Fischer-Verlag, 1914
Gebundene Ausgabe: 116 Seiten
Kurzbeschreibung:
»Was ist der Künstler? Ein Hanswurst. Die Kritik ist das Höchste.« (Zitat aus Das Wunderkind)
Thomas Mann ist ein meisterlicher Erzähler. Mit Witz, Ironie und Scharfblick beschreibt er das Leben und die Welt. Beeindruckend ist seine sprachliche Präzision. Thomas Mann kurze Prosa steht gleichbedeutend neben den Romanen.
Über den Autor:
Thomas Mann, 1875 – 1955, zählt zu den bedeutendsten Schriftstellern des 20. Jahrhunderts. Mit ihm erreichte der moderne deutsche Roman den Anschluss an die Weltliteratur. Manns vielschichtiges Werk hat eine weltweit kaum zu übertreffende positive Resonanz gefunden. Ab 1933 lebte er im Exil, zuerst in der Schweiz, dann in den USA. Erst 1952 kehrte Mann nach Europa zurück, wo er 1955 in Zürich verstarb.
Mein Eindruck:
Thomas Mann hat auch ein ordentliches Kurzgeschichtenwerk vorgelegt, das aber überwiegend aus seiner Anfangszeit stammt. Später wurden auch kleine literarische Vorhaben schnell zu Mammutwerken.
Diese Kurzgeschichten stammen alle aus der frühen Phase, die Sammlung wurde 1914 erstmals veröffentlicht.
Es sind enthalten: Das Wunderkind, Ein Glück.Studie, Beim Propheten, Schwere Stunde und Wie Jappe und DoEscobar sich prügelten.
Schwere Stunde ist wohl die wichtigste dieser Kurzgeschichten, aber mein persönlicher Favorit ist Das Wunderkind.
Hier beschreibt Thomas Mann den Auftritt eines 8jährigen Pianisten, der als Wunderkind gilt. Offensichtlich hat Thomas Mann selbst einmal so einen Auftritt gesehen, denn er schreibt sehr detailliert.
Minutiös beschreibt er den Konzertablauf und schließlich taucht er ein in die Köpfe der Zuschauer und zeigt deren Gedanken. Ein gut gemachte literarische Technik, die auf so kleinen Raum ausgezeichnet funktioniert.
"Wie Jappe und DoEscobar sich prügelten" von 1911 ist nicht nur vom Titel her eine ungewöhnliche Geschichte, auch das Thema der Pubertät und die Form der Ich-Erzählung eines 13jährigen Schülers in den Sommerferien ist untypisch für Thomas Mann-Verhältnisse.
Der Schauplatz Travemünde mit Jungen verschiedener Nationalitäten und die detaillierte Beobachtungsgabe des Erzählers machen es dann doch zu einem Thomas Mann-Text, der mir ganz gut gefallen hat.
"Beim Propheten" ist schon von 1904. Diese autobiographisch gefärbte Kurzgeschichte hat mir nicht so gut gefallen, da sie eigentlich keine Handlung erzählt. Es geht um eine fragwürdige spirituelle Lesung, an der ein Novellist (offensichtlich Thomas Mann selbst) und eine reiche Dame teilnehmen, an deren Tochter der Novellist großes Interesse hat. Die Geschichte hat also immerhin ein paar Ansätze.
“Ein Glück. Studie” ist ebenfalls von 1904. Diese Kurzgeschichte um einen dreisten Baron im Offizierskasino hat mir, ehrlich gesagt, weder stilistisch noch inhaltlich gefallen.
Verwirrend ist zum Beispiel die Erzählperspektive, immerhin wird überraschenderweise teilweise aus Sicht einer Frau erzählt.
Schwere Stunde von 1905 ist die bekannte Geschichte um Schiller, mit der sich Thomas Mann anscheinend identifizierte. Die Geschichte ist ein gutes Beispiel, wie es gelingen kann, eine emotionale Momentaufnahme zu gestalten.
Auffällig an diesen frühen Erzählungen ist, dass der typisch bedeutungs- und symbolhaft überhöhte Ton, den Mann später immer verwendete, hier noch nicht so ausgeprägt ist.
Noch einen warnenden Hinweis: Dieses Buch ist nicht identisch mit dem Buch “Das Wunderkind und andere Erzählungen“ von 2007, das von Joachim Knappe illustriert wurde. Darin wurden trotz identischen Buchtitel respektlos andere Geschichten ausgewählt.