Diskussion zu "Heinz Buschkowsky - Neukölln ist überall"

  • Ich habe von dem Buch bis jetzt nur den Anfang gelesen, kann also nur bedingt mitreden.
    Allerdings arbeite ich an einer sogenannten Brennpunktschule.
    Der Schlüssel liegt meiner Erfahrung nach in der Bildung. Kinder aus sogenannten "bildungsfernen Elternhäusern" haben bei der Einschulung massive sprachliche, kognitive, grob- und feinmotorische Schwierigkeiten, wenn es schlimm kommt auch alles auf einmal. In manchen Elternhäusern wird kaum miteinander gesprochen oder Zeit mit den Kindern verbracht. Jeder lebt vor seiner Playstation vor sich hin, mal ganz platt gesagt. Und da ist das Herkunftsland erst einmal zweitrangig. Es gibt deutsche Kinder, die auch nur rudimentäre Sprachfetzen beherrschen.
    Es gibt Kinder, die ihre Muttersprache sehr gut beherrschen, lernen auch schnell eine zweite, dritte oder vierte Sprache. Das habe ich alles in meiner Klasse.


    Ein weiteres Problem ist, dass sich die sozialen Schichten in unserer Schule kaum vermischen. D.h. es gibt unter den Kindern kaum positive Beispiele. Und Kinder lernen am besten voneinander. Also auch die negative Sozialisation.


    Spielen ist eine der wichtigsten Fähigkeiten, die ein Kind für die Schule können sollte. Ihc könnte heulen, wenn ich Kinder sehe, die nicht spielen können, weil sie nur berieselt werden. Da ist Frust schon früh vorprogrammiert.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Zitat




    Es ist sicherlich nicht falsch, Kinder aus verschiedenen Lebensbereichen zusammen einige Zeit verbringen zu lassen.


    Das stimmt natürlich, aber die Schule halte ich für noch wichtiger.
    Ich frage mich eben, ob man Integration "verordnen" kann. Natürlich ist sie absolut vonnöten, aber ich fürchte, wenn sie qua Geld o.ä. durchgeboxt werden soll, wird der Schuss nach hinten losgehen.
    Löblich ist aber, dass es nach gefühlten 50 Jahren Gastarbeit nun staatl. Deutschkurse gibt.


    Zurück zum Thema: Wie gesagt, die Denke "Neukölln ist überall" halte ich für nicht so ganz zutreffend.

    "Literatur ist die Verteidigung gegen die Angriffe des Lebens."


    "...if you don't know who I am - then maybe your best course would be to tread lightly."


  • Total interessant.
    Kenne das fett gedruckte auch von m. Nachhilfekindern. Manchmal ist es nicht mal Absicht; die Eltern malochen halt den ganzen Tag, z.B. als Reinigungskräfte.

    "Literatur ist die Verteidigung gegen die Angriffe des Lebens."


    "...if you don't know who I am - then maybe your best course would be to tread lightly."

  • Zitat

    Original von newmoon
    Zurück zum Thema: Wie gesagt, die Denke "Neukölln ist überall" halte ich für nicht so ganz zutreffend.


    Und das so einfach als Behauptung und ganz ohne Begründung? Einfach, weil es das eventuell in Stuttgart nicht gibt?


    Aber die beiden Beiträge von Bodo und Regenfisch finde ich klasse und kann ihnen nur uneingeschränkt zustimmen.

  • Ich kenne das Buch nicht, und ich war weder in Neukölln, Altkölln oder Geradeerstgebautkölln - ich arbeite in Laatzen, dem südlcihen Arschende von Hannover.
    Neulaatzen - wenn man es gegenüber dem tatsächlich existierende Altlaatzen (der alte Ortkern des gleichnamigen Dorfes ) abgrenzen will hat einen sehr hohen Ausländeranteil (Ja, mir ist bewusst das der Begriff "Ausländer" von der Liga der politisch Korrekten gerade geächtet wurde - für mich sind das die selben Leute die den Roman "10 kleine Negerlein" wegen des rassistischen Titels umbenennen wollen)


    Viele meiner Kunden kommen aus dem arabisch-kleinasiatischen Raum (Türken, Kurden, Iraner, Iraker, Syrer usw....) und sind die nettesten, humorvollsten und großartigsten Kunden die man sich wünschen kann!!!!
    Nur von diesen Leuten ausgehend müsste man schließen, das der Islam nicht nur eine tolerante, sondern auch eine sehr humorvolle Religion ist. (Ich habe tatsächlich mehr als ein Mal mit Muslimen Religionswitze - konfessionsübergreifend - ausgetauscht!!!!)


