Minna von Barnhelm - Gotthold Ephraim Lessing

  • Das Stück gehört zu den meistgespielten auf den deutschsprachigen Bühnen und zwar, nach einen etwas holprigem Anfang (in Preußen war es zeitweise verboten, weil es ein bißchen respektlos mit Königen umging), eigentlich seit der Uraufführung in Hamburg 1767. Der Autor, 1729 geboren, war ein Pfarrerssohn. Er hatte selber pflichtschuldigst Theologie und Philologie studiert, dann noch ein bißchen Medizin, aber das war alles nichts. Was ihn wirklich interessierte waren zwei Dinge: das Theater und die deutsche Sprache.
    Daher beschloß er mit Anfang 20, sich von nun an als Journalist und freier Schriftsteller durchzuschlagen. Seine Familie fand das nicht so cool, aber die Zeit gab ihm recht. Wäre Lessing nicht so wagemutig gewesen (nämlich bereit, zur Not von trockenem Brot zu leben), das deutsche Geistesleben wäre um einiges ärmer. Er verstand nämlich sowohl vom Theater als auch von der Sprache viel. Wovon er offenbar auch etwas verstand, waren Frauen. Allein drei seiner Theaterstücke haben eine Frau als Titelheldin. Auch in der jeweiligen Handlung sind sie immer sehr präsent und werden mit größem Verständnis geschildert.
    Die Geschichte des Fräuleins von Barnhelm ist eine Komödie. Allerdings sind wir im 18. Jahrhundert. Es geht also sehr klassisch zu. Wir haben fünf Akte und die sind lang! Es wird geredet und geredet, Sprache war wichtig, ich sagte es schon. Geistesgeschichtlich sind wir in der Aufklärung und es wird auch aufgeklärt. Gründlich! Worüber?
    Der Held der Geschichte, Major von Tellheim, war als preußischer Offizier in Sachsen für die Eintreibung von Steuergeldern zuständig. Das Geld war zunächst nicht aufzutreiben. Nun ist Tellheim, unüblich bei Offizieren, ein grundlegend netter Mensch. Er streckt das Geld vor. Wenn es um Geld und Machtverhältnisse geht, ist allerdings Vorsicht angebracht und die läßt Tellheim nicht walten. So kommt durch Geschwätz und Gerüchte der Verdacht auf, er habe sich bestechen lassen, um eine niedrigere Steuersumme für Sachsen herauszuschlagen, also: seinen König betrogen. Er wird entlassen. Tief in seiner Ehre gekränkt, sitzt er nun in einem Gasthaus in Berlin und hat das Gefühl, keine Zukunft mehr zu haben. Dieses Gefühl wird nicht geteilt von seinem Diener Just und auch nicht von seinem ehemaligen Wachtmeister Werner, die ihren Major kennen, aber nicht wissen, wie sie einen so ehrpusseligen Dienstherrn wieder von der Palme runterbringen können.
    Eine ganz andere Ansicht vertritt aber auch ein gewisses Fräulein von Barnhelm, gebürtige Sächsin, mit der der Major verlobt ist. Sie liebt ihren dickschädeligen Major und deshalb reist sie ihm zusammen mit ihrer Zofe Franziska kurzerhand nach, um ihm ihre Ansicht klarzumachen.
    All diese Dinge entwickeln sich sehr langsam. Zuschauerinnen und Zuschauer haben kein Vorwissen. Tellheim wird vorgestellt, in seiner ganzen Integrität und Menschenfreundlichkeit und mit seinem dicken Sparren, die Ehre betreffend. Erst im dritten Akt erfahren wir, warum er überhaupt so durchhängt. Aber da mögen wir ihn schon.
    Und wir mögen Minna, die an Beredsamkeit und Ideenreichtum alles aufbietet, was man nur aufbieten kann, um die Welt wieder in Ordnung zu bringen. Just, Werner und Franziska, mit wenigen weiteren Nebenfiguren, stellen sozusagen die geltende Weltordnung dar, da sie immer fragen, darf man denn das? Darf man sowas sagen? Sowas denken? Über König und Vaterland? Übers Private und Politische? Darf ein Fräulein so vorwitzig sein und so schamlos nach ihrem Kerl angeln?
    Darf sie, denn das Fräulein hat genau die richtige Vorstellung von einer ausgewogenen Weltordnung, in der sich Ehre und Liebe, Privates und Öffentliches, Könige und Offiziere, Männer und Frauen die Waage halten. Es wird argumentiert, was das Zeug hält. Jedes Wort, und es werden ganz, ganz viele gemacht, sitzt. Es ist ein Weltentwurf, der hier vorgestellt wird. Diese Welt ist verflixt attraktiv, wenn man so darüber nachdenkt und genau das soll man ja.
    Bestimmt keine leichte Kost und nicht leicht verdaulich. Es ist ein Fünf-Gänge-Menu, in dem alle Gerichte und jedes Gewürz aufeinander abgestimmt sind. Man muß sich schon drauf einlassen.
    Aber am Ende, wenn Franziska zu Werner hinübertrippelt und vermeintlich treuherzig fragt, ' Herr Wachtmeister - braucht Er denn keine Wachtmeisterin?' dann sind wir einfach selig. Und wenn Werner nur vier Sätze später die berühmten Schlußworte spricht: 'Über zehn Jahr ist Sie Frau Generalin - oder Witwe.', dann lachen wir.
    So wollte Lessing das auch. Schließlich ist es eine Komödie.


