Fragen an Nicole C. Vosseler

  • Weil ich nicht weiß, wo unterbringen, frage ich einfach mal hier:
    Liebe Nicole, magst Du noch etwas zu den eingangs der Kapitel zitierten Worte sagen? Warum und wieso genau jenes und kein anderes?
    Falls es schon irgendwo erklärt ist, Pardon, beim Überfliegen hab ich nichts gefunden.

  • Natürlich, sehr gerne, liebe Lipperin! :knuddel1
    Ich glaube tatsächlich auch, dass ich dazu noch nichts gesagt habe, außer, dass ich Dir angeboten habe, am Ende was dazu zu sagen.


    Im Nachhinein ist es für mich meistens unmöglich, genauer zu rekonstruieren, auf welch verschlungenen Wegen ich die Zitate für meine Bücher gefunden habe, weil so viele Gedankenspiele, Assoziationsketten und mehr oder weniger zielgerichtete Stöberstunden dem Moment vorausgegangen sind, in dem es bei mir "funkt" und ich weiß, ich habe das richtige Zitat gefunden.


    Das Motto für den gesamten Roman, das Zitat von Tennyson auf einer der ersten Seiten des Buches, hatte ich schon ganz zu Anfang, als ich das Exposé schrieb (und das dann erst mal für "Sterne über Sansibar" beiseite legte), weil ich darin Jeremys Zeit im Sudan und Graces Suche nach ihm wiedergegeben fand - und das war für mich eines der zentralen Bilder, die ich während des Bebrütens der gesamten Geschichte in mir getragen habe.


    S. 9, das Zitat von Keats: Das geht noch auf eine Sternstunde in meinem Studium zurück, ein Seminar namens "Englische und amerikanische Reisende in Italien", und in Bezug auf Ada habe ich nicht nur in meinen Unterlagen von damals, sondern auch sonst bei E.M. Forster, Henry James, George Eliot, Byron und Keats gestöbert, ob ich irgendwo etwas fände, das die Stimmung dieses einen, dieses letzten Sommers wiedergeben könnte.
    Außerdem hatte ich noch die Bilder aus Jane Campions Film "Bright Star" über Keats und Fanny Brawne im Kopf, Ben Whishaws Stimme, der auf dem Sondtrack Keats in Poesie und Briefen rezitiert - Farben, Klänge, Stimmungen, die ich unbedingt in diesen ersten Romanteil einflechten wollte.
    Und bei Keats wurde ich schließlich fündig ...


    (Selbiges Seminar und die darin geäußerte Begeisterung meines Profs für Byrons "Manfred" trugen dann auch zu Stephens Lieblingsbuch bei. :-) )



    S. 363, das Zitat von Emily Bronte: Ich hatte mehr als einmal in Bezug auf Ada, Grace und Becky die Bronte-Schwestern im Hinterkopf, und da vor allem Emily (nicht umsonst steht "Sturmhöhe" in Jeremys Bücherregal); am liebsten wollte ich ein Zitat von ihr Grace mit auf den Weg geben, auf den Weg zu ihrer Entscheidung, am besten aber auch ein Zitat, von dem sich vielleicht auch Ada, Stephen und Becky angesprochen fühlen könnten, und sei es nur unbewusst.
    Und auch da wurde ich schließlich fündig.


    (Das sind solche Geschenke, diese Zitate, die in wenigen Zeilen das an Gedanken, Gefühlen, Stimmungen einfangen können, wofür ich so viele Kapitel einer Geschichte brauche. :anbet )


    S. 423, das Zitat von Churchill: Obwohl Churchill im zweiten Sudan-Feldzug ein gutes Jahrzehnt später dabei war, habe ich sein Buch darüber während der Recherche gelesen und bin dabei auf dieses Zitat gestoßen. Und ich fand dieses Zitat so stark, so prägnant, dass ich es unbedingt in meinem Buch haben wollte.



    S. 201 und S. 549, Rupert Brooke, und S. 207, Julian Grenfell ...
    Eigentlich bin ich immer bemüht, nur Zitate zu verwenden, die auch ungefähr in die Zeit passen, in der der Roman spielt oder davor geschrieben wurden. Zitate, die erst einige Jahrzehnte später entstanden sind, mag ich eigentlich nicht, das ist für mich subjektiv ein unschöner Anachronismus.


