Joyce Carol Oates: Engel des Lichts
dtv 1987. 550 S.
ISBN 978-3423107419
Originaltitel: Angel of Light (1981)
Übersetzerin: Elisabeth Schnack
Verlagstext
Die Geschichte einer vornehmen alten Familie in Washington, die zwischen Politik und Verbrechen aufgerieben wird. Ein mit meisterhafter psychologischer Genauigkeit entworfenes Szenarium des emotionalen und sexuellen Verrats.
Die Autorin
Joyce Carol Oates wurde 1938 in Lockport /New York geboren. Sie studierte Englisch und Philosophie, lehrt heute englische Literatur an der Princeton University. Für ihre Romane, Erzählungen, Gedichte und Theaterstücke erhielt sie zahlreiche Preise, u.a. den National Book Award, den O'Henry-Preis sowie den Lotus Club Award of Merit. Sie gehört zu den bedeutendsten Autorinnen der amerikanischen Gegenwartsliteratur.
Inhalt
Auf mehreren Zeitebenen erzählt Oates die Geschichte Maurice Hallecks, seiner Jugendfreunde und seiner Ehe. Die Ereignisse der Gegenwart spielen 1980, Rückblenden führen in Maurices Jugend im Jahrzehnt nach dem Zweiten Weltkrieg. Der titelgebende "Engel des Lichts" ist John Brown (*1800), ein Vorfahr der Familie.
Maurice stammt aus dem amerikanischen Ostküsten-Establishment, seine Familie war als Kupfer- und Aluminium-Dynastie zu Geld gekommen. In den Kreisen der Hallecks besitzt man eindrucksvolle Villen, Stadthäuser und Ferienhäuser. Der Lebensinhalt der Frauen sind die Gesellschaften, deren Gastgeberinnen sie sind, und die Verbindungen, die dabei geknüpft werden. Nick, Tony und Maurice kennen sich seit der Schulzeit. Seit ihm Nick in ihrer Jugend bei einem Bootsunfall das Leben rettete, hat Maurice zu ihm eine Beziehung wie zu einem Blutsbruder.
Den Verkehrsunfall, bei dem Maurice vor kurzem ums Leben gekommen ist, interpretieren seine erwachsenen Kinder, Owen und Kirsten, als Selbstmord und wollen sich an den ihrer Meinung nach Schuldigen rächen. Isabel Halleck betrog ihren Mann mit seinen Jugendfreunden Nick und Tony, selbst Kirsten umgarnte Tony als Jugendliche. Die Geschwister Halleck brechen den Kontakt zur Mutter ab, die sie zu den Schuldigen zählen, seit sie sich kurz vor Maurices Tod von ihm getrennt hat. Kirsten als übersensible, hochintelligente Person steigert sich in die Rolle der unversöhnlichen trauernden Tochter hinein. Kirsten hungerte als Kind nach Beachtung und sie hungerte sich mit den charakteristischen Tricks Essgestörter schon damals krank. Nun wird Owen von seiner Mutter die Verantwortung für die "gestörte" Schwester zugeschoben. Owen, der zunächst der einzig Normale in der Familie zu sein scheint, bricht seine Promotion ab, um alle Weggefährten seines Vaters zu befragen. Owen wirkt verblüffend gut über die RAF-Terroristen in Deutschland informiert. Als zwischen Kirsten und ihm nicht mehr von Rache für den Vater die Rede ist, sondern von Gerechtigkeit, ist für Owen offenbar die Grenze zum Terrorismus überschritten.
Fazit
Das gesellschaftliche Biotop im Umkreis amerikanischer Ivy League Universitäten, das Joyce Carol Oates in ihren frühen Romanen seziert, verlangt ihren Lesern einige Geduld ab. Schon nach dem ersten Roman hat man genug von verwöhnten Gören aus angesehenen Familien. Doch in "Engel des Lichts" hält Oates ihre Leser dennoch mit gekonnt gezeichneten Figuren bei Laune. Oates Charakterisierung von Kirsten als ausgekochtem Biest ist so fein gezeichnet, dass die eigentliche Handlung unwichtig wird. Schweppenheiser zählt zu Oates' unvergesslichen Kreationen. Der exzentrische Geschichtslehrer vermag zur Verblüffung seiner Schüler jeder historischen Persönlichkeiten ihren Nimbus zu rauben. Neben dem politischen Bezug auf die beginnenden 80er Jahre nimmt Oates in "Engel des Lichts" das prüde Zeitalter der 60er mit hinreißender Bosheit aufs Korn, als Schwangere breitkrempige Hüte tragen sollten, damit die Blicke von ihrem Bauch abgelenkt wurden.
8 von 10 Punkten