'Die Pelzhändlerin' - Kapitel 01 - 06

  • Noch ein paar Gedanken zu „Junggeselle" damals und heute.


    Ich weiß nicht mehr, ob es im 15. Jahrhundert schon Usus war, aber Gesellen sollten doch nach dem Gesellenstück auf die Wanderschaft gehen. Und auch wenn sie wieder zurückkamen bekamen sie doch vermutlich weniger Lohn, als die älterem, die ihr Können schon lange unter Beweis gestellt haben.
    Während der Wanderschaft und noch einige Jahre danach hatte eine Geselle doch gar nicht die finanziellen Mittel um zu heiraten und eine Frau und Kinder zu ernähren.
    Die Gesellen hatten zwar Anrecht darauf, beim Meister zu wohnen, aber vermutlich nicht mit einer eigenen Familie. Also noch mehr Kosten.


    Vielleicht hat sich über die Jahrhunderte daher für einen ungebundenen, unverheirateten Mann der Begriff „Junggeselle" herausgebildet.


    LG DYKe


    PS: organisierten sich nicht um diese Zeit auch die Gesellen zu Bünden als Gegenstück zu der Zunft?? Irgendwie zucken meine zwei Gehirnzellen so seltsam, wenn sie sich treffen.

    "Sie lesen?"
    "Seit der Grundschule, aber nur, wenn's keiner sieht."


    Geoffrey Wigham in "London Calling" von Finn Tomson

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  • Zitat

    Original von Iris
    Hexe, das hat sich als ziemlicher Unsinn erwiesen. Zwar gibt es eine Menge normativer Texte aus dem Bürgertum der Frühen Neuzeit (also von den Herrschaften, denen wir angeblich die Freiheit des Denkens verdanken), in denen Frauen als eine Art dienstbarer Tiere betrachtet und demzufolge entsprechend behandelt werden. Aber die Realität war im Mittelalter weitgehend umgekehrt: Im Adel wurde Bildung über die Frauen tradiert (die Klöster tradierten Bildung aktiv nur innerhalb der eigenen Mauern, aber studierte Kleriker brachten dieses Wissen in die Haushalte des Adels und der führenden Bürger, vgl. Erasmus vgl. z.B. Rotterdam); deshalb oblag den Frauen weitgehend auch die Diplomatie (man kann sogar die höfische Minne in dieser Tradition sehen); in den Städten, in Handwerk und Handel, waren die Frauen die Wirtschafterinnen und damit auch die Buchhalterinnen und Verwalterinnen des Geldes. Ihre Entrechtung im Spätmittelalter geht mit einer Übernahme dieser (haus)wirtschaftlichen Tätigkeiten durch den Vater/Meister als Oberhaupt von Familie, Haus und Werkstatt einher.
    Erst in der Neuzeit erleben wir es, daß Frauen Bildung systematisch vorenthalten wird.


    Aber ist Bildung nicht immer eine Frage des "Standes" (zu damaliger Zeit) gewesen? War es nicht immer so, dass nur diejenigen, die auch Geld hatten, lernen konnten? Somit stellt sich mir die Frage, ob es nicht vielleicht doch auffallen könnte, wenn eine Wäscherin, die mit bereits 12 Jahren aus jeglichem Lernprozess herausgerissen wurde (sie musste ja arbeiten) den Bildungsstand eines Klosterzöglings vortäuscht. Sicher mussten die Grundrechenarten von jedem Stand in irgendeiner Form beherrscht werden - es wurde ja auch Geld verdient, das wiederum ausgegeben wurde, auch Anschläge durch Stadt und Rat musste für jedermann verständlich sein. Diejenigen die nicht lesen konnten (wollten? es nie richtig beherrscht haben?) erfuhren Neuigkeiten entweder von denen die Lesen konnten oder durch Ausrufer. (Dazu gefällt mir die Stelle sehr, in der Martha sich den Brief von dem Wandermönch vorlesen lässt) Aber daran ist auch gut zu erkennen, dass nichtlesenkönnen auch teuer sein konnte - das Vorlesen des Briefes kostete ordentlich Geld.


    Das mit dem beginnenden Patriarchat und somit auch mit der Übernahme der Hausmacht durch die "Hausherren" ist meiner Ansicht nach auch sehr schön gezeichnet. Wer sich von seinem Weib was sagen ließ, wurde verlacht und konnte sogar seine Position in der Zunft einbüßen.


