Maigret und das Verbrechen in Holland - George Simenon

  • Dieser Fall nun, der achte in der Diogenes-Reihe, beginnt idyllisch und pittoresk. Denn Maigret begibt sich dieses Mal nicht in die unteren, abseitigen Schichten der Gesellschaft, sondern wird in die holländische Provinz gerufen. Hier, in Delfzjil, ist die Welt noch in Ordnung: Das Städtchen sieht aus wie eine Spielzeugstadt, die örtlich Kneipe ist heimelig wie ein Wohnzimmer und selbst das Polizeirevier ist hell und gemütlich. Umso ungeheuerlicher ist der Mord an einem angesehenen Lehrer, der vor seinem Haus erschossen wurde. Verdächtig ist dessen Gast Duclos, französischer Vortragsreisender ohne offensichtliches Motiv, aber immerhin mit der Tatwaffe in der Hand. Aber natürlich stellt sich heraus, dass so mancher der feinen Gesellschaft Delfzjils ein Motiv für den Mord hätte und dass auch das Opfer ein anderer war als der biedere Ehemann, als der er erschien.


    Dies ist wohl der erste klassische Whodunnit Simenons: ein Haufen Verdächtiger, der dann auch noch zu einer finalen Gegenüberstellung zusammengerufen wird. Trotzdem ist das ein typischer Maigret: auch in diesem Fall ist nicht ganz klar, warum Maigret ohne bedeutsamen Widerstand und ohne offiziellen Auftrag der holländischen Polizei die Ermittlungen aus der Hand nehmen kann. Bar jeglicher Sprachkenntnisse, löst er auch diesen Fall, indem er einfach guckt, was die Verdächtigen so machen und ansonsten seiner Intuition folgt.


    Dass der Kriminalfall selbst nicht sonderlich aufregend ist, ist ja bei Simenon nix Neues. Dieser Band ist aber auch insgesamt ein eher langweiliger. Das liegt unter anderem an dem biederen Milieu, das für eine Geschichte Simenons vielleicht Neuland darstellte, allerdings nicht die Faszination der Landstraße, der finsteren Gassen und dunklen Kaschemmen ausübt. Fast ein wenig unbeholfen schildert Simenon hier den Unterschied zwischen dem verruchten Frankreich und dem propren Holland, was sich vor allem in den Kneipen niederschlägt, aber selbst der Hafen hier ist ordentlicher als die in Frankreich.
    Die Scheinheiligkeit des biederen Bürgertums, letztlich Ursache der dramatischen Ereignisse, wird nur sehr oberflächlich thematisiert, das Großbürgertum und seine calvinistischen Wertvorstellungen nicht in Frage gestellt: Gesellschaftskritik, womöglich beißende, ist halt nicht so Simenons Sache.


    Aber dafür haben wir schließlich Chabrol, als entspannter Samstagnachmittagskrimi taugt auch dieser Band allemal.

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)