Dinge und der Zeit kann er auch nicht aufhalten.


    Was mich nach dem Lesen des Buches wirklich umtreibt, ist eine ganz andere Frage: wieviel Joey Goebel steckt in James Weinbach, wenn man bedenkt, dass der Autor schon mit 16 Jahren seine eigene Punkband hatte und damit die Staaten bereist hat und wenn das Autorenfoto auf den Rückseiten der Diogenes-Bände den Eindruck vermittelt, hier sitzt ein Unangepasster, ein ewiger Rebell, ein Nicht-mit-dem-Strom-schwimmen-Wollender?