Nadine Gordimer: Ein Spiel der Natur

  • Nadine Gordimer: Ein Spiel der Natur
    bloomsbury taschenbuch 2012. 487 Seiten
    ISBN-13: 978-3833308444. 12,99€
    Fischer Taschenbuch 1991
    ISBN 978-3596112982
    Originaltitel: A Sport of Nature (1987)
    Übersetzerin: Eva Schönfeld


    Verlagstext
    Hillela ist ein außergewöhnliches Mädchen, und sie wächst zu einer kraftvollen, innerlich freien Frau heran. Der Titel spielt zunächst einmal auf den Zufall der unterschiedlichen Hautfarben an, aber es ist sicher ebenso richtig, den Titel auf die Hauptgestalt zu beziehen. Hillela ist wie durch ein Spiel der Natur ganz frei vom Rassismus ihrer Umgebung; schon als Mädchen muss sie ein Internat in Rhodesien verlassen, weil sie sich mit einem farbigen Jungen anfreundet. Später heiratet sie einen schwarzen Widerstandskämpfer aus Südafrika. Der Roman ist der Versuch, eine Frauengestalt zu schildern, die alle Schranken des kolonialen Afrika - Schranken auf seiten der Weißen ebenso wie auf seiten der Schwarzen - hinter sich lässt. Nadine Gordimer hat in Hillela nicht nur eine überzeugende Frau von großer Wärme, Sinnlichkeit und Freiheit geschaffen, sondern auch einen Menschen, der in dieser afrikanischen Welt der Gegensätze seinen Platz findet.


    Die Autorin
    Nadine Gordimer, 1923 in Transvaal geboren, beschäftigt sich in ihren Erzählungen mit dem Leben in Südafrika unter den Bedingungen der Apartheidpolitik. Bekannt wurde sie durch Romane wie Fremdling unter Fremden, Der Ehrengast, Burgers Tochter, Julys Leute. Im Jahre 1991 erhielt Nadine Gordimer den Nobelpreis für Literatur.


    Inhalt
    Hillela wurde als kleines Mädchen einfach zurückgelassen. Ihre Mutter verließ Südafrika auf der Suche nach einem neuen Leben; ihr Vater, von Beruf Vertreter, interessierte sich nicht für seine Tochter. Tante Olga, die sich zu ihren drei Söhnen immer eine Tochter gewünscht hatte, finanziert Hillelas Internatsbesuch in Rhodesien. Liberale Familien in Südafrika schicken ihre Kinder gern in den Nachbarstaaten in Schulen ohne Rassentrennung. Hillela, nach ihrem jüdischen Urgroßvater genannt, hat schon immer gern Grenzen ausgetestet. Als sie eine zu enge Freundschaft zu einem farbigen Mitschüler knüpft, muss sie die Schule verlassen. Pauline, Hillelas zweite Tante, springt für die überforderte Ziehmutter Olga ein und zieht das Mädchen wie ein eigenes Kind auf. Hillela wird in der Familie weitergereicht wie ein abgelegtes Kleidungsstück. Nur Weiße werden sich darüber ereifern, in schwarzen Familien ist es gang und gäbe, Kinder von Verwandten aufziehen zu lassen.


    Joe, der Onkel, vertritt als Anwalt Schwarze kostenlos vor Gericht. In einer mit dem damals verbotenen ANC sympathisierenden Familie gehören für alle drei Kinder Regimegegner zum Alltag, die unter absoluter Geheimhaltung von den Eltern versteckt und aus dem Land geschleust werden. Wie groß die Gefahr ist, in der die Familie schwebt, wird den Kindern erst klar, als Joes Anwalts-Kollege verhaftet wird. Persönlicher Luxus entfällt in Paulines und Joes Familie, Geld wird gespendet, ihre schulfreien Samstage verbringen Hillela und Caroline mit Nachhilfe für schwarze Schulkinder. Hillela überschreitet wie unter Zwang wieder die Grenze, die für sie als weißes jüdisches Mädchen gilt. Sie hat Sex mit ihrem Cousin, mit dem sie wie ein Bruder aufgewachsen ist. Auch Pauline scheitert an ihrer Pflegetochter; sie findet das Mädchen a-moralisch - für das Land, in dem sie leben. Hillela verlässt das Land - bindungslos und mittellos. Sie findet sich schon bald in einer Subkultur dubioser Gestalten wieder, die über mehrere Identitäten verfügen und selten ihre Hotelrechnung zahlen. Zeitzeugen wird die weiße Südafrikanerin als das Mädchen in Erinnerung bleiben, das bei Weggenossen unter dem Küchentisch übernachtete und nur besaß, was sie auf dem Leib trug.


    Ein Job als Kindermädchen in einem Botschafterhaushalt wird für Hillela das Sprungbrett zu einer verblüffenden Karriere. Am Ende wird sie die dritte Frau eines afrikanischen Staatsoberhaupts sein, mächtig und dabei perfekt vernetzt. Zu Beginn der Geschichte mag sich noch mancher um Hillela sorgen (hoffentlich wird sie bei ihren Eskapaden nicht vergewaltigt oder ausgeraubt!). Die Sorge schlägt jedoch um in Verblüffung, wie diese Frau es schafft, in jeder Situation auf die eigenen Füße zu fallen. Erzählt wird ihr Schicksal wie der zusammengeschnittene Bericht verschiedener Gewährsleute, dem man als Leser Lücken und Subjektivität bereitwillig zubilligt. Erst im letzten Kapitel schlägt der neutrale Ton der Berichterstatterin um in einen ironischen Abgesang auf schwarze Staatsoberhäupter und ihre Unterstützung durch die NGOs westlicher Staaten - als sei Nadine Gordimer in diesem Moment erst auf die Idee gekommen, diese Machtverhältnisse zu kritisieren.


    Fazit
    Hillela wurde in ihrer Jugend immer erst beachtet, wenn sie ihren Pflegeeltern Scherereien machte. Mit bemerkenswerter Anpassungsfähigkeit fand sie stets eine Quelle, die sie finanziell unterstützte und war schon als Kind instinktsicher genug, bei ihren Abenteuern nicht unter die Räder zu geraten. Obwohl sie selbst nie politisch verfolgt wurde und Südafrika freiwillig verlassen hat, nimmt sie als Afrika-Expertin in den USA Menschenmassen für sich ein. Das ehemals verlassene Kind ist nun geadelt als Witwe eines ANC-Aktivisten und Mutter eines schwarzen Kindes. Hillela lebt nicht schlecht in der Subkultur des Widerstands gegen den Apartheids-Staat und sitzt an der Quelle, an der Fördermittel und Stipendien vergeben werden. Sie speist inzwischen mit den Mächtigen, während Sascha, in dessen Bett sie als Jugendliche erwischt wurde, es nicht weiter als bis auf die Galeerenbank eines südafrikanischen Gefängnisses bringt. Nadine Gordimer lässt ihr Portrait einer bemerkenswert anpassungsfähigen Frau vor den politischen Ereignissen der 60er Jahre spielen; aus der Distanz unserer Zeit wirkt "Ein Spiel der Natur" erstaunlich zeitlos.


    8 von 10 Punkten

  • Sehr schöne Rezi - herzlichen Dank dafür. Nadine Gordimer ist nach wie vor immer einen Buchkkauf wert. :wave

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.