Der Krebskandidat - Edwin Klein

  • SWB-Verlag
    ISBN-13: 9783942661959
    ISBN-10: 3942661950
    Thriller
    1. Auflage 09/2012
    Taschenbuch, 383 Seiten


    Verlagsseite http://www.swb-verlag.de
    Autorenseite http://www.edwin-klein.de


    Kürzlich warf ein Bekannter einen Blick auf meinen SuB. Als er Der Krebskandidat entdeckte, flammte sein Interesse auf, glaubte er doch, dass es darin um den von William B. Davis in Akte X gespielten, anscheinend stets rauchumwölkten Krebskandidaten ginge. Ich habe den darauf folgenden begeisterten Ausführungen zur Filmfigur nur mit halbem Ohr gelauscht und mich stattdessen nochmals entsetzt über die Inhaltsangabe des Buches hergemacht. Obwohl ich so ziemlich alles lese, kann ich nicht behaupten, Akte-X-Fan zu sein. Einen Roman über eine Figur daraus wollte ich auch nicht unbedingt lesen. Während mein Bekannter mein mangelndes Interesse absolut nicht nachvollziehen konnte, durfte ich jedoch erleichtert aufatmen. In Edwin Kleins 2012 beim SWB-Verlag herausgegebenen Roman geht es glücklicherweise um etwas ganz anderes.


    1967 wurde Klein Deutscher Juniorenmeister im Hammerwurf. In den folgenden Jahren durfte der ehemalige Leichtathlet noch mehrmals das Siegertreppchen besteigen und nahm auch an den Olympischen Spielen 1972 und 1976 teil. Nach Beendigung seiner Sportlerkarriere war er als Gymnasiallehrer tätig. Seit 1990 arbeitet er als freier Autor. Aus der Feder des 1948 bei Trier geborenen Edwin Klein, der auch unter dem Pseudonym Ed Elkin schreibt, stammen über 20 Bücher, z. T. in mehreren Auflagen und Sprachen, sowie etwa ein Dutzend Drehbuch-Exposés. Kleins Spektrum reicht von Sach- über Kinderbücher hin zu Biografien. Auch actionorientierte Polit-Thriller, angesiedelt im nationalen wie internationalen Milieu, sind dabei.


    Der Krebskandidat Philipp kann sich offenbar ohne medizinische Behandlungen selbst heilen. Die Pharmaindustrie interessiert sich für ihn, birgt doch Philipps genetische Veranlagung die Chance, ein Mittel gegen die todbringende Krankheit entwickeln zu können. Dadurch steht sein Leben von heute auf morgen Kopf und ihm werden verlockende Angebote gemacht. Doch bei Weitem nicht jeder sieht in der Ergründung seines Geheimnisses einen absoluten Segen. Faktisch drohen der Pharmaindustrie herbe Verluste, weil sich mit gesunden Menschen kein Geld verdienen lässt. Philipp wird zu einem Problem …


    Diese spannende Grundidee offenbart sich nach einem schnellen Blick auf die Rückseite des Buches. Wer vermutet, dass sich Klein ausschließlich auf Philipp und seine wundersame Veranlagung bzw. auf die sich für ihn ergebenden Folgen konzentriert, wird schnell eines Besseren belehrt. Tatsächlich spielt er eine genauso große oder kleine Rolle wie alle anderen Charaktere, die man im Buch findet. Egal ob es sich um seine Freundin Gilla handelt, die ihn irgendwann managt, da ihm die Sache recht schnell über den Kopf wächst. Seinen Freund und Hausarzt Holger oder Gillas Ex-Freund und Computercrack Kurt. Peter Farmer, den Chef eines großen Pharmaunternehmens, dessen als Wissenschaftlerin tätige Geliebte, seinen zwielichtigen Sohn Walter, seinen profitgierigen Schwiegervater oder dessen gleichgesinnte Freunde, die im Hintergrund ähnlich Marionettenspielern die Fäden ziehen. Da gibt einen Fremdenlegionär und dessen Helfer, die sich für andere die Hände schmutzig machen. Und noch etliche weitere Charaktere, mal mehr mal weniger beleuchtet, zwischen denen der Autor munter hin und her springt.


