Der stille Don (Tichij Don)

  • Vielleicht wenn ich mein Leben von vorne anfangen könnte, vielleicht würde ich anders werden. (Darja, 3. Teil)


    Originaltitel: (Tichij Don)
    Regisseur: Sergei Appolinarijewitsch Gerassimow
    Darsteller: Pjotr Glebow, Sinaida Kirijenko, Alexander Blagowestow, Elina Bystrizkaja, Daniil Itschenko, Anastassia Filippowa, Nikolai Smirnow, Alexander Schatow, Igor Dimitrijew, Viliam Schatunowski u. v. a.
    Sprache: Deutsch
    Laufzeit: Film ca. 330 Minuten
    Bonusmaterial: ca. 71 Minuten. Dokumentation von 1958 „Ein Film entsteht“; Filmpublizist Ralf Schenk über „Der stille Don“; Die singenden Kosaken, Dokumentation von 2006; Bildergalerien; Begleitheft
    FSK: ab 16
    Erschienen: Film: 1957/1958 / DVD: 2007


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    Weitere Angaben im Internet:
    - < Klick > - die Seite bei Ost-Film dazu
    - < Klick > - die Seite bei imdb.com (mit kompletten Cast & Credit)
    - < Klick > - die Wikipedia-Seite zum Buch



    Kurzinhalt


    1912. Grigori Melechow beginnt ein Verhältnis mit der verheirateten Nachbarin Axinja. Aus Familienräson wird er gezwungen, Natalja zu heiraten. Doch diese Ehe widerstrebt ihm, und er verläßt Tatarsk mit Axinja, um auf dem Gut Listnitzki zu arbeiten. Von dort wird er zum Militärdienst eingezogen, während dem der 1. Weltkrieg beginnt. Aus dem bisher sicher Geglaubten wird Unsicherheit.
    Krieg, Revolution, Gegenrevolution und Bürgerkrieg fegen gleich einem Orkan über Land und Leute hinweg. Für die, welche überleben, wird nichts mehr so sein wie zuvor. Es ist ein weiter und schmerzhafter Weg, gesäumt von Leid und vielen Gräbern, bis „Ende“ auf dem Bildschirm erscheint.




    Meine Meinung


    Läßt sich ein gewaltiges Werk wie „Der stille Don“ eigentlich angemessen verfilmen? Letzte Woche habe ich mir die neuere Verfilmung von 2006 (siehe weiter unten) angesehen und mit Erstaunen festgestellt, daß nur wenig davon in meinem Gedächtnis haften geblieben ist, um es mit dieser Version vergleichen zu können. Grigori Melechow und Jewgeni Listnitzki sind vom Typ her in beiden Versionen sehr ähnliche Schauspieler, die sehr gut zu ihren Rollen passen. Aber bewußt mehr vergleichen geht im Moment nicht.


    Ob das auch damit zu tun hat, daß diese sowjetische Verfilmung ungleich authentischer wirkt als die neuere? Ich hatte von einem „Hallmark-Feeling“ geschrieben, was man von dieser Version überhaupt nicht sagen kann. Im Buch liest man viel von den Gerüchen und Unmengen von Alkohol, die vernichtet werden. Beides kommt im sowjetischen Film gut durch. Bei der Hochzeitsszene von Grigori und Natalja etwa ist der Raum dermaßen voll, daß man die stickige Luft förmlich mit Messern schneiden kann. Und auch die im Buch öfters erwähnten Kosakentänze finden sich in den passenden Szenen.


    Ähnlich für beide Filme ist mMn jedoch, daß man gut daran tut, zunächst das Buch zu lesen. Noch mehr als die spätere Verfilmung hatte ich hier den Eindruck, eine Art „Episodenfilm“ zu sehen. Die Erzählung wirkte auf mich irgenwie, hm, abgehackt. Es wurde Episode an Episode gereiht, ohne daß die Übergänge bzw. Zusammenhänge sofort erkennbar bzw. verständlich gewesen wären. Hätte ich das Buch nicht immer noch präsent, wäre ich vermutlich manches mal ins Schleudern geraten.


