Wer weiß was? - Silvia Bovenschen

  • Der Mörder hat gerade gemordet, so beginnt dieses Buch, und er (oder sie?) ist doch überrascht, das nichts mit ihm passiert, keine Gewissen meldet sich, keine Alpträume verfolgen ihn; er ist durch die Tat kein anderer Mensch geworden. Wer Opfer ist, wer Täter, was passierte bleibt vorerst im Dunkeln.


    Denn nach diesem Prolog stürzen wir uns gleich in die eigentlich Geschichte: Professor Urlach, Literatur-Professor, wird tot in der Toilette seines Instituts aufgefunden, das Messer in seinem Rücken deutet auf Mord hin. Trauer will allerdings nicht so recht aufkommen, eher scheinen die Kollegen eine gewisse morbide Freude darüber zu empfinden, dass endlich mal das echte Leben oder vielmehr der echte Tod in ihren Elfenbeinturm eingedrungen ist.
    Die Lösung des Falles geht nicht so recht voran, aber eigentlich ist er eh nur der Türöffner, der uns in das Milieu einführt. Denn viel spannender als die eigentlich vollkommen unerhebliche Frage, wer's denn nun war, sind die alltäglichen Intrigen und Geheimnisse des akademischen Literaturbetriebs. Da gibt es den Möchtegern-Privatgelehrten Pascal, der eigentlich von der Alimentierung seiner Mutter lebt, auch wenn er sich gerne im Glanze „echter“ Akademiker sonnt. Die Mutter wiederum ist ein versnobter Hausdrache, der nicht nur Pascal, sondern auch seiner Lebensgefährtin Molly das Leben zur Hölle macht. Deren Freundin Carola, erfolgreiche Schriftstellerin mit Schreibblockade, wundert sich über Mollys Unterwürfigkeit, hat aber selbst mit der erloschenen Leidenschaft in ihrer eigenen Beziehung zum leicht trotteligen Professor zu kämpfen. Es ist ein etwas verwirrendes, aber auch ungeheuer vergnügliches Soziogramm in einer eigenen Welt, in der jeder so seine Geheimnisse hat.


    Ich bin ja eigentlich ein gebranntes Kind, sind doch deutsche Krimis aus akademischen Kreisen (ich nenne jetzt mal keine Namen) meist gut gemeint, aber selten gut gemacht.
    Bovenschen dagegen versucht erst gar nicht, mit den Mitteln einer deutschen Geisteswissenschaftlerin einen amerikanischen Thriller zu schreiben: Konsequent verzichtet sie auf Verfolgungsjagden, grausame Morde und dunkle Schatten aus der (Nazi-)Vergangenheit. Anstatt in die Falle der plumpen Versatzstücke zu tappen, spielt sie ganz virtuos mit ihnen.
    Sie spielt auch mit der Sprache -die ist zweifellos literarisch- und überhaupt mit dem Text an sich. Das wirkt manchmal abstrus, ist aber eigentlich konsequent. Dennoch kokettiert Bovenschen keinen Augenblick mit dem Bildungsbürgertum, sondern macht sich vielmehr ungehemmt über das akademische Paralleluniversum lustig. Deshalb ist dieses Buch ein „literarischer Krimi“ im besten Sinne, dürfte aber für Leute, die keinen Spaß an Spielereien mit dem Text haben, ein eher enttäuschender Krimi sein.

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)