An diesem Tage lasen wir nicht weiter - Will Schwalbe

  • Auf der Rückseite des Schutzumschlages ist vermerkt:
    "Was liest du gerade?" So beginnt das Gespräch zwischen Will Schwalbe und seiner Mutter Mary Anne. Sie ist todkrank, doch anstatt zu verzweifeln, widmet sie sich ihrer großen Leidenschaft, dem Lesen. Die Liebe zur Literatur verbinden Mutter und Sohn. Über ein Jahr begleitet Will seine Mutter bis zum Ende ihres Lebens - und durch eine Welt von Büchern, die sie gemeinsam erkunden.


    Was ich bis jetzt gelesen habe, ist einerseits beeindruckend, andererseits irritiert mich der Stil ein wenig. Mary Anne muss jedenfalls eine überaus beeindruckende Frau gewesen sein.

  • Bitte erzaehl mal unbedingt weiter. Warum irritiert der Stil?
    Der Titel ist meine Lieblingszeile aus der gesamten Weltliteratur, und ihn hier eben zu lesen, hat mich regelrecht umgehauen.
    Muss unbedingt wissen, ob sich's lohnt, das Buch zu lesen (denn mit dem Titel moecht' ich keins lesen, das mir nicht gefaellt ...)


    Danke!
    Herzlich gruesst Charlie

  • Das Buch drängt mir die Frage auf, wie ich erwarte, über das Sterben eines geliebten Menschen berichtet zu bekommen:
    Mit Pathos – auf keinen Fall.
    Quasi mit Tränen in und zwischen den Worten – nicht unbedingt.
    Trotzdem eine gewisse Sachlichkeit, das allerdings. Und diese Sachlichkeit möchte ich Will Schwalbe attestieren, auch wenn er seine emotionale Betroffenheit nicht verleugnet. Er berichtet ja nicht nur über das Sterben seiner Mutter, sondern auch über ihr Leben, über das, was sie bewirkt und erreicht hat.


    Mary Anne Schwalbe war keine arme Frau, sie entstammte einer wohlhabenden Familie. Sie hat, soweit ich es bis jetzt sehen kann, kaum in den „unteren Regionen“ gearbeitet, sondern in gehobeneren Positionen. Sie war in mehreren (vielen?) Wohltätigkeitsvereinen, auch dort öfters an entscheidenden Stellen. Ich kann mir nicht helfen, aber für mich wirkt es wie der Lebenslauf einer amerikanischen Frau, Mitglied der gehobenen Gesellschaft. Und es wirkt auf mich wie der Bericht eines amerikanischen Mannes, ebenfalls Mitglied der gehobenen Gesellschaft, über seine Mutter. Das Buch ist nicht aufdringlich, Schwalbe vermeidet zu starke dramatische Wendungen; das Drama der letzten Monate im Leben seiner Mutter zu erzählen reicht ja auch vollkommen.


    Unwillkürlich drängt sich mir auch ein Vergleich auf, nämlich der mit dem Bericht von Henri Nouwen über das Sterben seiner Mutter. „Sterben, um zu leben“ habe ich erst kürzlich wiedergelesen; die Sprache Nouwens ist mir näher als die von Schwalbe (und beides sind ja Übersetzungen). Dieser Eindruck bleibt auch, wenn ich den überaus starken religiösen Bezug in Nouwens Buch abziehe.


    Das einzige Wort, das mir derzeit zu Schwalbes Schreiben einfällt, ist lässig (bin auf Seite 205 von insgesamt 383). Nicht nachlässig, sondern schlicht und ergreifend lässig. Es sind einzelne Worte, Sätze, die mich die Tiefe seiner Gefühle und die Größe seines Schmerzes fühlen lassen, nicht der gesamte (bisher gelesene) Text. Dabei steht (bisher) der nahe Tod der Mutter gar nicht so sehr im Vordergrund, auch wenn das Faktum natürlich immer präsent ist, erzählt wird viel über die Krankheit (und man erfährt so einiges über das amerikanische Krankenversicherungssystem - meine Güte, was geht es uns doch gut!!!) und natürlich über das Lesen der ausgewählten Bücher. Erstaunlich die Bandbreite: Vom „Hobbit“ (von Tolkien) zur „Hochzeitsgabe“ (von Geraldine Brooks), von „Zeit der Geborgenheit“ (von Wallace Stegner – sollte ich mal wieder hervorkramen) bis „Fremde Erde“ (von Jhumpa Lahiri). Noch nichts ins Deutsche übersetzte Titel sind dabei, Klassiker ebenso wie die (damals) neuesten Werke geschätzter Autoren dieses sehr speziellen Mini-Leseclubs; man beschränkte sich keineswegs auch nur auf Romane.


    Zu dem von mir gebrauchten Wort „lässig“: Woran ich beim Lesen hin und wieder denken muss, ist Wagner (der Komponist). Speziell sein „Tristan“, und dabei speziell zwei Aufführungen, eine mit Sawallisch, die andere mit Levine. Der eine mit dem Auftreten, wie man sich eben das Auftreten eines deutschen Kapellmeisters vorstellt, der andere … lässig. Weder das eine noch das andere ändert etwas an der Anzahl der Noten oder der Qualität der Musik. Was ich nur damit sagen will: Man kann das, was man sagen will, so oder so sagen, dem Ernst der Sache (wie hier) tut das nicht unbedingt Abbruch – die Frage ist nur, was sagt mir mehr zu.


    Charlie : Aus meiner Sicht lohnt sich das Buch, es ist Kranken- und Sterbebegleitung mal ganz anders. Ein Mini-Leseclub wählt Bücher aus, spricht über diese, aber das ist eben nur ein Teil dieser Geschichte, wie das Lesen eben nur ein Teil des Alltags ist.
    Wenn ich mir das bisher Geschriebene so durchlese ... habe den Finger vielleicht zu sehr auf das Sterben von Mary Anne gelegt. Das Sterben gehört zum Leben, das macht dieses Buch deutlich, und Will Schwalbe macht deutlich, dass dieses Wissen seiner Mutter nicht fremd war.