... damit das warten auf rezensionen da nicht zu langweilig wird, habe ich ein ausschnitt aus dem buch für sie ausgewählt:
Der Mond schien durch die Baumkronen und die Äste neigten sich neugierig über den nackten Körper inmitten der Lichtung. Es fing an zu regnen.
Große warme Tropfen fielen vom Himmel und wuschen Staub und Schmutz von seinem Leib sanft ab. Es regnete lange, und als es aufhörte, hob sich der Nebel vom Laub.
Eros lag regungslos auf dem Erdboden. Plötzlich spürte er etwas Warmes auf seinen Augenlidern, als würden ihm seine müden Augen von jemand mit Kamille ausgewaschen. Er wachte auf und sah eine große Schnauze und zwei ihn regungslos anstarrende verwunderte Augen vor sich.
Noch bevor er wirklich zu sich kam, leckte die feuchte Zunge ihm das Gesicht wieder ab.
Eros stemmte sich mit den Händen vom Boden hoch und stützte die Ellenbogen auf die Knie. Ihm gegenüber saß ein streunender Hund. Er neigte seinen haarigen Kopf und zuckte kaum sichtbar mit dem Ohr.
»Du hast eine ganze Woche lang geschlafen.«
»Träume ich oder wache ich?«, wunderte sich Eros.
»Nichts davon. Du bist aus dem Haus geflüchtet, jedoch nicht aus jenem, in dem du gelebt hattest. Du siehst die Bäume, aber du bist nicht im Wald, du hörst meine Stimme, aber ich spreche nicht. Du bist in die Welt aller Gedanken geraten.«
»Heißt das, dass mich der Verstand verlassen hat?«
»Ich würde eher das Gegenteil behaupten.«
»Bist du ein Hirngespinst?«
»Ich bin ein Sinnbild des LEBENS, das über diese Welt waltet.«
»Ich habe nicht gewusst, dass Sinnbilder auch sprechen!«
»Die Worte, die du hörst, sind die Gedanken des LEBENS.«
»… Und warum bist du mir dann nicht in der Gestalt eines Menschen erschienen? Wie kannst du erwarten, dass ich mit einem Hund sprechen werde, der von sich behauptet, er sei ein Sinnbild des Lebens?«
»Würdest du einem Menschen zuhören? Du weißt schon lange, dass die Menschen nicht weiter als bis zu ihrer Nasenspitze sehen. Jetzt denkst du wenigstens nach, ob du an dem sprechenden Hund oder an seinen Worten zweifeln sollst.«
Eros schwieg.
»Du bist der Auserwählte … du wirst mir helfen, die Liebe zurückzubringen. Die Drei, die über die Wahrheit in Eintracht walten sollten, kämpfen um die Macht und die Herrschaft. Die Lügen haben das Glück verbannt, und es ist an der Zeit, es der Menschheit zurückzugeben.«
»Das Leben hat mich auserwählt, damit ich ihm helfe, die Wahrheit zu entdecken? Dass ich nicht lache! Ich weiß weder, wer du bist, noch wo du herkommst, und auch von einem sprechenden Hund habe ich noch nie gehört. Such dir besser einen anderen aus!«
»Ich habe einen Vorschlag für dich!«
»Einen Vorschlag?«, wunderte sich Eros.
»Wenn ich wirklich ein Trugbild von dir bin, dann weiß ich nur, was du weißt. Wenn ich das LEBEN bin, das deinen Verstand übertrifft, dann kann ich alle Fragen beantworten. Frag, was du willst. Befriedige ich deine Neugier, dann wirst du mir helfen.«
»… Du bist mir vielleicht eine Erscheinung! Du behauptest, ich könne dich fragen, was ich will?« Eros sah den Hund misstrauisch an.