    Es gibt im Verlauf der drei Teile 50 Haupt- und 200 Nebenrollen. Kein Wunder, daß mich diese schier unübersehbare Zahl von Darstellern streckenweise etwas überfordert hat, zumindest beim ersten Ansehen jetzt. Denn mit ihren Bärten und Uniformen, die Frauen meist mit Kopftüchern, sahen sie - für mein Auge - sich oft (zu) ähnlich, so daß mir das Auseinanderhalten, wer denn nun wer ist, nicht immer gelang. Allerdings - dies sei erwähnt - sind die Rollen durchweg hervorragend besetzt, vom Aussehen als auch vom schauspielerischen Können her gesehen. Zumindest Ersteres ist nicht verwunderlich, erfährt man im Bonusmaterial doch, daß Scholochow Einfluß auf die Besetzung genommen hat, es also durchaus zu erwarten ist, wenn Figuren im Film so aussehen, wie man sie sich beim Lesen vorgestellt hat. Vor allem Pantelej Prokofjewitsch ist ein Original: er schimpft, flucht und haut um sich, daß es - zumindest für den Zuschauer - eine wahre Wonne ist.


    Oder der Darsteller des Grigori. Es war seine erste große Filmrolle. Und jetzt, da ich dies zum ersten Mal sehe, ist er bereits seit rund zwölf Jahren tot, wie die meisten der Darsteller nicht mehr unter den Lebenden weilen. Warum es mir gerade bei diesem Film so seltsam anmutet, vermag ich momentan nicht nachzuvollziehen, trifft das doch auch auf alte deutsche oder amerikanische Filme zu. Hier spielt die Generation meiner Eltern in ihren jüngeren Jahren und Großeltern; noch nie ist mir das so bewußt gewesen.


    Der Film selbst wirkte auf mich sehr ähnlich wie das Buch: über weite Strecken fühlte ich mich als stiller(!) Beobachter, ohne emotional zu sehr belastet zu sein, um dann immer wieder zwischendurch plötzlich von einer Szene dermaßen kalt erwischt zu werden, daß es nicht verkehrt war, alleine vor dem Bildschirm zu sitzen und ein Taschentuch greifbar zu haben.


    Gerassimovs Film entstand zum 40. Jahrestag der Oktoberrevolution; an manchen Stellen ist dabei durchaus eine Einseitigkeit zugunsten der Roten bzw. der kommunistischen Ideologie zu bemerken. So sieht man zwar die Kirche von Tatarsk, jedoch taucht im Verlauf des ganzen Filmes (im Gegensatz zum Buch) kein einziger Pope auf. [sp]Auch die Hochzeit von Dunjaschka mit Mischa Koschewoi etwa fehlt: Dunjaschka sagt zwar, daß die in der Kirche stattfinden muß, doch in der nächsten Szene sind sie schon verheiratet, ohne daß diese im Buch beschriebene Hochzeit zu sehen gewesen wäre.[/sp] Manche Kriegseinstellungen oder Reden an Soldaten oder Volk sind eindeutig Pro-Sowjets gedreht, was nicht anders zu erwarten war. Dennoch zeigt der Film recht deutlich, daß eine reine Schwarz-Weiß-Malerei nicht stimmt, weder für die Roten noch für die Weißen. Auf beiden Seiten gibt es Täter und Opfer, Gute und Böse.


    Inzwischen habe ich einiges über den 1. Weltkrieg gelesen. Dennoch hat es dieser Film geschafft, mir drastisch vor Augen zu führen, wie hier eine fast schon archaisch zu bezeichnende Kriegführung auf den ersten modernen industriellen Krieg trifft. Mit Lanzen und Säbeln greifen die Russen die Österreicher an, gehen sie aufeinander los. Und dazwischen dann Autos, Kanonen, Maschinengewehre. Eindrucksvoller hätte der damals stattfindende Umbruch nicht in Szene gesetzt werden können. Lieber nicht möchte ich erwähnen, wie in den Kampfszenen die Pferde zu Fall gebracht wurden, in der Dokumentation wird das gezeigt.


