Die linke Hand der Dunkelheit - Ursula K. LeGuin

  • Originaltitel: "The Left Hand of Darkness", erschienen 1969


    Auf Deutsch auch unter dem Titel "Winterplanet" erschienen.


    Inhalt/Meinung:


    Der deutsche Titel "Winterplanet" erzeugt genau die richtige Assoziation, denn auf dem fiktiven Planeten Winter herrschen ganzjährig sehr niedrige Temperaturen. Trotz dieser extremen klimatischen Bedingungen konnte sich eine humanoide Rasse entwickeln, die Karhiden. Von der übrigen Menschheit unterscheiden sie sich vor allem durch ihr Sexualleben: Die Karhiden sind phasenweise männlich oder weiblich oder aber - den Großteil der Zeit - geschlechtslos.


    Eines Tages taucht in einem fremdartigen fliegenden Objekt ein Fremder auf, Genly Ai. Er ist Gesandter eines friedlichen Weltenbündnisse und möchte die Karhiden überzeugen sich diesem anzuschließen. Seine Mission ist aber keine einfache, denn obwohl er bereits Kenntnisse über diesen Planeten und dessen Bewohner hat, fällt es ihm schwer, sich in das gesellschaftliche Leben einzufügen und letztendlich seine eigenen Vorurteile und Gewohnheiten zu überwinden.


    Die sexuelle Andersartigkeit der Karhiden wirkt sich natürlich auf alle Bereiche der Gesellschaft aus. So ist den Karhiden zum Beispiel Krieg vollkommen unbekannt - Zufall? Letztendlich geht es in dem Buch auch um die Frage, wieviel von dem Rollenverhalten zwischen Mann und Frau uns anerzogen und wieviel genetisch veranlagt ist. Eben diese gesellschaftlichen Unterschiede beschreibt Ursula K. LeGuin in sehr nachvollziehbarer Weise. Im zweiten Teil des Buches geht es dann vor allem um das Zusammenleben zweier so grundverschiedener Kulturen, als Genly und einer der Karhiden zu einer lebensbedrohlichen einsamen Reise durch das Eis aufbrechen.


    Das Buch zeichnet sich insgesamt durch eine sehr ruhige Erzählweise aus. Eines sollte man also von diesem Buch auf jeden Fall nicht erwarten: Action. Abgesehen von den (wenigen) Hauptfiguren bleiben die Charaktere recht "flach", Ursula K. LeGuin beschränkt sich da wirklich auf das Wesentliche. Das habe ich aber nicht als negativ empfunden - da kann man eben der eigenen Fantasie freien Lauf lassen.


    Ein zeitloser Science-Fiction-Roman, dem ich noch viele Leser wünsche...


    Zitat

    "[...] science fiction is not about the future." (Ursula K. LeGuin)

    "Es gibt einen Fluch, der lautet: Mögest du in interessanten Zeiten leben!" [Echt zauberhaft - Terry Pratchett]

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  • Durch den Tod von le Guin kam die Idee auf, die SF-Leserunde wieder zu starten und eines ihrer Bücher gemeinsam zu lesen. Ich bin froh, das wir die linke Hand der Dunkelheit gelesen haben, eine wunderbare Geschichte.


    Gelesen habe ich die Jubiläumsausgabe von 50 Jahre Heyne, ein wunderschönes Cover, tolle Haptik und insgesamt gute Qualität. Das bedeutet, das es mittlerweile eine gute Alternative zu teuren Gebrauchtausgaben gibt, wie es wohl noch 2013 der Fall war.


    Welcher deutsche Titel mir besser gefällt, kann ich gar nicht sagen. Winterplanet passt wie die Faust aufs Auge, aber "Die linke Hand der Dunkelheit" ist zum einen die wörtliche Übersetzung des Originaltitels, zum anderen auch ein sehr wichtiges Bild in diesem Roman. Mir gefallen beide Titel!


