Schreibwettbewerb November/Dezember 2012 - Thema: "Der perfekte Augenblick"

  • Thema November 2012:


    "Der perfekte Augenblick"


    Vom 01. bis 30. November 2012 - 18:00 Uhr könnt Ihr uns Eure Beiträge für den Schreibwettbewerb November 2012 zu o.g. Thema per Email an schreibwettbewerb@buechereule.de zukommen lassen. Euer Beitrag wird von uns dann anonym am 1. Dezember eingestellt. Den Ablauf und die Regeln könnt Ihr hier noch einmal nachlesen.


    Bitte achtet darauf, nicht mehr als 500 Wörter zu verwenden. Jeder Beitrag mit mehr als 500 Wörtern wird nicht zum Wettbewerb zugelassen!



    Achtung: Achtet bitte auf die Änderungen! Annahmeschluß ist ab sofort immer am Monatsletzten um 18:00 Uhr und die e-mail Adresse hat sich wie folgt geändert - schreibwettbewerb@buechereule.de

  • von xania



    Tatterig schmierte Hans sich Butter aufs Brot. Auf Marmelade verzichtete er meist, weil er damit aufs Tischtuch kleckerte und Anna dann schimpfte. Aber heute war ihm das egal und er ließ ihr Gezeter über sich ergehen.


    "Wollen wir heute ins Einkaufszentrum fahren?", fragte er zwischen zwei Bissen.
    Seine Frau starrte ihn erstaunt an. "Heute ist Mittwoch."
    "Ich will trotzdem hin."
    "Es gibt einen Moment für alles. Freitags fahren wir hin. Das haben wir doch so entschieden."
    Anna hatte entschieden, alles, immer, allein.
    "Ich werde den Bus nehmen und ins Einkaufszentrum fahren", murmelte Hans vor sich hin. Lauter traute er sich nicht, aber Anna hatte ihn gehört.
    "Bist du von allen guten Geistern verlassen? Du hast eine Termin beim Arzt."
    "Ich gehe nicht hin"
    Anna schaute ihn entsetzt an.
    "Du musst! In unserem Alter..."
    Hans unterbrach sie.
    "Ja, wir sind inzwischen alt, sehr alt, zu alt für eine Ägyptenreise, zu alt für die Niagarafälle und mittlerweile sogar zu alt für die Ostsee. Auf die beste Zeit Kinder zu bekommen, warte ich immer noch!"
    Hans war mittlerweile leicht laut geworden. Er hatte sich Kinder gewünscht, doch immer war etwas dazwischen gekommen. Die Wohnung war zu klein, die nächste war zwar groß genug, aber für Kinder war nicht genug Geld da und nach der nächsten Gehaltserhöhung war die Weltwirtschaftslage zu instabil. Mittlerweile war aus der Aushilfe-Anna eine Geschäftsinhaberin geworden und Hans hatte immer geduldig gewartet.


    Hans seufzte. Er hätte sich früher wehren müssen, aber auch er hatte auf den besten Moment gewartet.


    "Ich gehe heute ins Einkaufszentrum, weil ich das jetzt will", sagte er bestimmt und stand vom Frühstückstisch auf.


    Anna stand auch auf und begann hektisch abzuräumen.
    "Kommst du mit?", fragte er versöhnlich.
    Anna antwortete nicht, schrubbte verbissen am Tisch, hielt einen Augenblick inne und fiel um.
    Hans schaffte es nicht ihr zu helfen und auch der Notarzt konnte nur noch ihren Tod feststellen.


    Kurze Zeit später stand Hans allein in der Wohnung. Anna war fort. Er würde ins Einkaufszentrum gehen.

  • von Suzann



    Gustav spürte die harten Bretter der Bank unter seinem Allerwertesten. Beine und Füße beschwerten sich über die ungewohnte Belastung, die er ihnen heute zugemutet hatte. Seit einiger Zeit erfüllte ihn eine seltsam-taube Leere. Genau genommen seitdem er sein letztes Projekt fertig gestellt hatte. Also war er heute an die frische Luft gegangen. Auf seinem ausgedehnten Spaziergang hatte er viele interessante Leute beobachtet, den Blick über idyllische Blumenwiesen, majestätische Bäume und herrschaftliche Anwesen schweifen lassen. Aber die warmen Sonnenstrahlen und die körperliche Anstrengung hatten nichts bewirkt. Hier saß er, immer noch ratlos und wusste nicht, auf was er eigentlich noch wartete. Nachdenklich strich er sich über den Vollbart. Er war auf dieser Bank gestrandet, wie ein Fisch auf dem Trockenen, der alleine nicht mehr in sein Element zurückfand. Jetzt knurrte auch noch sein Magen. Das rief ihm ins Gedächtnis, dass er zum Nachtessen zurückerwartet wurde. Er sollte sich endlich einen Fiaker für den Heimweg suchen.


    Als es dunkel wurde und die Laternen angingen, fiel ihm auf, dass er sich ausgerechnet eine Bank unter einer Laterne ausgesucht hatte, bei der das Licht ausgefallen war. Na, das passte ja perfekt zu seinem derzeitigen Lebensgefühl. Wie sollte er so arbeiten? So ohne Inspiration und Antriebskraft? Er legte den Kopf schwer in seine Hände und wühlte mit den Fingern in dem kurzen, welligen Haar. Mit einem tiefen, deprimierten Atemzug blickte er auf. Dabei fiel sein Blick auf ein Paar im Lichtkreis der nächsten Laterne, das vor ein paar Augenblicken noch nicht dort gestanden hatte. Zuerst hielt er die beiden für Vater und Tochter, aber dann fiel ihm das ganz und gar nicht kindliche Kleid der Frau auf. Es musste also ein Paar sein und die Körpersprache lies vermuten, dass die beiden einander sehr zugetan waren.


    Fasziniert registrierte Gustav den enormen Größenunterschied der beiden Gestalten. Der schwarzhaarige Mann war über einen Kopf größer als seine zierliche Begleiterin. Seine Hände mit den langen, schlanken Fingern ragten aus Jackenärmeln, die ein wenig zu kurz waren. Und diese Finger schienen es nicht lange auszuhalten, ohne die Frau immer wieder zu berühren. Das Licht der Laterne lies das helle Kleid der Frau erstrahlen, die Haube war achtlos in den Nacken gerutscht. Selbstvergessen umfasste der im Gegensatz zu seiner leuchtenden Begleiterin dunkle Mann mit beiden Händen den Kopf seiner Liebsten. Eine Hand schmiegte sich an ihre Wange, die andere grub sich in ihr rotblondes Haar. Das überforderte das Haltevermögen der Haarnadeln und die befreiten Locken fielen über ihren Rücken. Kleine Hände legten sich auf die Unterarme des Mannes. Als er sich wie ein unheilvoller Schatten über die Frau beugte und ihr Kinn umfasste, hob diese vertrauensvoll den Kopf und lies sich küssen.


    Unvermittelt stieß Gustav seinen Atem aus, den er anscheinend die ganze Zeit angehalten hatte. Seine Augen blitzten. Schwungvoll erhob er sich. Er musste nach Hause. Arbeit wartete auf ihn.

