Der stille Don - Michail Alexandrowitsch Scholochow

  • Wer kann dem Tode entrinnen? Wer kann das Ende eines Menschenwegs vorausahnen? (2, Seite 103)


    Aus dem Russischen von:
    1. und 2. Buch übersetzt von Olga Halper
    3. und 4. Buch übersetzt von E. Margolis und R. Czora

    ASIN/ISBN: 3423127287

    Zuletzt erschienene TB-Ausgabe (Daten lt. Amazon):
    ca. 1.500 Seiten, kartoniert
    Originaltitel: (Tichij Don)
    Verlag: DTV Verlag, München 2000
    ISBN-10: 3-423-12728-7
    ISBN-13: 978-3-423-12728-8


    Das Buch ist in zahlreichen Ausgaben gebraucht zu bekommen.


    Ich habe eine zweibändige Ausgabe aus dem Bertelsmann Club, erschienen in den 70ern des 20. Jahrhunderts, gelesen. Auf diese beziehen sich auch etwaige Seitenzahlen.
    1. Band: Die Zarenzeit; Krieg und Revolution; 662 Seiten
    2. Band: Bruderkrieg der Donkosaken; In den Wirren der Gegenrevolution; 816 Seiten


    Zu diesem Buch gab es eine > Leserunde <.


    < Hier klicken > für den Thread für die Verfilmungen.



    Zum Inhalt (Quelle: eigene Angabe)


    Grigori Pantelejewitsch Melechow ist der "Held" dieses Epos, um sein Leben rankt sich die Erzählung. Aber ist er überhaupt ein Held, kann es in einer Zeit von Krieg und Revolution, in der bald jeder gegen jeden kämpft, sich die Fronten fast täglich ändern, überhaupt einen „Helden“ im klassischen Sinne geben?
    Grigori, der ein Verhältnis mit der verheirateten Nachbarin Axinja beginnt und später Natalja heiratet, hätte vielleicht das Zeug zu einem Helden gehabt, wären die Umstände andere gewesen. Aber so kommt der Erste Weltkrieg, der alles andere als heldenhaft geführt wurde und nahtlos daran die Russische Revolution mit dem Aufstand der Don Kosaken, in deren Armee er weiterhin dient.
    Währenddessen muß zuhause auf dem Gehöft das Leben weitergehen, trotz Kämpfen, Einquartierungen und Requirierung.
    Schließlich fegen die Revolution, Bruderkrieg und Gegenrevolution über das Land und seine Menschen hinweg, und am Ende wird nichts mehr sein, wie es einmal gewesen ist. Der Sturm hat alles mit fortgenommen. Doch bis dahin ist es ein langer, schmerzhafter Weg.



    Über den Autor (Quelle: eigene Formulierung nach Daten aus Wikipedia)


    Michail Alexandrowitsch Scholochow wurde am 24. Mai 1905 bei Wjoschenskaja (Dongebiet) geboren. 1918, im russischen Bürgerkrieg, schloß er sich den Revolutionären an, ab 1922 lebte er in Moskau. Er übte eine Reihe von Berufen aus und begann in dieser Zeit zu schreiben. „Der stille Don“ entstand in den Jahren 1928 - 1940. Scholochow tratg 1932 in die KPdSU ein, war ab 1936 Abgeordneter im Obersten Sowjet und seit 1937 Mitglied der Akademie der Wissenschaften der UdSSR. Seit 1961 war er auch im ZK der KPdSU. Scholochow erhielt verschiedene Preise sowie den Leninorden; er gilt als linientreu. Für den Roman „Der stille Don“ erhielt er 1965 den Nobelpreis für Literatur. Es gab immer wieder Plagiatsvorwürfe gegen diesen Roman; Genaueres ist den verlinkten Seiten zu entnehmen.