»Alles, was du wissen willst.«
Die Herausforderung war groß, und Eros war schon von Natur aus neugierig. Er dachte eine Weile nach, dann hob er seinen Blick:
»Warum nicht! Ich möchte die Liebe verstehen. Ich möchte wissen, warum wir uns so sehr nach ihr sehnen, obwohl sie uns so viel Leid bringt.«
»Ich sage dir die Wahrheit«, erwiderte der Hund, der diese Frage erwartet hatte. »Wenn du die Liebe verstehen willst, musst du dich selbst verstehen, und wenn du dich selbst verstehen willst, dann solltest du wissen, dass die Welt nicht so beschaffen ist, wie du sie siehst. Jedes Lebewesen begreift nur seine eigene Wirklichkeit … Je vernünftiger die Wesen sind, desto unwirklicher ist die Welt, an die sie glauben. Du glaubst zu sehen, aber in Wirklichkeit schaust du nur. Du glaubst zu wissen, aber in Wirklichkeit denkst du nur nach.«
»Schön. Bis jetzt habe ich geglaubt, ich verstehe die Liebe nicht, von nun an werde ich sogar mich selbst nicht verstehen«, bemerkte Eros.
»Höre nur gut zu und du wirst alles wohl verstehen. Ich erkläre dir das größte Geheimnis der menschlichen Vernunft.«
»… der menschlichen Vernunft?«
»Die Schwierigkeit liegt darin, dass du die ganze Zeit nur deine eigene Welt gesehen hast. Du warst davon überzeugt, dass du der Herr deines Verstandes bist. Du hast nicht begriffen, dass du nicht allein in deinem Kopf denkst, sondern mit drei Verständen, also mit dreierlei Arten von Verstand … Der Instinkt, die Ratio und die Emotio sind drei Freunde, die deine Welt bis zur Vollkommenheit erschaffen. Diese Welt sind sowohl alle deine Vorstellungen von anderen als auch deine Vorstellung vom Denken und Glauben, von Werten, Auffassungen und Handlungen anderer Menschen. In ihr steht ein Haus, erbaut aus deinen Werten und Vorstellungen von dir selbst.«
»Also sind die Welt und das Haus in Wirklichkeit meine Psyche?«
»Das ist die Welt, die du verlassen hast. Sie stellt die Einwirkungen der Umwelt dar, und obwohl sie eine erdichtete Welt ist, sind ihre Worte, Bilder und Ängste stärker als alles, was eine menschliche Hand erschaffen kann. In unterschiedlichen Welten hat ein und dieselbe Sache verschiedene Bedeutungen. Jede Welt für sich ist einzigartig und wunderbar.«
»Wenn jeder von uns in seiner eigenen Welt lebt, wie ist es dann möglich, dass wir mit anderen umgehen können?«
»Du siehst die anderen in deiner Welt, und zugleich sehen die anderen dich in ihren Welten. In der Tat sieht so keiner die fremde Welt, sondern nur die Vorstellung seiner eigenen Welt«, erwiderte der Hund.
