'Der blinde Mörder' - Teil I - III

  • Oje, noch niemand hier? Dann mache ich einfach mal den Anfang:


    Viele Andeutungen, ich bekomme (noch?) kein richtiges Bild; Laura beispielsweise trägt „Büßerfarben“, „worin sie eingesperrt worden war“ (Seite 14). Wer hat diese junge Frau zu dem gemacht, was sie darstellte im Zeitpunkt unseres Kennenlernens? Warum, wofür muss sie büßen?


    Noch mehr Andeutungen: Die Zeitungsausschnitte. So viele Tote. 1945, 1947, 1975. Warum das Kind zur Großtante, nicht zur Großmutter?


    Und Fragen: Wer ist „sie“ und wer „er“ (in den Kapiteln „Der blinde Mörder“)?


    Ein paar Wahrheiten, die fast schon weh tun: „Nichts fördert die Belesenheit so sehr wie eine Schaufel Dreck“ (Seite 59) ist eine davon. Wobei es natürlich so eine Sache ist mit der Belesenheit; die Schaufel Dreck ließe sich wohl auch unterschiedlich interpretieren. Aber immerhin, falsch ist es keineswegs, was da steht.


    Was mich überrascht, ist die immer wieder durchschimmernde Bitterkeit, verpackt in erzählte vermeintliche Neutralität. Und die Bissigkeit, geschuldet vielleicht dem Alter, mindestens aber dem Gefühl, niemandem mehr etwas vormachen zu müssen oder schuldig zu sein. Es wird interessant werden, herauszufinden, warum dem so ist.


    Sehr interessant die Beschreibungen, die die Situation, die Ehe beschreiben, als der Vater aus dem 1. Weltkrieg heimkehrt. Desillusioniert, zweier Brüder beraubt, verwundet, nicht mehr der, der er war, als er in den Krieg zog. So wie keiner, der heimkehren konnte. Reduziert auf seinen Schmerz, körperlich wie seelisch. Mit vorzeigbaren Resten des guten Benehmens, immerhin. Aber was blieb ihm auch anderes übrig?
    Nicht nur er kehrt heim, auch andere Männer, die ihren Job wieder beanspruchen und ihn auch bekommen. Die Frauen haben wieder dorthin zurückzukehren, wo nach damaliger landläufiger Meinung ihr Platz war. Das wird sich später ändern, nach einem anderen Krieg lassen sie sich nicht mehr so leicht weg drängen.


    Die Szenerie, in der der Vater sie in das Cafe einlädt: Seine Erwartung an die Tochter, der sie nicht gewachsen sein kann. Was wird er noch von ihr erwarten, später, wenn sie beispielsweise zu einer jungen (heiratsfähigen) Frau herangewachsen sein wird?


    Die Worte rollen durchaus glatt und geräuschlos über die Seite; sie dazu zu bringen, den Arm hinunterzufließen und sie durch die Finger hinauszuquetschen, das ist das Schwierige“ (Seite 94) – perfekter kann man wohl nicht ausdrücken, wie ich mich im Moment angesichts des Romans fühle.


    Was erwarte ich eigentlich?: Einiges Bitteres, mich Empörendes, wenig zum Lachen, um genau zu sein: eher gar nichts zum Lachen. Auch, dass ich wieder Schwierigkeiten bekomme, Atwood zu lesen. Einfach finde ich sie nicht.

  • Zitat

    Original von Lipperin
    Was erwarte ich eigentlich?: Einiges Bitteres, mich Empörendes, wenig zum Lachen, um genau zu sein: eher gar nichts zum Lachen. Auch, dass ich wieder Schwierigkeiten bekomme, Atwood zu lesen. Einfach finde ich sie nicht.


    Nein, einfach zu lesen ist das Buch nicht. Ich schätze, das ist wieder eins dieser Bücher, die einfach ein wenig Zeit benötigen. Schön finde ich es, auch wenn ich noch nicht weiß, wohin die Reise geht. Ich habe das Buch bereits vor 13 Jahren gelesen, kann mich aber überhaupt nicht mehr an den Inhalt erinnern.


    Wie bereits bei "Alias Grace" erzählt Margaret George ihre Geschichte zum Teil mit Hilfe von Zeitungsausschnitten. Interessant, daß die Protagonistin Iris in diesen Ausschnitten entweder nur am Rande oder gar nicht erwähnt wird. Dies hinterläßt bei mir den Eindruck, daß sie im Leben ihrer Familie nur eine untergeordnete Rolle gespielt hat. "Nur" die große Schwester der erfolgreichen Schriftstellerin Laura ? "Nur" die Frau an der Seite des erfolgreichen Industriellen ? Ich hoffe, daß sich dies im Laufe des Buches ändert oder erklärt, denn Iris ist mir durchaus sympathisch.


    Zitat

    Original von Lipperin
    Was mich überrascht, ist die immer wieder durchschimmernde Bitterkeit, verpackt in erzählte vermeintliche Neutralität. Und die Bissigkeit, geschuldet vielleicht dem Alter, mindestens aber dem Gefühl, niemandem mehr etwas vormachen zu müssen oder schuldig zu sein. Es wird interessant werden, herauszufinden, warum dem so ist.