    - < Klick > - die Wikipedia-Seite zum Autor
    - < Klick > - der Artikel über ihn auf literatur-nobelpreis.de
    - < Klick > - ein Artikel auf der Website der Uni Siegen über die russischen Nobelpreisträger
    - < Klick > - die Wikipedia-Seite zum Roman (mit komplettem Inhalt)



    Meine Meinung


    Seltsame Zeiten sind gekommen. (2, Seite 488) Und seltsam ist es, ein so in vieler Hinsicht gewaltiges Werk in einer kurzen Buchvorstellung besprechen zu sollen. Da mir nicht die Sprachgewalt eines Scholochow zur Verfügung steht, kann es nur beim Versuch bleiben.


    Zumal bei Lesebeginn alles klar schien. Scholochow war ein linientreuer Kommunist, also ist das Buch vor allem eine gewaltige pro-sowjetische Propaganda. Dachte ich. Falsch gedacht.


    Sicher gibt es eindeutig gefärbte Stellen, aber die halten sich nach meinem Dafürhalten sehr in Grenzen. Und zwar mehr, als ich einem sowjetischen Schriftsteller zugestanden hätte. Während der Leserunde haben wir mehr oder weniger mit der Lupe nach solchen Stellen gesucht - und - zumindest ich - kaum welche gefunden. und selbst die wenigen paßten meist und waren in sich schlüssig. Wenn ein „Roter“ spricht, kann er nun mal nur „rot“ sprechen.


    Ein Großteil des Buches ist aus Sicht der Kosaken geschrieben, deren Untergang als Folge der Russischen Revolution ja Thema des Buches ist. Zimperlich geht es also nicht zu im Buch; (zu) schwache Nerven sollte man nicht haben, denn was da an Grausamkeiten, Schmerz und Leid über den Leser hereinbricht, ist gewaltig. Mir fallen nur sehr wenige, in dieser Hinsicht vergleichbare, Bücher ein. Erträglich wird dieser Kriegshorror nur durch die unglaubliche Sprachgewalt Scholochows. Meine Güte, konnte der schreiben! :anbet


    Besonders seine Naturschilderungen sind von einmaliger Schönheit. Aber Vorsicht - je schöner und reiner die Natur, je schlimmer das Ereignis, das in derselben stattfinden wird. Immer, wenn er eine Idylle entwirft, machte ich mich auf einen Schicksalsschlag gefaßt. Und wurde eigentlich nie enttäuscht, obwohl ich in der Hinsicht gerne das eine oder andere Mal enttäuscht worden wäre.


    Es war erstaunlich, wie kurz und armselig dieses Leben war und wieviel Schweres und Trauriges es enthielt, an das sie nicht mehr denken wollte. (2, S. 671) Ein Motiv, das immer wieder auftaucht. Und immer wieder heißt es Abschied nehmen, denn der Tod ist ein ständiger Begleiter in (Kriegs-)Zeiten, in Zeiten in denen der Mensch billig geworden ist. (nach 2, S. 646)


    Scholochow hat mich in mehrfacher Hinsicht absolut überrascht. Da ist zum einen, ich erwähnte es, die weitgehende Ausgewogenheit der Darstellung. Rote wie Weiße kommen zu Wort, nur an wenigen Stellen kommt die Grundeinstellung des Autors durch. Das hatte ich so mit Sicherheit nicht erwartet. Die Darstellung der Geschehnisse jener Zeit aus Sicht der Kosaken sowie der sie bekämpfenden Roten ist eine völlig andere als (zumindest mir) bisher gewohnte und wirft ein ganz anderes Licht auf die Ereignisse jener Zeit, vor allem auch aus Sicht der betroffenen Unterlegenen. Denn wie die Sache ausging, ist aus den Geschichtsbüchern hinreichend bekannt.