    Dieser Jochen gefällt mir als Figur sehr gut, seine Eigenheiten (die ja evtl. durch seine Behinderung und deren Umstände) hervorgerufen wurden sind sehr interessant - zumal er ja ähnlich wie Sibylla / Luisa ein Leben als ausgestoßener irgendwie führte - wurde als Krüppel ohne Zukunft gesehen, als jemand der (für seine Ursprungs-Familie zumindest) Unglück und Schande bringt. Es ist auch sehr schön zu sehen, was er eigentlich für seine Frau empfindet, wie stolz sie ihn macht - und wie sehr sie ihm auf den Keks geht, weil sie ihn innerhalb der Zunft zu einer Ausnahmeposition bringt, die er so nie wollte, weil er sich so einen rasanten Aufstieg nicht vorstellen konnte. Ich finde es schade, dass die beiden durch die Umstände so gar keine Chance miteinander hatten.


    Den Zunftmeister und Paten finde ich so richtig herrlich ekelhaft - man kann direkt seinen säuerlichen Altmänneratem riechen und den Geifer und die Gier aus den Augen blitzen sehen. Dass seine Frau durch das Geschick des neuen Kürschnermeisters und die Rafinesse und den Erfindungsreichtum Sibyllas ihrem Mann buchstäblich die Felle wegschwimmen sieht, verwundert kein bisschen. Ihr Verhalten zeigt direkt, dass sie sich der Gefahr bewußt ist, die ihrem Mann droht - vor der sie sich aber nicht zu fürchten braucht, weil Jochen eigentlich so gar keinen Ehrgeiz in sich hat. Er ist zufrieden damit, die Ziele und Wünsche von Sibylla zu erfüllen, auch wenn er seine Frau so gar nicht versteht. Manchmal dachte ich beim Lesen so ein bisschen, dass er so eine dunkle Ahnung hatte, was mit seiner Frau nicht stimmte und deswegen irgendwie distanziert mit ihr umging.


    hmm bin ich jetzt schon am Ende von Kapitel 6 damit? mal nachgucken


    ja bin ich - also weiter zum nächsten Kapitelblock :-)



    Gruß


    Telefonhexe


    p.s. Ines - ein sehr sehr schönes Buch :-)

  • dyke
    Natürlich hatten die Junggesellen oftmals nicht gleich nach der Wanderschaft die Mittel, eine Familie zu unterhalten.
    Aber bei Jochen Theiler war das ja nicht nötig; Sibylla brachte ja Werkstatt und Geld mit.
    Es war zu dieser Zeit gebräuchlich, dass die Meisterwitwe einen Gesellen heiratete, um die Werkstatt zu erhalten. Für manche GEsellen war das der einzige WEg, um Meister werden zu können.


    Telefonhexe
    Am Ende des Mittelalters gab es in vielen Städten und in zahlreichen Klöster Schulen, zu denen auch Mädchen Zugang hatten. Nicht alle dieser Schulen mussten bezahlt werden, so dass theoretisch für beinahe alle die Möglichkeit bestanden hätte, lesen und schreiben zu lernen. Praktisch war das natürlich nicht durchsetzbar, weil viele Jungen und Mädchen gezwungen waren, für den Lebensunterhalt mitzuarbeiten.
    Überdies unterschied sich der Mädchenunterricht vom Jungenunterricht sehr. Mädchen sollten in erster LInie (und ganz besonders in den Klöstern) zu perfekten Hausfrauen erzogen werden. Bildung, wie wir sie heute kennen, wurde damals nicht vermittelt. Falls dich das Thema interessiert, schreibe ich gern länger darüber.


    Solas
    Danke für deinen lieben Beitrag. Mit Martha hast du REcht. Im Nachhinein hätte ich mir auch für sie eine größere Rolle vorstellen können. Aber hinterher macht man sowieso immer alles besser.

  • Zitat

    Original von Ines


    Überdies unterschied sich der Mädchenunterricht vom Jungenunterricht sehr. Mädchen sollten in erster LInie (und ganz besonders in den Klöstern) zu perfekten Hausfrauen erzogen werden. Bildung, wie wir sie heute kennen, wurde damals nicht vermittelt. Falls dich das Thema interessiert, schreibe ich gern länger darüber.