    Dies ist mein erstes Buch, welches mit der Welt Hain zusammenhängt. Le Guin findet den Begriff Hain-Zyklus nicht gut, und sie meint man könne alle Bücher in beliebiger Reihenfolge lesen, manche auch gar nicht, sie bedingen einander nicht. Das kann ich nicht schlussendlich beurteilen, für einen Einstieg fand ich Die linke Hand der Dunkelheit aber passend. Mit mehr Hintergrundwissen hätte ich einige Dinger vielleicht leichter in einen Kontext setzen können, aber so habe ich mich nie verständnislos oder allein gelassen gefühlt.


    Die linke Hand der Dunkelheit ist ein Gedankenexperiment, wie im Vorwort auch erklärt. Kein SF-Roman, der mit Weltraumschlachten, ausgefeilter Technik oder ähnlichem aufwartet. Das macht diesen Roman aber so stark. Die zentralen Punkte sind Sexualität/Geschlechter, Freundschaft, Vertrauen. Le Guin entwickelt eine Welt, auf der die Bewohner kein Geschlecht haben, aber zur "Kemmer" sowohl männlich, als auch weibliche Form annehmen können. Mit Karhide und Orgoreyn werden zwei verschiedene Gesellschaftsformen beschrieben. Dadurch hat sich le Guin eine Spielwiesen erschaffen, in der ihr Gedankenexperiment ablaufen kann, und das hat sie großartig geschaffen. Durch verschiedene Erzählperspektiven (Ich-Erzählung von 2 Charakteren sowie eingeschobene, kurze Kapitel in "Sagen-Form" schafft sie es, den Blick auch auf unsere Welt und Gesellschaft zu richten.


    Unbedingt empfehlenswert für Leser von ruhigen, schön erzählten, etwas philosophischen Lesern, Leser, die ein breit gestreutes Interesse haben. Nicht empfehlenswert, wenn die Laune gerade auf Spannung gerichtet ist, oder wenig Zeit vorhanden ist. Zwar habe ich das Buch an einem Wochenende gelesen, hatte da aber Zeit. Und ich glaube, Zeit ist für das Buch wichtig!

  • Ich habe mich durch dieses Buch gekämpft, wie ein Segelschiff durch den Sturm. Zu Beginn bin ich auf dem Meer der unbekannten Welt Winter ohne Orientierung umhergeirrt. Der Gesandte Genly Ai versucht sich in den politischen Sümpfen erst von Karhide, dann von Orgoreyn und mit den Gebräuchen einer fremden Spezies zurecht zu finden und seine Mission zu erfüllen. Missverständnisse und Intrigen durchkreuzen seine Pläne, aber unter großen Umwegen, Mühen und Opfern kann er Winter für die Ökumene gewinnen.


    In der ersten Hälfte des Buches konnte mich Ursula LeGuin trotz des interessanten Ansatzes - einer Welt ohne Geschlechterrollen - nicht fesseln, da mich die politischen Eiertänze um Macht und Einfluss eher gelangweilt haben. Solche Dinge fesseln mich auch im realen Leben nicht. Das ganze auf einer fremden Welt mit fremdartigen Gebräuchen machte die Geschichte für mich größtenteils unverständlich. Erst in der zweiten Hälfte des Buches, als Estraven und Ai zusammen eine lange, entbehrungsreiche Reise unternehmen, kam mein Schiff auf ruhigere Gewässer und steuerte zielgenau den Hafen an. Das wachsende gegenseitige Verständnis zwischen den beiden Bewohnern unterschiedlicher Welten und meines für die Geschichte wuchs und knüpfte ein Band, das mich zum Ziel meiner Reise brachte. Auch Genry Ai hat durch diese Reise sein Ziel erreicht, wenn auch unter sehr traurigen Umständen, die aber passend für den Verlauf der Ereignisse und der Geschichte sind.


    Obwohl mich die linke Hand der Dunkelheit nicht überzeugt hat, hatte mich LeGuin spätestens ab der Hälfte völlig auf die Welt Winter und in diese fremdartige Gesellschaft entführt. Vermutlich werde ich das Buch irgendwann noch einmal lesen müssen, um beim zweiten Mal besser zu verstehen, was sie im ersten Teil alles erzählen wollte.

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    "Es hat alles seine Stunde und ein jedes seine Zeit, denn wir gehören dem Jetzt und nicht der Ewigkeit."