    Schließlich war nicht nicht auf die Sprachgewalt vorbereitet, mit der Scholochow seinen Roman erzählt. Aber die brauchte es auch, um all das Schlimme und Furchtbare ertragen zu können. Dabei taucht immer wieder der Gegensatz Mensch - Natur auf, wobei der Mensch meist nicht sehr gut abschneidet. Ein Beispiel sei zitiert:
    In der Steppe, deren grünes Meer bis unmittelbar vor den Garten geflutet war, im Gestrüpp des wilden Hanfs, neben den Zäunen der alten Tenne schmetterten Wachteln unermüdlich ihre Lieder, pfiffen Zieselmäuse, brummten Hummeln, raschelte, vom Winde gekost, das Gras; im aufsteigenden Dunst jubilierten Lerchen, und irgendwo weit, weit in der Ferne, in einer Talmulde, verkündete das beharrliche, boshafte, dumpfe Tacken eines Maschinengewehrs die Erhabenheit des Menschen in der Natur. (2, Seite 427) :anbet


    Die Figuren sind zum Leben erwacht, zu einem Leben, das ich nicht geführt haben möchte. Wer die ganzen Beschreibungen der Gerüche und hygienischen Zustände liest, weiß was ich meine. Dennoch bestand über weite Strecken des Buches - zum Glück - eine gewisse Distanz zu ihnen, war ich quasi unbeteiligter Beobachter des Geschehens. Inwieweit dieser Abstand vom Autor beabsichtigt war, weiß ich nicht; jedoch hätte ich eine Nähe zu den Protas über 1.500 Seiten bei all dem, was im Buch passiert, nicht durchgehalten. Ich persönlich empfand erst die letzten etwa dreihundert Seiten zunehmend, manchmal bis zur Schmerzgrenze, emotional. Insgesamt hat mich das Buch auf eine Weise gepackt und getroffen, die ich - nachdem ich gerade ausgelesen habe - selbst weder verstehe noch derzeit auch nur annähernd imstande bin auszudrücken.


    Ein Buch, das alles hatte, um mir nicht zu gefallen - und das es auf Anhieb in die Topliste meiner Lieblingsbücher geschafft hat.


    Ein Buch voll von Grausamkeit und Leid - und dennoch wunderschön.


    Ein Buch eines linientreuen sowjetischen Schriftstellers - und dennoch (fast) durchgehend ausgewogen, fair und bar jeglicher Heroisierung der einen wie der anderen Seite.


    Mit anderen Worten: ein großartiges Werk der Literatur. :anbet Das ist alles, was mir zu sagen geblieben ist.



    Kurzfassung:


    Ein sprach- wie inhaltsgewaltiges Werk über den Untergang der Don Kosaken während der Russischen Revolution. Zurecht mit dem Nobelpreis ausgezeichnet und absolut lesenswert. Am besten mehrfach.


    Edit hat einen Link hinzugefügt und sich um einen Tippfehler gekümmert.
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    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

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  • Der Roman wurde bisher zwei Mal verfilmt; hier die ältere sowjetische von 1958. Ich habe den in der Weltbild-Ausgabe.

    ASIN/ISBN: B07XLVNHK4

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    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

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  • Vor vielen Jahren, in meiner Jugendzeit habe ich „Der stille Don“ zum ersten Mal gelesen. Damals rückte dieses Buch sofort in die erste Reihe meiner Lieblingsbücher auf. Wie ist das aber, wenn man zu einem solchen Roman ungezählte Jahre später wieder greift? Man verfügt über eine ganz andere Weltsicht, viele Dinge haben sich verändert, man wurde reifer und auch anspruchsvoller, was die Lektüre betrifft. Wird das Werk den hohen Erwartungen immer noch gerecht werden?


    Im Zentrum von Michail Scholochows Epos steht der Kosak Grigori Melechow, anhand dessen Geschichte, der seiner Familie und seines Kosakendorfes lässt der Autor eine Zeit aufleben, die gekennzeichnet ist durch Krieg, Revolution und Bürgerkrieg. Diese von großen Umbrüchen geprägte und vom Autor historisch korrekt, detailliert und verständlich beschriebene Zeit bildet den großen Hintergrund dieses 1.816 Seiten umfassenden Romans.