  • von Tom



    "Samstagabend bei Kalle. Alfred und Jonas kommen auch."
    Jürgen legte auf, ohne meine Antwort abzuwarten. Ich hätte auch keine geben können - Skat in Kalles Kneipe, mit Jürgen, Alfred und Jonas. Traumhaft. Hatten wir seit fünf Jahren nicht mehr gemacht.


    Wofür es Gründe gab. Vor allem einen: Gerda. Neben den Kindern, den Ehrenämtern, dem Schrebergarten und den Jobs blieb wenig Zeit, weshalb Gerda zur Grundregel erhoben hatte, dass der Samstagabend uns gehörte, uns und dem Fernseher. Um sieben wären die Kids verstaut, dann folgte das Pflegebad, wobei Gerda die Fernsehzeitung studierte, und anschließend säßen wir stundenlang nebeneinander auf dem Sofa. Zugegeben, ich mochte diese Abende auch. Aber die Idee, mit den Jungs mal wieder einen gepflegten Skat zu dreschen, die liebte ich.


    Die Notwendigkeit, meiner Frau diese Idee nun schmackhaft zu machen, die hasste ich.
    Wie viele andere Männer auch glaubte ich an das Bonuspunktesystem. Punkte beim geliebten Weibchen gab es fürs Einkaufen, Staubsaugen, Rasenmähen, für Reparaturen, Kinderbespaßung, kleine Aufmerksamkeiten wie Blumen, Pünktlichkeit. Viele Punkte gab es - theoretisch - für guten Sex. Der letzte gute Sex lag allerdings so lange zurück, dass ich schuldbewusst zusammenzuckte, wenn im Fernsehen Zärtlichkeiten ausgetauscht wurden.


    Leider war bereits Donnerstag. Es regnete. Der Wochenendeinkauf war gemacht. Die Blumen vom Hochzeitstag blühten noch. Das Haus war tiptop in Ordnung. Und Gerda hatte ihre Periode. Zudem hatte sie seit Tagen schlechte Laune, die noch übler wurde, je näher das Wochenende kam - was ich ihrer Periode zuschrieb. Meine Versuche, Punkte zu sammeln, um punktgenau in ihr Lächeln zu fragen, ob ich am Samstag in die Kneipe gehen könnte, versandeten kläglich. Ich brachte Müll raus, obwohl die Tüten fast leer waren, säuberte die Fahrräder, die wir erst in fünf Monaten wieder bräuchten, und baute im Treppenhaus ein Gerüst aus Leitern, um die Wände zu streichen, woraufhin Gerda fragte, ob ich bekloppt sei. Dabei wollte ich nur kloppen, nämlich Skat. Wehmütig dachte ich an den Grand ohne vier, mit dem ich den anderen vor fünf Jahren in letzter Sekunde die Hosen ausgezogen hatte. Und daran, dass sie am Sonnabend wohl ohne mich spielen würden. Mist.


    Meinen letzten Versuch startete ich am Samstag gegen sieben, schon mit einem Auge zum Handy schielend, um Jürgen mit irgendeiner Ausrede abzusagen. Schnupfen. Männer verstehen, dass man mit Schnupfen nicht Skat spielen kann. Frauen können mit Schnupfen alles. Nur Skat, das können und verstehen sie weder mit, noch ohne.


    "Gerda", begann ich vorsichtig, während sie missmutig in der Fernsehzeitung blätterte. "Ich dachte, wir könnten vielleicht mal wieder ..." Ich zögerte. Sie sah mich kurz an, als wäre ich der Postbote. Ich sagte das Zauberwort: "Ein Wellnesswochenende."
    Das funktionierte eigentlich immer. Gerda liebte Wellnesswochenenden, aber für mich war das Folter: Nackt unter Fremden. Tee, Massage und Äpfel. Männer sind nicht dafür gemacht, verdammte Äpfel zu essen.


    Sie ließ die Zeitung sinken und starrte mich an, dann zur Uhr.
    "Weißt du, Volker", sagte sie seufzend. "Wenn ich nur einen Samstagabend für mich allein hätte, das wäre schon was."


    Am nächsten Tag hatten wir Sex.
    Guten.

  • von Inkslinger



    „Jetzt schau mal, was du hier für eine fiese Frise hattest!“ Georg verdrehte genervt die Augen. Er hatte von Anfang an gewusst, dass es eine blöde Idee war, die alten Fotoalben rauszusuchen. Trotzdem hatte er (wie so oft in ihrer Beziehung) Sybille einfach nachgegeben und sich aus der Küche ein Bier zur Entspannung geholt. Die Ankunft seiner Mutter Brunhilde machte auf fast magische Weise drei Biere daraus und alles tangierte ihn nur noch peripher.
    Langsam schlenderte er zum hysterisch kichernden Frauenvolk und begutachtete das Foto. „Süße, in den 80ern haben doch alle so ausgesehen. Mit dem Vokuhila war ich voll im Trend! Und dann noch die Dauerwelle dazu – ich war ein echtes Sahnestückchen.“ Die beiden Frauen lachten und blätterten weiter.
    Das nächste Bild zeigte eine wesentlich jüngere Brunhilde mit ihrem Mann und ihren zwei kleinen Söhnen. Alle drei betrachteten es lange schweigend.
    Sybille wusste, dass Georgs Vater vor einigen Jahren verstorben und sein Bruder nach Australien ausgewandert war, doch hatte sie noch nie ein Foto von den beiden gesehen. „Also das sind Heinz und Jens?“ Brunhilde nickte und brachte ein trauriges Lächeln zustande. „Ja, das sind meine Jungs. Ich erinnere mich noch an das Foto. Das war an Georgs 13. Geburtstag. Es war einfach schön.“ Georg erhob sich abrupt und knallte seine Bierflasche auf den Wohnzimmertisch. Die Frauen fuhren erschrocken zusammen. „Was hast du denn, Schatz?“ fragte Sybille und starrte ihn irritiert an. „Nichts!“ schrie er. „Ich freue mich nur für meine Mutter, dass dieser Tag so schön für sie war! Leider hat sie kein Foto davon gemacht, was später an dem Tag passiert ist. Der alte Herr war der Ansicht, ich sei reif genug, Wodka zu trinken. Mir wurde von dem Zeug so schlecht, dass ich quer über den Küchentisch gekotzt habe. Dafür hat er mich so verprügelt, dass ich tagelang nicht richtig sitzen konnte.“ Seine Freundin kam zu ihm und streichelte sanft seinen Arm. Brunhilde stand auf, klappte das Fotoalbum zu und legte es auf die Schrankwand. „Red' gefälligst nicht so über ihn! Er war ein guter Ehemann und Vater. Ich fahre jetzt nach Hause.“ Ohne auf eine Reaktion ihres Sohnes zu warten stürmte sie aus dem Haus, startete ihren Kleinwagen und rauschte davon.
    Sybille gab Georg einen langen Kuss. „Jeder erinnert sich anders. Sei nicht sauer auf sie.“ „Bin ich auch nicht.“ grummelte er und sie kicherte. „Wir sollten morgen eine Kamera kaufen, alter Brummbär.“ „Wofür? Fotografien sind doch nur da, um gespielte Emotionen einzufangen und einem vorzugaukeln, dass früher alles toll war.“ „Bei uns wird das anders ablaufen. Ich werde dich immer fotografieren. Auf jeder Feier, bei jedem Streit und jedem Männerschnupfen. Die schrecklichen Bilder machen wir dann in ein eigenes Album und nennen es 'So war es wirklich'.“ Georg lachte. „Okay, aber nur, wenn wir auch Fotos machen, wenn du ungeschminkt und in Schlumperklamotten bist.“ Sybille lächelte verkrampft. „Das werden wir dann sehen...“

