Das Fischkonzert - Halldór Laxness

  • „In kluger Mensch hat gesagt, abgesehen vom Verlust der Mutter sei kaum etwas gesünder für kleine Kinder als der Verlust des Vaters“. So beginnt dieses Buch, und so brutal dieser Satz klingen mag, auf Alfgrimur trifft er zu.
    Geboren wird er in einer Torfkate am Stadtrand Reykjaviks, wo seine Mutter, auf dem Weg nach Amerika, Obdach beim alten Björn und und seiner Frau gefunden hat. Dort lässt sie ihn dann auch zurück, um, wie so viele Isländer, ihr Glück in Amerika zu suchen.
    Doch Alfgrimur hätte nichts besseres passieren können: er wächst in eine altmodische Welt hinein, eine einfache Welt, in der hart gearbeitet, wenig geredet und erst recht nicht geträumt wird. Doch es ist auch eine gütige Welt. Die Zieheltern, die für Alfgrimur schnell zu geliebten Großeltern werden, werden von einer vollkommen undogmatischen Nächstenliebe geleitet, ihr Haus bietet so manchem Außenseiter Unterschlupf. Diese seltsamen Mitbewohner werden zu Begleitern Alfgrimurs Kindheit und Jugend, prägen seine Vorstellung von Moral und Toleranz.
    Wichtiger noch ist für ihn aber Gardar Holm, der Sohn einer Verwandten seiner Großmutter. Den kennt er zunächst nur von einem Photo, das in der guten Stube hängt: ein junger Mann, fremd gekleidet, der Welt entrückt. Er ist ein berühmter Sänger, beglückt Menschen überall auf der Welt mit seinem Gesang. Deshalb wird er die wenigen Male, die er nach Reykjavik kommt, auch von den Reykjaviker Honoratioren umgarnt, Dinners werden zu seinen Ehren veranstaltet, nur leider: singen hat ihn noch kein Isländer hören. Doch zumindest Alfgrimur eröffnet er eine neue Welt, und entfacht seine Leidenschaft für Musik.


    Die eigentlichen Helden des Romans sind der alte Björn und seine Frau, Gutmenschen im allerbesten Sinne. Sie stehen für die alten Werte, aber keineswegs für verknöcherten Protestantismus oder obrigkeitsergebener Frömmigkeit, sondern sie denken und handeln zutiefst humanistisch
    Das gebildete Bürgertum kommt nicht allzugut weg. Fast devot dienen sie sich ihrem einzigen Künstler von Weltrang an, sie gieren nach den Berichten der Zeitungen, in denen die Kunde verbreitet wird, wo auf der Welt Gardar Holm nun schon wieder sein Auditorium in Verzückung versetzt hat. Eigentlich aber sind sie zutiefst verwurzelt in einer engstirnigen Geschäftstüchtigkeit, die Kunst und Kultur lediglich als Deckmäntelchen benutzt. Ein Schelm, der Böses dabei denkt, dass sich auch die modernen Finanzvikinger durch öffentlichkeitswirksames Mäzenentum hervorgetan haben.


    Die modernen Zeiten rücken also näher, man sieht's an der Stadt Reykjavik, die anfängt, sich ins Umland zu fressen und auch Björns kleine Landwirtschaft zu verschlucken droht. Aber dennoch ist nicht alles verloren: Björns Humanismus und seine Lebensweisheit leben weiter, in Alfgrimur, den er ohne Rücksicht auf die Konventionen in seinem Leben aufgenommen hat.


    Dass alles klingt ganz ungeheuer tragisch, doch schon der erste Satz zeigt: Laxness sieht das ganz anders. Der feine Spott, mit dem er die hohlen Sitten und Gebräuche der Oberschicht schildert, die doch zutiefst provinziell ist, ist einfach nur hinreißend. Etwa wenn er die neueste Mode beschreibt, alles, von der Damengarderobe über die Canapees hin zum Katzenhalsband, mit Schleifen zu verzieren. Aber auch das alte Island wird nicht überhöht, sondern mit einer, freilich deutlich liebenswürdigeren, Ironie dargestellt. Und natürlich ist Laxness mal wieder seiner Zeit voraus, wenn er subtil, aber dennoch beißend, die moderne Marktwirtschaft kritisiert. Und das bereits vor über fünfzig Jahren.


    „Das Fischkonzert“ ist ein großartiges Buch, und gerade für Leser, die Stefansson lieben (ganz unprofessionell zu rienchen rüberblinzel) eine dringende Empfehlung. Hier sieht man ein kleines bisschen, wo der seine Wurzeln hat

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

  • Danke für diese schöne Buchvorstellung! Während des Lesens habe ich die ganze Zeit gegrübelt, ob das was für mich sein könnte und dann...tataaa..plötzlich dieser Satz!


    Zitat

    „Das Fischkonzert“ ist ein großartiges Buch, und gerade für Leser, die Stefansson lieben (ganz unprofessionell zu rienchen rüberblinzel) eine dringende Empfehlung.

    :lache


    Aber ich bin doch auch so nah am Wasser gebaut. "Das Knistern in den Sternen", hat mich so dermaßen gepackt und geht mir immer noch nah! :wow

    Ailton nicht dick, Ailton schießt Tor. Wenn Ailton Tor, dann dick egal.



    Grüße, Das Rienchen ;-)

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    Ich warne schon mal vor, dass ich nicht zu den extremen Schnelllesern, sondern zu den Genaulesern gehöre und ich - seitdem ich im Sommer das Haus von Laxness besucht habe - den Blick aus seinem Schlafzimmer auf den Hof, auf dem der Schriftsteller geboren wurde und aufwuchs, nicht mehr loswerde. Der Ausblick war einfach zu fantastisch.