    Verwiesen sei noch auf das Bonusmaterial, das sehr lohnenswert ist. Man erfährt von Problemen beim Dreh (etwa einem sehr heißen Sommer mit Temperaturen um die 40 Grad), oder auch wie „Trickaufnahmen“ entstanden. Gerade Letzteres ist für uns Heutige interessant: mit welch einfachen Mitteln solche gewaltigen Effekte erzielt werden konnten. Hut ab vor dem Team, das das zustande gebracht hat (doch auch das gilt sinngemäß für andere Filme aus der Zeit). Oder auch, daß jeder der drei Teile alleine in der Sowjetunion etwa 47 Millionen Zuschauer (im Kino) hatte.


    Das Fazit für diesen Film, welches Ralf Schenk zieht, ist, daß bei jedem Krieg, bei jeder Revolution das Individuum Schaden davon trägt. Jeder Krieg fordert auf allen Seiten Opfer, greift in das Leben der Familien wie des Individuums ein und „hinterläßt am Ende solche tiefen Spuren, daß vielleicht nicht einmal mehr Hoffnung bleibt.“


    Aber vielleicht die Hoffnung, daß durch eben diese Hoffnungslosigkeit Menschen aufgerüttelt werden, den Ursachen dieser Hoffnungslosigkeit zu begegnen und dagegen anzugehen. Um der Hoffnung eine Chance zu geben.



    Kurzfassung:


    Eine beeindruckende Umsetzung des Buches in einen gewaltigen Film, der sich bis auf wenige Ausnahmen eng an die Vorlage hält. Auch - oder gerade? - heute sehenswert.
    .

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

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  • Originaltitel: Quiet Flows The Don
    Regisseur: Sergei Fjodorowitsch Bondartschuk
    Darsteller: Rupert Everett, Delphine Forest, F. Murray Abraham, Natalya Andreychenko, Alyona Bondarchuk, Vladimir Gostyukhin, u. v. a.
    Sprachen: Deutsch, Englisch; optionale dt. UT
    Laufzeit: ca. 180 Minuten
    FSK: 12
    Erschienen: Film (TV): 2006 / DVD: 2011


    Weitere Angaben im Internet:
    - < Klick > - die Seite bei imdb.com (mit kompletten Cast & Credit)




    Kurzinhalt


    Der Kosak Grigori liebt die verheiratete Axinja, muß aus Familienräson jedoch Natalja heiraten.
    Fortan wird er zwischen diesen beiden Frauen stehen. Während er seinen Militärdienst ableistet, bricht der 1. Weltkrieg aus, der in die Russische Revolution übergeht. Grigori ist mitten drin im Geschehen, auf Seiten der Weißen wie der Roten, und muß, wie seine Familie auch, sehen, wie er im Krieg und den sich ändernden Zeiten überlebt.
    Es sind Jahre voller Kampf, die ihn praktisch alles kosten werden.



    Meine Meinung


    Nachdem ich kürzlich das Buch gelesen habe, wollte ich auch die Verfilmungen kennen lernen. Diese sah ich zuerst, einfach weil sie die kürzere ist und sich das zeitlich einrichten ließ.


    Das Buch hatte ich noch sehr präsent, was von großem Vorteil war, da ich ansonsten möglicherweise Schwierigkeiten bekommen hätte, der Handlung zu folgen. Diese hält sich zwar recht eng an die literarische Vorlage, jedoch ist es schier unmöglich, ein 1.600 Seiten Buch vollständig in einem drei-Stunden-Film wiederzugeben. Dem sind einige Figuren (etwa Buntschuk) oder auch Handlungsstränge (z. B. Axinjas Erkrankung) zum Opfer gefallen, dennoch ist der Gesamtbogen der Erzählung gut getroffen. Was mir etwas gefehlt hat, waren Übergänge zwischen Episoden bzw. ein paar erläuternde Worte aus dem Off, die die Lücken andeuten und so den Fortgang der Geschichte besser verständlich machen. Manche Figuren tauchten einfach auf, ohne daß sie näher vorgestellt wurden.