  • Über die Autorin:

    Ursula K. Le Guin (1929–2018) gilt als die Grande Dame der angloamerikanischen Science Fiction. Sie wurde mit zahlreichen Literatur- und Genrepreisen ausgezeichnet, zuletzt mit dem National Book Award für ihr Lebenswerk. Ihre Bücher beeinflussten viele namhafte Autoren, darunter Salman Rushdie und David Mitchell ebenso wie Neil Gaiman und Ian M. Banks.


    Kurzbeschreibung:

    Gethen ist ein Winterplanet und permanent mit Eis bedeckt. Auch die politische Lage ist alles andere als einfach: Zwischen dem Königreich Karhide und seinem Nachbarland Orgoreyn existieren starke politische Spannungen.

    Die Aufgabe von Genly Ai, der als terranischer Abgesandter die Bevölkerung davon überzeugen möchte, dem Weltenverbund des Ekumen beizutreten, ist also alles andere als einfach. Zumal ihm die Regeln und Konventionen vor Ort nicht vertraut sind und ihn die fehlende Zweigeschlechtlichkeit der Bewohner irritiert.


    Meine Gedanken zu dem Roman:

    Dieses Buch erschien zuerst im Jahre 1969, also man sollte sich beim Lesen bewusst der Zeit sein, in der die Geschichte entstand. Außerdem gehört dieses Buch zu einer Reihe, was leider, nicht ersichtlich war. Ich freue mich, dass der Fischer Verlag Science Fiction Klassiker aufleben lässt, doch wäre es ratsam dies der Reihe nach zu tun. Denn ich vermute, es wäre vorteilhafter gewesen, dieser Reihe mit dem 1.Buch anzufangen.


    Von der Thematik her fand ich die Geschichte interessant. Es geht um einen Abgesandten, einen Diplomaten, der immer wieder zu den unterschiedlichen Planeten geschickt wird, um die zu überzeugen der Ekumen, eine Vereinigung vieler Planeten, beizutreten. Dabei ist es verständlich, dass der Gesandter Genly Ai, sich in die Kultur und die Gesellschaft des umworbenen Planet einleben soll und die Bewohner möglichst gut verstehen sollte. Das Hauptthema dieses Romans ist eine androgyne Gesellschaft. Mit ihren möglichen Merkmalen, Normen, Sitten und Eigenarten. Die Autorin stellt die Bewohner als geschlechtslose Wesen, die nur selten ein Geschlecht einnehmen um sich fortzupflanzen, sonst leben die als Neutrum. Dadurch entfallen viele bedeutende Benimmregeln und Interaktionen, die der Gesandter von seinem Planet kennt. Er hat große Schwierigkeiten sich in die Welt des Planet Winter zurechtzukommen.


    Die Geschichte an sich ist spannend erzählt. Allerdings hat es mich nur bedingt gepackt. Der Roman entspricht eher einem Fantasy Roman als einem der Science Fiction. Wer auf Abenteuer und actionreiche Handlung aus ist, wird mit diesem Roman vermutlich nicht zufrieden sein. Der Roman ist der Art: "Was wäre wenn". Wenn die Welt von androgynen Wesen bewohnt wäre, wie würde das Zusammenleben aussehen. Die Wiederauflage des Romans ist vermutlich der aktuellen Lage der Politik und Gesellschaft geschuldet. Doch ich finde es schade, dass diese Bücher nicht der Reihe nach neu aufgelegt worden sind.

    Da mich die Thematik nicht gepackt hat, und der Roman eher einer Fantasy Geschichte gleicht, hatte ich leider nicht wirklich Spaß beim Lesen. Dennoch muss ich sagen, dass das Buch gut geschrieben worden ist. Und die Fähigkeit der Autorin interessant zu erzählen unbestritten ist. Von mir gibt es 5 von 10 Punkte. Es hätte spannender sein können.

    Nicht wer Zeit hat, liest Bücher, sondern wer Lust hat, Bücher zu lesen,

    der liest, ob er viel Zeit hat oder wenig. :lesend
    Ernst R. Hauschka

    Liebe Grüße von Estha :blume