    Auch bei den Handlungsorten spart Klein nicht. Er schickt seine Figuren an verschiedene Orte in Europa, in den Vereinigten Staaten von Amerika und auf dem afrikanischen Kontinent und lässt sie eine Fülle an Dingen erleben, Aktionen planen und ausführen, verlieren und gewinnen. Die 382 Seiten sind wirklich prall gefüllt mit Erzählsträngen, die sich einander unterschiedlich temporeich nähern und wieder auseinanderdriften, ohne dass einer dieser Stränge verloren geht oder offen endet. Sie handeln auf den ersten Blick zwar durchaus von Philipp, mehr jedoch von den überaus korrupten, absolut profitgierigen, machthungrigen und erschreckend menschenverachtenden Motiven derjenigen, die an der Spitze großer Pharmaunternehmen stehen. Wer Freund oder Feind ist, erschließt sich dabei nicht gleich auf den ersten Blick.


    Ein Ideenszenario ganz nach meinem Geschmack. Eigentlich. Denn tatsächlich handelt es sich bei Der Krebskandidat um ein Buch, das mir nach einem interessanten Auftakt einiges an Durchhaltevermögen abverlangte. Mehrere Male war ich kurz davor, es endgültig vor der Lektüre des letzten Kapitels beiseite zu legen. Immer wieder stolperte ich über die gleichen Schwachstellen und brauchte, was bei mir extrem lange ist, sechs Wochen, bis ich besagtes Kapitel beenden konnte. An der Grundidee lag es nicht, denn die finde ich nach wie vor spannend. An den vielen Informationen, die man im Bezug auf Krebserkrankungen und Untersuchungsmethoden ganz nebenbei erfährt, ebenso wenig. Firmenpolitische Erwägungen, Intrigen und Verwirrspiele, Anschläge und Rückschläge - all das hätte mich grundsätzlich fesseln können, wäre es denn anders beschrieben worden.


    Alle Charaktere blieben mir fremd. Das erklärt sich nicht nur damit, dass der Autor sich diverser Klischees bedient und seine der Figuren alle hypergescheit und umfassend informiert gestaltet. Es liegt sicherlich auch daran, dass lebendige Dialoge fehlen. Zu vieles spielt sich in den Köpfen der Figuren ab. Ihre Gedankengänge wirken abgeklärt-distanziert, muten fast wie abstrakte Selbstgespräche an. Teils sind es auch Selbstgespräche, die dazu noch allzu häufig im Konjunktiv I formuliert wurden. Selten habe die Worte werde, solle, müsse oder könne in einer derartigen Fülle gelesen. Unterschiede zwischen den Figuren kann man hier kaum erkennen. Dadurch scheint die Geschichte insgesamt eher präsentiert zu werden, als sich zu entwickeln. Kommt es tatsächlich zu einem Dialog, artet dieser allzu schnell in etwas aus, dass sich am besten als Fachsimpelei beschreiben lässt. Die ist zwar durchaus interessant, wirkt jedoch trocken. Emotionen gehen auf diese Weise zudem vollkommen unter. So habe ich beispielsweise angesichts der Gefahr, in der Philipp sich im Laufe der Geschichte befindet, keine Angst bei ihm erkennen können, da er sich durchweg rational verhält. Auch Gillas Verhalten scheint eher gewinnorientiert als andeutungsweise besorgt. Wut wird erwähnt, doch erstickt keine der Figuren daran, machen sie sich doch sofort und überaus vernunftbegabt an die Umsetzung von eventuellen Rachegelüsten.


    Auch die bildhafte Beschreibung der Handlungsorte fehlt oder geht, sofern sie denn vorhanden ist, in allzu anschaulichen Ausführungen mit Sachbuchcharakter unter. Klein erwähnt viele Vorkommnisse aus dem realen Leben, verknüpft sie mit seiner Romanhandlung. Beides finde ich grundsätzlich spannend und interessant. Allerdings zog sich das Geschehen in diesem Fall stellenweise unerträglich in die Länge, gerade aufgebaute Spannung flachte schlagartig wieder ab. Letzteres auch deshalb, weil sich durch die Perspektivwechsel eine gewisse Vorhersehbarkeit einschlich.