    Der Protagonist dieses monumentalen Romans ist Grigori Melechow. Er ist ein einfacher Kosak, der mit seiner Scholle tief verwurzelt und ein mutiger Kämpfer ist und dem der Rausch von Liebe und Alkohol nicht fremd ist. Aufgrund seiner Verdienste im Kampf wurde er Offizier, der von der Truppe geachtet und von den ausgebildeten Offizieren aufgrund seiner Herkunft verachtet wird. Als Kosak steht er zwischen den Weißen und den Roten und ebenso wie im Kampf steht der Mann Grigori zwischen zwei Frauen. Er ist innerlich zerrissen und letztlich ein Gescheiterter.
    Der Roman entstand in der Zeit von 1928 bis 1940. Das lässt vermuten, dass sich der Autor, der als linientreu gilt, in diesem Werk zum Agitator der Kommunisten aufschwingen würde - aber weit gefehlt. Er beschreibt die politische Situation weitgehend neutral, analysiert die Schwächen auf beiden Seiten und bringt stellenweise recht unverblümte Kritik an. Er unterscheidet nicht nach gut und böse, weder bei den Menschen noch bei den Ideologien. Er lässt seine Figuren durch ihr Handeln zeigen, welche Position sie einnehmen und überlässt die Wertung dessen dem Leser. So bringt der Autor seinem Leser die russische Seele ohne viel Pathos und Propaganda nahe und zeichnet ein äußerst gelungenes Zeit- und Sittenbild. Denn es sind die kleinen Dinge des Alltags und der Natur, auf die Michail Scholochow den Blick des Lesers lenkt und die er so wunderbar beschreibt, sei es das Wasserholen am Brunnen oder die Schönheit der Donsteppe an einen Sommerabend. Genau das sind die Szenen, die der Leser benötigt, um von den harten Kriegsszenen Abstand zu gewinnen. Diese schildert er schonungslos, ungeschönt und vor allem sehr glaubhaft. So hat Scholochow mir Menschen nahe gebracht, von denen ich weiß, es sind fiktive Figuren, von denen ich aber auch sagen kann, genau diese Menschen hätten zu dieser Zeit im Dongebiet leben können. Trotzdem war ich als Leser nur ein stiller Beobachter der Szenerie. Für mich hat dieser Roman keinen Helden, nur Menschen, die liebten und litten.


    Der Tod ist ein ständiger Begleiter in diesen 4 Bänden. Krankheiten und Kriege lassen viele Menschen zu zeitig sterben, wieder andere legen selbst Hand an sich oder werden hinterrücks von fremder Hand aus Rache getötet. Trotzdem ist „Der stille Don“ ein Roman, der den Leser nicht traurig, sondern eher nachdenklich stimmt. Der Roman ist gezeichnet von ungeheurer Sprachgewalt und Inhaltsfülle, er lebt von vielen kleinen Details, die der Autor sehr bewusst in die Romanhandlung eingebaut hat.


    Michail Scholochow erhielt für diesen Roman den Nobelpreis für Literatur. Allerdings stehen auch ungeklärte oder auch nicht zu klärende Plagiatsvorwürfe im Raum. Dazu kann ich mich nicht äußern, aber egal wie, der Roman selbst ist dieser hohen Auszeichnung würdig.



    Mein Fazit: Mich hat „Der stille Don“ auch als Wiederholungslektüre wieder voll in seinen Bann gezogen. Leser, die fiktive Geschichten vor historischer Kulisse in Monumentalform mögen und die für diese historische Epoche mit ihren aufeinanderprallenden Ideologien offen sind, werden an diesen Roman ihre Freude haben.


    edit: noch ein bisschen korrigiert.

  • Zitat

    Original von AlexBerg
    Tolle Rezi! Wow! Vielen Dank für diesen Einblick in ein, wie es scheint, wirklich großes Werk! Es steht jetzt auf meiner Wunschliste und ich bin hoffnungsvoll, dass es irgendwann genügend Zeit und Muße gibt, um dranzugehen


    Diesen Worten kann ich mich nur anschließen.
    Vielen Dank für diese beeindruckende und neugierig machen Rezension! :wave
    Wären die eigenen Regal nur nicht so voll... :rolleyes

  • Meine Meinung


    Wo fange ich an?
    Dieser Roman ist eine Herausforderung!
    In vier Bänden führt Scholochow uns durch die bewegte Lebensgeschichte des Kosaken Gregori Melechow, der, und ich zitiere aus dem Nachwort meiner Ausgabe, "zwischen den Klassen hin und her gerissen, schließlich von den Mahlsteinen der Revolution zermalmt wird."
    Einen großen, wenn nicht den überwiegenden Teil des Romans nehmen Erster Weltkrieg, Oktoberrevolution und diverse, sich zwischen den politischen Fronten hin- und herbewegende Gegenoffensiven ein, durch die ich mich stellenweise auch hindurch kämpfen musste.