    Ja, doch, das Thema interessiert mich schon sehr. Zumal ich mich da auch mit meiner Mutter darüber unterhalten habe (sie ist sehr Geschichtsinteressiert, irgendwo muss ich das ja herhaben *G*) und sie meinte, dass die Auswirkungen dessen, was da so Ende des 16. / Anfang des 17. Jahrhunderts abging - Bildungstechnisch - durchaus bis heute Folgen zeigt bzw. zeigte bis weit ins 20. Jahrhundert hinein. Ich glaube, dass da die Kirche als Machterhaltungstrieb das Bildungswesen ganz schön im Griff hatte. Das fing damit schon an, dass weibliche Berufsstände diskriminiert wurden (Hebammen, Kräuterfrauen etc.) - was natürlich auch andersherum funktionierte (Siehe das Beispiel, wie Sibylla jemanden unangenehmes losgeworden ist).
    Dem Wandel in der Stellung / dem Stand zwischen Mann und Frau in Dingen des täglichen Lebens vom Matriarchat (Mann hat schützende Funktion, Frau die Zusammenhaltende - fällt mir gerade nicht ein, wie ich das was ich jetzt denke besser umschreiben kann) zum Patriarchat gingen ja nicht unerhebliche Beeinflussungen der Kirche voraus, die ihre Vormachtstellung immer weiter ausbauen wollte und sich durch gebildete Frauen - die auch noch ihre Meinung sagten - behindert fühlten.


    Allerdings glaube ich, dass diese Umstellung der Wertigkeit Frau / Mann schon vorher begann - der Mann wollte nicht mehr nur beschützen - nein, er wollte die totale Macht, Kontrolle über Denken und Tun seines Eigentums - denn zu nichts anderen wurden Frauen und Mädchen deklassiert.


    Gruß


    Telefonhexe

  • Zitat

    Original von Ines
    Überdies unterschied sich der Mädchenunterricht vom Jungenunterricht sehr. Mädchen sollten in erster LInie (und ganz besonders in den Klöstern) zu perfekten Hausfrauen erzogen werden. Bildung, wie wir sie heute kennen, wurde damals nicht vermittelt. Falls dich das Thema interessiert, schreibe ich gern länger darüber.


    Du bist hier aber schon im 15./16. Jh., d.h. beim Übergang zur Neuzeit. Die Quellen zur Alphabetisierung im Mittelalter sind zwar ziemlich dürftig, allerdings lassen die Entwicklungen darauf schließen, daß die im 15.Jh. einsetzende Reduktion der Mädchenbildung auf hausfrauliche Fertigkeiten eine Nebenwirkung des aufkommenden Bürgertums ist, das die im ritterlichen Adel herablassend als Krämerei und Hauswirtschafterei angesehenen wirtschaftlichen Fertigkeiten immer stärker in den Vordergrund rückte: Lesen, Rechnen und Schreiben wurden Frauen in dem Maße versagt, in dem sie Männern für ihr gesellschaftliches Weiterkommen nützlicher erschienen.


    Zitat

    Aber hinterher macht man sowieso immer alles besser.


    Da sagste was!

  • Zitat

    Original von dyke
    PS: organisierten sich nicht um diese Zeit auch die Gesellen zu Bünden als Gegenstück zu der Zunft??


    dyke , auf S. 55 wird die "Kürschnergesellenbruderschaft" erwähnt; meinst du sowas? Ich hab mir das nur deshalb gemerkt, weil das Wort so schön lang ist. ;-)


    Weiter geht's - leider funktioniert mein Internet daheim momentan nicht, deswegen hab ich das Buch jetzt mit ins Büro gebracht. :rolleyes


    S. 70 - Namenstag. "Geburtstag feiern" war damals nicht üblich, nehme ich an... wann hat das eigentlich angefangen?


    S. 78 - die kleine gelbe Sonne im Saum. Ein Logo! Das lässt schon ahnen, wie geschäftstüchtig in ganz modernem Sinne Sibylla noch wird. Eine funktionierende Marke, dann folgt vieles "von selbst".


    S. 80 - "strich über das lange dunkle Haar, das sich anfühlte wie das Fell eines sehr jungen Tiers". Thema "Berührung", das kommt ganz oft heraus, eine Berührung, die nicht ohne ihre Problemchen ist, die aber auf ihre Art immer sehr sinnlich ist. Jedenfalls in diesen ersten Kapiteln. Beim Thema "Pelz" und "Fell" bietet sich das auch an...
    S. 103 - "geschützt in einem Kleid aus Fell" - wieder diese Kombination aus Zärtlichkeit/weichem Fell/Abwehr. Ines , magst du was dazu sagen, wie du auf die Idee mit diesem Fellkleid gekommen bist?


