'Die Insel der Orchideen' - Seiten 355 - 461

  • Zitat

    Original von chiara


    Das erging mir auch so. Mich beschleicht der Verdacht, dass Leah die Worte einfach nur auf das Papier gepinselt hat, aber es in Wahrheit gar nicht so gemeint hat. Durch den Brief hat sie immer noch eine gewisse Distanz erhalten.


    Ich denke schon, dass Leah ehrlich war, als sie die Zeilen schrieb. Sie war emotional extrem aufgewühlt und hatte sicher lichte Momente. Was sie nicht hatte, war Arsch in der Hose. Den Mut, zur Schwester zu gehen und eine Aussprache zu suchen. Es ist ein wiederkehrendes Motiv in Leahs Leben: Sie läuft weg, wenn's eng wird. Auf der einen Seite hat sie viel von dem, was eine strahlende Heldin ausmacht, aber eben auch einige nicht so schöne Charakterzüge.

    Ship me somewhere's east of Suez,
    where the best is like the worst,
    where there aren't no ten commandments
    an' a man can raise a thirst


    Kipling

  • In diesem Abschnitt hatte ich ebenfalls den Eindruck, dass noch einmal ziemlich auf die Tube gedrückt wird. Die Zeit schreitete in Riesenschritten voran, die Kinder werden größer, die Freundschaften enger, die Ehen kälter.


    Dass die Farnells nach England zurückkehrt, fand ich stimmig und gut. Da muss ja eine kontinuierliche unerträgliche Spannung zwischen den Familien geherrscht haben - und das über fünf Jahre, wenn ich richtig gerechnet habe.
    Der Tod des ältesten Sohnes hat diese Entwicklung sicher beschleunigt und letztlich zu einem unwiderruflichen Bruch zwischen den Eltern geführt. Ein bekanntes Motiv: statt gemeinsam Trauerarbeit zu leisten, gibt es Schuldzuweisungen. Die Umstände von Wilsons Tod fand ich persönlich jedoch irgendwie unfreiwillig komisch (deswegen auch meine Titelwahl), so tragisch es auch im Ergebnis sein mag.
    Gut fand ich dagegen, dass parallel zum Sterben des Sohnes Amelia in den Wehen lag und zu allem Überfluss ihre Rivalin ihr beisteht. Die absolut beklemmende Atmosphäre im Hause Farnell kam großartig rüber.


    Meiner Meinung nach wäre es allerdings nicht unbedingt erforderlich gewesen, dass Amelia noch das Gespräch zwischen ihrem Mann und Friedrich mitbekommt und zur Erpresserin werden muss, damit sie endlich Singapur verlassen kann. Ist fast ein bisschen melodramatisch.
    Auch dass Friedrich ein Freudenmädchen halbtot schlägt, ist fast zuviel des Guten. Mal ehrlich, der Kerl hat ja gar nichts Positives mehr an sich: er ist feige, ein Lügner, ein Versager, gewalttätig, ein Trinker, untreu, ein Drogenabhängiger, potentieller Totschläger und psychisch labil. Nur zwei von diesen Eigenschaften dürften genügen, um eine gute Ehe zum Scheitern zu bringen. Muss es beziehungstechnisch wirklich so knüppeldick für die arme Johanna kommen? Dagegen muss ihr ja der grundsolide Henry wie der Traummann par excellence vorkommen.


    Eindrucksvoll fand ich jedenfalls das Auf und Ab in der Szene zwischen Henry und Friedrich. Langmut und Vernunft treffen auf völlige Zerrissenheit und Hoffnungslosigkeit. Ich mag Momente, in denen man tief in die Seelen der Figuren blicken kann.


    Auf der anderen Seite der Welt hat sich Leah inzwischen als Baroness eingerichtet. Wer hätte das gedacht? Aber da die gesellschaftlichen Konventionen in jedem Winkel lauern, verkörpert durch die furchtbare Schwiegermutter, schafft sie sich ihre Fluchten und dies einmal sogar ganz im wortwörtlichen Sinn. Die Liverpool-Szene hat mir sehr gut gefallen. Sehr anrührend, aber vor allem sehr aussagekräftig, was Leahs Entwicklung angeht. Sie begreift endlich, das sie nicht immer mit dem Kopf durch die Wand kann, weil sie dadurch Menschen, die ihr viel bedeuten, unendlich verletzt. In Bezug auf Johanna kann sie ihren Schweinehund allerdings nicht überwinden und die Hand persönlich zur Versöhnung ausstrecken. Immerhin tut sie es brieflich. Ihr Ausrasten, als sie die Zusammenhänge um Lily erkennt, fand ich im ersten Moment ziemlich übertrieben, doch eigentlich ist dies die einzige Möglichkeit der Reaktion, die ihrem Wesen entspricht. Was folgt sind die klassischen Verwicklungen: Verpasste Chancen und Missverständnisse.


