'Schuld und Sühne' - Kapitel 01 - 10

  • Ich bin jetzt mit dem ersten Abschnitt durch.
    Meine Konfusion bezüglich der Motive für den Mord sind weiter gestiegen, als Raskolnikow die ganzen Wertsachen in die Newa werfen wollte. Wäre es die Armut, die ausschlaggebend wäre, hätte er doch zumindest überlegt, was er sich davon kaufen will. Aber solche Überlegungen tauchen nicht einmal auf.
    Natürlich spielt seine Armut schon eine Rolle - schließlich scheint die drohende Heirat von Dunja, die seine Absicherung zum Ziel hat, der unmittelbare Auslöser für die Tat zu sein.


    @ Richie
    Ich glaube, man kommt relativ schnell hinter das russische System, es ist nur am Anfang verwirrend. Üblich ist die Anrede mit Vornamen und Vatersnamen. Wenn man über jemanden gesprochen wird, fällt auch häufiger mal der Familienname. Und dann gibt es noch die diversen Abkürzungen der Vornamen, aber die sind i. d. R. erschließbar.


    @ Sanne
    Ohne jetzt eine Diskussion über Klassiker im allgemeinen anfangen zu wollen, aber mir tut es jedes mal weh, wenn Leser meinen, dass Klassiker nichts für sie sind. Natürlich gefällt einem nicht jedes Buch und nicht jeder kann sich zu jeder Zeit in die Gehirnwindungen jedes Dichters hineinversetzen. Das heißt doch aber nicht, dass man mit anderen "Klassikern" nicht gut klarkommt.
    Ich fand z. B. Gogols Erzählungen fantastisch, konnte aber mit dem Roman "Tote Seelen" weniger anfangen und habe es schließlich erst mal abgebrochen. Ist doch aber bei moderner Literatur nicht anderes, oder?


    Ich verstehe ein bisschen, was Du meinst mit dem Hin und Her. Allerdings finde ich diese inneren Monologe, die Beschreibung der Zerissenheit R.s gerade unheimlich gut gelungen.

  • Was haltet Ihr eigentlich davon, dass R., der in der Unterhaltung auf der Straße aufschnappt, dass die Schwester um 6 Uhr des nächsten Tages einen Termin hat, den Mord auf 7 Uhr ansetzt? (Und dann noch verschläft und noch später dran ist?)


    Soll das ein Hinweis von Dostojewski auf die Selbstzweifel und den Unwillen von R. zum Mord sein? Wenn R. schon um 6 bei der Pfandleiherin gewesen wäre, hätte er ja die Schwester nicht auch noch umbringen müssen. :gruebel

  • Vulkan
    Ich habe kein grundsätzliches Problem mit sog. Klassikern. Mir macht dieses Buch zu schaffen. Nachdem ich "Anna Karenina" und "Krieg und Frieden" gelesen habe (und diese beiden haben mir sehr gut gefallen!), wollte ich mehr Bücher dieser Art lesen. Und Dostojewski ist mir von mehreren Leuten empfohlen worden. Aber irgendwie komme ich mit der Sprache überhaupt nicht klar, möchte aber trotzdem das Buch endlich "durchziehen"; vielleicht lerne ich es noch zu verstehen.

  • @ Sanne
    Dann habe ich Dich und Deine Äußerung "solche Klassiker" falsch verstanden.
    Wobei ich persönlich glaube, es gibt genügend "Klassiker", die einem gefallen können, als dass man sich durch einzelne durchquälen sollte. Aber manche schätzen ja das "Lesen im Schweiße"... :grin :wave


    Ich hoffe, Du findest noch etwas mehr Gefallen an Raskolnikow - wenn Du ihn denn nicht abbrechen magst.

  • Zitat

    Original von Vulkan
    ... Aber manche schätzen ja das "Lesen im Schweiße"... :grin :wave


    Das ist nicht meine Motivation. Bei "Anna Karenina" habe ich auch mehrmals abgebrochen, und dann auf einmal, nach gut der Hälfte, hats dann "Klick" gemacht und ich habs mit Freude fertiggelesen und gleich nochmal von vorne begonnen. Und "Krieg und Frieden" hat mir dann gleich von Anfang an gefallen.


    Zitat

    Original von Vulkan
    Ich hoffe, Du findest noch etwas mehr Gefallen an Raskolnikow - wenn Du ihn denn nicht abbrechen magst.


