Anne-Gine Goemans: Gleitflug
Insel Verlag 2012. 448 Seiten
ISBN-13: 978-3458175490. 21,95€
Originaltitel: Glijvlucht
Übersetzer: Andreas Ecke
Verlagstext
Es gibt gewöhnlichere Wohnorte als den von Gieles, vierzehn Jahre alt und hellwach: Mit seinem Vater und seinem Onkel lebt er in einem alten Bauernhof direkt neben der Landebahn eines Flugplatzes. Vater Willem ist als Flughafenförster dafür zuständig, daß keine Vogelschwärme die landenden und startenden Maschinen behindern, und Onkel Fred betreibt mit ungebremstem Optimismus einen Campingplatz für »plane spotters«. Gieles' Mutter dagegen ist meistens abwesend, ihre ganze Hingabe gehört ihren Hilfsprojekten in Afrika. Und Gieles selbst? Der ist verliebt, in Meike, die es mit ihren Piercings ein wenig übertreibt, vor allem aber in seine vier Gänse, die nur so lange ein Bleiberecht auf dem Gelände haben, wie sie sich nicht in die Luft erheben. Doch genau das bringt Gieles auf eine zündende Idee, wie er die Aufmerksamkeit seiner Mutter zurückerobern kann: das Geheimprojekt »Geniale Rettungsaktion 3032«. »Gleitflug« ist ein Roman über das Fliegen, die Freundschaft und den Kampf für die eigenen Träume – saukomisch, sehr anrührend und zum Verlieben.
Die Autorin
Anne-Gine Goemans, geboren 1971, wuchs im Bollenstreek auf, dem berühmtesten Tulpenanbaugebiet der Niederlande. Sie studierte an der Schule für Journalistik in Utrecht, wo sie später auch lehrte, sowie in Aix-en-Provence. Als freie Journalistin schreibt sie u. a. über kulturwissenschaftliche Themen. Für ihren ersten Roman Ziekzoekers erhielt sie 2008 den renommierten Anton Wachter-Preis für das beste literarische Debüt. Ihr zweiter Roman Gleitflug, der 2011 erschien, war nominiert für den BNG-Literaturpreis sowie den Libris-Literaturpreis und wurde mit dem Dioraphte-Preis 2012 ausgezeichnet; er wird derzeit in den Niederlanden verfilmt. Die Band ›The Hype‹ hat, inspiriert von Gleitflug, einen Song geschrieben, »Who Knows, Maybe«. Mit ihrem Mann und ihren drei Kindern wohnt Anne-Gine Goemans in Spaarndam, einem Dorf in Noord-Holland.
Inhalt
Gieles hat zwei Idole - Sully, Flugkapitän Chesley B. Sullenberger, der seine Maschine elegant auf dem Hudson landete, nachdem ihm Gänse ins Triebwerk geflogen waren, und den französischen Ornithologen Christian Moullec, der Zugvögel so auf sich prägte, dass sie seinem Ultraleichtflugzeug folgten. Der Brief an den Franzosen, an dem Gieles gerade feilt, zieht sich in einzelnen Absätzen hin; denn Gieles Französisch holpert noch etwas. Gieles eigene Leidenschaft für Gänse ist nicht ungefährlich. Gieles Vater hat als Flughafenförster dafür zu sorgen, dass Vögel vom Flughafengelände fernbleiben. Ein Sohn, der Gänse mit Spekulatius abrichtet, passt da gar nicht. Ein Pubertierender, dessen jüngste Gans nur direkt neben seinem Kopfkissen einschlafen kann, und ein stimmungsvolles Buchcover könnten einen leichten, gefühlvollen Roman vermuten lassen. Doch Gieles Leben, das er mit seinem wortkargen Vater und dessen körperbehinderten Bruder Fred teilt, ist alles andere als leicht. Es sind fast schon zu viele Probleme, mit denen der Junge konfrontiert wird. Nachbarin Dolly, deren Haus einer Erweiterung des Flughafens zum Opfer fallen soll, kann es sich nicht leisten, fortzuziehen. Ihre drei Söhne sehen in Gieles, der auf sie aufpasst während Dolly zu ihrem Zweitjob hetzt, einen Vaterersatz. Sie hängen so stark an ihrem Kindersitter, dass man sich gut vorstellen kann, wie sehr sie ihren verstorbenen Vater vermissen. Der grotesk übergewichtige "Super" Waling hat eine Erzählung über seine Vorfahren geschrieben, die beim Trockenlegen des Polders, auf dem heute das Flughafengelände liegt, wie Ochsen ausgebeutet wurden. In Einzelkapiteln bekommt Gieles die Geschichte nach und nach von "Super". Außer Gieles hat offenbar noch niemand überlegt, wie aus dem charismatischen Lehrer Waling dieser Mitleid erregende Mann werden konnte, der sich nur noch wie ein Behinderter per Elektrokarren bewegen kann. Meike, Gieles Internet-Bekanntschaft und erste große Liebe, bringt einen ganzen Packen Probleme mit und findet unerwartet eine Unterstützerin in Dolly. Warum seine Mutter seit Jahren als Entwicklungshelferin in Afrika Solarkocher verteilt, anstatt bei ihrer Familie in den Niederlanden zu sein - diese wichtigste Frage überhaupt - verdrängte Gieles bisher erfolgreich. Doch mit den Hormonen, die die Leitung über seinen Körper übernommen haben, und neben Gieles ehrgeizigem Projekt, seiner jüngsten Gans das Tischtennispielen beizubringen, steuern die Ereignisse auf ein rasantes Ende zu.
Fazit
Anne-Gine Goemans hat ein Händchen für skurrile Charaktere, die alle wie aus dem Nest gefallene Vögel wirken. Gieles war mein unangefochtener Favorit, obwohl man Goemans Figuren in ihrer Schrulligkeit alle mögen muss. Die Art, in der in "Gleitflug" jede Nebenfigur liebevoll ausgearbeitet und mit der Last eines speziellen Geheimnisses beladen war, hat mich ebenso gefesselt wie Goemans Erzählkunst, mit der sie Gegenwart, Vergangenheit und Gieles Träume (die er seinem Brief anvertraut) miteinander verknüpft. Schließlich punktet die deutsche Übersetzung des Texts mit einer treffenden Sprache, die zu Gieles passt wie der Punkt auf das i.
9 von 10 Punkten