    Ich habe Iris' humorvolle Art weniger als Bitterkeit empfunden. Eher, wie du es schon beschrieben hast, dem Alter geschuldet. Ich vermute, daß ihr Leben nicht immer einfach verlaufen ist, sie sich oft ihrer gesellschaftlichen Stellung beugen mußte. Nun, nachdem alles Geld und Prestige weg ist, muß sie sich niemandem mehr beweisen.

  • Zitat

    Original von -Christine-


    Nein, einfach zu lesen ist das Buch nicht. Ich schätze, das ist wieder eins dieser Bücher, die einfach ein wenig Zeit benötigen. ...


    Obwohl ich im allgemeinen Thread noch verkündet hatte, ich sei besser in die Geschichte reingekommen als bei "Alias Grace" fällt es mir im Moment sehr schwer, weiter zu lesen... :-(


    Der Anfang fand ich sehr gut gelungen und Laura's Suizid ist mir sehr nahe gegangen. Trotz nüchterner Erzählweise schafft es Margaret Atwood die Emotion und Hilflosigkeit der Angehörigen in einer solchen Situation gut zu transportieren.


    Mit dem Ausflug nach "Zyrkon" kamen aber schon meine Lese- und Motivationsprobleme. Anfangs fand ich es noch spannend und meine Gedanken schlugen Purzelbäume bei dem Versuch, diese "neue Welt" zu interpretieren. Mit der Zeit wurde es dann doch etwas zu verwirrend für mich...


    Die Zeitungsausschnitte empfinde ich im Grunde genommen als ein sehr interessantes Stilmittel. Gleichzeitig wirkt die Geschichte dadurch aber auch abgehackt auf mich. Ist es das, was mir den Lesefluss nimmt? :gruebel


    Ich wollte Margaret Atwood und mir nach meinem Abbruch von "Alias Grace" noch eine Chance gewähren und möchte eigentlich noch nicht aufgeben. Aber es zeichnet sich in meinem Leseverhalten das gleiche Muster ab wie in der damaligen Leserunde. ;-(


    Liegt es an mir? :schaem


    Geknickte Grüsse

  • Ich lese dieses Buch im englischen Original - was das vorankommen nicht gerade einfacher macht. :rofl


    Die Sprünge zwischen den einzelnen Erzählern, die Zeitungsausschnitte (die ich sehr gut gemacht finde) und die Geschichte um Laura machen das Lesen auch nicht einfacher. Deshalb lese ich meist abends nur ein paar Seiten.


    Iris scheint mir eine sehr einsame Frau zu sein - obwohl sie ja eine Enkeltocher hat. :gruebel Ihre Mutter hat sie sehr früh dazu erzogen, auf ihre Schwester aufzupassen - und auch ihr Vater scheint zuviel von ihr zu verlangen. Ich bin neugierig, wohin das noch führt. :rolleyes


    Zitat

    Original von Lipperin
    Noch mehr Andeutungen: Die Zeitungsausschnitte. So viele Tote. 1945, 1947, 1975. Warum das Kind zur Großtante, nicht zur Großmutter?


    Das habe ich auch nicht verstanden. Ich hoffe, daß diese Frage im weiteren Verlauf des Buches geklärt wird. :wave

  • Hallo,


    mir geht es beim Lesen ähnlich wie euch.


    Die Kapitel in denen Iris rückblickend ihre Familiegeschichte erzählt, ziehen mich völlig in ihren Bann.
    Die eingefügten Zeitungsartikel wecken meine Neugier.


    Aber die Kapitel "Der blinde Mörder" lassen mich fast verzweifeln.
    Zum einen die Treffen des Paares, dessen Indentität wir noch nicht kennen und dann diese Geschichte vom Planeten Zykron und der Stadt Sakiel-Norn.


    Ich habe das Buch schon einmal gelesen. Damals hat mich diese Geschichte, die auf einer ganz anderen Ebene spielt, anfangs noch fasziniert und dann schnell gelangweilt, weil ich ihr einfach nicht mehr folgen konnte.
    Zum Ende habe ich bei diesen Kapiteln nur noch quergelesen.
    Was aber ein Fehler war. Denn am Ende, wenn alle Fäden zusammenlaufen, ist diese Erzählung nicht unwichtig.


    Und genau deshalb wollte ich dieses Buch ein zweites Mal lesen. Aber ich befürchte, auch dieses Mal bei genau den gleichen Unverständlichkeiten zu scheitern.
    Deshalb habe ich beschlossen, nach jedem Abschnitt die Geschichte noch einmal getrennt zu lesen.


    Edit:
    Dabei ist mir aufgefallen, dass viele Paralellen zu anderen Erzählungen versteckt sind und natürlich auch viele Paralellen zur Geschichte der Menschheit.


    Z. B. Beginnt die Geschichte des blinden Mörders mit einer Absprache.
    Sie wünscht sich eine Geschichte. Er willigt ein.
    Aber nur unter einer Bedingung: Er kann und will diese Geschichte nur "in Raten" erzählen.
    Mit dieser Bedingung ist ihm ein ständiges Wiedersehen mit ihr gesichert.


    Mich erinnert das an die Erzählung von 1000 und eine Nacht.


  • Stimmt! :gruebel Auch ein Trick seine "Angebetete" regelmäßig zusehen... Ich stecke immer noch im nächsten Abschnitt - komme einfach nicht weiter. :wave