Nach dem zersiedelten, kaputten Los Angeles, einigen Kilometern schöner Küstenstraße, dem Besuch des klinischen San Diego, einer Fahrt durch Arizona, dem Besuch von Joshua Tree und Grand Canyon Nationalpark, liegen schon einige aufregende Tage und Wochen hinter uns. Viel haben wir erlebt und gesehen. Unsere Reise führt nun weiter über Page Richtung Las Vegas.
Amerika ist auf den ersten Blick ein seltsames Land. Patriotisch bis zum Umfallen. Bei der morgendlichen Eröffnung von SeaWorld in San Diego wird beisielsweise die Nationalhymne gespielt. Alle stehen auf, halten sich das Herz, schreien mit. Als Angehöriger der Navy bekommt man Prozente beim Einkaufen. Alles wird immer und überall auf Waffen gefilzt, als wäre jeder, der eine Tasche mit sich herumträgt, eine potentielle Bedrohung. Jeder fragt einen, wie es geht. Überall. Gutgutgut. Nach zwei Wochen ist das nicht mehr komisch, ich habe mich damit arrangiert. Ich frage sogar manchmal keck als erstes, wie es denn so geht. Freundlichkeit ist angenehm. Dienstleistung auch. Zähneknischend sehe ich das ein. Ohja. Ich finde es unglaublich angenehm, freundlich und zuvorkommend behandelt zu werden. In jedem Geschäft, in jedem Restaurant, egal wo. Ob man mir helfen könne, ob alles in Ordnung sei, wo ich herkäme. Selbst, wenn man nur dreißig Sekunden mit einem Fremden in einem Hotelaufzug verbringt, wird man gefragt, woher man kommt. Wie man alles so findet, im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Dass ich manche Dinge ganz schön zum Fürchen finde, sage ich nicht. Ich lobe die Freundlichkeit der Menschen, die entweder durchtrainiert oder sehr dick sind. Ich lobe die wahnsinnig schöne Natur in den Nationalparks, den tosenden Pazifik mit Seeelefanten, Walen, Pelikanen und Robben. Die zahmen Chipmunks sind so süß, meine Kinder wollen eins mitnehmen. Im Gegenzug verschweige ich meine Ansicht über den Plastikwahn. Selbst in (den meisten, es gibt auch andere, die waren aber selten) guten Hotels gibt es Plastikgeschirr. Bereits zum Frühstück. Pappbecher für Kaffee, die nochmals in Folie eingeschweißt sind. Plastikbesteck aus Spendern. Alles ist abgepackt. Marmelade, Zucker, Butter, alles. Sogar die Zahnputzbecher auf dem Zimmer sind eingeschweißt. In einem Hotel liegt sogar das Bett unter einer Folie mit dem Hinweis, dass vom Zimmermädchen XY alles hygienisiert wurde. Danke. Ich lege ein Tip auf den Nachttisch. Es scheint, als hätte der Amerikaner an sich Angst vor Keimen. Überall Desinfektionsmittel, in jedem Walmart am Eingang, an der Kasse, am Ausgang. Alles wird immer und überall desinfiziert und saubergehalten. Im Waschmittel in der Hotellaundry- Desinfektionsmittel. Für die Wäsche, die man nachher mit einem Hygienetuch in den Trockner schmeißt. Einmal bekomme ich Ärger, als ich fünf frisch gewasche Kleidungsstücke in der Wüstenhitze über der Balkonbrüstung trocknen lassen möchte. Ist nicht. Dafür gibt es Trockner. Ich fühle mich wie ein Urzeitvieh. Wie konnte ich nur.
Außerdem ist hier alles eine Nummer größer. In einem normalen Bockspringbett schlafen wir mit zwei Personen wie in einem Doppelbett. Ein King Size Bett ist wie ein doppeltes Doppelbett. Bequem. Mit Massagefunktion. Überall gibt es Eiswürfelautomaten, in jeder Wüste, in jeder Stadt, in jedem Nest, das wir durchfahren. Zu jeder Tages- und Nachtzeit, zu jeder Außentemperatur. Eiswürfel sind immer verfügbar, soviel man will und umsonst. Die Autobahnen in den großen Städten sind vierspurig und verstopft, vorwiegend mit riesigen Autos. Mit riesigen Ladeflächen- Pick Ups, auf denen nichts geladen ist. Willkommen im Stelzenporscheparadies. Die linke Spur ist immer frei, Carpool only steht auf dem Boden und auf Hinweisschildern. Wir finden heraus, dass Carpooling bedeuted, dass diese Bahn ausschließlich für Fahrzeuge reserviert ist, in denen mehr als eine ( !! also zwei !!) Person sitzt. Das ist ein echter Klopper. Alles erstickt im Verkehr, in jeder Großstadt. In Los Angeles, San Diego und San Francisco. In fast jedem Auto sitzt nur einer drinne. Es ist auch sicherer, nicht die verbrauchte Luft von jemand anderem einatmen zu müssen. Vielleicht hat der einen todbringenden Virus oder eklige Keime in sich. Wir fahren also auf die Carpool und haben von nun an freie Fahrt. Von da an weiß ich: wenn sich der Amerikaner in seiner Freiheit bedroht fühlt, meint er eigentlich das Recht auf große Karren, billigen Sprit und Eiswürfel in der Wüste. Riesige Essensportionen. Fleisch. Literweise Coca Cola im kostenlosen Refill. 24/7. Das muss verteidigt werden. Nix anderes. Doch davon sage ich nix, das ist nur meine eigenen Meinung. Also finde ich erstmal alles nice. Der Typ im Aufzug kann ja auch nicht wirklich was dafür.