    S. 81 - "auf den Hund gekommen". Wieder was gelernt! Später gibt's noch eine Stelle dazu, dann hab ich was zu meckern, aber hier nicht.


    (da war zwei Seiten später noch ein Fähnchen, da weiss ich aber leider nicht mehr, was es mir sagen sollte... :-( )


    Anmerken wollte ich übrigens noch, wie schnell der Wechsel von Luisa zu Sibylla vollzogen wird, allein beim Namen. Da hat es der Leser vermutlich leichter als die Frau selbst... uns wird einfach durch den Namen signalisiert, dass sie jetzt eine andere ist.


    S. 93 "something old, something new, something borrowed, something blue" - ich dachte immer, das sei ein amerikanischer Brauch, das man etwas Geliehenes bei der Hochzeit tragen muss, als Glücksbringer, aber womöglich wurde das schon aus Europa nach Amerika mitgenommen? Kennt ihr den Brauch? Ich glaube, bei uns gab es den früher zumindest nicht.


    S. 113 - "sich selbst finden"... das ist eine sehr moderne Ausdrucks- und Denkweise, oder? Ob Sibylla wirklich damals schon so gedacht hat? Immerhin sagt Martha "weiss Gott, wovon sie sprach" - für die damalige Elterngeneration schien das also fremd zu sein.


    sooo... nun muss ich gehen... falls mein Internet zu Hause nicht wieder funktioniert, geht's am Montag erst weiter, aber bis dahin habe ich das Buch ganz ganz sicher durch! :-)

    Surround yourself with human beings, my dear James. They are easier to fight for than principles. (Ian Fleming, Casino Royale)

  • Zitat

    Original von MaryRead
    S. 78 - die kleine gelbe Sonne im Saum. Ein Logo! Das lässt schon ahnen, wie geschäftstüchtig in ganz modernem Sinne Sibylla noch wird. Eine funktionierende Marke, dann folgt vieles "von selbst".


    S. 80 - "strich über das lange dunkle Haar, das sich anfühlte wie das Fell eines sehr jungen Tiers". Thema "Berührung", das kommt ganz oft heraus, eine Berührung, die nicht ohne ihre Problemchen ist, die aber auf ihre Art immer sehr sinnlich ist. Jedenfalls in diesen ersten Kapiteln. Beim Thema "Pelz" und "Fell" bietet sich das auch an...
    S. 103 - "geschützt in einem Kleid aus Fell" - wieder diese Kombination aus Zärtlichkeit/weichem Fell/Abwehr. Ines , magst du was dazu sagen, wie du auf die Idee mit diesem Fellkleid gekommen bist?


    :write Die beiden Dinge haben mir auch sehr gut gefallen!! (Ohne "Fähnchen" vergess ich das aber so leicht, vielleicht sollte ich mir das wirklich auch angewöhnen...)

  • Zitat

    Original von MaryRead
    S. 70 - Namenstag. "Geburtstag feiern" war damals nicht üblich, nehme ich an... wann hat das eigentlich angefangen?


    Eigentlich ist es umgekehrt ... Geburtstage wurden schon in der Antike gefeiert und diese Tradition hat sich bis zur Reformation erhalten.

    Zitat

    Die Betonung des Namenstages in der katholischen Kirche geht auf gegenreformatorische Einflüsse zurück. Um sich von Protestanten abzuheben, sollten sich ihre Gläubige regelmäßig und festlich einer innigen Verbindung mit dem jeweiligen heiligen Namenspatron vergewissern. Das Konzil von Trient (1545 bis 1563) legte im Rituale Romanum fest: "Der Pfarrer möge dafür sorgen, dass den Kindern keine anstößigen, sagenhaften, lächerlichen Namen oder solche von Götzen oder Heiden gegeben werden, sondern, soweit möglich, von Heiligen."
    Unter Papst Pius V. wurde 1570 das katholische Messbuch (Missale Romanum) reformiert. Seither wird liturgisch der Todestag eines Heiligen oder Märtyrers als Geburtstag (Dies natalis) für den Himmel gefeiert. Der persönliche Geburtstag wurde in katholischen Landstrichen zugunsten der Feier des Dies natalis des Namenspatrons verdrängt. Die Empfehlung, Täuflingen den Namen eines Heiligen zu geben, findet sich 1566 im Catechismus Romanus und auch 1614 im Rituale Romanum der katholischen Kirche.
    Die Seelsorger förderten daher mit regionalem Erfolg die Bevorzugung des Namenstages gegenüber der Feier des Geburtstages.