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Zitat

    Reclam erinnert mich so arg an Schule, brrr.


    Wen nicht? :grin Aber mich erinnert vor allem "Minna von Barnhelm" an die Schule, das habe ich nämlich während der achten oder neunten Klasse im Berliner "Hansa-Theater" sehen müssen. Ich hab mich zu Tode gelangweilt. :wave

  • @demo
    Zustimmung! Schön!


    Tom
    kann ich mir vorstellen. Das falsche Alter und sicher falsch für Jungen.
    Ich habe es in dem Alter auch zum erstenmal gesehen und sofort geliebt, weil es eine so aktive weibliche Hauptfigur hat! Noch dazu eine, die mal nicht tragisch endet. Das tragische Sterben kann einem als Frau ganz schön auf dem Keks gehen.
    Kapiert habe ich es aber erst Jahre später. Und ich halte es heute noch für ziemlich schwierig.
    Im Theater sehe ich es mir nicht mehr an, da die modenen Inszenierungen, nun, frei mit dem Stoff umgehen. Eine der jüngsten Großtaten war eine Inszenierung in Koblenz vor drei Jahren, wo Minna und Franziska als zwei lesbische kokainsüchtige Groupies agierten. ???
    Nein, es war ernst gemeint!!
    Ich habe es bis heute nicht verstanden, aber was versteh ich schon ;-)
    magali

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    K. Kraus

    Dieser Beitrag wurde bereits 2 Mal editiert, zuletzt von magali ()

  • "Ich habe es in dem Alter auch zum erstenmal gesehen und sofort geliebt, weil es eine so aktive weibliche Hauptfigur hat! Noch dazu eine, die mal nicht tragisch endet. Das tragische Sterben kann einem als Frau ganz schön auf dem Keks gehen." (magali)


    -> schliesst sich wieder einmal vorbehaltlos an :-) :-] :anbet :wave

    "Ein Buch ist wie ein Spiegel: Wenn ein Affe hineinschaut, kann kein Weiser herausschauen."(Lichtenberg)

  • Huhu, Magali.


    Zitat

    kann ich mir vorstellen. Das falsche Alter und sicher falsch für Jungen.


    Soweit ich mich erinnere, lag's vor allem an der hölzernen, anachronistischen Inszenierung, dem Geschreie und Gepolter auf der Bühne (bin kein Theaterfreund und werde nie einer sein :grin - obwohl es natürlich Ausnahmen gibt, wie die fantastische "Der Meister und Margarita"-Inszenierung an der Freien Volksbühne Berlin). Außerdem kann ich den Aufklärern nicht viel abgewinnen, ich kann auch mit Shakespeare nicht viel anfangen, Lessings "Nathan, der Weise" war ein Greuel-Lesestoff an der Schule, der auch seine zweite Chance (während des Studiums, aber nicht im Rahmen dessen) verpaßt hat. Ich weiß, wir haben diesen "Klassikern" viel zu verdanken - gerade Lessing hat Revolutionäres geleistet -, aber ich find sie trotzdem ziemlich angestaubt, teilweise jedenfalls. Zu diesem Teil gehört Lessing.

