1. Dezember 2012 von Batcat
Weihnachten im Mauseloch
Merlin Moustache hieß so, da eine Fellzeichnung unterhalb seiner Nase so aussah, als würde er einen winzigen Schnurrbart in seinem Mäusegesicht tragen. Er lebte zusammen mit seiner Frau Martha und den beiden Kindern Mimi und Max in einem ruhigen Vorort.
Doch das war nicht immer so. Die Familie hatte ein aufregendes und nicht immer einfaches Jahr hinter sich. Begonnen hatte es, als kurz nach Neujahr die alte Agathe, mit der sie sich friedlich eine bescheidene Wohnung geteilt hatten, plötzlich starb. Leider hatte die betagte Seniorin keine weiteren Anverwandten mehr und so hatte es ein paar Wochen gedauert, bis ihr Briefkasten so voll gewesen war, daß die Nachbarn sich doch endlich einmal Gedanken machten und die Wohnung aufbrechen ließen. Bis dahin zehrte die kleine Familie Moustache mehr schlecht als recht von den Bröseln, die Agathe aufgrund ihrer schlechten Augen beim Putzen stets übersehen hatte.
Sie beschlossen noch abzuwarten, wer nach Agathe in die Wohnung ziehen würde, da sie nur ungern ihre behagliche Zuflucht in einem Loch in der Wand hinter der Wohnzimmerkommode – aber mit Blick auf den Fernseher! – verlassen wollten. Doch leider war das unumgänglich, denn Agathes Nachfolgerin Auguste war zwar sehr sympathisch, doch hatte sie zwei Kater, die ihnen permanent nachstellten. Als sie Merlin eines Tages erwischten und er ihnen erst im letzten Moment verletzt und mit einem halb abgerissenen Ohr entfliehen konnte, war das Maß voll und die Moustaches begaben sich auf Wanderschaft.
Doch es war nicht einfach, ein neues Zuhause zu finden: viel zu viele Menschen hatten gefährliche Katzen und Hunde und wo es keine dieser Bestien gab, waren alle Mäusewohnungen bereits vergeben. Glücklicherweise war es inzwischen Sommer geworden und die Familie fand wenigstens immer einen trockenen Unterschlupf in Schuppen und Garagen – doch ein neues Heim war auch hier nicht für sie dabei.
Als der kleine Max bei der Futtersuche Gift erwischte und nur mit Müh und Not knapp überlebte war klar, daß auch das Leben im Freien auf Dauer keine Option war. Doch wohin sollten sie nur gehen? Sie hatten das Gefühl, schon unendlich viele Behausungen angesehen zu haben, aber überall waren sie unerwünscht gewesen und nun ging es auch schon wieder mit Riesenschritten auf die kalte Jahreszeit zu…
Sie beschlossen, den Winter in einem Schuppen auf einem verlassenen Grundstück zu verbringen, in dem sie schon im Frühjahr ein paar Tage Rast gemacht hatten. Doch zu ihrem Erstaunen war der Schuppen weg, die wilden Büsche waren ordentlich gestutzt und mitten im Grundstück stand nun ein nagelneues Haus. Geschäftiges Treiben herrschte auf dem ganzen Areal: die Hausbauer zogen gerade ein.
Daher fiel es auch gar nicht weiter auf, daß nicht nur eine Familie mit einem kleinen Sohn in das Haus zog, sondern auch eine Mäusefamilie versuchte, darin unterzukommen. Und sie hatten Glück, denn sie fanden in der rustikalen Wandvertäfelung gleich ein paar Astlöcher, hinter denen sie sich behagliche Räume einrichten konnten.
Als nun die Weihnachtszeit nahte, herrschte in allen Räumen – den großen und den winzigen hinter der Wand – geschäftiges Treiben. Martha gelang es, ein paar Lamettafäden zu entwenden und dekorierte die Mäusewohnung mit Hilfe ein paar heruntergefallener Tannenzweige ganz allerliebst. Mimi schaffte es, ein ganzes Plätzchen zu stibitzen. Max mopste ein wenig Lachs vom Büfett und Merlin organisierte – der Himmel weiß, wie! – einen ganzen Fingerhut voll köstlichen Weihnachtspunsches.
Während die Familie im großen Wohnzimmer um den Weihnachtsbaum stand und fröhliche Lieder sang, war das Fest in der Mäusestube eher besinnlich: „Haben wir nicht großes Glück, dieses grauenvolle Jahr gemeinsam hinter uns gebracht zu haben?“ fragte Merlin Moustache gerade seine Frau, als plötzlich zwei wurstige Fingerchen ein Stück Käse durch das Mauseloch pressten und ein dünnes Stimmchen „fröhliche Weihnachten, liebe Mausefamilie“ wisperte.