Leider keine deutsche Übersetzung
"I think it's very beautiful for the poor to accept their lot, to share it with the passion of Christ.
I think the world is being much helped by the suffering of poor people."
(Mutter Teresa, 1981)
Immer wenn ich mitbekomme, wie Mutter Teresa von Menschen jeden Glaubens als der Prototyp des guten Menschens verehrt wird, wird mir leicht übel. Christopher Hitchens hat es sich in diesem 1995 erschienenen Buch, das mit seinen 128 Seiten wohl eher ein längeres Essay ist, zur Aufgabe gemacht, sie nach ihren Handlungen und Worten und nicht nach ihrem Ruf zu beurteilen. Im Buch geht er auf vermeintliche Wunder ein, die wohl eher auf einen neuen besonders lichtempfindlichen Film der Firma Kodak und schnöde Schulmedizin zurückgehen. Er gibt Beispiele, wie Mutter Teresa bei Despoten wie Jean-Claude "Baby Doc" Duvalier und seiner Frau ein- und ausging, Spenden von Betrügern wie Charles Keating annahm, für den sie sich nach seiner Verhaftung unter dem Deckmäntelchen der Naivität einsetzte, und wie sie sich trotz gegensätzlicher Beteuerungen in landespolitische Belange wie Abtreibung, Verhütung und Scheidung einmischte.
Mutter Teresa war zweifellos gut darin, Spendengelder einzuwerben. Unklar bleibt, wie diese Spendengelder verwendet wurden. Berichte von ehrenamtlichen Mitarbeitern aus ihrem Hospiz in Calcutta und einem Hospiz in San Francisco für AIDS-Kranke deuten darauf hin, dass die medizinische Versorgung in den von ihren "Missionaries of Charity" (Missionarinnen der Nächstenliebe) geleiteten Heimen indadäquat war. Beispiele von Sterbenskranken, die nicht mehr als Aspirin bekommen haben, erwecken bei mir den Eindruck, dass Mutter Teresa das Leiden mehr geliebt als die Leidenden.
Nach eigener Aussage besteht für Mutter Teresa "immer die Gefahr, dass wir nur Sozialarbeiter werden, oder die Arbeit zum Wohle der Arbeit machen." Ihre Priorität lag darin die Liebe zu Jesus Christus auszudrücken. "Unsere Herzen müssen voll von Liebe für ihn sein, und da wir diese Liebe in unseren Handlungen zeigen müssen, sind dann natürlich die Ärmsten der Armen das Mittel zum Ausdruck unserer Liebe zu Gott." Bei vielen Zitaten wurde ich den Eindruck nicht los, dass die Arbeit für Mutter Teresa kein Zeichen von Nächstenliebe, sondern ihr Ticket in den Himmel war. Es ist unklar, wie hoch das Vermögen des Ordens ist, aber allein von den ihr öffentlich verliehen Preisen hätte man vermutlich das beste Lehrkrankenhaus in Calcutta bauen können. Stattdessen, hat Mutter Teresa auf der ganzen Welt 500 Kloster unter dem Namen ihres Ordens eröffnet. Ziel scheint mir nicht die Linderung von Leid zu sein, sondern Mission.
Wenn man glaubt, dass unsere Zeit auf Erden begrenzt, das Leiden in der Hölle aber unendlich für Un- und Andersgläubige, dann ist es vermutlich nur konsequent, vorrangig auf die Missionierung von Nicht-Christen zu setzen, statt sich zu überlegen, wie man akutes Leiden im Hier und Jetzt lindern kann. Aber wenn ich Zitate von ihr lese wie, "Was mich angeht, ist das Schweigen und die Leere so groß, dass ich schaue und nicht sehe, höre und nichts verstehe" oder "Man sagt mir, dass Gott mich liebt - und trotzdem ist die Realität von Dunkelheit & Kälte & Leere so groß, dass nichts meine Seele berührt.", dann muss ich Thomas Mallon, dem Autor des nach Christopher Hitchens Tod hinzugefügten Vorwortes zustimmen, dass es anmaßend ist, anderen zu suggerieren, dass ihre Armut und ihr Leiden im Jenseits belohnt werden, wenn man sich selbst nicht sicher ist. Es ist eine Sache, unter dem Eindruck zu stehen, Gott habe zu einem gesprochen und einem einen Weg vorgegeben und diesen Weg dann zu gehen. Aber nichts zu hören und trotzdem zu glauben, man kenne Gottes Willen und diesen Weg dann anderen vorzugeben, ist für mich pure Arroganz.
Das Buch ist weit weniger polemisch geschrieben, als ich es von Christopher Hitchens gewohnt bin. Ich kannte schon diesen Artikel hier zum selben Thema und hatte einen ganz anderen Ton erwartet, obwohl er natürlich eloquent wie immer schreibt. Ich hätte auch schwören können, dass seine Beschreibung von Mutter Teresa als "shrivelled old bat" aus diesem Buh stammt, tatsächlich findet man diese Formulierung hier aber nicht. Wenn man seine Dokumentation "Hell's Angel" (1994, YouTube: Hell's Angel: Mother Teresa by Christopher Hitchens) gesehen hat, enthält das Buch nicht viel Neues, vieles wurde wortwörtlich aus dem Film übernommen und Teile des Kapitels zur Seligsprechung sind auch in "Der Herr ist kein Hirte" (God is not great) enthalten. Trotzdem bin ich froh, dass es unter all den Büchern, in denen Mutter Teresa verehrt wird, ein Buch gibt, das ein anderes Licht auf den Mythos Mutter Teresa wirft.
Über den Autor
Christopher Hitchens, geboren 1949 im englischen Portsmouth, war als Buchautor und Auslandskorrespondent, Essayist, Literaturkritiker und Dozent tätig. Er schrieb regelmäßig u.a. für die New York Times, Slate, Vanity Fair und das Wall Street Journal. 2007 erschien sein Buch "Der Herr ist kein Hirte" im Blessing Verlag, 2011 sein Essay "Der Feind". Am 15. Dezember 2011 erlag Christopher Hitchens einer langen Krankheit.
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