Eisweihnacht - Ruth Berger

  • Aber wir sind uns ja im Prinzip einig, die Menschheit ist nun einmal nicht reformierungsfähig, neigt dem goldenen Kalbe zu, und man muß sie nehmen, wie sie leider ist, nicht wahr. (Seite 21)


    125 Seiten, farbig illustriert, gebunden
    Illustrationen von Andrea Offermann
    Verlag: Rowohlt Verlag (Kindler), Reinbek 2012
    ISBN-10: 3-463-40606-3
    ISBN-13: 978-3-463-40606-0



    Zum Inhalt (Quelle: eigene Angabe)


    Im harten Winter 1844 wird der zum Waisen gewordene Josua allein ein die Postkutsche nach Frankfurt gesetzt, damit er dort bei seinem Onkel lebe. Halb erfroren wird er von Elise, einer Kaufmannstochter, gefunden und mit nach Hause genommen. Diese soll auf Wunsch ihres Vaters einen ihr fremden, viel älteren Mann heiraten. So sucht Josua sein neues Heim und Elise nach einer Möglichkeit, der ungewollten Heirat aus dem Weg zu gehen. Beiden kann eigentlich nur ein Wunder helfen. Nur, gibt es Wunder überhaupt? Kurz vor Weihnachten stellt sich diese Frage vielleicht etwas anders als sonst im Jahr, und so dürfen wir mit den beiden auf ein solches hoffen.



    Über die Autorinnen


    Ruth Berger wurde 1967 in Kassel geboren und hat in Frankfurt/M. studiert. Die Historikerin hat etliche, meist historische, Romane veröffentlicht. Die Autorin lebt in Frankfurt.


    Andrea Offermann wurde 1980 in Köln geboren und studierte in Los Angeles. Sie arbeitet im Kunst-, Comic- und Illustrationsbereich. Mit ihrem Mann lebt sie in Hamburg.



    Meine Meinung


    „Eine Wundergeschichte“ nennt der Verlag dieses Büchlein, und das trifft es eigentlich recht gut. Denn auch wenn der Begriff „Weihnacht“ im Titel enthalten ist, würde ich persönlich es eher als Winter- denn als Weihnachtsbuch bezeichnen. Als Winter-Wunder-Geschichte allerdings hat es mir recht gut gefallen.


    Von dem edel ausgestatteten Bändchen geht eine eigenartige Faszination aus. Das fängt beim Titelbild an, geht beim Einband (Halbleinen! :-]) weiter bis hin zu Fadenheftung, dem angenehmen Satzspiegel und Druckbild und - nicht zu vergessen - den passenden Illustrationen, die so richtig dazu angetan sind, einen in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts zurückzuversetzen. Oder kurz gesagt: eine runde Sache - so sollen schöne Bücher aussehen. :-]


    Was mich positiv überrascht hat war, daß die Autorin auch für solch ein kleines Büchlein sehr auf stimmige Details geachtet hat. So habe ich gestutzt, als von einer Holzeisenbahn die Rede war. Man erinnere sich: die erste deutsche Eisenbahn fuhr im Jahre 1835, also neun Jahre vor den hier erzählten Ereignissen, zwischen Nürnberg und Fürth. Aber es stimmt: wie ich dem entsprechenden Wikipedia-Artikel entnehme, erhielt ein gewisser Johann Wolfgang von von Goethe bereits im Jahre 1829 ein Modell der Rocket (der ersten englischen Dampflok) geschenkt. Es gab also tatsächlich bereits Holzeisenbahnen! Oder ein paar Redewendungen, über die ich gestolpert bin, haben sich als ebenfalls treffend herausgestellt.


    Ruth Berger hat es geschafft, selbst in diesem nur 125 Seiten starken Büchlein in der Tat den harten Winter 1844 erstehen zu lassen. Unterstützt durch ihre, passend altertümlich wirkende, Sprache haucht sie längst vergangenen Tagen neues Leben ein und gibt ein Gefühl davon, wie es damals war. Sicher ist das nur ein sehr kleiner Ausschnitt, und gewißlich ist manches - das gehört zum Genre dazu - ab einem bestimmten Punkt vorhersehbar. Dennoch hebt sich das Büchlein wohltuend von vielen anderen ab: es verbindet eine „Winter-Wunder-Erzählung“ gekonnt mit einen historischen Roman. (Die Schreibweise der Autorin hat mir übrigens so gut gefallen, daß ich mir weitere Bücher von ihr besorgen werde.)