»Das erklärt, warum wir uns mit Bezug auf andere immer wieder fragen, wie sie eigentlich so oder so denken, handeln und fühlen können.«
»Die Welten unterscheiden sich sehr. Die einen sind groß, die anderen klein, die einen haben Mauern, die anderen kennen überhaupt keine Mauern. Sie können offen sein und die anderen einladen oder sie können geschlossen sein und anderen den Zugang verwehren. Der Herr einer jeden Welt ist das Ego … er ist das Bewusstsein, das von dir als ›Ich‹ bezeichnet wird.«
»Warum braucht das Ego eigentlich jene drei Verstände, die in seiner Welt klug reden?«
»Das Ego unterscheidet sich sehr von den drei Freunden und rührt nicht von der Welt her, die von dir erfasst wird. Es ist ein Teil des LEBENS und im Vergleich zu seinen drei Verständen nicht stofflich. Es kann nicht fühlen, sehen oder hören und bedarf daher der Freunde, die mit dem Körper und allen seinen Sinnen verbunden sind. Die drei Verstände haben Kontakt mit der Welt der Dinge.«
»Die drei Freunde sind also drei verschiedene Verstände in meinem Gehirn, die für mich denken, fühlen und sehen, während ›Ich‹ nur ein Teil von etwas Größerem, der Gesamtheit des Wissens bin?«
»Obwohl die Namen dieser drei Verstände dir ziemlich bekannt klingen, haben sie mit den Instinkten, den Gefühlen und dem Verstand, wie du sie bisher aufgefasst hast, nicht viel Gemeinsames. Jeder von ihnen handelt für sich und denkt auf seine eigene, ganz andere Weise. Sie sind zugleich eng miteinander verbunden und können ohne einander nicht sein … Kinder können fremde Welten sehen, bis sie ihre eigene Welt geschaffen haben, die ihnen die anderen Welten verdeckt. Zunächst können sie ihre Welt nur nach dem Vorbild der nahen Welten erbauen; daher sind die Kinder das Spiegelbild ihrer Eltern. Jedes Wort, jedes Vorbild und jede Erfahrung schaffen und ändern die Welten, die dadurch einen entscheidenden Einfluss auf das Leben des Ego und seiner drei Freunde gewinnen.«
Eros kratzte sich hinter dem Ohr:
»Wenn ich dich richtig verstehe, ist die ganze Wahrheit, die ich erfasse, nur eine Welt, die mir von drei Verständen beschrieben wird. Verbergen sie mir die Wahrheit, so glaube ich blindlings an eine trügerische Welt, wenn sie mir aber die Wahrheit sagen und ich ihnen nicht glaube, dann ist meine Wirklichkeit wiederum verlogen.«
»Alles, was dir geschieht, wird dir von dem Instinkt, der Ratio und der Emotio erzählt und beschrieben. Sie gestalten alle deine Vorstellungen bis zur letzten Kleinigkeit. Sie veranschaulichen dem Ego die Welt so folgerichtig und vollkommen, dass es glaubt, in ihr zu leben. Aber seine Welt ist nicht wirklich, sondern so, wie sie von den drei Freunden gesehen wird.«
»Wenn man nur seine eigene Welt kennt und sieht, dann heißt das also, dass wir das Denken der Menschen anderer Welten nicht verstehen!«
»Du kannst sie nicht verstehen, solange du ihre Taten nach dem Vorbild deiner eigenen Welt bewertest«, antwortete der Hund.
»Das wird interessant! Aber in meiner Welt habe ich ja nicht allein gelebt. Und was ist mit meinen Eltern, dem Bruder, der Großmutter und dem Großvater, und auch die liebe Aloisia hat immer mit uns gelebt … waren sie alle erfunden?«
»Sie alle waren wirklich, aber in deiner Welt hat es keinen anderen gegeben … Die Geschichten deiner Verstände sind so eingehend und die Auffassungen derart malerisch, dass du sie gesehen hast, als hätten sie in deiner Welt wirklich gelebt. Sogar dann, als du den Hund mit deiner eigenen Hand gestreichelt hast, haben sie dir die Empfindung nur beschrieben. Die Freunde haben dafür gesorgt, dass du daran geglaubt hast, dass du und dein Körper eins seien. Aber in Wirklichkeit ist dem nicht so.«
»Wie steht es dann mit diesen drei Freunden, wenn ich die ganze Zeit an eine trügerische Wirklichkeit geglaubt habe? Sie müssen die wahre Wirklichkeit ja gekannt haben, denn sie sehen sie doch.«
»Es ist wahr, dass sie sie sehen, aber jeder von ihnen blickt auf sie mit seinen eigenen Augen. Weil sie sich ihrer Denkweise nach so sehr voneinander unterscheiden, sieht sie ein jeder anders.«
»Wie können sie die Wirklichkeit denn unterschiedlich sehen?«