    Ist dieser Roman ein typisch russischer/sowjetischer Roman?
    Es ist, so finde ich, nicht einmal ein typischer Scholochow-Roman.


    In weiten Teilen der Bände meint man, eine offene oder verdeckte Kritik des Autors an den Handlungen der neuen Macht (Bolschewiki, Rote Armee, Parteisekretäre) zu lesen, aber ich denke, dass man als Leser da zu sehr vom eigenen Erfahrungsschatz ausgeht und vielleicht auch der Erwartungshaltung, so etwas zu lesen. Die westliche Presse rühmte auch diese Offenheit im Umgang mit der Vergangenheit. Ich denke, Scholochow wollte die Menschlichkeit der "neuen Menschen" herausstellen, in all ihrer Größe und auch Fehlerhaftigkeit.
    Klar positioniert er sich, so finde ich, allerdings nicht, was mir aber, und das hat für mich etwas mit Authentizität zu tun, mehr gelegen hätte.


    Der Roman ist sehr gut geschrieben, und ich ziehe meinen Hut vor der schriftstellerischen Leistung. Die Indirektheit der Gesamtaussage hat mich aber wirklich gestört. Scholchow war ein regimetreuer Schriftsteller. Seine Haltung war zu allen Zeiten, so habe ich es zumindest in der Schule gelernt und auch neben dieser LR gelesen, untadelig. Einem Oppositionellen, der seine Haltung versteckt mitteilen muss, um überhaupt gedruckt zu werden an der Zensur vorbei, steht diese Unverbindlichkeit der politischen Aussage zu, und seine Leser hätten mit Spannung zwischen den Zeilen gelesen. Für mich persönlich sollten Scholochow und sein Roman einen Anschein, sicher auch weltweit, erwecken, der nicht der Realität entspricht, und das hat mich beim Lesen wirklich sehr irritiert.


    Abseits davon beeindruckt Scholochow mit stimmungsvollen Landschaftsbeschreibungen, in denen die ganze Heimatliebe und Verbundenheit mit dem Land zum Ausdruck kommt.


    Schon allein das hat den Roman für mich lesenswert gemacht.

  • Meine Meinung (wissend, dass mir die sprachlichen Mittel nicht gegeben sind, auszudrücken, was ich sagen will):


    Im Jahre 1965 wurde der Nobelpreis für Literatur dem sowjetischen Schriftsteller Michail Aleksandrovic Solochov zuerkannt „für die Kraft und die künstlerische Gewissenhaftigkeit, mit welcher der Autor in einem Epos über das Dongebiet eine geschichtliche Phase im Leben des russischen Volkes geschildert hat“ (Zitat aus Hermes Handlexikon; Die Literatur-Nobelpreisträger, 1. Auflage 1983, Seite 339). Ob dies damals ebensolche Kommentare hervorrief wie dies heutzutage hin und wieder der Fall ist oder ob die Preisvergabe auf einhellige Zustimmung stieß, entzieht sich meiner Kenntnis (und auf die bis heute nicht verstummten Zweifel an der Autorenschaft habe ich hier nicht einzugehen). Kein Zweifel darf wohl daran bestehen, dass Scholochow, in dieser Schreibweise ist sein Name auf dem Rücken meiner Buchausgabe vermerkt, mit seinem Buch „Der stille Don“ ein streckenweise von hoher poetischer Intensität durchdrungenes, kraftvolles und historische Gegebenheiten aufnehmendes Werk gelungen ist.