    Schön ist, dass Boon Lee in diesem Abschnitt wieder auftritt. In den früheren Kapiteln war er nicht ganz fassbar für mich, nun hat er deutlich dazugewonnen, ist eine eigene Persönlichkeit; wahrscheinlich, weil er nicht länger von dem Temperamentsbündel Leah überschattet wird.


    Was noch? Johanna gründet ein Hospital und engagiert sich dort nach Kräften; sicher auch eine Kompensation für ihr desolates Eheleben. Dass das Krankenhaus abbrennt, hätte aber wirklich nicht sein müssen, eine unnötige Pirouette, die weder der Geschichte an sich mehr Spannung verleiht noch die Ablehnung der anderen Leute in der europäischen Community verdeutlicht (Stichwort: Brandstiftung). Das kommt bereits ausreichend durch das Verhalten der Harringtons gegenüber Lily und Dinah zum Ausdruck.
    Weshalb eigentlich Dinah und Wilson? So hießen doch die Katze von Alice im Wunderland und der Fußball von Tom Hanks in "Lost". :gruebel


    Das Buch näherte sich nun allmählich dem Ende. Mal sehen, wie die losen Enden zusammengeknüpft werden. Werden Johanna und Leah sich wiedersehen und versöhnen? Wird Lily erfahren, dass Leah ihre Mutter ist? Wird Friedrich den Opiumtod sterben und Henry nach Singapur zurückkehren? Wird das Krankenhaus ein zweites Mal abbrennen? ;-)
    Es bleibt spannend.

    :flowersIf you don't succeed at first - try, try again.



    “I wasn't born a fool. It took work to get this way.”
    (Danny Kaye) :flowers

  • Puh, in diesem Abschnitt ist einiges passiert, die Zeitsprünge waren enorm. Mir hat's trotzdem gut gefallen. Ich bin nach wie vor eine Leah Freundin, auch wenn sie oft unvernünftig und egoistisch handelt. Sie läuft weg, ohne Rücksicht auf Verluste, sie geht lieber den Weg des geringsten Widerstandes als sich der Sitation zu stellen. Als sie Bertrand verlassen will und auch noch den gemeinsamen Sohn mitnimmt, hätte ich sie gerne schütteln mögen. Sie weiß doch wen sie geheiratet hat, den Sohn eines Grafen ,der sich sicherlich, insbesondere in der Heimat England an gewisse Regeln zu halten hat. Wie schön, dass sich die Beiden wieder zusammengerauft haben.
    In diesem Abschnitt, wird auch sehr deutlich, dass Johanna mit Friedrich keine gute Wahl getroffen hat, in diesem Mann steckt nun gar nichts Gutes mehr. Leider war zur damaligen Zeit eine Trennung nicht möglich oder schwierig und mit schwerwiegenden Folgen durchsetzten. Ich bewundere Johannas Loyalität die sich nicht nur gegenüber Friedrich, sondern auch der Mutter zeigt. Loyal ist auch Mercy die ich besonders ins Herz geschlossen habe, Johanna kann sich glücklich schätzen, ein solch gute Freundin an ihrer Seite zu haben. Aber auch Henry scheint das Wort Freundschaft verstanden zu haben, ohne ihn wäre es Friedrich und damit auch der gesamten Familie Trebow sehr viel schlechter ergangen.
    Was mich auch wunderte, war das man schon damals erkannt hatte das Alwine an Brustkrebs erkrankt war und Brustamputationen möglich waren. Wieder etwas dazu gelernt. ;-)

  • Da ich unbedingt gleich noch ein wenig auf die Couch will, um mich in den nächsten Abschnitt zu vertiefen, halte ich mich ganz kurz.


