Mein Buchhändler

  • Mein Buchhändler


    Mein Buchhändler ist Ende fünfzig und Alkoholiker. Sein Laden ist winzig und spezialisiert, auf Schiffahrt, Militär, Karten, vornehmlich historisch. Immer spielt klassische Musik. Für meine Wünsche ist er nicht zuständig, trotzdem erfüllt er sie.
    Im Laden hängen und stehen Modellschiffe, Nelsons Victory, eine spanische Galeone, ein Kriegsschiff der NVA. Sie sind nie staubig, ich habe nachgesehen. Mein Buchhändler ist manchmal nicht fähig, eine Bestellung einzugeben, aber die Modelle sind peinlich sauber.
    Der Laden öffnet pünktlich um zehn Uhr morgens, ebenso pünktlich um halb zwölf taucht ein Glas Rotwein neben der Kasse auf. Zu den Klängen von Haydns London - Sinfonie nimmt er einen kleinen Schluck und sieht mich traurig an. Was ihn traurig macht, weiß ich nie so genau.
    „Ja, ja“, sagt er und nimmt meinen Zettel entgegen, auf dem ich deutlich und in großen Zahlen die ISBN geschrieben habe. „Nee.“ Er seufzt. Er kann den Großhandel nicht erreichen.
    „Ich frag morgen wieder nach“, sage ich freundlich.
    Früher gab es eine Katze im Laden. Man fand sie überall, nur von der winzigen Kinderecke hielt sie sich fern. „Ja, ja“, sagte mein Buchhändler. „Kinder machen sie unruhig.“ Er hat keine Kinder.
    Die Katze kletterte auf die Regale, spazierte zwischen der Kundschaft herum oder schlief auf dem Tischchen mit der Stapelware. Manchmal wischte ihre Schwanzspitze im Schlaf über das ‚ -in’ der Titel der historischen Liebesromane oder die blutigen Messer auf den Covern der Thriller. An den Modellschiffen vergriff sie sich nicht, sie wußte, wieviel Arbeit in so etwas steckt.
    Ihre Haare hinterließ sie überall, sogar in den Papiertüten.
    „Aber deswegen hat noch keiner ein Buch umgetauscht“, sagte mein Buchhändler. „Nee.“
    „Ah, ja“, sagte ich.
    Im Laden roch es immer ein wenig nach Katze, aber erst als sie sehr alt war, pinkelte sie gelegentlich auf den Boden.
    „Ja, ja“, sagte mein Buchhändler. „Auspacken, Tische füllen, Kundschaft, Vertreterbesuch.“ Er seufzt und trinkt noch einen Schluck. „Im Alter, da spürt man vor allem den Streß.
    Ich nicke. „Ja.“
    „Wozu das alles gut ist.“ Er seufzt. Sein leicht wässriger Blick ruht auf dem Tisch mit der Stapelware, wandert zu den Büchern über antike Waffen und den Landkarten und kehrt wieder zu den Taschenbüchern zurück. „Nee, nee.“ Er schüttelt den Kopf.
    „Nee, nee.“ Ich schüttle auch den Kopf. Im Hintergrund beginnt Wilhelm Backhaus leise und traurig mit dem zweiten Satz von Beethovens Pathétique.
    Als ein gemeinsamer Bekannter sechzig wurde, half mein Buchhändler bei der Wahl des Geschenks. Eine Rundwanderkarte von Berlin war neu erschienen.
    „Sechzig“, sagte mein Buchhändler. „Gutes Alter zum Wandern. Ja.“
    Ich musterte ihn. Er muß ebenfalls in dem Alter sein, aber ich glaube nicht, daß er mehr wandert, als vom Weinladen zur Buchhandlung. Ich habe die Wanderkarte gekauft.
    Mein Buchhändere ist ein guter Verkäufer, der gemeinsame Bekannte bekam die Karte viermal. Der Buchhändler schenkte ihm drei Flaschen Rotwein.
    Meine Bestellungen umfassen immer mehrere Bücher, es kommt vor, daß ich eine ISBN vergesse.
    „Kann ich nicht finden“, sagt mein Buchhändler dann leicht undeutlich.
    „Ist lieferbar“, versichere ich. „Ich habe die Kritik heute morgen im Radio gehört.
    Er mustert sein Weinglas, dann den Bildschirm. Bruckner läßt das Waldhorn aufklingen. „Regionalsender?“
    „Klar.“
    Inzwischen ruft er in solchen Fällen die amazon-Seite auf und klaut die ISBN dort. Ich habe ihm den Kniff gezeigt.
    „Der Buchhandel“, sagt er. Einen Moment lang kann er sich nicht entscheiden, ob er einen Schluck trinken, tief seufzen oder die Bestellung aufgeben soll. „Nee, nee“, sagte er und beginnt zu tippen.
    „Ja“, sage ich. „Ich frage morgen wieder nach.“

