Kein Ort. Nirgends - Christa Wolf

  • Der Autor (Quelle: Amazon)
    Christa Wolf, geboren 1929 in Landsberg/Warthe (Gorzów Wielkopolski), lebte in Berlin und Woserin, Mecklenburg-Vorpommern. Ihr Werk wurde mit zahlreichen Preisen, darunter dem Georg-Büchner-Preis, dem Thomas Mann Preis und dem Uwe-Johnson-Preis, ausgezeichnet. Sie verstarb 2011 in Berlin.


    Das Buch (Quelle: Amazon/gekürzt)
    Nicht mehr als ein fiktives Gespräch zwischen einer Frau und einem Mann, beide Literaten, ist hier das Thema. Doch diese gedankliche Auseinandersetzung, die Christa Wolf in ihrer 1979 erschienenen Erzählung so genial inszeniert hat, beeindruckt tief. Mit Karoline von Günderrode und Heinrich von Kleist lässt sie zwei tragische Figuren, zwei Außenseiter aufeinandertreffen. Das Gefühl, Versager zu sein, anders zu sein, verbindet sie. Beide werden später den Freitod wählen. Die letzten Worte: "Wir wissen, was kommt." vergisst man nicht.


    Meinung
    Jeder zweite Satz will nochmals gelesen werden. Die Sprache: kurz und bündig, keinerlei Verschwendung, ohne überflüssige Phrasen: „Wo ich nicht bin, da ist das Glück“ oder wie wär’s mit: „Unliebbares Leben. Kein Ort, nirgends“. Wer sich eingelesen hat, der versteht ohne Zusammenhang: „Merken wir nicht, wie die Taten derer, die das Handeln an sich reißen, immer unbedenklicher werden?“


    Es geht um ein fiktives Treffen zweier großer Dichter. Der eine: Kleist, der andere: die Günderrode. Zwei Seelenverwandte, die mehr fühlen, sehen, denken, als die Kindermenschen um sie herum. Zeit: 1804. Ort: ein Kaff am Rhein. Beide haben sich später umgebracht. Hätten sie es nicht getan, wären sie tatsächlich aufeinandergetroffen? Lebte es sich leichter, falls man dümmer wäre? Im Mittelpunkt stehen duale Konfliktpärchen, die heute ebenso aktuell sind: Frau/Mann, Kunst/Kommerz, Denken/Handeln, Wissenschaft/Verantwortung und schließlich: Dionysisch/Apollinisch.
    Da Buch fordert den Leser und schließt versöhnlich: „Wenn wir zu hoffen aufhören, kommt, was wir befürchten, bestimmt.“


    10 Punkte, ohne wenn und aber!

  • Von Christa Wolf kenne ich zwar nur Kassandra, aber dennoch denke ich, dass sie bei Zeitgenössisches besser aufgehoben wäre. Was hat dich veranlasst, dieses Buch unter Klassiker einzuordnen?


    Edit: ich sehe gerade, dass die anderen Bücher auch unter Klassiker stehen. Zählt Christa Wolf nicht mehr als Gegenwartsautorin ?(

  • Tilia, die Dame ist noch nicht lange tot, deshalb könnte man sie auch anderweitig schubladieren.
    Wer Kassandra und Kein Ort. Nirgends ausgesaugt hat, wie ein Leser dieser dämlichen Vampirgeschtichterln, der wird sie zwangsläufig als Klassiker schmecken.

  • Habe diese Buchvorstellung - leider - eben erst entdeckt. Christa Wolf ist eine Autorin die eigentlich immer etwas zu sagen hatte. Das hier vorgestellte Buch kenne ich noch nicht, es wird daher auch sofort der Wunschliste hinzugefügt. Ein herzliches Dankeschön für diese Buchvorstellung. :wave

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Die fiktive Begegnung der beiden Realfiguren Kleist und von Günderrode war für mich so zäh zu lesen, wie Kaugummi, dabei so runterziehend, dass ich es abgebrochen habe.


    So wie die beiden sich "die Stirn an der gesellschaftlichen Mauer wundgerieben haben" (Zitat von Anna Seghers), ging es meinem Gehirn mit dem Text. Dabei lese ich sonst durchaus gern etwas von Christa Wolf und kann mit ihrem Schreiben auch etwas anfangen.


    Hiermit leider nicht.
    Macht ja nichts.

    „An solchen Tagen legt man natürlich das Stück Torte auf die Sahneseite — neben den Teller.“

  • Kein Ort. Nirgends – Christa Wolf


    Mein Eindruck:
    Aufgrund des zeitlich großen Abstandes der Entstehung dieser Novelle (1979) zu meiner heutigen Leseerfahrung halte ich es für mich nicht mehr für notwendig, den Zustand der DDR zu der Zeit und Erfahrungen der Kleist-Zeit herzustellen und konzentriere mich stattdessen mehr darauf, die schöne Sprache, den geschickten Stil, die perfekte und raffinierte Konstruktion zu genießen.
    De Novelle stellt durchaus Ansprüche an den Leser, nicht alle handelnden Figuren waren mir geläufig. Clemens Brentano oder Kleist schon, aber Savigny oder Karoline von Günderrode eher nicht. Günderrode schrieb unter dem Pseudonym „Tian“ Gedichte, die früh für Aufsehen, selbst bei Goethe, sorgten.


    Es ist interessant, als Leser in den Kreis der Romantiker zu gelangen. Es ist fast, als würde man an ihren Gesprächen teilnehmen. Kleist und Günderrode aber haben fast eine Außenseiterstellung in dieser Gemeinschaft. Kleist Schwermut ist so greifbar wie Günderrodes Sensibilität.


    Schade, das Christa Wolf den Literaturnobelpreis nicht bekommen hat!