    Laut imdb.com ist die russische Fassung 364 Minuten lang, also rund doppelt so lange. Ich vermute, daß diese Kritikpunkte auf selbige nicht zutreffen würden.


    Streckenweise hatte ich das Gefühl, eine Hallmark-Verfilmung zu sehen. Im Buch liest man viel über die (fehlenden) hygienischen Zustände damals, über Gerüche und die Unmengen von Alkohol, die „vernichtet“ wurden. Im Film kommen diese Aspekte eher nicht vor; wie ich an anderer Stelle mal schrieb: es war immer genug Zeit, vor dem Einschalten der Kamera noch die Hände zu waschen und die Haare zu kämmen, man will ja gut aussehen. ;-)


    Das klingt jetzt möglicherweise negativer, als es gemeint ist. Der Film an sich hat mir gefallen, das Buch und seine Stimmung wurden gut getroffen, wozu sicher half, daß viele Außenaufnahmen genau dort gedreht wurden, wo die Handlung spielt: im Don Gebiet. Auch die Musikuntermalung, die die Stimmungen aufgreift und untermalt, soll nicht vergessen werden. Besonders erwähnen möchte ich, daß an einigen Stellen historische Filmaufnahmen (etwa vom Beginn des 1. Weltkrieges) in den Film eingebaut, die sehr geschickt integriert wurden.


    Die Rollen fand ich übrigens sehr gut besetzt; beim Lesen habe ich mir die Figuren ziemlich genau so vorgestellt, wie sie hier im Film aussahen.


    Ein Film, der den 1. Weltkrieg, die Russische Revolution sowie Gegenrevolution zum Inhalt hat, besteht naturgemäß zu weiten Teilen aus Kriegsdarstellungen. Diese haben für mein Dafürhalten die Balance, was man in so einem Film darstellen kann bzw. sollte, gut gehalten, so daß man zwar eine ziemlich gute Vorstellung bekam, eine „Abstumpfung“ oder Gleichgültigwerden gegenüber dem Schlimmen, was sich da abspielt nicht eintrat. Und auch, wenn ich wußte, wie der Film ausgehen würde, half, als es dann soweit war und das genau wie im Buch beschrieben ablief, dieses Wissen nicht mehr viel ... :cry


    So bleibt am Ende eine unübersehbare Schar von Gräbern, zerstörte Familien und Dörfer, ein von Krieg und Leid verwüstetes Land. Und immer noch fließt still der Don.



    Kurzfassung:


    Eine relativ werkgetreute Verfilmung, die etwas „modern“ wirkt. Um der Handlung folgen zu können, ist es gut, das Buch zu kennen.
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    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

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  • Hier der Vollständigkeit halber noch die DVD der sowjetischen Fassung mit russischen Originalton und deutschen Untertiteln.
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    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Ich bin gespannt, was du zu den anderen filmischen Umsetzungen sagen wirst.
    Selber stehe ich Literaturverfilmungen ja eher kritisch gegenüber. Vielleicht habe ich einfach schon zu viele schlechte Umsetzungen gesehen.

  • Zitat

    Original von Clare
    Ich bin gespannt, was du zu den anderen filmischen Umsetzungen sagen wirst.


    Ich auch. ;-)


    Allerdings gibt es derzeit nur zwei Verfilmungen auf DVD; die des ersten und dritten Posts unterscheiden sich nur durch die Sprache (Deutsch / Russisch), es ist der selbe Film. Es gibt eine weitere Verfilmung aus dem Jahre 1931 (>hier die Angaben bei imdb.com<), jedoch mW derzeit als DVD nicht erhältlich.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Gestern Abend bis in die heutigen frühen Morgenstunden habe ich mir den sowjetischen Film angesehen (siehe ergänztes Eingangspost). Ein Vergleich der Versionen fällt mir, auch das schrieb ich, derzeit schwer. Im Moment würde mich die Originalversion in russischer Sprache interessieren. Oder die russische Langversion der 2006er Verfilmung. Mal sehen, ob und wo die aufzutreiben ist.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")