    Quelle: Wikipedia s.v. "Namenstag"



    Zitat

    Original von MaryRead
    S. 113 - "sich selbst finden"... das ist eine sehr moderne Ausdrucks- und Denkweise, oder? Ob Sibylla wirklich damals schon so gedacht hat? Immerhin sagt Martha "weiss Gott, wovon sie sprach" - für die damalige Elterngeneration schien das also fremd zu sein.


    Das ist mir auch aufgefallen, ebenso wie die Bemerkung der Christine Geith, als Sibylla sie um Rat fragt wegen des Zobelmantels, den Jochen als Meisterstück vorlegen soll (S.106):

    Zitat

    "Ich möchte eine Zeichnung für den Zobelmantel machen. Was meinst du? Wie könnte eine Schaube für einen reichen Mann aussehen?"
    Christine kicherte. "Sie muss seinem Selbstbild schmeicheln, was sonst?"
    (Hervorhebung von mir)


    Der Begriff "Selbstbild" ist frühestens im 20. Jh. gebräuchlich, und wenn man sich im Denken des ausgehenden Mittelalters auskennt, stutzt man hier. Aber diese Wortwohl gehört vermutlich zu den unvermeidlichen Modernismen, die einem selbst beim Schreiben gar nicht auffallen und für deren Ausfilterung man wirklich einen versierten Historiker an ein Manuskript setzen müßte.


    Ich habe im Tribun irgendwo ein "egal" verstaut, was meinem Mann im gedruckten Buch prompt aufgefallen ist -- was hab ich mich geschämt!!! Da geht man x-mal durch das Manuskript und mehrere andere Leute auch, und dann so was!

  • Zitat

    Original von MaryRead  Ines , magst du was dazu sagen, wie du auf die Idee mit diesem Fellkleid gekommen bist? :-)


    Das würde mich auch interessieren. Fand ich auch ziemlich aussergewöhnlich aber interessant.
    Ansonsten kann ich mich den meisten Meinungen hier anschliessen. Ein tolles Buch, sehr schön zu lesen.
    Von Martha hätte ich gerne auch noch etwas mehr erfahren ( aber das wurde hier ja auch schon besprochen/erklärt ).

  • Übrigens ist der Klappentext nicht falsch - das ist mir jetzt beim nochmaligen Lesen aufgegangen. Sibylla muss sich durchaus zwischen der Heirat mit Isaak und der Kürschnerwerkstatt entscheiden. Allerdings nicht nach dem Tod des alten Wöhler, als sie schliesslich Jochen heiratet, sondern später. ;-)

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  • So, nun mach ich weiter mit meinen Fähnchen.


    S. 121 - Jochen kauft auf dem Markt das Brot vom Vortag, weil es billiger ist. Echt? Der Meister geht selbst auf dem Markt Lebensmittel für den Haushalt kaufen? Das wundert mich... ich würde denken, das macht entweder eine Magd oder sonst die Hausherrin selbst?


    S. 122 - die "Gasse der Gerber"... hier in unserer Stadt gibt es auch eine "Gerbergasse", aber ich habe mir nie wirklich Gedanken gemacht, warum die so heisst und wie es da früher mal ausgesehen (geschweige denn gestunken!) haben mag. Werde ich nächstens nachholen, wenn ich wieder in der Stadt bin. :-) Das gleiche gilt für die "Gerbermühle" in Frankfurt, die später mal vorkommt und an der ich oft genug vorbeigeradelt bin... ich kenn das nur als Ausflugslokal, aber sicher nicht als irgendwas Mittelalterlich-Handwerksmässiges. Spannend, auf diese Art einen ganz anderen Blick auf Bekanntes zu bekommen. :-)


    S. 133 - "Jochen beobachtete Sibylla einige Minuten lang. Dann räusperte er sich und sagte leise: 'Du solltest den Zopf so annähen, dass...'"
    Spätestens da hatte Jochen bei mir gewonnen. Er kämpft wohl mit sich, aber dann erkennt er durch diesen kleinen Satz Sibylla an und zeigt ihr, dass er mit ihr zusammenarbeiten will. Das hat mir seeehr gut gefallen. Keine grossartige Geste, nur ein kleines, sehr wirkungsvolles Zeichen.
    (Übrigens, Ines - in deinem Nachwort dankst du einem "Jochen" für seine Unterstützung. Das ist sicher kein Zufall, dass eine Sympathiegestalt seinen Namen trägt, nehme ich an. ;-) )