  • von crycorner



    Der Frosch saß gelangweilt am Teich. Seit vielen Jahren schon fristete er dieses jämmerliche Dasein. Dabei war er eigentlich ein verzauberter Prinz und konnte durchaus durch einen Kuss gerettet werden. Dummerweise lag dieser Teich irgendwo im Nirgendwo und es kamen so gut wie nie Menschen vorbei.


    Eines Tages schien er jedoch Glück zu haben. Eine junge Frau mit Wanderausrüstung lief in seine Richtung. Der Frosch hüpfte vor Freude und schrie:“ Endlich eine Frau! Komm schnell hierher und küss mich!“ Die Frau erschrak und rannte davon. Der Frosch verfluchte seine Torheit und beschloss, es beim nächsten Mal etwas ruhiger angehen zu lassen.


    Jahre vergingen, bis endlich wieder eine Frau des Weges kam. Abermals hüpfte der Frosch vor Freude, dieses Mal jedoch in das nächstbeste Versteck. Die Frau kam näher und ließ sich tatsächlich am Teich nieder. Kaum saß sie, sprang der Frosch aus seinem Versteck und rief: „Gnädige Frau, ich bin so froh Sie zu sehen! Darf ich Sie um einen Gefallen bitten?“


    Die Frau kreischte auf, nahm ihren Wanderstock und schlug nach dem Frosch, der nur mit knapper Not entkam. Natürlich verschwand auch diese Frau schneller als sie kam.


    Abermals vergingen Jahre, bis sich die nächste Gelegenheit offenbarte. Dieses Mal zwei Frauen, die bereits am Teich saßen, als der Frosch aus seinem Schlaf erwachte. Er traute sich nicht, sie anzusprechen. Er wusste einfach nicht, wie. Immerhin hatten beide einen Wanderstock. Er tröstete sich mit dem Gedanken, dass sie eh nicht sonderlich hübsch waren.


    Mittlerweile war er ein sehr alter Frosch und vermutlich auch ein alter Prinz. Er wusste, dass es wohl kaum mehr als ein bis zwei Möglichkeiten gab, erlöst zu werden. Deshalb fasste er allen Mut zusammen, als er wieder eine Frau in seine Richtung wandern sah. Die Frau setzte sich an den Teich und packte ihr Vesper aus. Der Frosch saß mit dem Rücken zur Frau am Teich und wartete auf ihre Reaktion. Die Frau sah den Frosch und warf ihm etwas von ihrem Brot zu. Dankbar drehte er sich um und fraß, was sie ihm gab. Etliche Minuten vergingen und der Frosch wusste nicht, welches nun der nächste Schritt sein sollte, um seinem Ziel näher zu kommen. Glücklicherweise brachte die Frau ihm so viel Aufmerksamkeit entgegen, dass er nicht viel falsch machen konnte, solange er seine Klappe hielt. Also näherte er sich ihr zaghaft und stellte zufrieden fest, dass die Frau sich darüber freute. Auch sie kam ihm näher und kniete sich zu ihm. Schließlich ließ er sich berühren und blickte sie an, wie es wohl auch Katzen tun würden. Ihr Herz war gewonnen, da war er sich sicher. Plötzlich griff die Frau fest zu, nahm ihr Messer und schnitt ihm den Hinterleib ab. Den Rest den verzauberten Prinzen warf sie achtlos in den Teich, wo der Prinz mit der Gewissheit starb, dass dieser Teich wohl in Frankreich lag.

  • von Gummibärchen



    Die kleine Kirche war bis auf den letzten Platz gefüllt.
    Vorn standen Braut und Bräutigam.
    Alle sahen erwartungsvoll zum Altar, nur ein Augenpaar blickte unendlich traurig...


    Ich klingelte an der Tür. „Hallöchen“, begrüßte mich meine Freundin Maja. Wir hatten uns zum Shoppen verabredet und zogen gleich los. Auf dem Weg tauschten wir den neuesten Klatsch aus und begutachteten die Männer, die uns über den Weg liefen. Immer wieder sah Maja mich an und mir war klar, dass sie merkte, wie glücklich ich war. Aus den Erzählungen über meine Vergangenheit wusste sie, dass dies nicht immer so gewesen ist.


    Wir betraten einen Schuhladen, denn heute war ein großer Tag – ich wollte mir die ersten Pumps meines Lebens zulegen und war dementsprechend sehr aufgeregt. „Was hältst du von diesen hier, Samantha?“, fragte Maja mit einem Paar grünen Pumps. „Zu grün“, meinte ich sachlich und hielt Maja rosafarbene Pumps mit etwas Glitzer unter die Nase. „DIE will ich!“, lächelte ich sie an. Maja drängte mich sofort dazu, die Schuhe anzuprobieren.


    Ich setzte mich auf einen Hocker, zog meine Ballerinas aus und griff nach dem linken Schuh. In dem Moment stockte mir der Atem. Ich wollte meinen Blick abwenden, um nicht erkannt zu werden, doch es war zu spät. Der Blick der Frau, die mir gegenüber stand, traf den meinen. Ich merkte, wie sie mich anstarrte und wagte mich in die Offensive. „Kann ich Ihnen helfen?“, fragte ich mit der weiblichsten Stimme, die ich hinbekam, doch die Frau starrte mich weiter an, als wäre ich ein Alien. „‘Tsch-Tschuldigung, Sie erinnern mich an jemanden“, stotterte sie, schüttelte ihren Kopf und drehte sich suchend um. „Cora, hier bist du ja“, hörte ich eine männliche Stimme. Der Mann, dem sie gehörte, nahm Cora in den Arm und küsste sie. Ich nutzte diesen kurzen Moment, fuhr in die untere Etage des Ladens und setzte mich dort in die Ecke.


