Wilhelm Heyne Verlag
ISBN13: 9783453645356
ISBN10: 3453645359
Sachbuch
Originalausgabe 01/2013
Taschenbuch, 272 Seiten
Verlagsseite http://www.heyne.de
Autorenseite http://www.andreavolk.de/
Der Titel Wenn Sie jetzt anrufen, bekommen Sie den Moderator gratis dazu, zusammen mit dem Untertitel Unglaubliches aus der Welt des Teleshoppings, lässt vermuten, was im Großen und Ganzen auf Volks Leserschaft zukommt. Zumal die 1964 in Mannheim geborene und in Homburg aufgewachsene Autorin auch als Kabarettistin und Comedian in Köln gemeinsam mit Nina Knecht (Volk & Knecht) ihre scharfe Zunge mehrfach unter Beweis stellte, ihr Publikum zum Lachen brachte und dafür mit diversen Comedy-Preisen bedacht wurde. Neben ihrer Zusammenarbeit mit Knecht ist sie auch mit ihrem Soloprogramm VolksBelustigung erfolgreich.
Andrea Volk erzählt gerne Geschichten, wie man einem Interview mit der Rheinischen Post entnehmen kann, und musste einfach ein Buch schreiben, nachdem sie mit ihren Erlebnissen aus sechs Jahren QVC bei den Leuten, denen sie davon erzählte, Lachanfälle auslöste. In dem bereits erwähnten Interview führt die Autorin (vielleicht nicht ganz ernst gemeint) an, dass ihre LeserInnen krachend komische und irre investigative Unterhaltung erwartet. Dass sie eine fast Loriot’sche Sicht auf das Miteinander und einen humorvollen Blick hinter die Kulissen des Teleshopping-Alltags bietet. Dass Wenn Sie jetzt anrufen, bekommen Sie den Moderator gratis dazu kein Buch zum Einschlafen ist.
Mit letzterem hat sie recht. Eingeschlafen bin ich nicht. Doch beim Rest kann ich nicht vollkommen zustimmen. Das Buch lässt sich leicht lesen. Allerdings sorgen diverse Wiederholungen für kleinere Längen, wenn man das Buch am Stück liest. Da hilft dann auch der flüssig-lockere Schreibstil der Autorin nur bedingt hinweg.
Hinzu kommt: Der methodisch wirkende, alltägliche Wahnsinn von Wahrheiten, die vor der Kamera über Gebühr gedehnt werden ohne wirklich zur Lüge zu mutieren, von explodierenden Entsaftern, von Weihnachtspräsentationen im Juli, von Moderatoren die sich mit Experten unnötige und dem Prinzip Verkauf-ist-alles absolut widersprechende Zwistigkeiten liefern oder von Experten, die um des Verkaufs willen schon mal WC-Reiniger mit Aktivsauerstoff zu sich nehmen und mit Kollegen auch nicht immer allzu gut oder fair umspringen, verliert vor dem (vorsichtig ausgedrückt menschenverachtenden Prozedere) trotz seiner Skurrilität eindeutig an Humor. Krachend komisch ist das Buch also nicht immer. Irre investigativ irgendwie schon, wenn man die Betonung auf das erste Wort legt.
Humor ist ja bekanntlich, wenn man trotzdem lacht. Doch irgendwie verging mir im Laufe des Buches das Lachen mehr und mehr und sorgte letztlich gerade mal noch für hochgezogene Mundwinkel. Daran war zumindest stellenweise auch der Umstand schuld, dass Volk Teleshopping-Kunden als scheinbar grenzdebil bezeichnet, mehrfach ähnliche Kommentare über sie losgelassen hat und ihnen offenbar per se Geschmacklosigkeit unterstellt. Falls das Comedy ist, weiß ich warum ich die meisten Comedians nicht mag. Es ist eine Sache ein System, Missstände und Absurditäten anzuprangern. Egal ob das humoristisch geschieht oder nicht. Volks Sicht auf Kunden, die immerhin daran beteiligt waren, dass sie sechs Jahre lang an diesem System mitverdienen konnte, empfand ich jedoch weniger lustig. Vielleicht weil man mir anlässlich meiner eigenen Tätigkeit im (normalen) Einzelhandel eingebläut hat, dass Kunden zwar manchmal eigen, manchmal sehr besonders und manchmal überaus speziell sind, aber doch dafür sorgen, dass ich mir meine Brötchen zum Frühstück leisten kann.
