Ist Lesen Eskapismus?

  • Liebe Eulen,


    stellt Lesen für euch Eskapismus dar? Ich bin mir selbst nicht im Klaren über eine eindeutige Antwort und würde das gerne mit euch diskutieren.


    Ich lese durchaus um andere Welten kennenzulernen und ja, es tut auch gut, der eigenen, wohlvertrauten und dadurch manchmal langweiligen Welt temporär den Rücken zu kehren. Aber ist das dann auch abhängig vom Buch?


    Kann man von Eskapismus sprechen, wenn man ein Buch über einen Krieg liest? Oder ist das vielmehr ein tieferes Eintauchen in eine Realtität, die man sonst nicht erfahren würde?


    Ich bin gespannt auf eure Ansichten!


    Lg, Rosha :wave


    [SIZE=7]edit: t hat gefehlt[/SIZE]

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. Franz Kafka

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  • Ich kann mich da eigentlich nur anschließen. Auch für mich ist es im positiven Sinne und es ist auch einer der Hauptgründe, warum ich so gerne lese. Einfach in eine andere Welt/Realität eintauchen und sich für ein paar Stunden aus dem wirklichen Leben "ausklinken".
    Als eine Art Flucht würde ich es nicht bezeichnen, das klingt so negativ. Es ist ein Vergnügen.

    Und manchmal ist ein Buch die Welt für mich!


    Mein Blog



    :lesend Laini Taylor - Daughter of Smoke and Bone - Zwischen den Welten



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  • Als Eskapismus, Realitätsflucht oder Wirklichkeitsflucht bezeichnet man die Flucht aus oder vor der realen Welt und das Meiden derselben mit all ihren Anforderungen zugunsten einer Scheinwirklichkeit, d. h. imaginären oder möglichen besseren Wirklichkeit.
    (Wikipedia)


    Als meine Kinder noch Babys waren, da bin ich wirklich in die Bücher geflüchtet. Im Moment lese ich nur noch zur Unterhaltung.

  • Ich sehe Lesen als Weiterentwicklung einer langen Tradition. Kaum hatten die Menschen eine Sprache, schon fingen sie an, sich Geschichten zu erzählen. Das erfüllte eine wichtige soziale Funktion.


    Daran ändert sich auch nichts, wenn die Geschichten nicht mündlich, sondern schriftlich weitergegeben werden. Wenn ich einen Roman lese, verbinde ich mich mit anderen Menschen - auch wenn die Personen darin nicht existieren, so handeln die Geschichten doch von Erfahrungen, die jeder von uns machen oder sich zumindest vorstellen könnte. Ein bisschen entflieht man dabei schon seiner eigenen Realität, aber man bereichert sie auch.


    Liebe Grüße
    Nina

  • Zitat

    Original von sapperlot
    Wenn ich wüsste was Eskapismus ist dann könnte ich mich vielleicht zu diesem Thema äussern... :gruebel :rolleyes


    Mußte auch erstmal nachlesen :lache


    Nun da ich weiß, was es bedeutet würde ich sagen zum Teil schon. Vor allem wenn ich etwas Historisches lese oder etwas das in einer anderen Kultur spielt. Dann tauche ich schon ab, bin völlig versunken in der Geschichte und male mir aus, wie es wäre dort in der Zeit zu sein oder ich plane die Reise dorthin (manchmal wirklich, manchmal nur gedanklich).


    Bei Thriller und Krimi tauche ich zwar auch voll in die Geschichte ein, aber es ist anders. Das ist eher sowas wie Angstbekämpfung. Oder das Ausleben einer dunklen Seite, kommt auf die Story an.

  • Ich tauche gerne in die Welt des Buches ein - fliehe aber nicht aus meiner (obwohl ich manchmal dazu sehr sehr viel Lust hätte). :lache



    Durch Lesen lerne ich viel. Gerade wenn man - wie ich - viele historischen Bücher liest, erfreut man sich daran, wie das Leben damals in fernen Ländern war. Aber 1337 nach Kingsbridge fliehen ? Nein Danke :lache Ich liebe die heutige Technik zu sehr :lache

    Don't live down to expectations. Go out there and do something remarkable.
    Wendy Wasserstein

