Sari. Das schönste Kleid der Welt
Hrsg. Martand Singh und Rta Kapur Chishti
Dumont Buchverlag 2012. 276 Seiten
ISBN-13: 978-3832194581. 68€
Verlagstext
Dieses Buch liefert einen einzigartigen Überblick zum Thema Sari: Alles über die Stoffmuster, Wickeltechniken, Herkunftsgebiete und seine Traditionen mit sozialen, kulturellen und ökonomischen Hintergründen. Bundesstaat für Bundesstaat und Ort für Ort dokumentiert dieser prächtige Band das gesamte Spektrum an Webern und Stoffdruckern in jenen 14 Distrikten Indiens, die Saris herstellen. So entfaltet sich vor unseren Augen die erste vollständige Zusammenschau sämtlicher Spielformen des Sari: Designs, Farben, Formate, Formen und Techniken machen die glanzvolle Vielfalt dieses einmaligen Kleidungsstückes aus. Die anschauliche Darstellung von 108 Wickeltechniken dokumentiert zusätzlich die faszinierenden Spielarten dieses so vorteilhaften Gewandes.
Der Sari ist ein indisches Kleidungsstück für Frauen. Er besteht aus einem fünf bis sechs Meter (in Extremfällen bis zu neun Meter) langen ungenähten, rechteckigen Tuch aus farbiger Seide oder Baumwolle, das an einem Ende häufig eine breite Schmuckborte von anderer Farbe aufweist er wird in sehr unterschiedlichen Formen getragen. Das Standardwerk mit 108 Wickeltechniken. als schönster Bildband 2011 prämiert durch die Motovun-Association. Mit Farbschnitt, in eigens gestalteter Seide gebunden.
Die Herausgeber:
Martand Singh ist Direktor des INTACH (UK) Trust, Ableger des Indian National Trust for Art and Cultural Heritage in Neu-Delhi. Er war Direktor des Calico Textilmuseum und begründete die Vishvakarma-Ausstellungsreihe.
Rta Kapur Chishti ist Co-Autorin und Herausgeberin verschiedener Publikationen über Saris und indische Textilien. Sie gründete die »Sari School«, die Saris herstellt und Workshops zum Tragen von Saris organisiert.
Inhalt
Der indische Sari gibt Europäern schon immer Rätsel auf. Wie kann eine Frau in eine einfache Stoffbahn gehüllt Radfahren oder auf dem Feld arbeiten? Wie kann eine rechteckige Stoffbahn, gefärbt oder bestickt, als Kleidungsstück so anmutig wirken? Der vorliegende Bildband ist die Dokumentation eines umfangreichen Forschungsvorhabens, das zwischen 1984 und 2003 die regionale Verbreitung von Sarimustern und damit die Geschichte des indischen Handweberhandwerks doumentierte. Die Forscher bereisten fast alle indischen Bundesstaaten, um - den nicht mehr aktiven - Webern Muster zu entlocken, bei ihnen Saris mit diesen Mustern in Auftrag zu geben und sie so für die Nachwelt zu erhalten. Voraussetzung für das Weberhandwerk im ländlichen Indien waren schon immer große Familien mit vielen Kindern, weil zum Schlichten der Kette die Hände von bis zu 30 Personen benötigt wurden.
Sehr schnell wird dem Leser außerhalb Indiens klar, dass das über 1000 Jahre alte Kleidungsstück alles andere als eine einfache Stoffbahn ist. Wie sie ihren Sari anlegt, spiegelt für eine Inderin u. a. den Übergang zwischen privatem und öffentlichem Raum. Ein bis zu 9m langer Sari besteht aus einem gezielt für die Passform gewebten Schulterstück, einer Randborte, die nicht nur schmückt, sondern den Fall der Stoffbahn bestimmt, und zwei unterschiedlichen kurzen Endkanten. Material, Färbung und gestickte Ornamente demonstrieren ästhetische und religiöse Vorstellungen der verschiedenen Regionen und im Fall der Hochzeitssaris jahrhundertealte Sitten. Selbst das Falten der unbenutzten Sari-Soffbahn wird durch regionale Sitten geregelt. Ein interessanter Teil des Buches geht auf die Ikatweberei ein, bei der vor dem Aufziehen der Kette farbenfrohe Muster in die Kettfäden gefärbt werden.
Wo Seide oder Baumwolle angebaut werden können und Anforderungen an die Bekleidung durch das regionale Klima bestimmen die Auswahl der Fasern. Aus der Vielzahl der Designs ragen schlichte weiße Saris aus Kerala heraus, die hier als elegant empfunden werden, weil sie Haut und Haar der Trägerin besonders gut zur Geltung bringen. Andere Regionen sind bekannt für ungebleichte Baumwolle, überschwängliche Rottöne, gewebte oder gestickte Glück verheißende Symbole, die dort ebenso zur Verzierung von Töpferwaren und Häuserfronten dienen. Eine besondere Rolle in der Geschichte von Indiens Weberhandwerk spielt Goa, wo das Weben von Saris 200 Jahre lang durch die portugiesischen Kolonialherren verboten war, die selbst Stoffe importieren wollten. Hier wird das Erstarken des Handwerks nach der Befreiung von der Kolonialmacht (das leider mit dem Niedergang des Saris zusammenfiel) als Ausdruck politischen Selbstbewusstseins gewertet. Maharashtra gilt als Pionierstaat der Industrialisierung, die zur Konkurrenz zwischen Handwebern und Textilfabriken führte. Madhya Pradesh steht für die Weiterentwicklung von Stoffdesigns durch die weitreichenden Handelsbeziehungen des Staates, Odisha ebenfalls für den erfolgreichen Stoff-Handel mit Indiens Nachbarländern. Das regionale Weber- und Druckerhandwerk wurde inzwischen in fast allen Regionen durch ausländische Billigkonkurrenz vom Markt verdrängt, aber in einigen Gegenden auch von der archaischen Abhängigkeit der Weber von ihren Aufkäufern (die die Autoren mafiaähnlich nennen). Hier scheitert das Überleben des Kunsthandwerks daran, dass einzelne Weber nicht in der Lage sind, für einen einzigen Sari das Material vorzufinanzieren.
Der in goldfarben Seide gebundene Band mit grün eingefärbtem Buchschnitt ist als Fachbuch und Dokumentation streng regional nach Bundesstaaten gegliedert. Eine Karte zeigt jeweils die Verbreitung der regional üblichen Sari-Varianten, ein Index zu diesen Karten liegt lose bei. Fotos von Webmustern und Stickereien sind systematisch wie eine Musterkartei nach Stoffqualität gegliedert. In jedem Kapitel demonstrieren Diagramme und Fotos die insgesamt über 100 Varianten einen Sari anzulegen. Glossar und umfangreiche Bibliografie im Anhang.
Fazit
Als Kostümkunde und Wirtschaftsgeschichte ist der üppig illustrierte Band ein Fachbuch, das jedoch auch interessierten Laien Einblicke in das Handweben feiner Stoffe gibt und Reisenden hilft, die regionale und symbolische Bedeutung von Stoffmustern einzuordnen, die sie zufällig gesehen oder fotografiert haben.
10 von 10 Punkten