Um die Sache auf den Punkt zu bringen: Taxi 79 ab Station ist die Liebesgeschichte zwischen einem Taxifahrer und einer verheirateten Dame aus besseren Kreisen.
Ragnar fährt in Reykjavik Taxi, meist betrunkene GIs, und macht Geschäftchen mit amerikanischem Whiskey. Auf einer Tour nach Keflavik gabelt er die geheimnisvolle Gógó auf, die mit ihrem Wagen irgendwo in der Lavawüste liegengeblieben ist, und beginnt eine leidenschaftlich Affäre mit ihr. Doch diese Liebe scheint keine Zukunft zu haben.
Das mag in den 50er Jahren in Reykjavik ein Skandal gewesen sein, aber so eine Story reißt heutzutage natürlich niemanden mehr vom Hocker.
Viel spannender ist, dass dies der erste (und für lange Zeit auch schon wieder der letzte) wahrhaft urbane Roman aus Island ist. Nachdem diese Insel für Jahrhunderte unbeachtet am Rande der Welt vor sich hindümpelte, rückständig, ja fast vormodern, ändert sich das, als US-Truppen während des Kalten Krieges hier stationiert werden. Eine weitestgehend isolierte Bevölkerung, die sich ihr Brot, oder vielleicht eher ihren Fisch, noch unter härtesten Bedingungen erarbeiten musste, die nichts oder nur wenig davon mitbekam, was im Rest der Welt passierte, wird plötzlich mit dem Fortschritt konfrontiert. Rock'n Roll kommt ins Land, Alkohol und Zigaretten, haufenweise Dollars und jede Menge junger Soldaten, die in ihrer Freizeit Spaß haben wollen. Ein Umbruch, wie ihn in dieser Abruptheit wohl kein anderes Land in Europa durchgemacht hat
Ragnar ist somit eine völlig neue Figur in der isländischen Literatur. Obwohl sein Taxi alt ist und er deshalb nicht unbedingt zur Creme de la Creme der Taxifahrerzunft zählt, ist er doch Vorreiter, ein Mann der neuen Zeit. Single und auch sonst ohne familiäre Bindungen in der Stadt, dreht sich sein Leben um seine Arbeit als Dienstleister. Freunde hat er lediglich im Kreis seiner Kollegen. Und doch steckt er noch voller alter Werte, er will eigentlich keine Freundinnen, sondern eine Frau fürs Leben und in der persönlichen Krise zieht es ihn, wie auch viele zeitgenössische Isländer, raus aus der Stadt aufs Land.
Auch seine Geliebte Gógó hat wenig mit dem traditionellen isländischen Lebensentwurf am Hut: zwar verheiratet, hält sie doch wenig von der calvinistischen Sexualmoral, nicht Kinder und Haushalt, sondern Lebensfreude und Vergnügen bestimmen ihr Leben.
Und so ist auch die Beziehung der beiden alles andere als eine einfache romantische Affäre.
Die Geschichte wird ganz ruhig erzählt, lakonisch, manchmal hat mich der Roman sprachlich, obwohl inhaltlich komplett anders, an Simenon erinnert. Sicherlich war es auch diese erzählende, keinesfalls wertende Beschreibung dieser Liebesgeschichte, die im Nachkriegsisland für einen Skandal sorgte, bestimmt aber auch der pragmatisch-entspannte, von politischen Motiven weitestgehend freie Umgang, den die beiden Helden mit der amerikanischen „Besatzungsmacht“ (so haben es zumindest viele Isländer empfunden) pflegen.
Dieser Roman ist eine Momentaufnahme aus einer Zeit zwischen zwei Epochen, nicht so wütend-politisch wie bei Laxness, nicht so ironisch verklärt wie bei Kárason, sondern einfach nur menschlich. Mal was anderes.
Thorsteinsson ist übrigens der Vater des bekanntesten isländischen Krimischriftsteller, Indridason.