Der Dialog umfasst die letzten Stunden des Sokrates einschließlich seines Todes durch den Schierlingsbecher. Echekrates trifft Phaidon und fragt ihn, ob er bei Sokrates war, als er das Gift trank. Sokrates’ Hinrichtung hatte sich verzögert, weil die Athener seit Theseus’ Rettung dem Apollon gelobt hatten, jedes Jahr ein Schiff nach Delos senden. Während dieses Schiff unterwegs war, durfte niemand von Staatswegen getötet werden.
Phaidon erzählt nun rückblickend von dem Tag, an dem das Schiff wieder eintraf und Sokrates und seine Freunde am Morgen mitbeteilt bekamen, dass er bei Sonnenuntergang sterben müsse. Im Dialog geht es um die Frage, ob die Seele nach dem Tod des Körpers mit untergeht, oder ob sie unsterblich sei. Es ist eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Tod, aber auch mit dem Tod eines geliebten Menschen und auch ein Beispiel für würdevolles Verhalten in einer Ausnahmesituation. Allein wie er mit dem betretenen Schweigen umgeht, das auftrat, als doch wieder Zweifel an der Unsterblichkeit der Seele aufkamen, und dass wenige Stunden bevor er das tödliche Gift trinken musste, ist es schon wert, den Dialog zu lesen.
Ein Zitat verdeutlicht vielleicht die Stimmung in dem Dialog:
PHAIDON: Wahrlich, Echekrates, ich habe den Sokrates doch manchmal bewundert; aber nie war ich mehr von ihm begeistert als damals. Dass er eine Antwort bereit hatte, das ist wohl noch nichts Ungewöhnliches was ich aber besonders an ihm bewunderte, das war erstens die freundliche, milde und respektvolle Art, mit der er die Worte dieser jungen Menschen [die daran zweifelten, dass die Seele unsterblich sei] aufnahm, dann der Scharfsinn, mit dem er herausmerkte, welchen Eindruck ihre Worte auf uns gemacht hatten, und schließlich die Geschicklichkeit, mit der er uns heilte, und wie er uns, die wir gleichsam geschlagen und auf der Flucht waren, wieder zurückrief und uns dazu brachte, dass wir ihm folgten und mit ihm zusammen die Frage überdachten.[89a]
Vor dem Dialog habe ich mich lange gedrückt, weil mir die Vorstellung, über Sokrates’ Tod zu lesen, einfach unerträglich war. Nun bin ich aber doch froh, dass ich ihn gelesen habe. Der Dialog passt thematisch zur Apologie des Sokrates, in der es um seiner Prozess und seine Verurteilung zum Tode geht und zum Kriton, in dem Sokrates zur Flucht überredet werden soll. Wenn ich es richtig verstanden habe, gehören die Apologie und Kriton aber zu den Frühdialogen, während Phaidon der mittleren Schaffensperiode Platons zugeordnet wird. Der Dialog enthält daher auch eine Einführung in Platons Ideenlehre, die ich als nicht ganz einfach empfunden habe, obwohl ich, weil ich schon andere Dialoge gelesen habe, in etwa wusste, worauf er hinauswollte. Ich würde diesen Dialog daher bei den mittelschweren Schriften Platons einordnen.
Die Reclamausgabe ist eine verbesserte Auflage von Schleiermachers Übersetzung von 1826 mit Anmerkungen und Nachwort von Andreas Graeser und diese Übersetzung kann ich nicht empfehlen.
Ehrlich gesagt, hab ich das Reclam-Heft nach der Hälfte des Dialoges in die Ecke gepfeffert und mir eine Übersetzung von Rudolf Rufener aus der Gesamtausgabe von Artemis & Winkler geholt und ab da hat das Lesen auch wieder Spaß gemacht. Der Phaidon gehört von der Thematik her sicher nicht zu den heiteren Dialogen, es ist kein Dialog, bei dem man permanent am Boden liegt und sich kugelt, aber es gibt durchaus humorvolle Stellen und leise Ironie und einmal musste ich sogar richtig lachen. Abgesehen davon, dass Schleiermacher sich reichlich verdreht ausdrückt, ist es ihm leider gelungen, sämtliche humorvollen Stellen in diesem Dialog zu vergeigen.
Anmerkungen und Nachwort sind allerdings durchaus brauchbar. Die kommen leider bei Artemis & Winkler ein wenig zu kurz.
Lg Iris