Der Geruch des Lebens
Viele Menschen nehmen die Welt fast ausschliesslich mit ihren Augen war. Sie erfreuen sich an einem blauen Himmel, an Rosen, die so rot sind wie die Lippen einer Hure oder am Brautkleid der unschuldigen Jungfrau in weiss. Ich gehöre nicht zu diesen Menschen.
Meine Welt ist ein Kaleidoskop der Gerüche. Meine Nase eröffnet mir ein Universum, das mir viel reicher und vielfältiger erscheint, als das meiner Augen. Müsste ich wählen, welche Sinne der Allmächtige oder sein gehörnter Gegenspieler mir im Tausch für ein langes sorgenfreies Leben nehmen könnte, würde ich alle hergeben bis auf jene, die mir den Geruch des Lebens schenken.
Wahrlich berauscht bin ich vom Geruch der Angst. Die Furcht verströmt ein Aroma, dem ich nicht widerstehen kann. Nacht für Nacht streife ich umher, ruhelos suchend nach diesem Gefühl. Mittlerweile haben sie alle Angst, selbst die Huren trauen sich kaum noch auf die Straße, wenn es dunkel wird. Doch immer wieder locke ich sie an mit dem Versprechen auf klingende Münzen. Ich kann ihr Zaudern förmlich riechen. Ein Zaudern, daß sich in Angst und pures Entsetzen verwandelt, wenn ich meine Messer zücke. Wenn irgendwann im Laufe meiner Raserei der Geruch der Angst aus ihren leblosen Körpern entschwunden ist, rieche ich ihr Blut. Der Geruch des Lebens durchdringt dann meinen ganzen Körper und mein Herz hört auf zu hämmern.
In meiner Welt sind Augen unnütz. Meine Welt ist dunkel, meine Welt ist die Nacht. Meine Welt heisst White Chapel und meine Name ist Jack.
(c)Doc, 2005