erstmals erschienen 1990
Hannes und Jo sind Zwillingsbrüder, waren Zwillingsbrüder, muß man sagen, denn Jo ist tot. Er stürzte in die alte Kiesgrube. Die Eltern haben den Jungen oft und oft verboten, dort zu spielen. Aber Jo ließ sich nichts verbieten, Jo tat immer, was er wollte. Und er hatte immer Erfolg damit. Er war mutig, gescheit, geschickt, sah gut aus. Er war ganz anders als Hannes, sein genaues Gegenteil. Hannes wäre gern so gewesen, wie sein Bruder. Die beiden seien ein Herz und eine Seele, behaupteten alle. Daß das nicht stimmte, wußten nur die beiden Jungen. Glaubt Hannes. Er glaubt auch, daß alle denken, er sei an dem Unfall schuld. Und daß es besser gewesen wäre, wenn er gefallen wäre und nicht Jo.
Die Geschichte beginnt am Tag von Jos Beerdigung. Der Unfall ist kaum mehr als eine Woche her. Hannes ist vor allem durcheinander. Während der schreckliche Tag langsam abläuft, tastet er sich an den Unfall und damit an das schwierige Verhältnis zwischen sich und seinem Zwillingsbruder heran. Feth berichtet präzise und unnachsichtig. Das Verhalten von Eltern und Großmutter, die Reaktionen der Verwandten und der kleinen Schwester Kerrin, dazwischen Hannes’ Leben im Schatten des bevorzugten Bruders. Feth entgeht kein Ton und kein Zwischenton, gleich, ob Erwachsene, Jugendliche oder Kinder momentan im Fokus stehen.
Allmählich entwickelt sich eine höchst anspruchsvolle Geschichte über Eigenwahrnehmung und Fremdwahrnehmung, über die Schwierigkeit, Eigenständigkeit zu entwickeln, wenn man eigentlich nur als Teil eines Ganzen gesehen wird. Ein Herz und eine Seele reichen nicht für zwei, sagt Hannes einmal.
Nicht nur er ändert sich, auch der tote Jo ist am Ende des furchtbaren Tags ein anderer. Die Veränderung vollzieht sich vor den Augen der Leserin, man bekommt einen tiefen Einblick in die psychische Verfassung zweier ganz unterschiedlicher Jungen im Teenageralter. Eben die Beschreibung der scheinbar unmerklichen Veränderungen machen die Geschichte äußerst spannend. Der Erzählton ist sehr ernst, Traurigkeit herrscht vor, in machen Passagen ist sie fast nicht zu ertragen. Zugleich ist das Buch eine Familiengeschichte voll Wärme und Liebe. Trotz der Fehler, die sie alle im Umgang miteinander machen.
Beeindruckende Geschichte, perfekt geschrieben, überzeugende Figuren, die man nicht mehr vergessen kann.
Gelesen habe ich die gebundene Originalausgabe von 1990 aus dem (damals noch) Aarau Sauerländer Verlag, leider gibt es keine Abbildung dazu.