'Der blinde Mörder' - Teil IV - V

  • In diesem Abschnitt fand ich besonders die Szenen, die Iris und ihre Schwester betreffen, sehr interessant.


    Iris muß immer auf Laura aufpassen, ihr Vater ist mit seinen Fabriken und vorallem mit seiner Geliebten Callie beschäftigt. Und als Laura Alex versteckt ist es auch wieder Iris, die den Karren aus dem Dreck ziehen muß. Ob sie sich, wie auch Laura, dabei in ihn verliebt, kann ich schwer sagen... :gruebel


    Zu ihrer Heirat mit Richard Griffen wird sie (wenn auch sanft) von ihrem Vater gezwungen. Sie hat die Wahl ihn zu heiraten - oder ihr Vater verliert alles - und damit auch Laura und Iris ihr Zuhause. Also keine wirkliche Wahl! :rolleyes


    Und auch bei den Hochzeitsvorbereitungen (die die "liebe" Freddie plant) wird sie übergangen bzw. als kleines Kind behandelt. Und romantisch ist da schon gar nichts! Sie hatte also eine einsame Kindheit, die sie mit ihrer Schwester (ohne Schule oder Freunde) verbrachte und ist jetzt in einer lieblosen Ehe gefangen - mal sehen, wie das weitergeht! :wave

  • Die Zeitungsauszüge (so der von Seite 156, 157) bringen einiges Licht ins Dunkel. Es geht also – auch – um Kommunisten und die Angst vor ihnen, die Streikenden, ihre „Bekämpfung“. Mr. Griffin tut sich hervor. Mein Hals wurde mehr als eng beim Absatz 3, in dem vom Zurückschicken der Immigranten berichtet wird. Blendend eingebaute Zeithistorie.


    Die SF-Teile werden mir auch ein wenig klarer. Man darf wohl Parallelen ziehen; mir scheint es nicht allzu weit hergeholt, die geopferten und zu opfernden Mädchen dieser Erzählung im Roman mit den zu sehr behüteten, in ihrer Naivität belassenen Mädchen nicht nur der besseren Gesellschaft gleichzusetzen, die aus „familienpolitischen“ Gründen ihre eigenen Interessen und/oder ein eigenbestimmtes Leben zu führen, hintanstellen mussten/müssen. Der erzählende Mann scheint mir etwas mehr zu bezwecken als nur eine „gute Story“ zu unterbreiten.


    Seite 167: Wenn es nicht so traurig wäre, könnte man über den Satz doch schmunzeln, der mit „Der Nachtwächter“ beginnt und mit „gestorben“ endet. Ich würde gar zu gerne wissen, ob Atwood den Satz ganz bewusst so formuliert hat (vorausgesetzt, das Original ergebe den gleichen Sinn), dann würde ich es als kleine, feine Spitze in Bezug auf journalistisches Ausdrucksvermögen und -willen auffassen können.


    Ein wenig verwirrend ist für mich das zeitliche Hin und Her. Beispielsweise: Die Zeitungsausschnitte aus 1934/1935, die Berichte über Laura, Iris eigenes Befinden als alte Frau. Nun kann ich zwar nicht behaupten, dass sie in mir allzu große Sympathie geweckt hätte, aber ich beginne mich zu fragen, was in diesem Menschen (Iris) vorgeht neben dem, von dem sie berichtet, weil es vielleicht offensichtlich ist. Was verschweigt sie alles? Da steht beispielsweise auf einmal so ein Satz (Seite 184): „Ich wollte die Betäubung schneller“. Wie kommt man dazu, einen solchen Satz zu sprechen, wie viele Verletzungen waren dazu nötig? Was ist alles in diesem Leben geschehen – außer der viel zu früh auferlegten Verantwortung, auch der Zurücksetzung (ob nun nur so wahrgenommen oder wirklich geschehen) als Kind, das allzu frühe Erwachsenwerden müssen. Diese Frage ist es jedenfalls, die in mir die größte Spannung ausgelöst hat.


    Ich beginne zu glauben, dass die Frau, der der Mann die SF-Geschichte erzählt, gar nicht Laura ist. Warum? Vielleicht, weil sie reifer wirkt als ich das Laura zutrauen würde. Und natürlich der oberste Absatz Seite 206 scheint mir darauf hinzudeuten.


    Seite 251: Iris gibt sich nicht die geringste Mühe, irgendetwas zu beschönigen; was lässt sie nur so nüchtern, so fast brutal sprechen (der Satz mit der „Versteigerung“). Mehr als doppeldeutig, dieser Satz. Hoffentlich werden sie nicht wie/als Ramsch behandelt.


    Seite 302 ist wieder so ein Zeitbezug, der mich schlucken lässt: Hitler unter dem Gesichtspunkt der „Wirtschaftlichkeit“ zu sehen erklärte und erklärt vieles. Nicht nur, was Deutschland betrifft.


    Seite 310 darf man eine sehr feine Charakterstudie lesen. Man könnte fast versucht sein, von „altem“ und „Geldadel“ zu sprechen. Winifred jedenfalls ist schrecklich. Ich habe mich immer gefragt, warum Atwood ihr diesen Namen gegeben hat (und warum Richard eben Richard heißt). Gerade für deutsche Leser unter dem Zeitbezug (1934/1935) deutet sich – wenigstens für mich – etwas wie „Nibelungentreue“ an (in Bezug auf das Verhalten zu ihrem Bruder – und hoffentlich scheint jetzt nicht auch noch das „Wälsungenblut“, frei nach Thomas Mann, auf). Sie weiß jedenfalls, dass sie ohne ihren Bruder nicht die Position hätte, er ohne ihre Hilfe nicht so glänzend dastehen würde.


    Seite 325 steht wieder so ein Satz, der alles ausdrückt, das ganze erstarrte Leben in vier Worten: „Er schmeckte wie Frost“.