Rose Tremain: Adieu, Sir Merivel

  • Rose Tremain: Adieu, Sir Merivel
    Insel Verlag. 445 Seiten
    ISBN-13: 978-3458175636
    Originaltitel: Merivel: A Man of His Time
    Übersetzerin: Christel Dormagen


    Verlagstext
    Die Aussichten sind nicht rosig: Sir Robert Merivel, Medicus, Lebemann und Vertrauter Charles‘ II., hat bessere Zeiten gesehen. War er nicht der Mann, der den König von England zum Lachen bringen konnte? Soll er sich jetzt mit nur 57 Jahren bereits zurückziehen und zusammen mit seinem klapprigen Diener Will auf seinem Landgut Trübsal blasen? Auf geht’s also nach Frankreich, um den Sonnenkönig aufzusuchen, dessen soeben erbautes Wunderwerk Versailles zu bestaunen: Aber anstatt dort mit Pomp und Zeremoniell empfangen zu werden und gar zum Leibarzt von Ludwig XIV. aufzusteigen, muss er sich im Gesindehaus den Nachttopf mit einem holländischen Uhrmacher teilen! Dann aber begegnet er auf den Fluren des Schlosses der charmanten Louise de Flamanville. Sie will ihn auf andere Gedanken bringen und Sir Merivel glaubt an einen zweiten Frühling. Auf ihrem Schloss in der Schweiz erreicht ihn ein Ruf des Hofes: Sir Merivel soll schleunigst ans Krankenbett des englischen Königs eilen. Rose Tremains glanzvoller historischer Roman präsentiert eine Epoche und eine Person, die Sie nicht wieder vergessen werden. Sir Robert Merivel kennt sich aus in der Welt, er hat nur eine Sorge: Dass das Leben zu schnell an ihm vorüber ziehen könnte.


    Inhalt
    Sir Robert Merivel lebt in sehr speziellen Verhältnissen. Dem englischen König Charles II. zu Gefallen heiratete er nur auf dem Papier dessen jüngste Mätresse Celia und erhielt dafür die Ländereien von Bidnold in Norfolk, sowie den dazugehörigen Adels-Titel. Merivel kann weder eine Beziehung zu der Frau haben, mit der er formal verheiratet ist und die er liebt, noch kann er eine andere Frau heiraten. Mit fast 60 Jahren lebt Merivel nach einem Intermezzo in London wieder auf seinem Landsitz und praktiziert noch als Mediziner. In Merivels Alter stolpert ein Mann schon einmal über das eigene Schwert. Das nahende Ende seines Lebens wird ihm deutlich an seiner knapp 20-jährigen Tochter, die sich in der Familie der Nachbarn wohler fühlt als in Merivels Haushalt und durch die Hinfälligkeit von Merivels treuem Diener Will. Will verbrachte sein Leben in Merivels Diensten und hat keine eigene Familie, die sich im Alter um ihn kümmern könnte. Bisher hat Merivel kritiklos hingenommen, dass Mätressen abserviert werden, wenn Männer ihrer überdrüssig werden, und Menschen in Arbeitshäuser und Irrenanstalten abgeschoben werden, wenn ihre Kräfte schwinden. Auch mit der angeschlagenen Gesundheit und Amtsmüdigkeit seines Gönners Charles II. muss Merivel sich abfinden. Anlass das Buch zu lesen, war für mich die "soziale" Frage, wie Merivel sich Will gegenüber an dessen Lebensabend verhalten wird.


    Die Handlung beginnt im Jahr 1683 und wird von Merivels Dialogen mit seinem längst verstorbenen Freund John Pearce unterbrochen, der zur Glaubensgemeinschaft der Quäker gehörte und ein Irrenhaus betrieben hatte. Näheres dazu in Zeit der Sinnlichkeit (1989), prunkvoll verfilmt 1995. Merivel reist an den Hof Ludwigs XIV., um "seine Gemütslage zu verändern". Die Reise ordnet sich dem Handlungsverlauf unter und dient zum Kennenlernen der beiden verwandten Seelen Merivel und Louise de Flamanville. Per Kutsche durchquert der eloquente Lebemann Merivel mehrfach Europa, ehe er in Neuchâtel in der Schweiz über eine mögliche Heirat mit seiner unglücklich verheirateten Angebeteten entscheiden muss. Der Arzt, der in London die Pest von 1666 überlebte, präsentiert sich als schlitzohriger Kerl, äußerst schlagfertig in seinen Dialogen mit Will. Merivels Naivität in Bezug auf die Lebensbedingungen der einfachen Menschen nimmt man einem Arzt nur schwer ab. Für Merivel ist ein von Falschheit geprägtes Leben offenbar einfacher als Ehrlichkeit gegenüber sich selbst.


    Fazit
    Rose Tremains Fortsetzung von Robert Merivels Abenteuern nascht sich rein sprachlich locker und weich weg wie eine Tüte Karamellbonbons. Merivels Ziele sind mir in der in Ich-Form erzählten Geschichte lange unklar geblieben. Eine Hauprfigur, die sich die meiste Zeit auf sich selbst bezogen durch ihr Leben treiben lässt und auf Entscheidungen anderer wartet, reisst mich einfach nicht mit. Dass Merivel mit seiner Scheinheirat auch seine Ehre verkaufte, wird ihm selbst vermutlich erst klar, als König Charles begehrliche Blicke auf seine Tochter Margaret wirft. Für sie wünscht Robert Merivel sich Besseres als den vergänglichen Glanz einer königlichen Mätresse. Rose Tremain fährt in ihrem Roman drastische Sexszenen mit Prostituierten auf, verheimlichte Homosexualität und Männlichkeitsrituale auf dem Duellplatz. Von der Sprache des Buchs bin ich sehr angetan, doch gab es insgesamt zu wenig Szenen (wie Merivel bei der Behandlung von Patienten), die mich inhaltlich begeistern konnten.


