Kurzbeschreibung:
Die Reise beginnt nicht mit dem gebuchten Flugzeug und die Landung auf einem winzigen Flughafen am Schwarzen Meer ist unplanmäßig. Wie die Passagiere aus Paris dennoch irgendwann nach Sofia gelangen, ist abenteuerlich. Doch Angelika Schrobsdorff trägt das alles mit Humor. Sie kennt die Verhältnisse, hat sie doch als Kind mit ihrer Mutter, einer deutschen Jüdin, acht Jahre als Emigrantin in Bulgarien gelebt. Sehnsüchtig wird sie von ihrer Jugendfreundin Ludmila erwartet, die alsbald zu einem Gegenbesuch nach Paris aufbricht. Die Begegnungen zwischen den beiden Jugendfreundinnen werden zum Ausgangspunkt amüsant geplauderter, aber mit analytischer Ironie erfasster Beobachtungen über Konsum und Liebe, Freiheit und Glück in Ost und West.
Über die Autorin:
Angelika Schrobsdorff wurde am 24. Dezember 1927 in Freiburg im Breisgau geboren.1939 musste sie mit ihrer jüdischen Mutter aus Berlin nach Sofia emigrieren. Ihre Großeltern wurden in Theresienstadt ermordet. 1947 kehrte sie aus Bulgarien nach Deutschland zurück. Ihr erster Roman, 'Die Herren', sorgte 1961 wegen seiner Freizügigkeit für Aufruhr. 1971 heiratete sie in Jerusalem den Filmemacher Claude Lanzmann, wohnte danach in Paris und München und beschloss 1983, nach Israel auszuwandern. Seit 2006 lebt sie wieder in Berlin.
Meine Rezension:
25 Jahre ist es her, seit die Autorin ihre Jugendfreundin Ludmila in Bulgarien zurückgelassen und in den Westen ausgewandert ist. In den frühen 80er Jahren lebt sie in Paris und macht sich auf zu einem Besuch in ihre alte Heimat, die ihr als Kind und Jugendliche mehrere Jahre lang Schutz vor den Verfolgungen der Nationalsozialisten gegeben hat. Schon die titelgebende Reise nach Sofia, die das erste Drittel des Buches ausmacht, ist abenteuerlich und für Menschen aus dem Westen, für die Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit selbstverständlich sind, nahezu nervenzerreißend - wenn auch zugegebenermaßen, zumindest aus der Entfernung als Leser betrachtet, ebenso amüsant. Endlich in Sofia angekommen, verbringt man zusammen mit Angelika einen Tag in der Wohnung der alten Freundin, in der sich zahllose Menschen einfinden und den Einbau eines neuen Boilers feiern, wie im zweiten Drittel des Buches sehr anschaulich und humorvoll erzählt wird. Im letzten Drittel besucht Ludmila ihrerseits ihre alte Freundin Angelika in Paris und erleidet dort angesichts der totalen Freiheit und des endlosen Konsums einen "Schock des Westens".
Sozialistischer Osten und kapitalistischer Westen - das sind die Gegensätze, die im Mittelpunkt der Geschichte stehen und die beide Freundinnen auf unterschiedliche Weise geprägt haben. Ob da oder dort, dank Angelika Schrobsdorffs warmherziger Erzählweise, in der kritische Untertöne stets mit einem Augenzwinkern versehen sind, macht es Spaß die beiden Freundinnen in ihrer jeweiligen Lebensumwelt zu begleiten und einen kleinen Eindruck von der so völlig unterschiedlichen Lebensweise zu bekommen. Wer den Ost-/West-Konflikt noch hautnah miterlebt hat oder aus anderen Quellen einiges über das Leben vor und hinter dem eisernen Vorhang weiß, wird hier sicher wenig Neues erfahren und hätte sich gewünscht, etwas mehr über die Frauen selbst, ihre ganz persönliche Geschichte und ihr Privatleben erfahren, doch das wird lediglich kurz angedeutet. Nichtsdestotrotz ist die "Reise nach Sofia" das Abbild eines kleines Stücks Zeitgeschichte, das nicht in Vergessenheit geraten sollte und das auch heute noch durchaus zum Nachdenken anregt.
7 Punkte von mir.