    Mein Kopf drehte sich und mein Puls raste. Meine Gedanken kreisten um Cora, die ich gut drei Jahre nicht gesehen hatte und um meine Vergangenheit. Denn eigentlich hieß ich nicht Samantha, sondern Sebastian und wollte Cora vor ein paar Jahren heiraten. Naja, ich glaubte, es zu wollen. Aber eigentlich fühlte ich schon immer wie eine Frau und wollte mir dies nicht eingestehen. Ich fing etwas mit Frauen an, um mir zu beweisen, dass ich ein echter Mann bin und bildete mir irgendwann ein, in Cora verliebt zu sein. Ich machte ihr sogar einen Heiratsantrag, was ich sehr bald bereute. Doch ich war nicht imstande, die Hochzeit platzen zu lassen. Ich war nicht mal sicher, wer ich wirklich bin. Ich versteckte mich hinter meiner Arbeit und merkte nicht, dass Cora einen anderen Mann kennenlernte. Als sie vorm Traualtar „Nein“ sagte, war ich erst irritiert, verspürte aber eine Welle der Erleichterung. Sie dachte, ihr „Nein“ sei für mich eine Katastrophe, doch im Nachhinein war es der perfekte Augenblick.

  • von Kirsten Slottke



    Dass es so schwer werden würde, hätte er nicht gedacht. Ein wenig außer Atem war er schon. Aber so musste es klappen. Hoffnungsvoll wanderten seine Augen nach oben. Er ballte seine kleinen Hände kurz zu Fäusten und erklomm zielstrebig die erste Hürde. Die einfachste. Dann kletterte er weiter. Und endlich war es soweit. Er musste seinen Körper nur noch ein wenig strecken und auf die Zehenspitzen stehen. JA! Seine Finger erreichten den Deckel der Porzellandose. So leise wie möglich legte er ihn ab. Er ertastete, was er wollte und packte zu. In eben diesem Moment geriet sein sorgfältig gebauter Turm ins Wanken. Reflexartig bewegten sich seine Arme nach vorne. Doch zu spät! Der kleine Körper fiel nach hinten in die Leere des Raumes - sein Bauwerk bestehend aus Tisch, Stuhl und Kiste krachte in sich zusammen. Die Augen angstgeweitet wartete er auf den harten Aufprall – und landete in den weichen Armen seiner Mutter, die ihn augenblicklich an ihre bebende Brust presste.
    Na also! Mit sich zufrieden entfernte der dreijährige das Papier des Schokoriegels und biss genüsslich ab.

  • von Sinela



    Schnell flogen die Finger über die Tasten des Laptops, um dann plötzlich inne zu halten. Sarah fluchte, sie hatte schon wieder den Faden verloren. Laufend schweiften ihre Gedanken ab, zu ihnen, die sie seit Tagen auf dem Weg zur Arbeit sah, und denen sie bisher widerstanden hatte. Ohne es zu merken kaute Sarah auf ihrer Unterlippe herum bis es blutete. Erst der metallene Geschmack ließ sie in die Realität zurückkehren..
    „Mist!“
    Sie sprang auf, rannte ins Bad und kam mit einem auf die Lippen gedrückten Taschentuch zurück um sich auf das Sofa zu setzen. Aber lange hielt sie es dort nicht aus, ihre innere Unruhe ließ sie im Zimmer umherwandern. Sollte sie nicht vielleicht doch? Nein, auf keinen Fall, sie würde der Versuchung widerstehen. Sie ging zum Fenster und begann die Blumen zu gießen. Wasser floss über die Untersetzer hinaus auf den Boden.
    „Oh man, das darf doch nicht wahr sein!“
    Mit Lappen und Eimer bewaffnet kehrte Sarah zurück ins Wohnzimmer und wischte die Bescherung weg. Mit einem lauten Seufzen richtete sie sich auf.
    „Mein Rücken ist auch nicht mehr das, was er mal war. Ich glaube, ich werde alt.“
    Sie lachte laut auf, nun fing sie schon an Selbstgespräche zu führen. Sie brauchte dringend etwas für ihre Nerven. Mit schnellen Schritten ging sie in die Küche, holte den Schokoladenpudding aus dem Kühlschrank und setzte sich wieder auf das Sofa. Der erste Löffel wanderte in ihren Mund, voller Genuss zerging ihr die süße Pracht auf der Zunge. Aber ehe sie es sich versah, wanderten ihre Gedanken wieder zu ihnen. Der Schweiß brach ihr aus, der Pudding war vergessen, was war nur los mit ihr? Es ging doch nur um …....
    Das klingeln des Telefons unterbrach ihre Gedankengänge.
    „Hey, ich bin es. Wie geht es dir?“
    Sarah verdrehte die Augen. Ausgerechnet ihre Schwester, die Labertasche.
    „Ganz gut, aber....“
    „Hast du schon gehört? Frau Meier, du weißt doch, die mit...“
    20 Minuten später lauschte Sarah immer noch den Ausschweifungen ihrer Schwester als jemand an der Wohnungstür läutete.
    „Du, es hat geklingelt. Ich muss auflegen.“
    Voller Dankbarkeit ob dieser Unterbrechung stürzte Sarah zur Türe.
    „Guten Tag Frau Hochstedt, könnten Sie mir eine Tasse Zucker leihen?“
    „Aber sicher, bin gleich wieder da.“



    Wieder allein wurde Sarah eines klar – sie musste jetzt sofort nach ihnen schauen, sonst würde sie keine Ruhe mehr finden. Mit Handtasche und Schirm machte sie sich auf den Weg, lief durch den strömenden Regen zu dem Laden in der Schillerstraße und blieb dort voller Ergriffenheit vor dem Schaufenster stehen. Da waren sie, Mittelpunkt des Szenerie. Ihr Stil, ihre Eleganz, ihre Farbe, einfach alles – sie waren für sie gemacht. In diesem Moment riss der Himmel auf und ein Sonnenstrahl fiel direkt auf die Schuhe im Schaufenster. Gänsehaut kroch Sarah über den Körper, denn plötzlich wusste sie: Dies war der perfekte Augenblick um sie zu kaufen. Diese Manolo Blahniks würden ihr gehören!

