Titel der amerikanischen Originalausgabe: "Yesterday's Streets"
Zum Buch (Klappentext)
Dort, wo heute in Frankfurt die Doppeltürme der Deutschen Bank aufragen, kommt 1903 Lene Wertheim zur Welt. Die Wertheims sind eine alteingesessene jüdische Familie mit festen Grundsätzen: Man feiert Weihnachten als prunkvolles Familienfest – zum Entsetzen der orthodoxen Verwandtschaft. »Die Juden sind wie alle anderen, und wenn sie es nicht sind, sollten sie es sein«, erklärt Eduard Wertheim, Bankier, Kunstsammler und Mäzen, seinen Nichten und Neffen. Lene erhält 1938 in Paris für sich, ihren zweiten Mann und ihre Tochter Ausreisevisa für die USA. Aber nicht alle Wertheims haben das Glück, sich rechtzeitig vor den Nazis in Sicherheit bringen zu können.
Silvia Tennenbaum berichtet in kraftvollen Bildern vom Aufstieg einer jüdischen Familie im Kaiserreich, begleitet ihre verschlungenen Wege durch die Weimarer Republik und lässt uns Leser Flucht und Tod im »Dritten Reich«, Vertreibung und Rettung eindringlich miterleben. Ein großer, epischer Roman unserer Zeit.
Über die Autorin
Silvia Tennenbaum wurde 1928 in Frankfurt am Main geboren und emigrierte 1938 in die USA. Sie studierte Kunstgeschichte an der Columbia University und arbeitete als Kunstkritikerin. 1978 erschien ihr erster Roman RACHEL, THE RABBI'S WIFE, der in den USA auf Anhieb zum Bestseller wurde. 1981 folgte der Roman YESTERDAY'S STREETS. Silvia Tennenbaum lebt auf Long Island und hält sich seit 1983 regelmäßig für einige Zeit in Frankfurt am Main auf.
Meine Meinung
Das Buch erschien bereits 1981 auf Englisch und 1983 auf Deutsch und wurde letztes Jahr im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Frankfurt liest ein Buch" neu aufgelegt. Das Buch wird gerne als "jüdisches Buddenbrooks" bezeichnet und es lassen sich tatsächlich Parallelen finden, auch wenn der Vergleich nicht ganz gerechtfertigt ist. Über vier Generationen, wobei die zweite und dritte Generation im Buch die größte Rolle spielen, wird der Niedergang einer wohlhabenden Frankfurter Kaufmannsfamilie geschildert. Die Handlung beginnt 1903, es folgt 1913 und dann verfolgt man die Geschichte der einzelnen Familienmitglieder jeweils in Fünf-Jahres-Schritten bis 1938. Die Wahl der Jahre ist recht geschickt, da sie sofort Assoziationen hervorrufen. Im letzten Kapitel werden die Ereignisse der Kriegsjahre 1939 bis 1945 zusammengefasst, hier insbesondere das Schicksal der Familienmitglieder.
Religion spielt in der Familie Wertheim keine große Rolle. Man ist froh, nicht mehr in der Judengasse zu wohnen, hat sich assimiliert und feiert Weihnachten wie alle Deutschen. Die Familie definiert sich ehe durch ihren Familiensitz im feinen Frankfurter Westend als ihr Jüdisch-Sein. Die Handlung ist lange Zeit eine große Seifenoper mit allerlei Dramen und Familienskandalen und ganz unterschiedlichen Lebensentwürfen der einzelnen Familienmitglieder, von denen einige als angemesser bewertet werden als andere.
Die sich schleichend entwickelnde Bedrohung durch die Nationalsozialisten wird von einigen Familienmitgliedern lange Zeit gar nicht wahrgenommen, andere verdrängen sie, verschließen trotz zunehmender Diskriminierung die Augen vor der Wirklichkeit und hoffen, dass ihnen nichts passieren wird oder entwickeln eine fatalistische Haltung. Einige ergreifen rechtzeitig Maßnahmen und immigrieren ins Ausland - Palästina, USA, Schweiz, Frankreich, Holland, Italien. Einige wählen besser als andere, einige Familienmitglieder bleiben aus unterschiedlichen Gründen in Deutschland und so gelingt es nicht allen, den Nazis zu entkommen.
Für mich als Frankfurterin waren die Beschreibungen der Orte und Straßen besonders faszinierend, Guiollettstraße, Oper, Palmengarten, Anlagen - die Varrentrappstraße ist gleich hier um die Ecke. Beim Lesen des Buches hatte ich das Gefühl, die Straßen selbst abzulaufen.
Mit den Figuren wurde ich leider weniger warm. Niemand war mir richtig sympathisch und auch wenn die Autorin einige Lebensgeschichten ausfühlicher verfolgt als andere, waren es doch recht viele Figuren, deren Schicksal man episodenhaft verfolgt. Vielleicht war das eins der Probleme: Man bekommt immer nur alle fünf Jahre einen Einblick in das Leben vieler Figuren und mir ist keine Person so richtig ans Herz gewachsen. Lange Zeit habe ich mehr aufgrund des Lokalkolorits tapfer weitergelesen und am Ende nahm der vermutlich autobiographisch gefärbte Roman auch noch mal Fahrt auf, trotzdem blieben die Figuren für mich während des gesamten Buches seltsam blutleer.
Ich gebe 7 von 10 Eulenpunkten.
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