    Aber es gibt unter ihnen auch noch die "Arschloch-Fraktion"


    Ich bin von meinen Eltern als toleranter Mensch erzogen worden. Ich achte alles "Fremde" erst einmal vorbehaltslos mit der Toleranz, die mir geboten erscheint.


    Aber irgendwann ist Schluß!!!


    Wenn ich einen höchstens 5 jährigen seinen Freunden erzählen höre, das die Deutschen alle doof wären und man die gut abzocken" (O-Ton!!!) könne, dann ist es genug!
    Wenn Grundschüler die erste Klasse durchlaufen können, ohne ein Wort Deutsch zu sprechen, ist es genug!!!
    Der Kuschelkurs hat sich nicht bewärt - Zeit für was Neues!!!


    Es geht mir nicht nur um den kleinen Kreis von "für Integration Nicht Erreichbaren" - FINE - es geht mir auch um die Vielen, die unter den Wenigen zu leiden haben!


    Die Namen mögen verschieden sein - doch die Probleme sind so unterschiedlich sicher nicht!

  • Die Beispiele von Bodo machen es deutlich und es ist in dem einen oder anderen Beitrag auch schon genannt worden: Es geht nicht in erster Linie um Ausländer/ Migranten/ Nicht-von-Geburt-an-Deutschen, sondern um bildungsferne Menschen. Dazu zählen streng genommen auch politisch Extreme oder allgemein Arbeitsunwillige.


    Warum darf nicht jeder so leben wie er will? Darf er doch. Gefährlich ist es nur, wenn es zu viele werden. Oder es müssten radikal die Sozialsysteme aufgebrochen werden. Ja, es wird irgendwann ein ökonomisches Problem werden. Einen Fachkräftemangel haben wir schon. Gut ausgebildete Migranten wählen eher andere Länder (z. B. USA, Großbritannien) aber kaum Deutschland.


    Man kann auch alles so laufen lassen mit den üblichen Worten "das wird schon". Aber mit Sicherheit wird sich dann Infrastruktur und Wohnsituation in einigen Jahren verändern. Oder aber man versucht die Menschen, die hier in Deutschland leben in soziale Gefüge und in die Gesellschaft - und auch ins Wirtschaftsleben - zu integrieren.

  • Zitat

    Original von xexos


    Man kann auch alles so laufen lassen mit den üblichen Worten "das wird schon". Aber mit Sicherheit wird sich dann Infrastruktur und Wohnsituation in einigen Jahren verändern. Oder aber man versucht die Menschen, die hier in Deutschland leben in soziale Gefüge und in die Gesellschaft zu integrieren.


    Ich denke das mit dem "laufen lassen" hat sich bereits als nicht praktikabel erledigt - in Einzelfällen müssen wohl härtere Gangarten eingeschlagen werden.


    Leider bin ich in den passenden juristischen Bereichen nicht firm genug, um etwaige Lösungsvorschäge machen zu können - sicher ist für mich allerdings, das Maßnahmen jedweder Art nicht "flächendeckend" sondern individuell greifen müssen.

  • @ Salonlöwin: Vieles ist auch meine Meinung, ich gehe aber mal nur auf den Bereich der Sprache ein:

    Zitat

    Original von Salonlöwin
    Worum es mir ging, war das Lebensgefühl, das unsere Sprache beinhalten soll? Ganz konkret wollte ich formuliert haben, was die deutsche Sprache in uns auslöst und was an Ausländer weitergegeben werden sollte.


    Ich meine nicht ein besonderes Sprachgefühl, dass unsere Sprache eventuell beinhaltet, sondern nur die Möglichkeit der Sprache, um das Lebensgefühl eines anderen Menschen kennenzulernen.


    Ich war bspw. dieses Jahr in Russland. Mich interessieren im Ausland nicht nur die Sehenswürdigkeiten, sondern auch die einfachen, normalen Sachen. Gerne hätte ich irgendwo an der Tür geklingelt und mir mal russische Wohnungen angeguckt und wäre intensiver mit den Menschen in Kontakt gekommen. Ohne Sprachkenntnisse kaum möglich. Zumindest eine russische Banja habe ich besucht. Mit Englisch konnte ich mich ein wenig dort verständigen. Als alle wieder russisch sprachen, stand ich alleine in der Ecke rum. Die paar russischen Sprachbrocken, die gelernt habe, reichten leider lediglich zum Bestellen eines Kaffees.


    Und hätte man das Lebensgefühl beim Eulentreffen ohne deutsche Sprachkenntnisse so intensiv aufnehmen können? ;-)


  • Ein wie ich finde sehr wichtiger Punkt - wie kann ich am ganz normalen Leben meines Heimatlandes teilhaben, wenn ich seine Sprache nicht spreche oder verstehe?