    Erzählt wird die Geschichte eines Teils der Kosaken innerhalb eines bestimmten Zeitraums, etwas von 1905/1907 bis ca. 1920, 1921. Erzählt wird auch über das Aufkommen der „Roten“ und das Eindringen ihrer Ideen, die Umsetzung eines Teils ihrer Pläne im Lebensbereich der Menschen, fast durchweg der Landbevölkerung.


    Froh bin ich darüber, das Buch endlich gelesen zu haben; auch an dieser Stelle noch einmal SiCollier meinen Dank für den Vorschlag zur und die Organisation der Leserunde. Das Buch habe ich größtenteils gerne gelesen, es hat mir Momente von großer Schönheit geschenkt, die allerdings allesamt den Natur- und Landschaftsschilderungen galten. Den Text, der mir teils wie ein Abgesang auf und teils wie eine Klage um die kosakische, teils bäuerliche Kultur, von den damaligen Machthabern zum Untergang verdammt, habe ich mit großem Interesse aufgenommen, zunehmend verblüfft über die scheinbare „Gleichbehandlung“ von „Roten“ und „Weißen“. Lange Zeit habe ich das im vorigen Satz gebrauchte „scheinbare“ von mir geschoben, obwohl ich spätestens Ende des dritten Buches immer mehr den Eindruck bekam, Scholochow mache mir etwas vor, sei sein Verständnis von den Dingen ein komplett anderes als meines, das sich mir anhand des Gelesenen zunächst aufdrängte, bekam ich sogar den Eindruck, ich solle … manipuliert werden – man verzeihe mir den harten Ausdruck.


    Um es klarzustellen: Der Autor ist ein großer Erzähler, ein Geschichtenerzähler aus einer fast unerschöpflichen Erzähltradion, der seine Zuhörer, seine Leser mehr als zu unterhalten weiß. Er schafft es, mich zunehmend atemlos den Schicksalen seiner Protagonisten folgen zu lassen, mich in eine menschliche Welt voller Gewalt und Brutalität hineinzuziehen, die ich eigentlich gar nicht so genau kennenlernen wollte. Er zeigt mir Menschen, von denen ich glauben kann, dass sie genau so existiert, gelebt und geliebt haben könnten. Er zeigt mir aber auch, dass er Dinge … zu verschweigen versteht, wohl wissend, dass sie dadurch ein anderes Gesicht bekommen, zumindest für mich.


    Um es zu wiederholen: Den Roman habe ich gerne und mit großem Interesse gelesen, nicht verstehend und zunehmend verblüfft, wenigstens bis zu diesem einen Satz, der für mich einer der Schlüsselsätze des Buches ist, vielleicht sogar der wichtigste; Mischka Koschewoi, ein fanatischer und immer brutaler agierender „Roter“ spricht ihn aus: „Es bleibt noch zu entscheiden, welches Blut überwiegt“ (in meiner zweibändigen Ausgabe Bd. 2, Seite 865).


    „Der stille Don“ entstand zwischen 1928 und 1940, also während der Zeit der Machtausübung Stalins. Die politische Einbindung und Laufbahn seines Autors muss hier nicht noch einmal wiederholt werden. Man muss auch vielleicht nicht unbedingt die politische Dimension des Werkes beachten oder suchen, solches zu tun kann meiner Meinung nach dem puren Genuss sogar mehr oder weniger abträglich sein. Mir erging es so.


