Das Dach der Seligen - Susanne Amtsberg

  • „In Tibet vermag alles den Besitzer zu wechseln, sogar das Schicksal.“


    1906 – 1910. Gustav Bonnen möchte „einen Stein in den Bau des menschlichen Wissens“ einfügen. Er ist Geograph, jung verheiratet mir Emmy, einer Malerin und träumt von eigenen Entdeckungen in Afrika. Als dieser Traum zerplatzt, wendet er sich der Erkundung des Daches der Welt zu. Gemeinsam mit einem Biologen und einem Fotographen begibt er sich im Jahr 1906 auf eine Expedition nach Tibet. Als Emmy, die im Leben ihres Ehemannes eher eine Nebenrolle spielt und inzwischen auch einen Sohn bekam, vom Tod Gustavs erfährt, ist sie fest entschlossen, den Unglücksort aufzusuchen. Bis sie dies in die Tat umsetzen kann, vergehen mehrere Jahre. Kurz vor ihrer Abreise erhält sie die Expeditionstagebücher Gustavs, die der Botaniker Henry Wood Schimmel in Tibet fand. Mit dem Lesen dieser beginnt sie jedoch erst auf der Überfahrt nach Asien.


    Aufmerksam wurde ich auf diesen Roman von der mir bislang unbekannten Autorin durch den Handlungsort Tibet.


    Susanne Amtsberg erzählt in ihrem Roman von den Expeditionserlebnissen des Gustav Bonnen, der im Jahr 1906 gemeinsam mit einen Fotografen und einem Zoologen aufbricht, um das Dach der Welt zu erkunden. Die Rahmenhandlung bildet die Geschichte seiner trauernden Witwe Emmy, die sich auf die Suche nach dem Unglücksort begibt. Dabei verknüpft sie geschickt die der jungen Witwe zugespielten Aufzeichnungen ihres Mannes im Expeditionstagebuch mit deren eigenem Erleben auf ihrer Reise. Die fiktiven Aufzeichnungen des Geologen haben für mich den eigentlichen Reiz dieses Romans ausgemacht, sie erfüllen ihn mit Leben und Inhalt und nehmen auch den größten Raum des 11 Kapitel umfassenden Romans ein. Sehr bildhaft werden die Schönheit und Einzigartigkeit der dortigen Fauna und Flora geschildert. Der Leser erfährt viel von den Bewohnern Tibets, von ihrer Lebensweise, von ihrer über lange Zeit gewachsenen Abneigung gegenüber den Chinesen. Anhand dieser Tagebucheinträge, die äußerst sachlich und rational gehalten sind, bekommt man einen sehr guten Einblick in den Expeditionsalltag der damaligen Zeit. Sie beschreiben das Zusammenleben des Geologen mit seinen Mitstreitern, Cohn, dem Fotographen und Beermann, dem Zoologen, mit allen Schwierigkeiten, Gefahren, Unwägbarkeiten, Härten und Strapazen. Diese Passagen wirken sehr authentisch. An seine zu Hause gebliebene Ehefrau verschwendet er kaum einen Gedanken. Für ihn existiert nur seine Forschung, die Ehefrau scheint für ihn nur ein Accessoire, ein notwendiges Anhängsel, zu sein. Die die Expedition begleitenden Yaks scheinen ihm viel näher zu stehen. Als nicht so glaubwürdig empfand ich die Tatsache, dass Emmy die Tagebücher ihres Mannes nicht sofort nach Erhalt, sondern erst auf der Überfahrt nach Asien öffnete. Emmy blieb mir während des gesamten Romans fremd, ebenso wie der Mensch Gustav. Zu dem Forscher Gustav konnte ich eher eine gewisse Nähe aufbauen. Menschliche Wärme ist aber eine Eigenschaft, die ich beiden Protagonisten nicht bescheinigen kann.


    Der Sprachstil der Autorin hat mich sehr angesprochen. Besonders mit den überzeugend wirkenden Tagebüchern verstand sie es, mich zu fesseln und zu beeindrucken. Über ihre umfangreiche Recherche zeugt die umfangreiche Quellensammlung am Ende des Romans. Auch die Erläuterungen zu historisch verbürgten Personen war sehr aufschlussreich und vertiefte die informative Seite des Romans. Die dem Roman beigefügte Karte habe unzählige Male aufgeschlagen und bin der Route der Expedition im Geiste gefolgt.


    Susanne Amtsberg hat einen Roman über eine Expedition auf das Dach der Welt geschrieben, die es nie gab, es ist aber vorstellbar, dass sie genau so hätte gewesen sein können. Wer Abenteuerromane mag und auf große Emotionen verzichten kann, wird mit diesem Buch sicher ähnlich viel Lesefreude haben wie ich.


    Über die Autorin (Quelle: Aufbau Verlag)
    Susanne Amtsberg, geboren 1963, studierte Archäologie. Von 1995 bis 2003 veröffentlichte sie mehrere Kriminalromane. Sie wohnt und schreibt am Rhein.
    Sie gräbt im In- und Ausland.