    Danke dir! :wave

  • Jetzt habe ich extra nochmals nachgelesen, Vulkan!
    In meiner Übersetzung ist immer von 7 Uhr abends die Rede. Bloss verschläft Raskolnikow und kommt erst gegen 7 Uhr 30 an den Tatort. Nun kann das natürlich falsch übersetzt sein, deswegen hätte sich mir diese Frage gar nicht gestellt. Jedenfalls finde ich es auch eigenartig, dass man überhaupt so lange schlafen kann, wenn man eine solche Tat plant.
    Unterdessen hat sich mein Bild vom Mörder ja etwas gewandelt. Zuerst dachte ich, er will diesen Mord nur begehen, um selber an Geld zu kommen. Dann redet er aber auch davon, dass das Leben dieser alten Frau ohnehin nutzlos sei. Außerdem hätte sie ihr Geld nicht einmal ihrer Schwester, die wie eine Sklavin für sie arbeiten muss, vererbt, sondern einem Kloster vermacht. Er überlegt, wieviel Gutes man doch insgesamt mit diesem Geld tun könnte, junge Leute und ganze Familien vor dem Untergang retten.
    Klingt fast nach einem russischen Robin Hood, oder was meint Ihr?


    Sanne
    Hoffentlich liest Du Dich noch in unseren Roman ein. Manchmal braucht es eben etwas Geduld, bis man mit Sprache und Gedanken eines Schriftstellers vertraut geworden ist. Du kannst ja durchaus schon einiges an russischen Klassikern vorlegen. Da wäre es doch sehr schade, wenn Du aufgeben würdest.
    Mir persönlich gefällt dieses Hin und Her, wie Du es nennst, sehr gut, weil es der Vielschichtigkeit einer Persönlichkeit, gerade in so einer Situation, nur auf diese Art und Weise gerecht werden kann.

  • @ Sylli
    Dann ist es wahrscheinlich bei mir ein Druckfehler.
    Bei mir (Fischer-TB, Geier-Übersetzung; Teil 2, Ende von Kap. 5) auf S. 86 bitten der Händler und seine Frau Lisaweta "Morgen, nach sechs" zu kommen. Ein paar Zeilen später heißt es dann über R.: "Er hatte erfahren, er hatte plötzlich, unverhofft und völlig unerwartet erfahren, daß morgen, genau um sieben Uhr abends, Lisaweta, die Schwester und einzige Hausgenossin der Alten, nicht zu Hause und folglich die Alte genau um sieben Uhr abends in der Wohnung ganz allein sein würde." (Schrägschrift laut meiner Ausgabe)


    Ich dachte, das wäre schon ein Hinweis auf Irrsinn, Widerwille oder was auch immer von R. - ist dann aber anscheinend einfach ein Druckfehler. (Ich habe auch noch mal meine andere, alte Ausgabe herausgekramt, da steht auch nur was von 7 Uhr.)

  • Zitat

    Original von Sylli7
    Außerdem hätte sie ihr Geld nicht einmal ihrer Schwester, die wie eine Sklavin für sie arbeiten muss, vererbt, sondern einem Kloster vermacht. Er überlegt, wieviel Gutes man doch insgesamt mit diesem Geld tun könnte, junge Leute und ganze Familien vor dem Untergang retten.
    Klingt fast nach einem russischen Robin Hood, oder was meint Ihr?


    Ich muss noch mal nachgucken, meine aber, dass diese Ausführungen von jemand anderem stammen - nachdem R. das erste mal bei der Pfandleiherin war, hört er doch in einem Wirtshaus zwei Personen zu, von denen einer all das erzählt. R. denkt lediglich, dass er im Ansatz ähnliche Gedanken hatte.


    Für mich hat sich das Bild v.a. dadurch gewandelt, dass er die Tat nach dem Brief ausführt und es so scheint, als wenn er dadurch der in seinen Augen geplanten "Prostitution" seiner Schwester zuvorkommen will. Er tut es also nicht für sich, sondern scheinbar aus Verzweiflung, weil er seinen Pflichten als Familienversorger und -beschützer nicht nachkommen kann. Das Aufrechnen der Toten durch diesen unbekannten Menschen im Wirtshaus (paraphrasiert: "Ist der Tod eines einzelnen, alten, unnützen Menschen nicht ok, wenn man dadurch hunderte andere Leben retten und verbessert kann?") ist mir persönlich dagegen wesentlich unsympathischer.


    Kurze Zwischenfrage: Hat Robin Hood Menschen umgebracht? Diebstahl und Raubmord ist ja nun noch ein kleiner Unterschied.

  • Du hast schon recht, Vulkan! Raskolnikow hört ein Gespräch zwischen einem Studenten und einem Offizier im Wirtshaus. Aber dann heißt es sinngemäß, warum er denn genau zu diesem Zeitpunkt solche Gedanken mitanhören hatte müssen und wörtlich: "...jetzt, da in seinem Kopf eben erst ... genau dieselben Gedanken aufgekeimt waren?" Er sieht darin sozusagen eine Vorherbestimmung, ein Erwähltsein, um diese Tat auszuführen. So sehe ich das.