Doch zurück zum Buch. Obwohl ich kein Fernsehgerät besitze und eher selten einmal einen Blick in fremde Geräte werfe, sind mir Teleshopping, QVC und der Designer Glöckler mehr oder weniger geläufige Begriffe. Dass ich dennoch einen gewissen Wiedererkennungseffekt beim Lesen verspürte, alles förmlich direkt vor mir sah, macht vielleicht deutlich, wie klar die Wortwahl der Autorin ist - auch wenn der Designer im Buch blond ist, der Sender darin anders heißt und beide eventuell gar nicht so explizit gemeint sind.
Die meisten von uns müssen auf irgendeine Art Geld verdienen. Manche, wie Andrea Volk, absolvieren dafür Vorstellungsgespräche, bei denen sich herausstellt, dass sie als Live-Experten geeignet sind. Solche Experten können schon mal an Tagesumsätzen von drei Millionen beteiligt sein. Doch das gelingt den wenigsten. Und manche - so die Autorin - werden nicht mehr gebucht, obwohl sie dennoch fast eine halbe Million schaffen. Bereits das allein macht den Druck deutlich, der auf diesen Experten lastet. Sie arbeiten an der Seite von fest angestellten Moderatoren. Sie präsentieren Produkte, hinter denen sie nicht immer 100%ig stehen. Sie werden am ehesten für einen Verkaufsflop verantwortlich gemacht. Und das alles vor dem Hintergrund, dass besagte Experten quasi selbstständig tätig sind und deshalb von heute auf morgen ausgetauscht werden können. Das Arbeitszeiten überaus flexibel gestaltet dazu führen können, dass manche von ihnen geradezu im Sender leben. Dass in der ach so heilen, kunterbunten Fernseh-Verkaufswelt die Devise friss oder stirb scheinbar perfektioniert wird.
Das eine oder andere Kapitel in Volks Buch wirkt überzogen - und tatsächlich gibt Volk zu, manches überspitzt ausgeschmückt dargestellt zu haben. Manches Mal wirkt auch die Ironie darin weniger fein als verbittert und - stellenweise etwas zu bemüht. Doch allzu weit hergeholt scheinen Volks geschilderte Episoden insgesamt keineswegs zu sein. Sie haben mich sofort an einen Artikel im Oktober 2012 erinnert, demzufolge die amerikanische QVC-Expertin Cassie Lane vor laufender Kamera zusammenbrach und - Verkauf ist schließlich alles - ihr Moderator Dan Wheeler mit ruhiger Stimme und einem Standbild das entsprechende Produkt weiter anpries. Zwar soll es besagter Expertin hinterher wieder gut gegangen sein, allerdings war ihr Zusammenbruch offenbar keinen Abbruch der Verkaufsshow wert.
Sechs Jahre als Expertin für Plüschanzüge, Synthetikkleidung und Reinigungsmittel. Jahre voller Intrigen, Eitelkeit und Dummheit, Willkür und Illusionen. Voller Pleiten, Pech und Pannen. Trotzdem - allerdings nur auf Seite 271 - merkt die Autorin an, dass sie die Zeit rückblickend als „aufregend, wunderbar, lustig, furchtbar, unerträglich, fantastisch und psychologisch wertvoll“ betrachtet. Außerdem: „Ich habe viel gelernt, viel gelacht, tolle und blöde Menschen kennengelernt und den Kapitalismus von innen.“ Womit mal wieder bewiesen sein dürfte, dass man sich auf Zeit und unter bestimmten Umständen mit so ziemlich allem arrangieren kann.
Fazit:
Vielleicht liegt es daran, dass ich mit den falschen Vorstellungen an das Buch herangegangen bin. Irgendwo habe ich gelesen, dass es ein witziges Buch mit ernsten Anklängen ist. Krachend komisch (wie im Interview von der Autorin angegeben) fand ich es allerdings nicht. Trotz diverser tatsächlicher Lacher sieht Humor anders für mich aus. Die bereits erwähnten Wiederholungen sorgen ebenfalls für einen Punktabzug. Unterhaltsam informativ fand ich es dennoch und ich bin zwischen einer gewissen Fassungslosigkeit und etwas Schadenfreude hin und her geschwankt. Betrachte ich es jedoch als ernstes Buch mit einigen witzigen Anklängen, kann und möchte ich drei von fünf Punkten für Wenn Sie jetzt anrufen, bekommen Sie den Moderator gratis dazu vergeben. Und es jedem empfehlen, der einen (einseitigen) Blick hinter die Kulissen einer scheinbar gnadenlosen, niemals ruhenden Maschinerie werfen möchte, die verblüffende Umsätze verzeichnen kann und kontinuierlich wächst.
Copyright © 2012 by Antje Jürgens (AJ)