  • von Zuckelliese



    Uwe parkte sein Auto am Wiesenrand, schnappte den Rucksack und schritt langsam auf die Gruppe hektisch beschäftigter Menschen zu. Den Gutschein für die Ballonfahrt hatte er zu seinem 50. Geburtstag von seiner Tochter bekommen. Nach 5 Jahren Wartezeit und heftiger Diskussion mit Eva, seiner Frau, wollte er es heute endlich wagen. Alles Notwendige war verpackt, damit dies ein unvergesslicher Moment mit einem nie erlebten Kick wurde. Langsam füllte sich der Ballon. Uwe beobachtete die Mitreisenden. Die Vorstellung der Passagiere hatte nur kurz von den Reisevorbereitungen abgelenkt.“Hoffentlich kommt mir keiner in die Quere“, dachte Uwe ,als er den Korb nach einer Befestigungsmöglichkeit für den Haken absuchte. Evas Gegenargumente zu seinem Geburtstagsgeschenk hatte Uwe am Morgen brüsk zurückgewiesen. Sie hielt die Ballonfahrt wegen ihrer Höhenangst schon für einen Selbstmordversuch. „Mach mich nicht verrückt!“ War seine Entgegnung gewesen. Ich will einfach nur gute Sicht aus großer Höhe haben und mich frei fühlen, alte Schissmotte. Sie würde ihn nie verstehen, Risiko war ihr ein Fremdwort. Als alle im Korb standen begann die Steigphase. Uwe wählte den Platz im Rücken des Ballonführers und lobte lautstark die wunderbare Aussicht. Alle Passagiere schauten in die Ferne, als er den Gurt anlegte und das Seil befestigte.“Hier unten wohne ich, schrie er aus vollem Halse und alle blickten in die gezeigte Richtung. Uwe stand jetzt in der Mitte des Korbes und fühlte sich unbeobachtet. Der Ballonführer erklärte die Flugroute und den Ablauf der Landung. Einige Passagiere schauten ängstlich in die Tiefe, aber Uwe war sich seiner Sache sicher. Oft hatte er sein Vorhaben im Traum durchgespielt. Langsam brachte er sich in die beste Position. 3 kurze schnelle Schritte mussten genügen. Ein Adler umrundete den Ballon in großer Höhe und faszinierte alle Passagiere. Uwe atmete tief ein und schwang beide Beine über den Korbrand. Er war so mit sich beschäftigt, dass er die Bewegung des Korbes nicht bemerkte, aber alle Passagiere schauten ihn entgeistert an und schrien :“Hilfe!“.Der Ballonführer reagierte nicht und Uwe stieß sich mit beiden Armen vom Korb ab. Er schloss die Augen und genoss den freien Fall. Ein Bungeesprung war schon immer sein Wunsch gewesen, aber Eva hatte es ihm strikt verboten. Deshalb musste die Ballonfahrt eine Ersatzlösung sein. Jetzt flog er ganz allein und spürte die Freiheit. Dieser Flug dürfte nie vorbei gehen.
    .Iinsgeheim freute er sich auf den Schrecken in Evas Augen, wenn sie von seinem Alleingang erfuhr. Alle Freunde waren der Meinung, dass er sich endlich durchsetzen müsse. Nun hatte er das auch geschafft. Er spürte den Ruck nur ganz leicht. Das Ende des Seils war erreicht, dachte er mit einem Lächeln im Gesicht.“Haben sie nichts bemerkt?“ fragte der Rettungssanitäter den Ballonführer nach der Landung.“Er wollte sich einen Wunsch erfüllen, antwortete der Angesprochene, aber dass das Seil reißt, damit konnte ich nicht rechnen.“Alle Mitreisenden bestätigten bei der Polizei seine Angaben. Erst nach Abschluss der Untersuchungen würde die Versicherung zahlen und Eva konnte endlich den Rollstuhl beantragen.

  • von Lesebiene



    Rebecca sitzt in ihrem Zimmer und grübelt. Hans und ich daten jetzt schon seit 2 Jahren. . Wir gehen tanzen, mal ein Glas Wein trinken, wir schauen uns verliebt an aber dann…


    Was hat Babsy immer gesagt – mit Händchenhalten kann man keinen Mann halten? Aber wie lange kann man sich nur verliebt in die Augen schauen? Wann ist der perfekte Zeitpunkt?


    Das Leben läuft in geordneten Bahnen weiter, neben ihrer Fortbildung datet Rebecca Hans weiterhin und gelegentlich geht sie mit Babsy aus, die gerade geheiratet hat. Willy ist nebenberuflich Musiker und da gehen sie ab und an zu seinen Sessions. Wenn Rebecca Zeit hat, träumt sie ihr Leben.


    Und dann kommt der große Moment – Rebecca findet ihre Traumwohnung – 2 Zimmer Küche Bad mit einem großen Balkon über den Dächern von Hamburg. Und dass für nur 750 Euro warm. Doch leider – während sie im Umzugsstress ist, wechselt Hans den Arbeitgeber und sieht nach Stade. Vorübergehend sind beide telefonisch nicht erreichbar und kennen auch nicht die neue Anschrift des anderen.


    Rebecca seufzt am Ende eines langen Arbeitstages: Den perfekten Augenblick verpasst.


    In den nächsten 2 Jahren sehen sich Bekky und Babsy selten, da Babsy mit Baby Henry alle Hände voll zu tun hat. Bei einer Weihnachtsfeier geht Rebecca dann mit ihren Kollegen abends noch in eine Szenebar. Dort stellt ihr ein Kollege Volker vor. Am späten Abend fährt Volker sie nach Hause. Eine weitere Verabredung lehnt sie allerdings ab. Erst ein Jahr später treffen sie sich wieder. Nun funkt es auch bei Rebecca. Man trifft sich und kommt sich näher. Bei einem Glas Wein macht Volker ihr einen Heiratsantrag.


    Die Hochzeitsglocken läuten und Rebecca ist total happy. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt für Nachwuchs und prompt bekommen sie ihren Stammhalter.


    Ganz schnell merkt Rebecca: Der Mann war ein Griff ins Klo. Schreck. Mit seinem Machogehabe und seinen Phantasien macht er ihr das Leben schwer. Mensch, denkt Rebecca, wenn nur Babsy hier wäre. Aber sie ist mit Mann und 2 Kinder verzogen. Mit ihr könnte ich reden. Sie wüsste, wie ich das Leben wieder erträglich machen kann. Wann ist der richtige Zeitpunkt für einen Schlussstrich.


    Die Jahre gehen ins Land – Rebecca wird immer unglücklicher. Auf Volkers neuer Arbeitsstelle lernt sie Peter kennen. Endlich jemand, mit dem sie reden kann – natürlich nicht über ihre Ehe, das gehört sich nun wirklich nicht – obwohl sie den Eindruck hat, dass Peter zwischen den Zeilen lesen kann.


    Und dann kann sie nicht mehr – geht zum Anwalt und lässt sich scheiden. In Lüneburg findet sie eine tolle Wohnung, 3 Zimmer, Küche, Bad für sich und das Kind. Auch findet sie in Lüneburg sofort einen Job. Es geht aufwärt.


    Aber der perfekte Augenblick war verpasst - Peter ist in Australien, weit weg und kennt weder ihre neue Adresse noch ihre Telefonnummer. Die Telefonnummer von Peter ist im Telefon gespeichert – in dem in der ehelichen Wohnung, bei Volker. .


    Ob es noch einmal den perfekten Augenblick gibt?

  • von Fay



    Die Orgelmusik setzte ein und alle Anwesenden erhoben sich. Ich konnte in alle ihre Herzen blicken und sah die eine oder andere Verfehlung, aber deshalb war ich nicht hier. Heute ging es einzig und alleine um die beiden Menschen, die gerade die Kirche betraten. Ich besah mir die Zeremonie aus Reihe 13. Die Bank knarrte leicht unter meinem Gewicht. Auch war ich kein freundlicher Rauscheengel und besaß nicht die Leichtigkeit, die man bei meinesgleichen vielleicht vermuten würde. Mein Körper war angefüllt mit all den Abscheulichkeiten, die ich tagtäglich in mich hineinsaugen musste.