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von magali ()

  • Man wird doch tatsächlich immer wieder überrascht.
    Und dann auch noch positiv. :-)


    Mir hat diese Short-Story ausgezeichnet gefallen. Magali schafft es mit Worten eine Stimmung einzufangen, die ohne Frage schwer zu beschreiben ist. Es ist dieses leicht resignative Element, die den ganz besonderen Reiz dieser Short-Story ausmacht.


    Hervorzuheben ist auch die Authenzität des Erzählten. Es sind solche Menschen wie dieser Buchhändler, denen wir tagtäglich begegnen, die wir haben schon wieder vergessen haben wenn sie aus unserem Blick verschwunden sitzt. Und diese kleine Geschichte macht auch deutlich, das Banales, das wenig Weltbewegendes eben auch seinen ganz besonderen Platz hat und haben muss.


    Am Erzählstil gibt es absolut nichts zu kritteln. Ich gehe sogar soweit zu sagen: Nur so kann eine solche Short-Story erzählt werden.


    Ich bin wirklich beeindruckt! :anbet

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Darf ich zum Jubiläum auch sagen, dass mir die Geschichte nicht so gefällt? Gewiss, sie ist recht wortgewandt erzählt, aber sie erreicht mich nicht. Wie rienchen kann ich die Szenerie zwar auch sehen, ich sehe allerdings eher schwarz-weiß als farbig in dieser staubigen Rumpelkammer. Und ich kann sie riechen. Sie riecht etwas muffig nach ausgeatmetem Rotwein mit einer Note Katzen-Pipi. Auch hören kann ich sie, denn die zitierten Werke sind mir im Ohr, sie klingen nach Schwermut und Resignation. Mit dem Fühlen ist es allerdings etwas schwierig. Ich fühle nichts, allenfalls ein leichtes Schaudern, um solche Läden würde ich einen großen Bogen machen. Und einen Satz kann ich deshalb so gar nicht nachvollziehen: „Er ist ein guter Verkäufer“ :wave

  • Zitat

    Original von arter
    Darf ich zum Jubiläum auch sagen, dass mir die Geschichte nicht so gefällt? Gewiss, sie ist recht wortgewandt erzählt, aber sie erreicht mich nicht. Wie rienchen kann ich die Szenerie zwar auch sehen, ich sehe allerdings eher schwarz-weiß als farbig in dieser staubigen Rumpelkammer. Und ich kann sie riechen. Sie riecht etwas muffig nach ausgeatmetem Rotwein mit einer Note Katzen-Pipi. Auch hören kann ich sie, denn die zitierten Werke sind mir im Ohr, sie klingen nach Schwermut und Resignation. Mit dem Fühlen ist es allerdings etwas schwierig. Ich fühle nichts, allenfalls ein leichtes Schaudern, um solche Läden würde ich einen großen Bogen machen. Und einen Satz kann ich deshalb so gar nicht nachvollziehen: „Er ist ein guter Verkäufer“ :wave


    Aber diese Stimmungsbeschreibung macht doch gerade den besonderen Reiz dieser Geschichte aus. Und das "Er ist ein guter Verkäufer" ist doch ein TROTZDEM, ein Blick weg von den Äußerlichkeiten, hin auf den Menschen. Und das hat die Autorin in meinen Augen wirklich meisterhaft beschrieben. Das Beschreiben von Stimmungen ist eine sehr schwierige Sache - umso mehr Anerkennung also dafür, wenn ein solches Unterfangen gelingt. Und in diesem Falle ist es beeindruckend gut gelungen.