    ------------------------------------
    Zitat
    "Ich habe nicht mehr genügend Zeit. Manchmal habe ich ohnehin das Gefühl, ich hätte zu lange gelebt. Ich habe fünf Hunde überlebt. Und ich sage Euch, Merivel, das Alter bringt keine Weisheit. Das Alter bringt Eitelkeit, dummes Geplapper und eine entsetzliche Besorgtheit um Besitz und Reichtum. Die Vorstellung, ich könnte mein Vermögen verlieren, verfolgt mich nicht weniger als die fliegenden Maschinen." [Louises Vater] (S. 332)


    6 von 10 Punkten

  • Von Rose Tremain hatte ich nur Gutes als Autorin von Historischen Romanen gehört. Nach dem Lesen dieses Buches bin ich aber leider nicht sehr dazu angetan, in das allgemeine Loblied einzustimmen. Ich möchte es einmal so sagen - ich bin "auf hohem Niveau" enttäuscht von diesem Buch. Es ist nicht "schlecht", das will ich nicht gesagt haben. Aber es ging so völlig an dem vorbei, was ich erwartet hatte. Und daran sind der Verlag, die Vermarktung, der Klappentext, nicht ganz unschuldig.


    Versprochen wird dem Leser eine spannende Episode aus dem Leben eines alternden englischen Arztes und Lebemannes. Er reist nach Frankreich, an den Hof des Sonnenkönigs, und begegnet dort der Liebe seines Lebens. Soweit die Behauptung des Verlags. Zudem hatte ich mich, der Leseprobe entsprechend, auf viel Witz und eine Midlife-Crisis "auf historische Art" gefreut. Doch was ich bekommen habe, wich doch sehr davon ab.


    Von Witz keine Spur, stattdessen haufenweise Zynismus, zerquälte Rückblicke, und mangelnde Entschlussfreudigkeit. Oder völlig überstürzte Handlungsweisen. Das alles umrahmt von einer derart drastisch-derb-vulgären Handlung, dass es mir die Mittelalter-Romantik für alle Zeiten höchst wirkungsvoll ausgetrieben hat. Streng betrachtet, spielt der Roman natürlich nicht im Mittelalter, sondern im Barock - aber es wird sicherlich verständlich, was ich meine. Es ging mir persönlich einfach eine Spur zu viel um Körper und ihre Flüssigkeiten. Und um höchst fragwürdig ausgeführte medizinische Prozeduren.


    Ein wenig ärgerlich bin ich auf den Verlag, weil er den Klappentext "ins Spannende hinein" manipuliert hat. Die Episode am Hof des Sonnenkönigs nimmt nicht einmal ein Viertel des Buches ein! Und Louise de Flamanville ist mitnichten die "große Liebe" von Sir Merivel. Im Gegenteil, auch mit ihr vergnügt er sich wie mit vielen anderen. Und scheut ausdrücklich davor zurück, sie zu heiraten!


    Überhaupt - was nicht alles schief geht in diesem Buch...! Die Kutsche auf dem Weg nach Frankreich wird ausgeraubt. König Ludwig bekommt Sir Merivel nie persönlich zu sehen. Louise ist verheiratet, ihr Gatte wirft Merivel hinaus. Merivels Tochter erkrankt lebensbedrohlich. Briefe kommen nicht an. Es gibt Missverständnisse und finanzielle Engpässe. Merivel landet beinahe fälschlich im Armenhaus. Und den Tod der Menschen, die ihm am liebsten waren, verpasst er samt und sonders. Sogar eine alte Freundin stirbt ihm unter den Händen weg. Meine Güte, da wird man ja trübsinnig...!


    Das ganze Buch strahlte für mich eine extrem hohe "Rückwärtsgewandtheit" aus. Und erst nach Beendigung der Lektüre fand ich einen Grund dafür heraus. Der Verlag verschweigt uns Lesern nämlich auch noch, dass dieser Band eine Fortsetzung ist... Mit Verlaub, das hätte ich gerne vorher gewusst. Zumal der erste Band ja sogar schon verfilmt wurde! (Unter dem Titel "Zeit der Sinnlichkeit".)


    Warum es bei mir dann doch drei Sterne werden? Nun, ich gestehe dem Buch zu, dass es eigentlich weniger um Sir Merivel geht, sondern um das Ende einer ganzen Epoche. Worauf auch die abblätternde Tapete auf dem Cover hinweist. Denn nahezu zeitgleich mit Merivel stirbt König Charles, und allerorten ergeht sich das Volk in trüben Vermutungen über Englands Zukunft. Nun wird der Herzog von York König. Ich müsste nachlesen, bin historisch nicht allzu bewandert. Aber das müsste in etwa mit den Religionskriegen in England zusammenfallen.


    Zudem war zumindest die schriftstellerische Technik auf erkennbar höherem Niveau angesiedelt. Die Sprache fand einen ganz eigenen Rhythmus aus Lesbarkeit und historischer Echtheit; das war insofern schon ansprechend zu lesen. Auch die Charakterisierungen waren glaubwürdig, alle Figuren mit zahlreichen Details erdacht. Nur schade, dass mir keine einzige davon wirkllich sympathisch wurde.


    Ich empfehle das Buch letzten Endes doch zähneknirschend weiter. Vielleicht habe ich es einfach auf falschem Fuß erwischt. Oder sollte noch einmal meine Kenntnisse in englischer Geschichte auffrischen. Wie dem auch sei, ich möchte das Buch so bald nicht wieder zur Hand nehmen.

    Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit. (Karl Valentin)

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von rumble-bee ()