    Wie hübsch und rein sie in dem weißen prächtigen Kleid wirkte. Ich lächelte in mich hinein. Der Blumenstrauß in ihrer kleinen Hand zitterte leicht und der Bräutigam führte sie stolz am Arm den Kirchengang entlang. Der Altar war mit üppigen Rosenbouquets geschmückt. Die anwesende Menge raunte leise, als die beiden an ihnen vorbei schritten. Mittendrin vernahm ich das Rascheln von festlicher Kleidung, gerührtes Seufzen und das Schnäuzen von Nasen.


    Nur ich, wusste mehr als alle anderen, kannte die unglaublichen Geheimnisse. Die Braut war ein verdorbenes Luder. Noch in der Nacht vor ihrer Trauung hatte sie bei einem anderen Mann gelegen. Sie war eines dieser seelenlosen Weibsbilder, denen Luzifer nach ihrer Geburt auf den Bauch geküsst hatte. Der Schoß einzig und alleine dafür erschaffen, um sich an fleischlicher Lust zu erfreuen. Ihr Leib würde nie etwas Gutes gebären. Ich war hier um Schlimmeres zu verhindern.


    Eine wirklich schöne Inszenierung, dachte ich. Die Rede vom Pastor war nicht einfallslos. Doch nun hatte ich endlich meinen Auftritt. Laut Plan sollte jetzt erst ein Lied erfolgen, anschließend würde der Pastor das Ehegelübde abnehmen. Der Bräutigam öffnete das Gesangsbuch: Lied 238 „Herr, vor dein Antlitz treten zwei“. Ich sah die Textstellen vor meinem geistigen Auge auftauchen. Genau in diesem Moment schickte Petrus einen Sonnenstrahl durch das bunte Kirchenfenster. Meinen Dank an ihn, schickte ich gedanklich gen Himmel. Das war wirklich perfektes Timing.


    Als die Musik einsetzte hörte man vom Brautpaar keine lieblichen Gesangstöne. Lediglich ein lautstarker Wortwechsel, hallte durch das Kirchenschiff. Das Buch fiel mit einem Platsch auf den Boden, woraufhin die Orgel nun endgültig verstummte. Das Foto hielt der Bräutigam immer noch entsetzt in der Hand. Die Gäste blickten sichtlich verwirrt. Langsam erhob ich mich, um die Kirche zu verlassen, denn ich hatte meine Aufgabe erfüllt. Das Bild, das ich zwischen die Seiten des Buches gelegt hatte, war wirklich brillant und von einer Schärfe, dass es Seinesgleichen lange suchen müsste. Ein würdiges Erinnerungsfoto an einen unvergesslichen Augenblick.

  • von Dori



    Die kleine Kirche war bis auf den letzten Platz gefüllt.
    Vorn standen Braut und Bräutigam.
    Alle sahen erwartungsvoll zum Altar, nur ein Augenpaar blickte unendlich traurig...


    Ich war so glücklich, als Sebastian mir nach 7 Jahren endlich einen Antrag machte.
    Ein paar Tage danach wollte ich mit ihm zu meinen Eltern fahren und ihnen die gute Neuigkeit mitteilen. Der feine Herr musste allerdings ganz plötzlich doch übers Wochenende zum Meeting und erzählte mir wie immer erst Freitag abends davon. Wie ich das hasste! Ich machte ihm eine richtige Szene, bei unserem Streit flogen die Fetzen, und als ich nicht mehr wusste, wo mir der Kopf steht, bin ich gegangen. Vor der Tür habe ich erstmal meine Mädels angerufen und beschlossen, mich mit ihnen in unserer Lieblingsbar um die Ecke zu treffen.
    Als ich dann dort saß und meinen Mai Tai schlürfte, kam eine Absage-SMS nach der anderen, sodass ich schließlich den Abend allein bleiben sollte.
    Ich spielte ein bisschen auf meinem Handy und war kurz davor zu gehen, als ich sah, wie mich quer durch die Bar jemand ansah.
    Er war mehr so der südländische Typ: karamellfarbene Haut, dunkles volles Haar (über-schulterlang, hmmm!), dunkle Augen und ein verschmitztes Grinsen im Gesicht. Ich zwinkerte ihm zu und er kam zu mir rüber.
    "Hi, ich bin Alexander. Wie heißt du und warum bist du so allein hier?"
    "Ich bin Cora und... naja... meine Freundinnen haben mich versetzt."
    Wir unterhielten uns ziemlich lange und ich merkte nicht nur, dass dieser Typ wahnsinnig gut zu mir passte (wir schienen Seelenverwandte zu sein!), sondern auch, wie der Alkohol in mir zu wirken begann. Irgendwie bin ich dann bei ihm Zuhause gelandet. Er konnte wahnsinnig gut küssen und wir verbrachten die Nacht zusammen. Geschlafen haben wir nicht.
    Als ich am nächsten morgen wieder nach Hause kam, war Sebastian natürlich nicht da. Klar, die Arbeit war ja auch wichtiger als ich. Aber auch als er später wiederkam, herrschte eisiges Schweigen zwischen uns.
    Irgendwann konnten wir zumindest soweit wieder klar denken, dass wir miteinander reden konnten. Nicht über den Streit. Aber ein gutes Paar muss sich ja wieder zusammenraufen. Irgendwie.
    Alexanders unzählige Anrufe auf meinem Handy beantwortete ich nicht. Zu sehr hatte ich Angst davor, dass er meinen Mikrokosmos noch einmal so erschüttern könnte, wie er es schon einmal getan hatte.


    Dann kam die Hochzeit, und alles daran fühlte sich falsch an. Als ich an der Seite meines Vaters zum Altar schritt, entdeckte ich Alexander in der hintersten Sitzreihe. Seine Augen sahen unendlich traurig aus.


    Während der Trauzeremonie waren meine Gedanken ein Wirbelsturm, der meine Gefühle, meine Vernunft, mein Bewusstsein mit sich fortriss und als der Pfarrer schließlich fragte, ob ich Sebastian heiraten wolle, wusste ich plötzlich, was ich zu tun hatte:
    Als das laute "Nein." meinen Mund verließ, waren wohl alle Hochzeitsgäste schockiert. Doch mir war das egal. Ich ging zu Alexander und Hand in Hand verließen wir die Kirche.
    Es war der perfekte Augenblick.


    Edit: Hier wurde der letzte Absatz nachträglich eingefügt, da er beim Einstellen nicht übertragen wurde. Leider habe ich das erst heute (3. Dezember) erfahren. LG Wolke

  • von Groupie



    Mit einem Lächeln im Gesicht geht Paul durch das Drehkreuz. Obwohl er das schon viele Male vorher gemacht hat, ist das heute ein ganz besonderes Gefühl. Viel intensiver als sonst. Ein Ordner vom Wachdienst wartet bereits auf ihn. Der Junge wird mit einer Überraschungstüte begrüßt, in die er nur einen kurzen Blick wirft. Ein blaues Trikot und einen Schal erkennt er auf den ersten Blick. An normalen Tagen wäre er deswegen schon völlig aus dem Häuschen gewesen, aber heute macht das keinen Unterschied mehr. Sein Herz rast immer schneller. Es wäre wohl Ironie des Schicksals, wenn er jetzt an einem Herzanfall sterben würde.