  • In der Medienpsychologie beschäftigen wir uns häufig mit dem Thema Eskapismus. Um es gleich vorweg zu sagen - eine eindeutige Meinung gibt es nicht. Viele Forscher nehmen Eskapismus immer noch sehr ernst, andere haben sich von dem Thema längst abgewandt weil es per Definition schon zu ungenau ist. Ich persönlich vertrete die Meinung, dass reiner Eskapismus durchaus existiert, wir (als Leser) uns aber mehreren Stufen des Eskapismus unterziehen. Wenn man aufmerksam verschiedene Genres liest wird man feststellen, dass selbst im Fantasy-Bereich viele Romane immer noch ein Abbild unserer Realität liefern und dieses Abbild verarbeiten. Oder auch bei Science-Fiction: hier ist besonders bei den alten Star Trek Episoden eine hervorragende Gesellschaftskritik zu beobachten. Komplett können wir uns der Realität nicht entziehen, weil sie in der Literatur (fast) immer wieder auftauchen wird. Eine komplette Flucht vor der Realität, ausgelebt durch entsprechende Literatur, ist dann schon wieder eher ein Thema für das Strukturmodell der Psyche nach Freud.

  • Ich würde nicht per se sagen, dass Lesen eine Form der Realitätsflucht ist. Meist geschieht es, um die Gegenwart mit den Phantasiewelten ein wenig zu bereichern oder auch einen weiteren Horizont zu erlangen.


    Als psychologisch relevante Frage sehe ich das dann an, wenn es zu einer Sucht wird, bei der man den Bezug zur Realität komplett verliert und nur noch für diese Scheinwelten lebt. Ich möchte nicht ausschließen, dass es sowas gibt. :wave

  • Eine interessante Frage, Rosha, die ich für mich persönlich ganz klar mit: ja, manchmal beantworte. Andererseits, was ist nicht "Eskapismus"? Die einen hängen stundenlang vorm Fernseher und sehen sich die xte Wiederholung der Supernanny an, die nächsten backen vielleicht stundenlang in stressigen/belastenden Situationen, manche trinken und manche lesen eben. Ich glaub, jeder hat mal Momente im Leben, wo man einfach abschalten möchte und sich ablenken von den Sorgen. Lesen ist da nicht das Schlechteste, was man machen kann, schon gar nicht, wenn man nicht ausschließlich irgendwelche Schnulzen liest, sondern Bücher, die keine heile Welt beschreiben, sondern vielleicht die Sorgen, die man selbst gerade hat. Man bekommt ja auch Anregungen zum Umgang damit (wenn es ein gutes Buch ist) oder kann sich in andere besser hineinversetzen oder oder.
    Ich glaub, bedenklich wird es erst, wenn man den Autor seiner Lieblingsromanreihe ans Bett fesselt und zwingt, die Bücher so weiterzuschreiben, wie man es selbst gern hätte :lache
    In der Psychologie gilt das übrigens als "Fähigkeit" und nicht als "krank", wenn man in der Lage ist, mittels Büchern oder auch Filmen oder sonstwas einfach mal alles um sich herum zu vergessen. Solange man es nicht übertreibt natürlich.

    Man möchte manchmal Kannibale sein, nicht um den oder jenen aufzufressen, sondern um ihn auszukotzen.


    Johann Nepomuk Nestroy
    (1801 - 1862), österreichischer Dramatiker, Schauspieler und Bühnenautor

  • Ja, für den ein oder anderen kann Lesen sicherlich eine Form von Eskapismus sein, aber Ich denke mal ,so lange man in die reale Welt zurückkommt bzw den Grossteil des Lebens in der realen Welt verbringt, muss man sich keine Sorgen machen.


    Aber Lesen allgemein als Eskapismus zu sehen , find ich zu negativ, dafür gibt es viel zu viele Menschen die aus den unterschiedlichsten Gründen lesen ...

  • Zitat

    Original von Seinfeld
    (...) Ich persönlich vertrete die Meinung, dass reiner Eskapismus durchaus existiert, wir (als Leser) uns aber mehreren Stufen des Eskapismus unterziehen. Wenn man aufmerksam verschiedene Genres liest wird man feststellen, dass selbst im Fantasy-Bereich viele Romane immer noch ein Abbild unserer Realität liefern und dieses Abbild verarbeiten. Oder auch bei Science-Fiction: hier ist besonders bei den alten Star Trek Episoden eine hervorragende Gesellschaftskritik zu beobachten. Komplett können wir uns der Realität nicht entziehen, weil sie in der Literatur (fast) immer wieder auftauchen wird. Eine komplette Flucht vor der Realität, ausgelebt durch entsprechende Literatur, ist dann schon wieder eher ein Thema für das Strukturmodell der Psyche nach Freud.