In Page angekommen bekommen wir nur noch ein (im wahrsten Sinne des Wortes) letztes, überteuertes Zimmer in einem Motel 6, direkt neben dem Highway. Alles andere ist ausgebucht. Der Raum befindet sich im Erdgeschoss, direkt neben einem Eiswürfelautomaten auf dem Flur, der brüllend laut gegen die draußen vorherrschenden 43 Grad Celsius anröhrt. Es gibt zwei ( für amerikanische Verhältnisse ) schmale Betten mit türkisrosablaufarbenen Polyesterüberwürfen, darunter graue Pferdedecken. Bestimmt auch Bettwanzen oder sowas, uaaah. Eine Klimaanlage, die den Eiswürfelautomaten vergessen machen lässt und ein Badezimmer, welches sich als Plastiknasszelle herausstellt. Alles ist unglaublich schmuddelig, Andererseits ist das nun mal Page in Arizona. Hier ist alles teuer, denn hier gibt es mit dem riesigen Lake Powell ( Colorado River) Wasser in der Wüste, was sehr beeindruckend ist. Ettliche Sehenswürdigkeiten warten hier auf uns, etwa den Horseshoe Bend, der Antelope Canyon und die Marina am Lake.
Morgen. Erstmal ist dieses Motel 6 zu bewältigen. Herr rienchen stellt die Kinder unter die Dusche, während ich auf dem Motelparkplatz Sachen für die Nacht aus unseren Koffern krame. Es dämmert bereits, ich zerwühle unter fluchen die Taschen, denn natürlich finde ich im Zwielicht alles- nur das nicht, was ich brauche. Eine Gestalt nähert sich und kommt zielstrebig auf mich zu. Ich denke mir nix Böses, als der Mann allerdings vor mir steht, kommt mir meine Naivität zugute. Er fragt mich nach ein paar Dollern und ich antworte, dass mein Mann auf dem Zimmer ist und alles bei sich hat, wovon ich in diesem Moment auch tatsächlich ausgehe. Ich sehe ihn direkt an und spreche laut, mit durchgedrückten Schultern. Enttäuscht geht er weiter und erst dann bemerke ich, dass alles, aber auch wirklich ALLES ( Ausweise, Geld, Flugtickets, Pässe, Kamera, Handys, Tablet ) auf dem Beifahrersitz liegt. Die Tür ist weit geöffnet. Immer wieder muss ich an die dunklen, blutunterlaufenen Augen denken. Die Angst kommt erst später. Was wäre gewesen, hätte er meine Lüge bemerkt? In dieser Nacht schlafen wir schlecht. Es ist unglaublich heiß, der Eiswürfelautomat gibt alles, die Klimaanlage erinnert mich an Metallicakonzerte. Die fenster lassen sich nicht öffnen. Um drei Uhr nachts klingelt das Zimmertelefon auf dem Nachttisch. Es ist niemand dran. Zwanzig Minuten später klingelt es erneut. Jemand atmet. Herr rienchen zieht das Kabel aus der Buxe und wirft das Ding auf den Boden. Ich muss an David Lynch denken. Von wegen alptraumhafte Fantasy. Der rennt einfach nur mit offenen Augen durch sämtliche Skurillitäten, die dieses Land zu bieten hat. Der Walk Of Fame fällt mir wieder ein. Vor sich hinbrabbelnde Halbroboter in Zweite- Reihe- Nischen.