    Und warum sollte man um einen solchen Laden einen Bogen machen? Wird nicht schon genug diskriminert in unserer achso toleranten Gesellschaft?

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Toller Text zum Jubiläum!


    Und wenn Buchhandlung und Buchhändler so beschrieben worden sind, dass bestimmte Leser um beide einen großen Bogen machen würden, spricht das einzig und allein für die Qualität des Textes :grin

    „Streite niemals mit dummen Leuten. Sie werden dich auf ihr Level runterziehen und dich dort mit Erfahrung schlagen.“ (Mark Twain)

  • Ein ganzes Leben in einer kurzen Geschichte. Feinsinnig und mit Empathie erzählt, dabei frei von Gefühlsduselei. Keine süßliche Betroffenheitsarie, sondern messerscharf beobachtet und in einer gekonnten Mischung aus Nähe und Distanz geschrieben. Viele knappe Dialoge, deren Bedeutung sich hinter dem Gesagten findet. Die Szenerie plastisch, der Mensch in ihr liebevoll skizziert. Man sieht das kleine Geschäft, riecht die Luft aus Büchern, alten Modellen, Katzenpisse und Alkohol.
    Wenige Sätze, aber ungeheuer anrührend. Eine kleine Geschichte, aber keineswegs kleine Literatur.
    Chapeau, liebe magali! :anbet


    @ arter:
    Ich fühle nichts (...), um solche Läden würde ich einen großen Bogen machen


    Das wundert mich wahrlich nicht, arter, mindert jedoch weder den Wert dieser wunderbaren Geschichte, noch wird der Ladeninhaber dich in seiner Welt vermissen.

  • Zitat

    Wie rienchen kann ich die Szenerie zwar auch sehen, ich sehe allerdings eher schwarz-weiß als farbig in dieser staubigen Rumpelkammer. Und ich kann sie riechen. Sie riecht etwas muffig nach ausgeatmetem Rotwein mit einer Note Katzen-Pipi. Auch hören kann ich sie, denn die zitierten Werke sind mir im Ohr, sie klingen nach Schwermut und Resignation.


    Hey arter!


    Naja, mir geht es gar nicht soo viel anders. Auch ich kräusele die Nase und schüttele mich innerlich. Allerdings geht es bei magalis Text ja nicht um mich und meine Vorlieben, sondern darum, dass er etwas auslöst, wenn es auch nur etwas Abstoßendes ist. Das macht für mich einen guten Text aus.


    Zitat

    Und einen Satz kann ich deshalb so gar nicht nachvollziehen: „Er ist ein guter Verkäufer“


    Vielleicht liege ich jetzt meilenweit daneben, aber ich meine, da etwas leicht Ironisches in magalis Worten zu lesen. :grin


    Zitat

    um solche Läden würde ich einen großen Bogen machen.


    Ich auch, dieser Laden wäre mir suspekt und ich wiederhole mich- genau das hat magali prima hinbekommen. :-]

    Ailton nicht dick, Ailton schießt Tor. Wenn Ailton Tor, dann dick egal.



    Grüße, Das Rienchen ;-)

  • Gut, daß Ihr meint, daß die Atmosphäre stimmt. :-)
    Ich finde es ausgesprochen schwierig, das zu erreichen, weil in den Texten noch soviel mehr transportiert werden soll.
    Hier waren es die Probleme des Buchhandels sowie mein Kommentar zur Lage.
    Zur Abwechslung fiktionalisiert. Andernorts hatte ich mich ja bereits geäußert.