    Verantwortliche des Vereins kommen auf ihn zu. Auch sie begrüßen ihn und nehmen ihn mit auf eine Runde durchs Stadion. Er darf ins Allerheiligste der blau beleuchteten Arena: die Kabinen und die Kapelle. Mit großen Augen begutachtet der kleine Junge das, was den Fans normalerweise verborgen bleibt. Sogar die Trikots für das heutige Spiel hängen schon bereit. Paul saugt die Eindrücke auf, als hätte er Angst, auch nur ein klitzekleines Detail zu vergessen.


    Dann steht er vor einer dicken Panzertür mit der Aufschrift „Zutritt verboten“. Seine Begleiter signalisieren ihm, sie trotzdem zu öffnen. Oh, Mann. Zu Hause hat er sich so viele Fragen überlegt. Jetzt ist alles einfach weg. Er kann sich nicht mal an Stichpunkte erinnern. Was ist, wenn er gleich da steht und sich wie ein Trottel benimmt. Was, wenn ihm kein Wort über die Lippen kommt. Wenn er nur rumstammelt. Er atmet noch ein Mal tief durch und dann schiebt er die Tür auf.


    Da steht Lars Beckmann. Pauls Lieblingsspieler. Auch wenn er live ein wenig mickriger ist, ist der Junge schwer beeindruckt. Außer einem leisen „Hallo“ bekommt er erst mal nichts raus. Nach einem kurzen Abtasten übernimmt der Fußballer die Initiative. Er nimmt die Hand des strahlenden Kindes und führt ihn in einen Raum mit zwei Toren. Der Aufwärmraum. Paul wird zu einem kleinen Kick aufgefordert. Während des Spiels findet er auch seine Sprache wieder. Jetzt will der Kleine alles ganz genau wissen.


    Die Zwei haben völlig die Zeit vergessen, als die Verantwortlichen dem Spielchen ein Ende machen. Der Junge muss sich erst mal ausruhen und für den Profi ist es Zeit, sich zu verabschieden. Er muss zur Mannschaft. Allerdings geht er nicht, ohne Paul zu versprechen, ein Tor für ihn zu schießen.


    Das Kind hat kaum Zeit, sich zu erholen. Die Betreuer bringen ihn direkt auf die Tribüne. Er sitzt fast am Spielfeldrand. So nah war er noch nie dran. Er könnte den Jungs auf dem Rasen sogar was zurufen und sie würden ihn wirklich hören. Wow.


    Das Spiel endet 4 : 1 und Pauls Held hat wirklich ein Tor geschossen. Nur für ihn. Noch völlig abwesend kratzt der Junge sich den kahlen Kopf, als ihn ein Bufdi der Herzenswünsche e. V. abholen will. „Na!? 4 : 1? Wenn die so weiterspielen, werden sie tatsächlich noch Meister!“ Paul lacht herzhaft: „Hoffentlich. Wenn nicht, werde ich mich im Grab umdrehen!“

  • von Holle



    Die junge Frau stand am Fenster und schaute auf die Welt. Tief unter ihr erstreckte sich eine endlose Weite voller Miniaturen, fern und unerreichbar. Sie suchte nach vertrauten Orten und Wegweisern und überlegte, wie sich wohl die Sehnsucht in ihr Herz geschlichen haben mochte.


    Eigentlich hatte sie die alte Frau, die hier wohnte, nur nach dem Heimweg und ihrem verlorenen Arbeitsgerät fragen wollen. Aber als diese ihr Arbeit angeboten hatte, war sie geblieben. Die Welt dort unten hatte ihr nichts vergleichbar Gutes zu bieten gehabt.


    Hier gefiel ihr das Leben. Stets gab es zu tun. Ihre Aufgaben erledigte sie gewissenhaft und liebevoll. Sie hatte eingewilligt, den Haushalt zu versorgen, die Tiere zu füttern und darüber hinaus alle Hilfe zu leisten, um die sie gebeten wurde. Im Nu bündelten sich die Stunden zu einem Tag. Sie genoss den Wechsel von Arbeit, ausreichenden Pausen, leckeren Mahlzeiten und ein freundliches Miteinander. Abends fiel sie müde in ihr weiches Bett, das wunderbar nach frischer Luft duftete, kuschelte sich zurecht wie eine junge Katze und schlief sofort ein. Am nächsten Morgen wartete ein neuer, schöner Tag. Es gab keinen erkennbaren Grund zurück zu gehen. Sie verstand sich selbst nicht mehr.


    Heute war ihr eine neue Aufgabe übertragen worden. Sie wandte sich um, ging zum Bett und nahm ein Kissen zur Hand. Zurück am Fenster ließ sie es mit einem leichten Schwung über die Fensterbank gleiten und schüttelte es vorsichtig, probeweise.


    Woher kamen nur plötzlich die vielen Federn? Sie hatte keine Löcher im Inlay bemerkt. Hier und dort mochte es vielleicht einen feinen Kiel gegeben haben, der den Stoff durchdrungen hatte. Sie schüttelte energischer, und Wolken von Federn schwebten in die Tiefe. Sie lachte, schüttelte das Kissen mit aller Macht, und die Federn wurden zu Schneesternen, die vom Himmel tanzten und stoben.


    Ihr Blick folgte den Flocken, und die unerklärliche Traurigkeit kehrte zurück. Auf der fernen Erde und schimmerte nun eine weiße Decke, die sich schützend über alles gelegt hatte. Sie bedeckte auch den Brunnen mit dem Wetterhahn.


    „Mein Dorf! Meine Leute!“ Das Erkennen fuhr ihr ins Herz und ließ eine Welle aus freudigem Schrecken vom Kopf bis zu den Zehen durch ihren Körper strömen.


    Und unvermittelt stand die alte Frau hinter ihr, welche sagte: „Es gefällt mir, dass du wieder nach Hause möchtest. Deine Arbeit hier ist beendet, und du hast alles sehr gut gemacht.“


    Sie fasste sie bei der Hand, führte sie aus dem Haus zu einem großen Tor, das dort bisher nicht gestanden hatte.


    Da nahm die junge Frau dankend Abschied von der Alten und trat unter den Torbogen. Und es fiel plötzlich ein gewaltiger Goldregen über sie, so, wie der Schnee auf die Erde gefallen war und bedeckte sie über und über. In der Hand hielt sie ihre goldene Spule, und die Freude durchströmte ihren Körper vom Kopf bis zu den Zehen. „Das sollst du haben, weil du so fleißig gewesen bist“, erklang aus der Ferne noch die Stimme der Frau Holle, während sie sich schon am Brunnen ihres Dorfes wiederfand.

  • von Johanna



    Die kleine Kirche war bis auf den letzten Platz gefüllt.
    Vorn standen Braut und Bräutigam.
    Alle sahen erwartungsvoll zum Altar, nur ein Augenpaar blickte unendlich traurig...


    Ich sitze in der letzten Reihe und frage mich was ich hier überhaupt mache.
    Vorne am Altar steht die Frau, die ich liebe und heiratet einen anderen.