Am nächsten Morgen besorgen wir uns gerädert ein anderes Zimmer, wir haben Glück. Für schlappe 200 Dollar bekommen wir eins im Days Inn, mit Frühstück und Pool. Die nächsten Tage werden schön. Wir steigen durch enge Felsspalten in atemberaubende Canyons hinab, lauschen längst vergangenen Mojave- Indianermärchen und waschen uns den Wüstenstaub der letzten Tage im Lake Powell ab. Hier gibt es eine Marina, einen Jachthafen mit Hausbooten und allem, was dazugehört. Man wird mit Golfcaddys dorthin gefahren. Coole, relaxte Musik gibt es dort, BBQ, Eis. Türkisfarbenes Wasser in gelbem Wüstensandstein. Drer Blick auf den Horseshoe Bend. Hinreißend. Mein Sohn kann plötzlich schwimmen. Meine Tochter will auch. Die Zeit steht ein bisschen still. Und dann ist es soweit. Langsam müssen wir uns verabschieden von diesem zauberhaften Ort voller Wunder mitten im Nichts, weiter über die Route 66, quer durch die Wüste nach Las Vegas.
Wir fahren durch den Bundesstaat Utah, finden witzige Orte mit riesengroßen Freilichtmuseen, die Kinder (und Herr rienchen :grin) klettern begeistert auf einer originalen Santa Fe- Lokomotive herum. Wir finden den Geburtsort von Don Knotts, die Straße, auf der James Dean ums Leben kam und sehen eine Klapperschlange. Aus dem Auto. Hier ist also der Wilde Westen. Überall stehen große Planwagenkutschen rum (natürlich touristisch), die Bars und Restaurants sind allesamt im Western- Salon- Stil gehalten und allerlei Nippes wird feilgeboten. Cowboy- und Indianerkostüme. Singende Riesenbären. Kratzhände für den Rücken in Revolveroptik. All sonen Scheiß. Wir haben Spaß.
Wir brechen auf zum Bryce- Canyon- Nationalpark und überwinden auf dem Weg durch den Dixie National Forest ordentliche Höhenmeter. Es gibt soviel zu sehen, die Landschaft ist fantastisch. Tiefrote Felsformationen in einer saftiggrünen Vegetation. Hier gibt es reichlich Rinderherden, Flüsse, Pferde überall. Wir machen eine stundenlange Rast an einem Ort namens "Mystic River", dort kann man fischen, ein Hund streunt rum, ein zahmer Kakadu lässt sich streicheln und fliegt den Kindern auf die Schultern. Die Betreiber wirken wie Althippies und sind sehr herzlich. Als wir am späten nachmittag in Bryce ankommen, zeigt das Thermometer grade mal 17 Grad. Am Morgen sind wir bei 36 Grad gestartet. In der Lobby unserer Lodge brennt ein herrliches Kaminfeuer. Ich freue mich besonders, dass wir tatsächlich im Park ein kleines (sehrsehr einfaches, aber gemütliches) Quartier bekommen haben, nachdem ich vom Grand Canyon eher enttäuscht war. Dort haben wir ebenfalls in einer (unfassbar teuren ) Lodge übernachtet, wovon wir aber aufgrund des hohen Menschenaufkommens überhaupt nichts gemerkt haben.
In einem kleinen Holzhäuschen gibt es saubere Betten und einen Kamin. Die Häuschen sind aus den 1920 Jahren und stehen sozusagen direkt am Rande des Canyons. Gegessen wird rustrikal im Haupthaus, dem einzigen Restaurand weit und breit. Und dann kommt der Sonnenuntergang. Es ist atemberaubend. Er taucht die Felsformationen, die natürliche Amphietheater bilden und lustige Namen a la Thor's Hammer tragen, in goldenen Rottöne. Praktisch sekündlich gibt es wechselnde Farbenspiele, was für eine Pracht! Kleine Zieselhörnchen springen durch die Gegend, klettern auf uns rum. Außerdem sehen wir Tiere, die aussehen wie eine Mischung aus Elchkuh und Reh. Und dann ist es dunkel. Der Park wird abends geschlossen, aber wird sind ja drinne. Wir steigen nochmal ins Auto und fahren langsam und vorsichtig weiter in den Park hinein. Niemand ist mehr unterwegs, nur jede Menge dieser Elchrehe, die zum Teil auch auf der Straße stehen. Ganz langsam fahren wir mit geöffneten Fenstern daran vorbei, fast können wir sie anfassen. An einem Aussichtspunkt, ganz nahe der Kante bleiben wir stehen. Es ist still, nur Tierstimmen sind zu hören. Dunkel ist es nicht. Sterne und Mond sind hell, unglaublich. Wunderschön. Die Kinder sind eingeschlafen.
Am Morgen sind es genau Null Grad Celsius, wir ziehen alles an, was sich in Schichten übereinander anziehen lässt. Vor unserem Haus steht ein Elchreh. es flüchtet, als es mich sieht. Wir gehen zehn Meter, setzen uns an die Kante des Canyons und sehen uns den Sonnenaufgang an. Bist Du schön.