    Sicher kann man auch Deine Interpretation bezüglich des Familienernährers gelten lassen, die er ja nicht erfüllen kann.
    Das macht ja das Lesen gemeinsam mit anderen so interessant, dass man auf Ideen kommt, die man alleine nicht gehabt hätte.


    Die Assoziation mit Robin Hood hatte ich in der Verbindung von - den Reichen Geld wegnehmen und es den Armen geben. Robin Hood war da wohl die (moralisch) etwas edlere Ausführung, Raskolnikow finde ich aber interessanter.

  • @ Sylli
    Ich habe wegen Robin Hood nur gefragt, weil ich eigentlich nur den Namen und kaum etwas von der Geschichte dahinter kenne. Ich habe jetzt erst mitbekommen, dass sich der Mythos über die Jahrhunderte wohl auch immer weiter weg vom grausamen Räuber zum "Retter der Armen" gewandelt hat.


    Dass Raskolnikow mehr her gibt als der weichgespülte Robin-Hood-Mythos in irgendwelchen Filmen ist keine Frage.


    Übrigens - um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen - wann immer ich zu solchen Deutungen was schreibe, geht es explizit um MEINE Eindrücke beim lesen. Ich weiß genau, dass die sehr subjektiv sein können und ein anderer Leser mit anderem Hintergrund völlig andere Aspekte im Vordergrund sieht. Das ist ja das spannende an LR - gerade bei solchen Romanen, die diesbezüglich auch ein bisschen was "hergeben". (Nur zur Sicherheit! :wave)

  • Mir ist Robin Hood auch nur als "Retter der Armen" ein Begriff. Sonst weiss ich über den Herrn auch nicht viel mehr.


    Ich habe beim Lesen irgendwie das Gefühl bekommen, dass Raskolnikow diese Morde nur begehen konnte (er hatte sich wohl schon länger mit dem Gedanken getragen), weil er seine Meinung in diesem Gasthausgespräch bestätigt fand. Vielleicht meinte er, das tun zu dürfen, weil er damit auch anderen eine bessere Lebensgrundlage geben konnte.
    Und geizig war er ja nicht, wie er trotz seiner eigenen Armut des öfteren bewiesen hat.
    Er hat diese Tat ja auch nicht leicht weggesteckt, ist sehr krank geworden und war auf dem Polizeirevier knapp davor, alles zu gestehen.


    Bitte, Vulkan, schreib immer alles, was Dir einfällt. Natürlich deutet jeder Leser seine Eindrücke auf seine Art und Weise. Wissenschaftliche Objektivität kann es in der Literatur ja gar nicht geben, nicht mal bei den Profis. Da wäre ja gar nicht möglich.
    Aber je mehr wir uns von unseren Eindrücken mitteilen, umso mehr können wir aus so einer LR mitnehmen. So befasst man sich auch viel intensiver mit der Lektüre und sie bleibt einem sicher länger im Gedächtnis, als wenn man alleine liest.

  • Konnte heute endlich wieder weiterlesen und hatte doch wirklich als erstes gleich den Abschnitt mit diesem Albtraum um das Pferd. Für mich war das wirklich derart heftig, daß ich die Passage nur überflogen habe. Diese Schilderung war ja wirklich so grauenhaft, daß ich sie einfach richtig nicht gelesen habe.


    Jetzt bin ich gerade bei seiner Mordplanung, mal sehn wie es weitergeht. Es ist spannend und flüssig zu lesen, aber trotzdem kann ich nicht mein normales Lesetempo halten, ich weiß nicht warum. Geht es euch auch so?

  • Hallo


    ich bin ganz begeistert, dass es mir diesmal leichtet fällt, dieses Buch zu lesen.
    Ich mag es sehr, wenn ein Dichter, diese inneren Monologe, die im Kopf seiner
    Hauptperson vor sich gehen, so schreibt wie Dostojewski.
    Raskolnikow ist verwirrt, er sieht, wie wenig redliche Arbeit bringt, ein paar Kopeken,
    er hat Schulden, Hunger und plant nun einen Überfall. Eigentlich ist er aber nicht
    hartherzig, wie man sieht, dass er den Betrunkenen Marmeladoff nach Hause bringt
    und den hungrigen Kindern ein paar Kopeken dalässt.
    Er ist nicht materialistisch eingestellt, denke ich. Er will nicht, dass seine Schwester
    sich an einen reichen Mann bindet, den sie nicht liebt.