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  • ...weiter im Text (leider muß ich momentan Vollzeit arbeiten :-( )
    Sehr eindringlich geschildert, finde ich Jochens Unfall (S. 94/95 – gruselig, sich vorzustellen, unter dem ganzen toten Getier zu liegen). Man erfährt hier viel über die Figur, die wirklich zu den interessantesten des Romans gehört. Ich mag Jochen. Sehr schön ist dann später auch die Entwicklung der Beziehung zwischen den beiden.
    Auf S. 113 beim "sich selbst finden", habe ich mich gefragt, ob das nicht ein zu modernes Konzept ist. Ich habe mal "Tagebuch-Auszüge" gelesen (die stammten jedoch aus dem 16. und 17. Jahrhundert), in denen es in gewisser Weise auch um die Frage des "Wer bin ich?" ging, aber das hatte immer auch einen starken Gottesbezug.
    "Sibylla lief hin und her, zermarterte sich das Hirn und war schon beinahe dran, ihren Gatten heilig sprechen zu lassen, als ihr seine ausgeprägte Sparsamkeit einfiel." (S. 120-121). Ich sage nur: :grin
    Gut gefällt mir auch die Gerberszene und zwar einerseits aufgrund der plastischen Schilderung (baaah!), andererseits hinsichtlich Sibyllas "Konfrontation" mit Aspekten ihres früheren Lebens.


    Solas :wave

  • So, endlich ist das Buch bei mir eingetroffen.
    Und prompt habe ich den Fehler gemacht und habe gestern Abend gegen 22.30 Uhr noch damit angefangen - ein paar Kapitel vorm Schlafengehen ...


    Bei den paar Kapiteln ist es natürlich nicht geblieben!


    Ich bin sehr gut in die Geschichte reingekommen und hatte die Personen schon richtig vor Augen.
    Abgesehen von ein paar gedanklichen Holperern - die hier weitestgehend schon angesprochen wurden - ging das Lesen sehr flüssig.


    Habe schon Sympathie und Antipathie-Punkte an die div. Personen vergeben - und nun freue ich mich auf heute Abend, wenn ich endlich wieder weiterlesen kann !


  • Ich finde schon, dass beide sich sehr ähnlich sind. Beide tun doch alles für ihre Erfolg. Ihnen ist es egal ob sie unglücklich sind. Sicher sind die Situationen nicht zu vergleichen, aber Sibylla hat mich an Scarlett erinnert.


    Sorry hat etwas gedauert, hatte Probleme mit dem Pc.

  • So, nun bin ich soweit, auch meinen Senf zugeben zu können ;-)


    Zuerst schliesse ich mich zahlreichen Vorschreibern an: Jochen ist ein wunderbar geschilderter Charakter, der mit kleinen Gesten große Wirkung (bei mir) schafft. Sympathisch und gelungen. Er hat seine individuellen Eigenheiten, die ihn menschlich machen. Die Gürtelszene, die ich mir extra angemerkt habe wurde oben ebenfalls bereits gelobt, genau wie die eindringliche Beschreibung der Hände. Am besten hierbei fand ich den Ausdruck "zuerst sterben würden" (S. 10). Sehr berührend.


    Was ich persönlich gut finde:
    Ines bringt mit eindringlichen Wendungen und ohne große Worte die wesentlichen Charakterzüge oder Profile der Personen an: "hob den Brief vom Boden auf und hielt ihn dem Meister wieder hin" (S.15) -> Unterlegenheit Marthas ; "Hand am Kleid abgewischt ... verschämt spröde Haut" (S. 21). Selbiges gilt auch für Nebenpersonen, die mitunter durch einen Satz treffend beschrieben werden: Der Arzt, der gutes Essen bevorzugt, der Mönch, der das Geld rasch einsteckt, die Putzmacherin, die der einen das Kleid schenken würde, die andere aber deshalb davon jagt, der tobende, spuckende und trotzdem zu fette Priester. Gut finde ich, wie Ines ab und an ganz nebenbei Geschichte transportiert: auf den Hund kommen per Geldkassette, Stellung des Individuums in der Gesellschaft durch Geburt über Marthas Gedankengänge und Selbstgespräche und die weit verbreitete Furch vor Gott verbunden mit Gewissensbissen (S. 30), Steine im Schuh (S.46). Sogar die unentgeltliche Mutterliebe der Martha zu ihrer Tochter und ihr Wunsch, dieser möge es besser gehen als ihr finde ich überzeugend. Die Darstellung der langsamen Entfremdung Marthas von Luisa/Sybille spricht mich auch an (u.a. S. 72). Und die kleinen Hinweise auf spätere Ereignisse finde ich im übrigen immer wieder erfreulich (gelbe Sonne, Gürtelszene ...). Ach ja, und die feine Ironie ab und an ("Schaube ... war kein Stein, das war ein Felsen" S. 76).