    Ich stecke im lesesog, und daher möchte ich die spärliche Lesezeit, die der Alltag übriglässt, nutzen.:-)


    Im Mittelpunkt steht für mich weiterhin die Schwesternbeziehung, Johanna ist für mich eindeutig die Stärkere von den beiden. Dieser tolle Satz von Onkel Koh kok trifft es auf den Punkt. Wegrennen ist so viel leichter, als sich der Situation zu stellen, und dass Leah lieber rennt, hat sie auch hier wieder zur Genüge bewiesen. Und doch mag ich sie in ihrer unangepassten Art.


    Johanna dagegen stellt sich den Dingen und bewirkt damit so viel: sie schafft es, eine Klinik aufzubauen, um den Armen, die eigentlich jeder ignorieren möchte, zu helfen.


    Und nun bin ich gespannt, was der letzte Abschnitt mit sich bringt.

  • Bin wie immer ein Nachzügler.


    Da sich auch in diesem Abschnitt sehr viel ereignet hat und meine Mitleser schon das meiste geschrieben haben, möchte ich nur das schreiben was mich in diesem Abschnitt am meisten bewegt hat.


    Ich bewundere Johanna für ihr Engagement, dass Sie die Klinik aufgebaut hat und habe es so bedauert, dass alles wieder zerstört wurde.


    Viele Grüße :wave

  • Man ist das spannend.


    Johanna gefällt mir immer besser. Sie wächst über sich hinaus. Ich finde es toll, dass sie eine neue Aufgabe gefunden hat, die sie ausfüllt und sie sich um die kranken Frauen kümmert. Auch, dass sie den Kontakt zum Geschichtenerzähler wieder hergestellt hat und auch stellt sie langsam Kontakte zum chinesischen Viertel her, finde ich total schön. Langsam öffnet sie sich. Das lenkt sie doch von allen den Dingen um Friedrich ab und da sie ja nun nicht mehr ihre Mutter pflegen muss, ist das eine schöne Aufgabe. Das ist etwas, was sie wirklich gut kann. Aber sie stand ja immer unter dem Bann von Friedrich und ihrer Mutter. Da kam sie nicht raus … das hat sich Gott sei Dank geändert und sie entwickelt sich zu einer eigenständigen, starken Frau. Toll.


    Leah erfährt nun, dass sie eine Tochter hat, kann sich aber nicht so recht durchringen, Frieden mit Johanna zu schließen. Aber der erste Schritt ist getan. Soifz. Manchmal könnte ich sie echt durchschütteln. Sie soll nicht so egoistisch sein. Die Zeit ist lang genug gewesen um wenigstens einigermaßen Frieden zu finden, jetzt, wo doch ihr Leben trotz allem eine so schöne Wendung genommen hat.


    Du stellst Lily wirklich sehr schön dar. Die Mischung aus Chinese und Europäer ist sehr gut nachvollziehbar und auch das sie so einen starken Charakter aufweist und sich durch ihre Stellung als Eurasierin nicht so schnell aus der Ruhe bringen läßt. Auch das sie sich so für die Kranken einsetzt. … Ach ein wunderschöner Abschnitt. Vor allem, weil Alwine es noch geschafft hat, die Wahrheit über die angebliche Totgeburt und Lily aufzuklären. Das hat bestimmt ne Menge Mut gefordert. Und nun wächst sie bei Johanna auf … hach … soifz …


    So … nun aber ans Eingemachte … den Schluß. Bin echt mal gespannt. Da ist ja doch noch einiges offen *hibbel*, gerade bezüglich Leah und Henry.

    :lesend Sven Koch - Dünensturm

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    Hörbuch: Jean-Luc Bannalec - Bretonische Idylle

    Hörbuch: Judith Lennox - Die Jahre unserer Freundschaft

    SuB: 321

  • Liebe Schubi,
    ich hatte deine Postings natürlich längst entdeckt und mich auch riesig gefreut, dass ich dich so prima an die Angel bekommen habe.
    Ich weiß gerade gar nicht so recht, was ich noch schreiben soll (wenn du Fragen hast, her damit – das macht es für mich einfacher :-)), denn es ist ja schon eine Menge zu den einzelnen Abschnitten gesagt und gedeutet worden ...


    Ich sag jetzt einfach mal: Viel Spaß mit dem Ende!
    Liebe Grüße von Deiner SteffiB

    Ship me somewhere's east of Suez,
    where the best is like the worst,
    where there aren't no ten commandments
    an' a man can raise a thirst


    Kipling