Der ganz normale Wahnsinn
Unser Leben sieht im Normalfall folgendermaßen aus: Man wird geboren, kommt in den Kindergarten, anschließend besucht man die Schule und danach absolviert man eine Ausbildung. Viele von uns gründen dann eine Familie, also ein ganz normales Leben mit Höhen und Tiefen. Aber wie viel Normalität verträgt der Mensch? Soll man sich der Normalität beugen?
In dem Roman „Die Welt der schönen Bilder“ von der französischen Autorin Simone de Beauvoir (09.01.1908 – 14.04.1986, vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Simone_de_Beauvoir) beschreibt eine ganz normale Familie, die in Paris lebt. Im Mittelpunkt steht eine Frau und aus ihrer Perspektive wird erzählt.
Der Roman beginnt im Oktober in irgendeinem Jahr und es wird schnell deutlich, dass die Protagonistin Werbefachfachfrau ist, sie hat also dafür zu sorgen, dass ein bestimmtes Produkt durch ihre Hilfe möglichst gut verkauft wird. Durch ihren Beruf ist sie in der Lage, Werbeslogans ihrer Kollegen schnell zu durchschauen.
Sie hat zwei Töchter, Louise und Catherine. Zu Catherine hat sie eine besondere Beziehung. Sie ist verheiratet mit einem Mann, der gesellschaftlich anerkannt ist. Sie leben im gutsituierten Milieu. Neben ihrem verheiraten Mann pflegt sie eine Affäre, weil sie den Eindruck hat, dass sie mit ihrem Geliebten all das bekommen kann, was sie scheinbar von ihrem Mann nicht erwarten kann, aber an Trennung denkt sie nicht, dafür ist die gesellschaftliche Anerkennung ihr zu wichtig. Der Schein muss bewahrt bleiben. Ihre Eltern leben getrennt. Ihre Mutter lebt gerne auf „großem Fuß“ und sucht nach gesellschaftlicher Anerkennung. Ihr Vater ist das genaue Gegenteil: Er lebt gerne zurückgezogen, liebt Kultur in jeglicher Hinsicht und hat Mitleid für Menschen, denen es nicht besonders gut geht.
Zunächst verläuft das Leben dieser Protagonistin in normalen Bahnen, doch das Bild beginnt zu bröckeln. Deutlich wird dies vor allem an ihrer jüngsten Tochter Catherine, denn diese Tochter beginnt tiefschürfende Fragen zu stellen und dann bringt sie auch noch eine Freundin nach Hause, die etwas älter ist als sie und sich mit vielen Dingen beschäftigt. Diese Freundin färbt auf Catherine ab. Lange Zeit war Catherine Klassenbeste, doch mit Beginn der Freundschaft lassen ihre Schulnoten nach. Dem Vater ist dies gar nicht Recht und er fordert, dass Catherine zu einer Psychologin gehen soll. Die Protagonistin sträubt sich zunächst dagegen, doch in einem schwachen Moment stimmt sie dem zu. Ihre Tochter beginnt mit der Therapie, als die Protagonistin mit ihrem Vater in Griechenland Urlaub macht. Die Psychologin stellt fest, dass Catherine an und für sich seelisch gesund sei, aber die Freundin sei schädlich. Das ist „Wasser auf den Mühlen“ und der Vater des Kindes fordert auf der Stelle, dass alles daran gesetzt werden muss, um die Freundschaft der beiden Kinder zu einem Ende zu bringen. Da beginnt die Mutter von Catherine dagegen zu revoltieren und setzt sich am Ende damit durch.
Der Roman beginnt zunächst völlig harmlos und plätschert scheinbar vor sich hin. Die einzelnen Rollen werden nach und nach vorgestellt. Ab dem Moment, wo die Protagonistin mit ihrem Vater in Griechenland verweilt, nimmt der Roman Fahrt auf und mit einem Mal werden die Rollen sehr deutlich.
Die Eltern der Protagonistin haben in der Rollenfestlegung zunächst eine klare Trennlinie: Die Mutter scheint sehr oberflächlich zu sein und immer darauf bedacht, nur die Beziehungen einzugehen, die ihr einen Vorteil verschaffen. Der Vater hingegen ist das Ideal, er liebt Bücher, die Philosophie und hat einen Faible für alte Kulturen. Er ist für seine Tochter immer da. Sie himmelt ihn förmlich an.