    Aber es ist ja klar, daß das kein Werbetext für eine bestimmte Buchhandlung ist. Und das auftretende 'Ich' kein Selbstporträt.
    Schließlich ist das die AutorInnenecke.


    :lache




    Danke fürs Lesen und die Komplimente.



    Kritzlerinnen-Gruß


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Sorry Magali,


    mir hat die Geschichte einfach nichts gesagt.


    Was hat sie für einen tieferen Sinn? :gruebel


    Deshalb schließe ich mich Arters Aussage an. Eigentlich wollte ich nichts dazu sagen, weil ich ungerne Kritik übe, aber nun konnte ich mich doch nicht zurückhalten.


    Vielleicht kannst du mir ja den tieferen Sinn näherbringen. Ich lasse mich gerne positiv überraschen.
    Wenn es aber nur eine Beschreibung einer Örtlichkeit sein sollte, dann ist dir das durchaus gelungen.
    Gefühle blieben dabei aber auf der Strecke.


    Gruß :wave

    Fay
    Ein Roman ist wie der Bogen einer Geige und ihr Resonanzkörper wie die Seele des Lesers. (Stendhal)

  • Fay


    bitte entschuldige Dich nicht für eine Meinungsäußerung. Auch nicht für Kritik.
    Das wäre ja noch schöner!


    Ich freue mich, daß Du sie gelesen hast. Und daß Dir die Beschreibung des erdachten Orts gefallen hat.




    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Okay, wenn es magalis Absicht war, zu ihrem Runden etwas besonders Abstoßendes zu kreieren, dann ist ihr das perfekt gelungen ;-)


    Nein, jetzt mal ganz ernsthaft. Ich sage nichts dagegen, wie die Beschreibung wirkt. Sie erreicht wohl das, was sie erreichen soll. Aber ich möchte in einer Geschichte gerne immer ein "Warum". Eine Moral, eine Pointe eine Aussage. Irgendwas, das ich mitnehmen kann. Und das fehlt mir.

  • Ich verirre mich höchst selten in diese Ecke, aber der Titel des Beitrages hat mich neugierig gemacht.


    Magali, mir hat Deine Geschichte sehr gut gefallen und mich hat sie berührt. Punkt.Ohne aufdröseln und analysieren, mir hat sie schlicht weg gefallen. :wave

  • Mensch, Leute, lest doch einfach nochmal den Text! Das ist eine ungeheuer stimungsvolle Milieustudie, meisterhaft distanziert erzählt, und geht gerade deshalb unter die Haut. Dieser Buchhändler ist natürlich viel zu speziell, um herhalten zu können für "die Probleme des Buchandels", wie sich die Autorin leider zu erklären bemüßigt fühlt. Und selbstverständlich muss ein guter Text keine "Moral" transportieren - was für eine alberne Forderung an Literatur; das ist doch keine Vorlesegeschichte für Kinder!
    Die sonderbaren Interpretationsübungen hier, diese verkniffene Suche nach verborgenen Metaphern, nach "Aussagen" hinter dem Text sind peinlich für ein Bücherforum. Untertertia-Niveau, höchstens.
    Voltaires Statements werden dem Text eher gerecht, finde ich: "(...) Es ist dieses leicht resignative Element, das den ganz besonderen Reiz dieser Short-Story ausmacht. (...)" und "Aber diese Stimmungsbeschreibung macht doch gerade den besonderen Reiz dieser Geschichte aus. (...)"


    Man kann gute Texte schnell zerreden. Sogar sehr gute wie diesen. Die gefürchteten "Sinnsucher" schaffen das problemlos - die Beispiele sind Legion. Aber, magali: Die Autorin sollte sich an der Deutungsdiskussion über ihr Werk nicht beteiligen. Und nie, wirklich niemals, dessen scheinbar verborgene "Botschaft" artikulieren. Geht immer schief. :wave