    Was ist nur mit mir passiert? Mir, der das Leben bisher nur positiv und sehr locker sah, jede Frau die er wollte ins Bett bekam, nur schwer dem schönen Geschlecht widerstehen konnte. Ich sitze jetzt hier und fühle mich am Ende wegen einer Frau.


    Nichtsahnend ging ich am Freitag, es mußte natürlich der 13. sein, in meine Lieblingskneipe. Wollte mich dort mit Jan treffen, mit ihm das Bundesligaspiel ansehen.
    Jan kam nicht, das Spiel fiel aus. Abgesagt wegen schlechter Wetterverhältnisse. „Weicheier, die heutigen Fußballer. Nicht mal in der Lage den Ball im Regen durchs Stadion zu kicken.“


    Ich trank also mein Bier und überlegte, wie ich den Abend noch sinnvoll nutzen könnte, da fiel mein Blick auf eine Frau.
    Ok, das passiert mir jetzt öfter, dass mir schöne Frauen ins Auge fallen, immerhin bin ich ein Mann und habe auch öfter meine Bedürfnisse, ohne mich dann gleich an die Leine nehmen lassen zu wollen.
    Aber hier, da war es irgendwie anders.
    Sie saß vor ihrem Glas, sah traurig und verlassen aus.
    Unwillkürlich blieb mein Blick auf ihr haften und etwas mir bis dato völlig unbekanntes nahm von mir Besitz.
    Eine seltsame Anziehung ließ mich den Blick nicht von ihr abwenden.
    Sie strahlte etwas zugleich Starkes und verletzliches aus.


    Als ich ihr zulächelte, erwiderte sie mein Lächeln mit einem charmanten Zwinkern, so dass ich mich zu ihr an den Tisch gesellte.
    Sie nannte mir ihren Namen. Cora. Für mich klang dieser Name wie Musik.
    Gemeinsam tranken wir noch einiges und unterhielten uns stundenlang.
    Das war mir auch noch nie passiert, dass ich mich mit einer Frau derart intensiv unterhalten konnte. Sie hatte Ahnung von allem, sogar von Fußball.
    Cora verstand mich sofort. Es war, als schwebten wir auf einer gemeinsamen Wellenlänge.


    Schließlich fragte ich sie, ob sie mit mir käme und wir gingen zu mir.
    Was soll ich sagen, es war eine phänomenale Nacht. Der Sex war einfach nur bombastisch, zum schlafen kamen wir nicht.
    Am nächsten Morgen ging sie und beichtete mir, dass sie demnächst heiraten werde.


    Eine Welt brach für mich zusammen. Etwas war mit mir passiert, das ich niemals für möglich gehalten hätte.
    Ich hatte mich verliebt. Bekam das Gefühl, ohne diese Frau nicht mehr leben zu wollen.
    Mir schien als bräche mein Herz, als keiner meiner Versuche, sie telefonisch zu erreichen, fruchtete.


    Nun sitze ich hier und sehe, wie mein Herz endgültig bricht, während sie dort diesem anderen angetraut wird.
    Die Gefühle mühsam zurückhaltend höre ich auf einmal ein lautes „Nein“, vernehme überraschtes Murmeln und sehe Cora auf mich zukommen, strahlend übers ganze Gesicht. Sie nimmt meine Hand und gemeinsam verlassen wir die Kirche.
    Es ist der perfekte Augenblick, der mein Leben verändert.

  • von arter



    alte Mann saß am Rheinufer und beobachtete die Frachtkähne, die schwer beladen durch das Wasser pflügten. Es war fünf vor Zehn, ein stinknormaler Dienstag im August. Damals war es ein Sonntag gewesen, dieser eine Tag in seinem Leben, den er nie vergessen würde. Er hatte jetzt viel Zeit, denn er war Rentner und die Tage waren nicht mehr so aufregend, besonders, seitdem er allein war. Aber heute, das war eine Ausnahme. Heute hatte er eine Verabredung.


    Ein langes Schubschiff mit einer Schweizer Flagge kämpfte tapfer gegen den Strom an. Auf dem Deck lag ein Fahrrad. Daneben stand ein kleines Mädchen und winkte ihm zu. Der alte Mann fragte sich, warum Kinder, die tagein, tagaus auf diesem Kahn verbrachten, immer noch den Menschen am Ufer zuwinkten. War es vielleicht ein Versuch, diesem Gefängnis zu entfliehen? Er winkte freundlich zurück und ihm kam dieser flüchtige Kontakt genauso vor, wie jene Begegnung vor fünfzig Jahren. Ein zufälliges Aufeinandertreffen zweier Menschen, nur eine kurze Episode auf dem Fluss seines Lebens.


    Zwei vor Zehn.


    Es war genau dieser Moment, den er über all die Jahre in seinem Gedächtnis gehütet hatte wie einen kostbaren Schatz, wohl wissend, dass die Erinnerung daran eines Tages wieder aufblühen sollte wie die Rose von Jericho. Und heute war dieser Tag.


    Marie und er hatten sich nicht kennen gelernt, sie waren einander passiert. Ein ohnmächtiger Taumel, mit der sicheren Erkenntnis, dass man füreinander bestimmt war. Und am Morgen danach hatten sie hier an dieser Stelle gesessen und beschlossen, den Moment festzuhalten. Egal was das Leben bieten würde, in exakt fünfzig Jahren, am gleichen Datum, zur selben Zeit, wollten sie sich genau an diesem Ort wiedertreffen.


    Der Sekundenzeiger passierte den Minutenzeiger auf der vollen Stunde. Der Alte schaute in beide Richtungen längs des Flusses, Marie war nicht zu entdecken. Nur eine junge Frau näherte sich von fern auf der Promenade. So jung waren sie damals auch gewesen. Er sank in sich zusammen und ließ die Zeit von damals Revue passieren, die Umstände die sie beide auseinandergerissen hatten. Sie war aus dem anderen Teil des Landes gewesen, von dort, wo man bald keine Nachforschungen mehr anstellen konnte.


    Der alte Mann bemerkte, dass die junge Frau sich neben ihn gesetzt hatte. Er wollte sie auffordern, ihn allein zu lassen. Aber als er in ihr ins Gesicht blickte, erstarrte er. Es war Marie, die ihn anlächelte mit ihren wasserblauen Augen und dem blonden lockigen Haar.

    "Georg.“, stellte sie fest. Sie war überhaupt nicht älter geworden in all den Jahren. Marie ergriff seine Hand und sagte etwas, aber ihre Worte wollten nicht zu ihm durchdringen: „Sie ist schon vor zwanzig Jahren gestorben. Ich habe Oma versprochen, dir heute diesen Brief zu geben."


    „Ich habe so lange auf dich gewartet“, sagte er.


    Sie lächelte milde, streichelte mit dem Handrücken über seine zerfurchte Wange und drückte ihm einen Kuss auf die Stirn. Dann stand sie auf und ging. Warum verschwand sie schon? Der Alte blickte ihr entgeistert hinterher. Seine Finger zerknitterten das Stück Papier in seiner Hand.