    Meine Verblüffung und anfängliche Hochachtung vor dem Mut des Autors, die Gräuel der „Roten“ ebenso, im Grunde „gleichberechtigt“ darzustellen wie die der „Weißen“, hat einen ziemlich Dämpfer erhalten angesichts dessen, was er eben nicht sagt, was er verschweigt. Ich will mich hier auf nur wenige Beispiele beschränken:
    In einer längeren Szene des vierten Buches wird die Flüchtlingssituation auf der Krim beschrieben, die Angst der Menschen, keinen Platz auf einem rettenden Schiff zu bekommen. Eingebettet in diese Beschreibung sind die Hauptfigur Grigori und seine Kameraden; geschickt beendet Scholochow die Szene in dem Moment, in dem sich Grigori heranstürmenden Roten gegenüber sieht. So weit, so gut. Oder eben auch nicht: Man schätzt die Zahl der Opfer, die von den „Roten“ in dieser Situation massakriert, abgeschlachtet wurden, auf 50.000 – wie viele Worte dazu finden sich im Roman? Scholochow hat an vielen Stellen im Buch wie es scheint akribisch genau historische Details beschrieben, dafür war aber kein Raum.
    Die Getreiderequirierungen verschweigt Scholochow nicht, erzählt vielmehr von der Bauernschläue, die immer wieder Verstecke für Nahrung fand, um nicht verhungern zu müssen; sympathisch fand ich das geschildert. Er erzählt auch von den Überfällen auf die Beschaffungskommandos – aber wie viele Worte hat er dafür, wie diese vorgegangen sind? Dass ganze Familien beispielsweise als Geiseln genommen wurden, dass gefoltert, getötet wurde, um diese Verstecke zu erfahren? Wie viele Worte verliert er über Lenins Anweisungen, wie mit widerständischen Bauern umzugehen sei?
    Scholochow berichtet über Übergriffe auf Juden, wobei immer nur einzelne, wenige Personen geschildert werden. Wie viele Worte finden sich über die zunehmenden, immer brutaleren Pogrome, die allen galten, denen Religion Lebensinhalt, lebensbestimmend waren, also auch den Muslimen?
    Scholochow erzählt von den „Roten“, die die „Segnungen“ des Bolschewismus zur Landbevölkerung bringen sollten und wollten – wie viele Worte verliert er über die Anweisungen Lenins, was zu geschehen sei, wenn diese von davon nichts wissen wollten, wenn sie sich verweigerten?
    Scholochow erzählt über Gerüchte, dass die Kosaken umgesiedelt werden sollten – wie viele Worte verliert er über die Pläne, die Kosaken zu deportieren, wie viele über die Ausführung dieser Pläne, das Verschwinden der Menschen in den Kohlegruben und Konzentrationslagern, wie viele über die Anweisung der Parteiführung zum „erbarmungslosen Kampf“ (zitiert nach Jörg Baberowski, „Der rote Terror“, Lizenzausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung 2007, Seite 51, mit Quellenangabe im Anhang) gegen die Kosaken?
    Egal von welcher Seite die Kampfhandlungen, besser muss man wohl sagen: der Terror über die Menschen hereinbrach, ihr Leid war unermeßlich. Gleichwohl bleibt: Lenin hatte von Anfang an klar gemacht, was mit „Feinden“, zu denen alle zählten, die sich dem Bolschewismus nicht anschließen wollten, sowie all jene, die dazu erklärt wurden, zu geschehen sei. Erschießungen, Pogrome, waren von Anfang an geschehen, sie waren gewollt. Sie waren legitimiert. Wenn mir der Roman suggieren will, die Taten und Handlungen der „Roten“ und der „Weißen“ seien „gleich“, so kann ich angesichts des zuvor Gesagten darin eben nur einen Teil der Wahrheit sehen.


    Man darf Scholochow zugute halten, dass er in die politischen Gegebenheiten seines Landes, seiner Zeit eingebunden war und dass er das, was er sagen wollte, vielleicht nur so sagen konnte. Trotzdem bleibt bei mir das Gefühl, ich solle in meiner Meinungsbildung zu sehr „gelenkt“ werden. Und dass er nur so viel wusste, wie er beschrieb, habe ich für nicht sehr wahrscheinlich gehalten, zu deutlich war die Erinnung einer Passage in einem Buch von Raissa Orlowa und Lew Kopelew („Wir lebten in Moskau, 1. Auflage 1987, Seiten 252, 253) – die nur wenigen dort wiedergegebenen Worte hätten auch einige der Romanfiguren wie Buntschuk oder Koschewoi von sich geben können.


    Edit: Meine Meinung kann sich nur auf die von mir gelesene Ausgabe beziehen: Verlag Volk und Welt, Neubearbeitung von Maximilian Schick nach der russischen Ausgabe von 1948.