Farewell, Sir Terry!
Man kann sich das natürlich schönreden: Selbst ein schlechter Pratchett ist um Welten besser als beispielsweise der ganze Gestaltwandlermurks, der in den vergangenen zwei Jahren auf den Markt geworfen wurde. Oder: Für einen Autor, der unter Alzheimer leidet, ist das noch ziemlich beachtlich. Allein, ein schlechtes Buch wird dadurch nicht besser. Und der letzte Scheibenwelt-Roman ist ein schlechtes Buch. Sogar ein sehr schlechtes.
Stadtwachen-Kommandeur Samuel Mumm fährt mit Gattin Lady Sybil und Filius Klein-Sam aufs Land, in die Sommerfrische, um Urlaub zu machen, was für Mumm eigentlich ein Fremdwort ist. Auf dem Landsitz der reichen Käsedicks, zu denen Mumm qua Eheschließung nun einmal gehört, zeigt sich schnell, dass ein Polizist, der selbst auf der Straße groß geworden ist, nie aus seiner Haut kann. Alsbald spürt er, dass etwas faul ist, während er die Ländereien durchstreift und mit dem seltsamen Phänomen konfrontiert wird, Lehensherr zu sein. Mumm wird in ein Mordkomplott verstrickt, begangen an einem Goblin-Mädchen. Goblins, das ist die schmuddelige, humanoide, kaum verstehbare Spezies ganz am unteren Ende der sozialen Leiter. Hier, auf dem Land, wo Klüngel, Seilschaften und Selbstjustiz herrschen, zählt sie weniger als nichts, und wenn etwas geschieht, schaut man ohnehin kollektiv weg. Aber Mumm ist Mumm, fast schon schmerzhaft gerecht, und natürlich findet er auch hier rasch Mitstreiter, die (vorhersehbar) schnell über sich hinauswachsen.
Es geht also - wieder einmal - um eine unterschätzte Spezies (wunderbarerweise können Goblin-Mädchen fantastisch Harfe spielen; sie sind also im Kontext der Geschichte sogar kulturell wertvoll), der Mumm dabei hilft, Anerkennung zu finden. Der Weg dorthin führt durch Höhlen, über Landgüter, auf Flüsse und ins benachbarte Quirm. Pratchett wirft eine Schar von Figuren aufs Tableau, widmet aber nur wenigen genug Aufmerksamkeit, um auch nur ansatzweise Empathie aufkommen zu lassen. Doch die Handlung scheint ohnehin nebensächlich zu sein; beherrscht wird "Steife Prise" von langen Dialogen, die meistens Mumm anführt, oder Selbstreflexionen, bei denen es etwa um die Wichtigkeit einzelner Menschen geht. Das alles ist schrecklich unbeholfen, langatmig, dreht sich im Kreis, und von Humor kann keine Rede sein. Die wenigen halbwegs amüsanten Stellen killt der Übersetzer Gerald Jung mit seiner offenkundigen Unwilligkeit, sich auf das - zugegeben: inzwischen sehr schwerfällige - Scheibenwelt-Universum auf die Art einzulassen, wie das vor ihm Andreas Brandhorst getan hat. Viele Figurennamen und Bezeichnungen (etwa diejenigen der Speisen, die die Mutter des jungen Polizisten Volker Aufstrich kocht) bleiben im Original oder sind völlig willkürlich übertragen, manchmal scheint Jung den Witz nicht verstanden zu haben, wenn es etwa um das Schinken-Tomate-Salat-Sandwich geht, aus dem Lady Sybil eigentlich ein Tomate-Salat-Schinken-Sandwich gemacht hat (im Original), aber Jung wiederholt den Begriff zweimal, als würde das keine Rolle spielen. Aber auch eine bessere Übersetzung hätte aus diesem fauligen Quark keinen Gourmetmenü gemacht (ich habe die englische Fassung quergelesen).
Diese äußerst langweilige, sich häufig wiederholende, unfassbar vorhersehbare und völlig unspannende Geschichte - von Originalität ganz zu schweigen - hätte auch Brandhorst nicht retten können. Handlungsstränge versiegen (beispielsweise das Schicksal der Goblins im Wiewunderland), das Ende versinkt im faden Chaos, und ich war schließlich froh, die Schwarte zuschlagen zu können. Nachgerade geschüttelt hat es mich, als Pratchett davon erzählt, dass Goblin-Mütter manchmal aus Not ihre Neugeborenen verspeisen, und die Erklärung, die der Autor für dieses völlig überflüssige Element liefert, um für die kannibalistischen Mütter zu werben, ist nicht weniger als geschmacklos - und davon abgesehen absolut peinlich.
Für mich war's das. Lange und mit wechselnder, meistens jedoch großer Begeisterung habe ich das Geschehen auf der Scheibenwelt verfolgt, mich in Pratchetts Figuren und fantastische Ideen verliebt, sogar die Märchen und Pratchetts Nebenprojekte (etwa die recht gelungene Parabel "Eine Insel") gelesen, aber an dieser verfrühten Erbschaftsverwertung mag ich mich einfach nicht mehr beteiligen. Ich verstehe, dass ein Autor, der an einer solchen Krankheit leidet, das Schreiben dennoch nicht aufgeben will, vielleicht auch nicht kann, aber wenn sich die Ergebnisse zu Zumutungen entwickeln, besteht wahre Solidarität darin, sich dieser Selbstdemütigung eines ehemals genialen Schriftstellers zu verweigern.