    Mir gefällt das Buch bisjetzt, aber ich weiss es wird schwieriger...
    Ich bin jetzt Anfang 4. Kapitel


    Grüsse
    Eva

    Tilmann Lahme Die Manns Geschichte einer Familie
    Byron Tanja Das Gehirn meiner Großmutter








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  • Da hast schon recht, Richie!
    Obwohl sich das Buch gut liest, kann man nicht nur so darüberfliegen. Da würde man sicher manches überlesen. Ich habe einige Passagen sogar zweimal gelesen. Aber ich gehöre ohnehin zu den Langsamlesern.
    Mir macht es jedenfalls noch Freude, aber ich fürchte auch, dass es noch schwieriger wird, wie von Evalitera schon angekündigt.


    Jetzt werde ich mich mal - trotz Verkühlung - über den 2. Abschnitt hermachen.

  • Bis jetzt finde ich dieses Buch sehr flüssig zu lesen, ich bin erstaunt über dessen Sogwirkung! Leider ist meine Ausgabe sehr klein gedruckt, sodass ich es nicht schaffe mehrere Kapitel zu lesen ohne Kopfschmerzen zu bekommen :-( Gebe aber nicht auf!
    R. ist für mich noch nicht ganz klar, während ich zu anderen Figuren schon ein klares Bild habe. Er und ich glaub ich, brauchen eine Weile um zueinander zu finden... Schön fand ich da schon mal seine Reaktion auf den Brief seiner Mutter, die zeigte mir mal eine positivere Seite von ihm.

  • Ich habe auch so eine Kleindruckausgabe und seit dem Wochenende auch noch eine Erkältung. Da ist das Lesen ganz schön anstrengend. Aber Pause kann ich auch keine machen, dazu ist es viel zu interessant.


    Ich kann mir von Raskolnikow inzwischen schon ein ganz gutes Bild machen, das sich natürlich wieder ändern kann.
    Hingegen ist mir dieser Luschin, der künftige Schwager Raskolnikows, noch etwas suspekt. Die künftige Gattin samt Mutter hat er ja nicht gerade in einer vertrauenswürdigen Gegend untergebracht. Und selber zahlen ließ er sie die Reise nach Petersburg auch noch.
    Mal sehen, wie der sich noch entwickelt.

  • Irgendwie fasziniert mich das Buch und möchte nur mal so zwischendurch schreiben, wie ich es empfinde.


    Ich habe gerade die Passage mit den Morden gelesen. Dostojewski hat für mich eine ganz tolle Art zu schreiben - man fühlt sich mitten im Geschehen, man kann sich alles ganz klar und deutlich vorstellen. Ich hatte irgendwie das Gefühl der Mord findet in einer Wohnung statt, die ganz wenig Licht hereinläßt und nur dunkle Möbel hat. Den Mord selbst beschreibt es ja auch wieder sehr detailliert und wie ich finde nicht so hektisch wie heute in einem Thriller Morde beschrieben sind. Es geht mir bei dem ganzen Buch so, daß ich das Gefühl habe, die Zeit geht langsamer vorbei im Gegensatz zu heute.


    Das sind meine persönlichen Empfindungen. Wie seht ihr das?

  • @ Richi
    Dazu müsste ich nun doch etwas besser die moderne Kriminalliteratur kennen - aber ich kann mir vorstellen, dass Dein Eindruck dich nicht trügt. (Mir ist dieses Phänomen bisher immer in Filmen aufgefallen, aber weniger in der Literatur.) Wobei hier vielleicht noch dazu kommt, dass es ja weniger eine Kriminialgeschichte ist, sondern der Fokus anscheinend nicht darauf gerichtet ist, wer was wie macht, sondern mit welcher Intentionen, mit welchen Gefühlen und Gedanken und wie er die Tat verarbeitet. Ich denke, auch daraus ergibt sich die Entschleunigung, weil an Handlung vergleichsweise wenig (für die Seitenzahl) passiert.

  • Das hast Du gut beschrieben, Richie.
    Eben ein ganz anderer Stil.
    Und man nimmt ihm die Flucht aus der Wohnung ohne erwischt zu werden und auch das Zurücklegen des Beils, wobei alles so glatt geht, vollkommen ab.
    Ich neige sonst eher dazu, allzu viele glückliche Zufälle als Unsinn abzutun, aber bei Dostojewski klingt das bis jetzt alles völlig glaubhaft.
    Muss doch am Genie liegen. ;-)

  • Gut beschrieben Richie! Ich habe das Gefühl bei diesem Buch ich wäre bei manchen "Szenen" live dabei, so real sind sie eschrieben. Gerade bei den Morden, aber auch bei R.`s Traum gings mir so. Als Mikolka anfing auf das Pferd einzupeitschen und die Menge anstachelte, wäre ich am liebsten auf ihn zugestürmt, hätte ihm die Peitsche aus der Hand gerissen und ihm eine verpasst! Dieses Reale hatte ich bei den Morden wieder, ich hab geglaubt zu fühlen was in R. vorgeht, alles genau gesehen und miterlebt.