    Hinzu kommt, dass die Figuren - Philipp und Gilla sozusagen als Normalbürger, Farmer als Chef eines riesigen Konzerns, Walter als sein Handlanger oder der Fremdenlegionär der für Geld alles tut - über Ressourcen und Möglichkeiten verfügen, die sie fast auf gleicher Augenhöhe operieren lassen. Und, obwohl der eine schlauer und gewiefter ist als der andere, Fehler machen und Dinge außer Acht lassen, die ebendies in Frage stellen. Kriminelle Machenschaften werden durch Verträge ausgebremst und die wiederum durch kriminelle Machenschaften ausgehebelt. Sinn und Zweck mancher Aktion bleiben so mitunter fast auf der Strecke.


    Grundsätzlich - Roman hin oder her - wirken Kleins Gedankengänge zu den profitorientierten Interessen der Pharmaindustrie im Medikamentenbereich nicht völlig unglaubwürdig. Dazu gab es in der Vergangenheit bereits zu viele entsprechende Skandale. Krankheit ist ein wesentlich lukrativeres Geschäft als Gesundheit. Allerdings wirkt der von ihm präsentierte Erzählstrang bezüglich der vordergründig angestrebten Herstellung DES MEDIKAMENTS gegen Krebs grundsätzlich ebenso wie der mehrfach im Buch angesprochene, eng gesteckte zeitliche Rahmen etwas weit hergeholt.
    Das Ende hat mich dennoch in gewisser Weise völlig überrascht, wobei ich mich hier nicht auf das letzte Kapitel im Buch beziehe. Doch insgesamt betrachtet ist die Idee des Drahtziehers hinter allem zu konstruiert-bemüht. Die Motivation ist zwar klar herausgearbeitet und angesichts des enormen Gewinns für diese Figur auch nicht gänzlich unglaubwürdig. Doch die Entwicklung beruht einerseits auf zu vielen geschickten Planungen und andererseits auf allzu passenden Zufällen. Hätte der Hausarzt nicht reagiert, wäre ein weiterer Arzt nicht in Aktion getreten. Wäre dieser nicht in Aktion getreten, hätte Philipp niemals den ersten Schritt in die Öffentlichkeit gemacht. Ohne diesen Schritt wäre aber die Folgereaktion nicht zu erwarten gewesen und so weiter. Die drahtziehende Figur im Hintergrund scheint einzig und allein einfach alles bedacht zu haben, selbst die Reaktionen von Konkurrenten. Praktischerweise denken jedoch sowieso nur amerikanische und deutsche Pharmaunternehmen ernsthaft daran, die ebenso verblüffende wie hoffnungsmachende Anomalie Philipps gewinnbringend für sich zu nutzen.


    Fazit: :lesend :lesend :lesend


    Der Autor spannt einen detailverliebten weiten Bogen ausgehend von einer Krebsdiagnose und den daraus resultierenden Entwicklungen, über erschreckende Testreihen und gewinnbringende Falschmeldungen sowie Versuchen an Menschen bis hin zur Gier nach Macht und Reichtum, die alles überstrahlt. Das grundsätzlich interessante Ideenszenario verliert jedoch an Reiz angesichts der Gedankenfülle, die der Autor zum Ausdruck bringt. Einiges wirkt zu komprimiert. Anderes eindeutig zu ausführlich. Insgesamt nicht immer spannend, aber auch nicht durchgehend langweilig. Richtig gut gefiel mir das Buch nicht, da es mir zu viel Durchhaltevermögen abverlangt hat. Wirklich schlecht fand ich Kleins Roman jedoch keinesfalls, weshalb ich sechs von zehn Punkten dafür vergeben möchte.


    Copyright ©, 2013 Antje Jürgens (AJ)

    Der Unterschied zwischen dem richtigen Wort und dem beinahe richtigen ist derselbe Unterschied wie zwischen einem Blitz und einem Glühwürmchen.
    Mark Twain

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