    Das scheint mir ein sehr kluger Beitrag zu sein. Ich behaupte - und sei es nur, um die Diskussion zu befeuern: Ohne eine ständige eskapistische Grundhaltung, ohne den Mut zum zumindest mentalen Ausbrechen aus der sogenannten Realität, den "Sachzwängen", aus der "normativen Kraft des Faktischen", gibt es keine neuen Ideen, ja, keine kulturelle Weiterentwicklung.
    Streitbare These, ich weiß, aber dann mal los ... :-)

  • Ja. Kann schon sein. Kenne ich zumindest bei mir.


    Die Frage, die hier ja schon deutlich anklang, ist doch eher: Ist das etwas Negatives? Und die läßt sich wohl nur für den Einzelfall beantworten. Wenn die Flucht in eine andere Realtät mir hilft, meiner angekacksten Psyche eine Atempause und meinem ausgepowerten Selbst die Kraft gibt, mich nach dem "Auftauchen" die realen Probleme wieder anzugehen, dann ist sie doch im Gegenteil hilfreich?

    Meine Bewertungsskala: 1-4 Punkte: Mehr oder minder gravierende formale Mängel (Grammatik, Rechtschreibung, Handlung). 5/6 Punkte: lesbar. 7/8 Punkte: gut. 9/10 Punkte: sehr gut. Details und Begründung in der Rezi.

  • Für mich ist Lesen - wenn es Belletristik ist - vor allem Inspiration und auch eine emotionale Frischzellenkur. Eskapismus, nein. Dafür bin ich zu sehr in der Realität verhaftet. Ich tauche in Bücher nicht so tief ein, dass ich mich für die Dauer des Lesens aus der Realität verabschiede - aber ich lasse mich gern gut unterhalten und wie gesagt emotional anregen. Manchmal schätze ich auch einfach unerwartet neue Betrachtungswinkel auf Dinge, die ein Buch mir eröffnen, gerade auch auf die Realität.

    Ich hab' mich verirrt.
    Ich bin dann mal weg, um nach mir zu suchen.
    Sollte ich zurückkommen, bevor ich wieder da bin, sagt mir bitte, ich soll hier warten!

  • Ich habe eine schöne Karikatur zum Lesen gesehen und so empfinde ich das. Der Text zweier sich unterhaltender Roboter zu einer Lesenden: Man nennt es Buch, damit Daten die Menschen ihre Software up.


    Software Updates gibt es aus den unterschiedlichsten Gründen, manchmal wird eben auch Datenmüll entfernt indem diese Daten mit neuerem Inhalt überschrieben werden, auch das kann Lesen bewirken.

  • Ich halte es da wie Guy Gavriel Kay, der Fantasy schreibt, um damit naeher an die Wahrheit zu kommen. Naeher als es mit einem Sachbuch moeglich waere!


    Und ansonsten schliesse ich mich Seinfeld an. Sehr gut geschrieben.

    Gruss aus Calgary, Canada
    Beatrix


    "Well behaved women rarely make history" -- Laura Thatcher Ulrich

  • Als negativ habe ich die Realitätsflucht durch aus schon einmal empfunden. Als ich jeden Tag ein Buch verschlungen habe, hatte das erhebliche Auswirkunken auf meinen Geldbeutel, weshalb bin ich dann mit dem Schreiben angefangen bin. Also Autoren flüchten doch genauso in eine andere Welt, wenn nicht sogar schlimmer, als die Leser. Außerdem was ist schlimm daran, wenn man durch lesen seine Fantasie am Leben erhält? Im Gegenteil, wer seinem Kopf ab und zu erlaubt eine andere Welt zu betrachten, bleibt vielleicht auch etwas stressresistenter im Alltag. Eine gewagte These?


    Gruß :wave

    Fay
    Ein Roman ist wie der Bogen einer Geige und ihr Resonanzkörper wie die Seele des Lesers. (Stendhal)