    Was mir nicht so gefällt, wurde samt und sonders bereits ausführlich dikutiert (Wiederholungen, Adjektive, Mutigkeit Sybillas etc.). Auf das ein oder andere wurde ich sogar erst durch studieren der Beiträge aufmerksam ;-)


    Was mich interessiert: Sind Marthas Gedankengänge extra so formuliert, dass man auf eine geringe Bildung schliessen kann oder habe ich diesen Eindruck meinem Snobismus zuzuschreiben???? Ist Apfelwein eine regionale Spezialität? Hat man schon damals mit "verdammt" geflucht (s. 82)?


    So, ich hoffe einer schreibenden Seele :write ein wenig gut getan zu haben.


    Liesbett

  • Ach ja, der Klappentext.


    Bin ich eine der wenigen, die sich auch dann nicht vom Lesen eines Buches abhalten lässt, wenn sie das Ende oder wichtige Geschehnisse schon kennt? Errötend gestehe ich sogar, ab und an die letzten Seiten zuerst zu lesen *verschämt grins*
    Meine Ausrede: Ich bin trotzdem neugierig, wie und warum es zu was kam etc.


    Liesbett (im Buch verstohlen wieder nach vorne blätternd)

  • Telefonhexe
    "Blauer Bock" ???
    Noch eine regionale Spezialität zum verzehren :grin
    Nein, nie gehört oder gesehen.


    Ich bin noch nicht lange in der Gegend ansässig und arbeite mich gerade erst durch diverse Weißweinspezialitäten. Da ich nicht allzuviel vertrage *hicks*, blieb für Obst bisher kein Platz.


    Viele Grüße
    Liesbett

  • MaryRead ,


    ja, du hast Recht, es gibt auch im Nachwort einen Jochen. Und die beiden haben sehr wohl einige Ähnlichkeiten, die nicht zufällig sind. Aber eigentlich sollte das ein Geheimnis bleiben.
    Natürlich kauft die Magd ein, aber ein Mann wie Jochen geht ab und an selbst einmal und sei es auch nur, um sich nach den Preisen zu erkundigen. Er ist sehr genau, in jeder Hinsicht.


    Die Straßen der Gerber und Färber lagen aufgrund des bestialischen GEstankes stets an den Stadträndern und in der Nähe von Flüssen oder Bächen.


    @Fläschchen
    Ich habe "Vom Winde verweht" vor über 100 Jahren gelesen und hatte - ich schwöre - bei Sibylla nicht Scarlett vor Augen. Die Ähnlichkeiten sind also wahrhaftig rein zufällig.


    Liesbett
    Ich habe meine Figuren vor Augen. Ich weiß irgendwann ganz genau, wie Martha aussieht, wie sie denkt und fühlt. Ich sehe sie wirklich vor mir und ich kann sie auch sprechen hören. Das, was Martha sagt, passt zu einer ungebildeten Wäscherin, der es jedoch nicht an Lebensklugheit mangelt.
    Apfelwein ist eine Frankfurter Spezialität. Ein sehr saures Gesöff, das aussieht wie schlecht gewordener Apfelsaft und auch so ähnlich schmeckt. Man kann es pur aus dem Bembel trinken oder aber mit Limonade oder Wasser verdünnen.
    Ja, man hat viel öfter als heute das Wort "verdammt" als Fluch verwendet. Allerdings glaubte man damals oft an die Kraft eines Fluches.


  • *zwinker* - Aufklärung: Fernsehsendung und hier zum Äppelwoi


    Dazu sag ich jetzt nur noch: Prost



    Gruß


    Telefonhexe