Desto mehr die Protagonistin erkennen muss, dass ihr gesamtes Umfeld darauf bedacht ist, den Normen zu entsprechen, desto mehr idealisiert sie ihren Vater, aber auch dieses Bild des hohen Ideals bricht in Griechenland zusammen, also genau in dem Staat, was die Wiege der europäischen Kultur sein soll. In diesem Land hat beispielsweise der bekannte Philosoph Sokrates gelebt. Des Weiteren lebt dieses Land von seiner alten Kultur und jeder, der was auf sich hält, fährt nach Griechenland.
In Griechenland muss sie erkennen, dass ihr Vater ein Intellektueller sein möchte und nur deshalb die alte Kultur liebt und dass eben auch ihr Vater auf seine Weise den gesellschaftlichen Normen entsprechen will und er letztendlich von der Lebenseinstellung seiner ehemaligen Frau nicht weit entfernt ist. Besiegelt wird die Lebenseinstellung ihrer Mutter und ihrem Vater dadurch, dass die beiden beschließen, wieder zusammenleben zu wollen. Die Erkenntnis über ihren Vater werden in kleinen unscheinbaren Worten eingeleitet, denn beispielsweise beschreibt sie die Mauer der Akropolis mit orangefarbenen Licht (vgl. Seite 106) und orange gilt als Farbe der Wandlung.
Lange Zeit sieht es so aus, als würde die Protagonistin ein eher schwacher Mensch sein, der sich fügt und ihr Vater scheint der Mensch zu sein, der auf gesellschaftliche Normen pfeift. Aber auch dieses Bild stimmt nicht, denn ihr Vater ist im entscheidenden Moment ein schwacher Mensch, der Auseinandersetzungen scheut und sie ist die Starke. Das Starksein wird sehr deutlich, als sie beginnt, um ihre jüngste Tochter zu kämpfen und alles daran setzt, dass ihre Tochter Catherine nicht dasselbe Schicksal erleidet, wie sie, nämlich unempfindlich zu sein für Mitmenschen in Not. Sie möchte nicht, dass aus ihrer Tochter ein „schrecklicher Tod ohne Leiche“ (vgl. Seite 108) wird.
Das Mitleid für Menschen, die in Not sind, so wie es ihr Vater hat, gilt auch nur solange, wie diese Menschen räumlich und gesellschaftlich weit entfernt sind und man daran auch nichts wirklich ändern kann. Wenn es aber Menschen sind, die in irgendeiner Weise sich in unmittelbarer Umgebung aufhalten und in Armut leben, idealisiert der Vater diese Armut mit dem Argument, dass diese Menschen vom Geld noch nichts wissen und deshalb die Werte noch nicht verloren haben. Die Protagonistin sieht ebenfalls diese armen Menschen und sie sieht auch, dass genau jene Menschen, die ihr Vater als zufrieden betrachtet, eben nicht zufrieden sind und sie fragt sich bzw. sie würde gerne ihren Vater fragen, „wo er denn nun tatsächlich Leute getroffen hatte, die ihre Armut glücklich machte.“ (vgl. Seite 111).
Die Autorin Simone de Beauvoir zeigt in diesem Roman, dass sie eine gute Beobachterin ist, dass sich einerseits in den verschiedenen Rollen zeigt, die sehr treffend beschrieben werden, andererseits aber auch in dem, was sie für die Zukunft sieht. Immer wieder lässt sie den Mann der Protagonistin sprechen, der die Zukunft als sehr rosig sieht und glaubt, dass mit Hilfe der fortschreitenden Technik sämtliche Probleme dieser Welt gelöst werden können. Die Autorin selber sah dies mit einer gewissen Skepsis und lässt die Protagonistin sagen: „Bald wird die Technik uns wie die Natur selber vorkommen, und wir werden in einer völlig unmenschlichen Welt leben.“ (vgl. Seite 29). Bei diesen Anmerkungen seitens der Autorin ist zu bedenken, dass sie die Weitsicht, was in unserer heutigen Zeit sein wird, schon in den 60er Jahren hatte, denn dieser Roman ist 1966 das erste Mal unter dem Titel „Les Belles Images“ veröffentlicht worden. (vgl. http://www.hdg.de/lemo/html/bi…auvoirSimoneDe/index.html)
Der Leitsatz dieses Romans ist: „Man glaubt an einem Menschen zu hängen: man hängt an einer bestimmten Idee von sich selbst, an einer Illusion von Freiheit oder von etwas Unvorhergesehenem, an Wahnbildern.“ (vgl. Seite 24).