    Am Ende hatte ich das Gefühl, als ob ich die Figuren schon seit langer Zeit kennen würde, als ob sie zu meinem Freundeskreis gehören und ich sie, wenn ich wieder mal nach Frankfurt fahre, bei der Gelegenheit besuchen würde. Mit anderen Worten: die Autorin hat mich völlig in ihren Bann gezogen. Eben auch dadurch, daß die Ebene des tatsächlich Möglichen nie verlassen wurde, daß das Leben so geschildert wurde, wie es damals tatsächlich hätte sein können, und daß selbst die „Wunder“ sich in dieses nahtlos einfügen. Gegen Ende hat mich die Autorin dann nochmals völlig überrascht - und selbst diese Überraschung war höchst glaubwürdig.


    So hat dieses Büchlein die Erwartungen, die ich darein hatte, mehr als erfüllt, und ich werde das als Wintergeschichte sicherlich noch das eine oder andere Mal lesen.



    Kurzfassung:


    Eine Winter-Wunder-Geschichte aus dem eiskalten winterlichen Frankfurt des Jahres 1844, so recht für einen Winterabend geeignet. Leseempfehlung!
    .

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Herzlichen Dank für diese sehr schöne und aufschlussreiche Rezi. Das Buch wird dann auch sofort auf meiner Wunschliste landen.


    Wie gut, dass die Vorweihnachtszeit, bei aller überflüssigen Hektik, doch auch Zeit lässt für Besinnliches.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Nach drei Jahren lese ich nun endlich dieses zauberhafte Büchlein.
    Schon mit dem ersten Satz hat die Autorin mich regelrecht in das Buch hineingezogen und die winterliche Atmosphäre scheint so greifbar nah, dass man die aktuellen frühlingshaften Temperaturen vergisst. Auch zu den Charakteren konnte ich schon auf den ersten Seiten eine Beziehung aufbauen. Ein wirklich wunderschönes winterliches Wohlfühlbuch. :wave

  • "Eisweihnacht" spielt im Jahr 1844 in Frankfurt und im Mittelpunkt steht die dreißigjährige Elise Best, die noch unverheiratet zuhause lebt und seit Jahren ihrem verwitweten Vater im Geschäft hilft. Dieser Winter ist besonders kalt mit viel Schnee und Minustemperaturen wie schon seit Jahrzehnten nicht mehr. Darunter leidet auch das Geschäft und der Vater eröffnet Elise, dass sie kurz vor dem Konkurs stehen. Deswegen möchte er seine Tochter möglichst schnell verheiraten, damit sie versorgt ist. Der potentielle Ehemann ist ein Pfarrer aus Norddeutschland, verwitwet mit fünf Kinder und mindestens zwanzig Jahre älter als Elise. Nicht unbedingt das, was sie sich für die Zukunft erhofft.
    Während Elise versucht, irgendwie aus der Situation herauszukommen, steht die junge Marie mit dem kleinen Josua vor der Tür, halb erfroren und ohne Bleibe. Der Junge wurde nach dem Tod der Eltern von seiner Tante nach Frankfurt zu einem entfernten Verwandten geschickt, den er nicht kennt und dessen Adresse anscheinend auch nicht mehr stimmt. Elise nimmt die beiden auf und kümmert sich um den Waisenjungen, auch wenn der Vater nicht begeistert ist. Denn seit seine erste Frau an Weihnachten starb und die zweite ihn am Heiligen Abend wegen eines anderen verlassen hat, hat er für Weihnachten nichts mehr übrig und ist in dieser Zeit besonders schlecht gelaunt. Aber Elise ist froh über die Ablenkung, so kann sie den heiratswilligen Pfarrer noch etwas hinhalten. Und zum Ende gibt es noch eine große Überraschung für alle Beteiligten.


    Ich hatte das Glück dieses Buch als ME für 2 Euro zu erstehen. Und dies war mal ein Weihnachtsroman, der mir wirklich sehr gut gefallen hat. Eine wunderschöne Geschichte aus dem historischen Frankfurt, mit viel Herz, aber keineswegs kitschig. Auch Schmunzeln musste ich zwischendurch immer wieder, der Schreibstil der Autorin gefällt mir wirklich sehr gut. Ich hatte bisher noch nichts von Ruth Berger gelesen, aber ich glaube, das sollte ich ändern.
    Die ganze Aufmachung des Buches ist sehr schön und die Illustrationen sehr liebevoll und passend. So hätte ich mir Elise auch vorgestellt.
    Auch habe ich wieder etwas gelernt und zwar den Brauch des Frankfurter Quetschemännchens: Früher war es Brauch, dass junge Männer ihrer Angebeteten ein Quetschemännchen schickten. Wenn sie es behielt, dann konnte der Mann sicher sein, dass sie auch interessiert war. Schickte sie das Männchen allerdings zurück, dann war er abgeblitzt.


    Fazit: Eine wunderbare Weihnachtsgeschichte, die ich sehr gerne gelesen habe und die perfekt in diese Zeit passt. Und die rund 120 Seiten kann man gemütlich an einem Adventssonntag lesen.