  • Moin,


    vorab: ich gehöre auch zur großen Masse, die sich zum Thema äußern, ohne das Buch von Herrn Buschkowsky gelesen zu haben.


    In der Debatte wird ja immer wieder - angefangen bei Frau Merkel und dann bis runter an die Stammtische - das Scheitern von "Multi-Kulti" erwähnt. Ich stelle fest: Wir haben mit Multi-Kulti noch nicht mal angefangen! Eine Mischung der Kulturen wird nicht forciert, sondern durch politische Maßnahmen eher noch verhindert. Noch bis vor wenigen Jahren galt Deutschland für die Politiker nicht mal als "Einwanderungsland", dabei gibt es Migranten hier, die schon seit 50, 60 Jahren im Land sind.


    - Dementsprechend wurde natürlich auch keinerlei Sprachförderung betrieben. Erst seit kurzem gibt es verpflichtende Sprachkurse - die Sprachschule in unserem Bürogebäude ist danach um ein vielfaches der Fläche angewachsen. Die Kurse sind, soweit man sehen kann, (zu) voll.


    - Die Migranten werden nicht mal ansatzweise gleichmäßig auf die Kommunen verteilt - Multi-Kulti ist für mich nicht, wenn die Migranten auf wenige Stadtteile verteilt werden und andere Stadtteile praktisch Migrantenfrei sind. Und das gleiche gilt im großen: Manche Kleinstädter wundern sich ernsthaft noch, wenn sie einen dunkelhäutigen auf der Straße sehen. (Nebenbei bemerkt: Manche Städte in Ostdeutschland sind nahezu ausländerfrei und haben trotzdem ähnliche Problembezirke wie Neukölln.)


    - Nicht-EU Abschlüsse werden ebenfalls oft nicht anerkannt, so daß die Migranten erst mal in das hier (zu recht) kritisierte Milieu abrutschen, weil sie sich, obwohl in Ihrer Heimat vielleicht angesehene Professoren oder Ingenieure, gar nichts anderes leisten können.


    - Das hier schon diskutierte Betreuungsgeld ist da nur der nächste Tropfen, der wirkliches Multi-Kulti erfolgreich verhindert. Wie soll denn Multi-Kulti entstehen, wenn die Kinder nix voneinander wissen? Multi-Kulti erst ab der Schule ist imho nicht die Lösung, da ist die Zeit der Prägung schon vorbei.


    Fazit: Die bisherige Politik des Wegschauens und Alles-ist-gut und Die-wollen-doch-gar-nicht-bleiben ist schiefgegangen, also laßt uns endlich anfangen, sie zu integrieren, aber, wie Tom schon sagte, ohne sie zu assimilieren - dann ist das Multi-Kulti.

    "Wie kann es sein, dass ausgerechnet diejenigen, die alles vernichten wollten, was gut ist an unserem Land, am eifrigsten die Nationalflagge schwenken?"
    (Winter der Welt, S. 239 - Ken Follett)

  • Als ich kürzlich über diesen Artikel in der Zeit gestolpert bin, musste ich unweigerlich an diesen Strang und seine verschiedenen Aspekte denken.
    Der Beitrag in der Wochenzeitung ist relativ kurz und simpel gehalten, die Stellungnahme der Autorin fällt jedoch deutlicher als die Positionen hier im Forum aus. Inwieweit es dabei eine Rolle gespielt hat, dass die Verfasserin türkischstämmig ist, mag jeder Leser eigenständig beurteilen.

  • Wieder einmal wird deutlich wie sehr sich die ZEIT doch zu ihrem Nachteil verändert hat. Billiger Populismus war früher nie Sache der ZEIT. Dort vertrat man ganz andere Ansprüche.


    Zudem sollte nicht unerwähnt bleiben, dass ein Verwaltungsgericht keine Grundsatzurteile sprechen kann. Die Autorin hätte hier vielleicht - und auch bei ihren anderen Einlassungen - den Ball flachhalten sollen.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Zitat

    Original von Salonlöwin
    Als ich kürzlich über diesen Artikel in der Zeit gestolpert bin, musste ich unweigerlich an diesen Strang und seine verschiedenen Aspekte denken.
    Der Beitrag in der Wochenzeitung ist relativ kurz und simpel gehalten, die Stellungnahme der Autorin fällt jedoch deutlicher als die Positionen hier im Forum aus. Inwieweit es dabei eine Rolle gespielt hat, dass die Verfasserin türkischstämmig ist, mag jeder Leser eigenständig beurteilen.


    Danke für den Artikel. Er zeigt eine gewisse Absurditaet auf!

    "Literatur ist die Verteidigung gegen die Angriffe des Lebens."


    "...if you don't know who I am - then maybe your best course would be to tread lightly."