  • @ Tom
    ist ja eigentlich gut, daß uns manches angestaubt vorkommt. Sonst wäre doch die Zeit stehengeblieben, oder? ;-)
    Andererseits macht Entstauben Spaß und manchmal kommt doch noch ein Edelstein drunter vor.


    magali *freudig Staubtuch und Silberputzmittel schwenkend*

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Ich spiele in diesem Stück ja als Statistin mit und bin so darauf gestoßen. Ich denke so, hätte ich es nie gelesen und da wäre mir ganz schön was entgangen! Ich finde das Stück toll! Romantisch, fantastisch, amüsant. Vielleicht finde ich es auch nur so toll, weil ich es einmal die Woche höre und immer die Schauspieler vor Augen habe, während des Lesens. Ich weiß es nicht, ist auch egal, denn es ist toll :lache

  • Wegen Dir habe ich es doch vorgestellt, kiddo.
    Ich war übrigens als Schülerin auch Statistin, aber in der Oper.
    War klasse.
    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Hallo Zusammen,


    Ich abe das Stück auch gesehen und mir danach gleich noch das Buch gekauft. Ich war und bin einfach begeistert !

    liebe Grüsse melanie


    Wenn man Engeln die Flügel bricht, fliegen sie auf Besen weiter !
    :keks


    :lesend )

  • ich war weniger davon begeistert, wobei ich zugeben muss, dass ich es 1. in der schule lesen "musste" und 2. ich mich schon mit argwohn an das buch gesetzt hab. hab dann 3. auch nur den anfang gelesen *mich nun etwas schäm* aber es war einfach nicht meins...

  • Bei mir war es auch in der 8. Klasse, als ich die Minna lesen mußte. Verbunden war das Ganze mit einem Theaterbesuch, der mich dann für das mühsame erste Lesen entschädigt hat.
    Wie man auf die Idee kommt, dass Schüler in dem Alter dieses Stück lesen und verstehen sollen, weiß ich bis heute noch nicht.


    Auch wenn ich die Einzige damals in der Klasse war - ich fand die Inszenierung am Frankfurter Theater einfach klasse und deshalb habe ich es später in Erinnerung daran immer mal wieder gelesen.


    Viele Grüße
    Shirat

    Viele Grüße
    Shirat


    Ich habe eiserne Prinzipien. Wenn sie Ihnen nicht gefallen, habe ich auch noch andere. (Groucho Marx)

  • Ich wünschte, wir hätten in der Schule mal sowas gelesen. Stattdessen hatten wir die obligatorische Emilia Galotti. Nichts gegen dieses Stück, aber es wäre nett gewesen, zwischendurch auch mal was zu lesen, was nicht tragisch endet.
    Die Minna habe ich vor einiger Zeit im Burgtheater gesehen. Die Kulisse war ein Graus, eine heruntergekommene Tiefgarage (denke ich). Aber, wie bei all diesen exzentrischen Inszenierungen, solange sie nicht zu sehr am Text und der Handlung herumwerkeln, die Worte an sich tragen ja das Stück. Das gepaart mit guten Schauspielern verschafft einem trotzdem einen angenehmen Theaterbesuch. Besonders, wenn es ein so nettes Stück ist wie Minna. Die ich übrigens, siehe nicht tragisch endend, auf Wunsch meiner Deutschlehrerin vor der Matura (Abitur) auf meiner Leseliste doch gegen die ungeliebte Emilia austauschen mußte. Mit Hintergedanken, denn die Emilia habe ich dann zur mündlichen Deutschmatura bekommen. Da hatte die Lehrerin die Frage wohl schon vorbereitet und wollte sie nicht mehr ändern. :lache