Yu Hua: China in zehn Wörtern
S. Fischer Verlag. 2012
ISBN-13: 978-3100958075. 19,99€
Originaltitel: Shi ge cihui li de Zhongguo
Übersetzer: Ulrich Kautz
Verlagstext
Yu Hua ist einer der bedeutendsten Schriftsteller Chinas. Seine Bücher haben sich in China Millionen Mal verkauft. Dass sein neues Buch ›China in zehn Wörtern‹ von den Chinesen verboten wurde, liegt weniger an seiner Kritik am heutigen China als an den Parallelen, die er zwischen der Kulturrevolution und dem neuen kapitalistischen System zieht. Wie zu Zeiten Mao Zedongs, sieht Yu auch heute Unmenschlichkeit und Gewalt. Der Großteil der chinesischen Gesellschaft profitiert nicht vom Wohlstand, sondern wird auf brutale Weise an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Die persönlichen Essays lassen aber auch Yus Verbundenheit zu seinem Heimatland erkennen. ›China in zehn Wörtern‹ wirft einen ganz anderen, einen neuen Blick auf ein Land, von dem noch viel zu erwarten ist.
Der Autor
Yu Hua hat fünf Jahre als Zahnarzt praktiziert, bevor er Schriftsteller wurde. Auf Deutsch sind von ihm erschienen ›Leben‹ (1998), der von Zhang Yimou verfilmt wurde, ›Der Mann, der sein Blut verkaufte‹ (2000) und zuletzt ›Brüder‹ (2009). ›China in zehn Wörtern‹ durfte in China nicht erscheinen, in Frankreich und den USA erhielt das Buch hymnische Kritiken. Yu Hua wurde 1960 in der ostchinesischen Provinz Zhejiang geboren und lebt in Peking.
Inhalt
Yu Huas Konzentration auf zehn chinesische Begriffe ist ein Hingucker - und sie irritiert auf den ersten Blick durch die ungewöhnlich Auswahl der Wörter. Nicht "Liebe", "Drache" oder "Reich der Mitte", Yu Hua betitelt seine biografischen Notizen u. a. mit "Unterschied", "Graswurzeln" und "Gebirgsdorf". Der chinesische Autor sieht seine 2009 entstandenen Texte als Ergänzung zu seinem Roman Brüder (2009). Dieser Roman sei aus dem Zusammenprall zweier Epochen entstanden, die sich in Europa über 400 Jahre erstreckten und in China auf 40 Jahre komprimiert waren. Aktuelle Probleme Chinas gleich zu Beginn mit der Figur Maos und den Ereignissen auf dem Platz des Himmlischen Friedens (1989) erklären zu wollen, mag zunächst rückwärtsgewandt wirken. Um zu verstehen, aus welchem kleinen Jungen später der Mann werden sollte, der u. a. Der Mann, der sein Blut verkaufte (2000) schrieb, ist der Blick zurück in die Mao-Zeit unerlässlich. Yu Huas Generation lernte in der Schule "Mao" und "Volk" pinseln, noch ehe sie ihren eigenen Namen schreiben konnten und damit zuerst die Stereotypen ihrer Zeit. Das sehr persönliche Kapitel "Lesen" hat mich neben Yu Huas hochironischer Beschreibung des Raubtierkapitalismus chinesischer Prägung am stärksten beeindruckt. Die Szene, in der nach Jahren der Bücherzerstörung während der Kulturrevolution endlich wieder Klassiker zu kaufen waren und die Menschen schon nachts anstanden, um einen der nur 50 Bezugsscheine (für die ganze Stadt) zu ergattern, waren für mich Grundlage zum Verständnis der Romane Yu Huas. Im Kapitel "Schreiben" erläutert Yu Hua, warum blutige und gewalttätige Szenen in seinem Werk so breiten Raum einnehmen. Seine persönliche Entwicklung vom Barfuß-Zahnarzt, dem von einem älteren Kollegen innerhalb von drei Tagen das Zähneziehen beigebracht wurde, erleichtert das Verständnis einiger Romanszenen, die manchem grotesk überzeichnet vorkommen werden. Mit "Unterschied", Yu Huas Beschreibung des tiefen Grabens in der chinesischen Gesellschaft zwischen Arm und Reich und "Gebirgsdorf", der Beschönigung krimineller Taten aller Art, nimmt Yu Huas ironische Darstellung des modernen China einen deutlich kritischen Ton an. Eng verknüpft ist seine Ironie mit der Uneindeutigkeit der chinesischen Sprache, mit der man verschlüssselt etwas ausdrücken und zugleich darauf vertrauen kann, dass das Gegenüber ahnt, was man in Wirklichkeit sagen will.
Fazit
Wenn Sie sich bisher wegen grausamer Szenen aus der jüngsten chinesischen Geschichte noch nicht an Yu Huas Romane herangetraut haben, könnte diese biografische Ergänzung Sie ermutigen, den Versuch zu wagen. Überraschend, wie der Klappentext verspricht, sind Yu Huas Einblicke nicht; sie beeindrucken jedoch hinter ihrer Schutzhülle aus Ironie durch ihre Direktheit.
8 von 10 Punkten