    Über den ersten Sudan-Feldzug fand ich allerdings nur arg Patriotisch-Pathetisches (auch von Tennyson), bei dem sich mir alles sträubte. Ich weiß gar nicht mehr, wie ich dann auf Brooke und Grenfell kam - aber bei ihnen fand ich genau das an Empfindungen, an Gedanken, was ich suchte, in einer Form, einem Stil, die mich komplett gefangennahmen. Beide drückten genau das aus, was ich selbst bei der Recherche und bei der Entwicklung dieser Geschichte empfand.
    Dass beide als sehr junge Männer im Ersten Weltkrieg starben, erschütterte mich, und dass beide quasi dieselbe Generation sind wie die Kinder von Jeremy, Grace, Ada und Royston, gab mir das sichere Gefühl: das gehört einfach in dieses Buch.

  • Entschuldigung, wenn es im Moment immer etwas dauert, bis ich reagiere.


    Danke für die ausführliche Beschreibung! :knuddel1 Ich war von Anfang an ein bisschen versucht, fast alle Zitate oder Teile daraus einzelnen Personen zuzuordnen; ich fand, manches bot sich geradezu an. Das Motto zum Beispiel: Natürlich gilt der erste Gedanke Jeremy, aber je länger ich darüber nachdachte, desto mehr war ich auch der Meinung, man könne es bis zu einem bestimmten Punkt auch Leonard zuschreiben. Und dem Colonel ja sowieso.
    Mein liebstes Zitat sind die Verse vor Kapitel I im zweiten Buch von Julian Grenfell; an zweiter Stelle steht das Brontë-Zitat, es passt für viele, fast für alle … mich freut besonders, dass es auch für Becky stehen kann.


    Ich kann mir gut vorstellen, wie viel Spaß (aber auch Frust) es bereiten kann, nach etwas zu suchen, was "passt" - die Pfade, die man dabei abschreiten kann, hätte man "freiwillig" vielleicht nicht aufgesucht.

  • Zitat

    Original von Lipperin
    Entschuldigung, wenn es im Moment immer etwas dauert, bis ich reagiere.


    Das macht überhaupt nichts, liebe Lipperin - wie Du siehst, schaffe ich es momentan auch nicht, sofort zurückzuschreiben. :knuddel1


    Zitat

    Original von Lipperin
    Danke für die ausführliche Beschreibung! :knuddel1


    Sehr gerne! :-)


    Zitat

    Original von Lipperin
    Ich war von Anfang an ein bisschen versucht, fast alle Zitate oder Teile daraus einzelnen Personen zuzuordnen; ich fand, manches bot sich geradezu an.


    Find ich schön, dass es Dir damit so ging. :-]


    Zitat

    Original von Lipperin
    Das Motto zum Beispiel: Natürlich gilt der erste Gedanke Jeremy, aber je länger ich darüber nachdachte, desto mehr war ich auch der Meinung, man könne es bis zu einem bestimmten Punkt auch Leonard zuschreiben. Und dem Colonel ja sowieso.


    Das ist ein Gedanke, den ich selbst bisher gar nicht hatte - aber es stimmt, auf die beiden trifft das Tennyson-Zitat ebenfalls zu.
    Danke dafür! :knuddel1


    Zitat

    Original von Lipperin
    Mein liebstes Zitat sind die Verse vor Kapitel I im zweiten Buch von Julian Grenfell; an zweiter Stelle steht das Brontë-Zitat, es passt für viele, fast für alle … mich freut besonders, dass es auch für Becky stehen kann.


    Dieses Zitat von Grenfell hat in mir etwas ganz stark zum Schwingen gebracht, an Gefühlen, an Bildern, Farben und Klängen, und es hat einen ebenfalls starken Nachhall in mir hinterlassen.
    Das Bronte-Zitat klingt für mich leiser, hat darunter aber eine felsenfeste Entschlossenheit, eine innere Sicherheit.
    Beide zu finden, das war ein sehr großes Geschenk.


    Mich macht es jedes Mal demütig, dass so wenige Zeilen, so wenige Worte so viel in sich tragen und so stark wirken können - und ich kann immer nur hoffen, dass meine laienhafte Übersetzung dem Original einigermaßen gerecht wird.


    Zitat

    Original von Lipperin
    Ich kann mir gut vorstellen, wie viel Spaß (aber auch Frust) es bereiten kann, nach etwas zu suchen, was "passt" - die Pfade, die man dabei abschreiten kann, hätte man "freiwillig" vielleicht nicht aufgesucht.


    Das stimmt, ich gerate da wirklich immer auf ganz verschlungene Pfade, an die ich vorher überhaupt nicht gedacht hatte. Für mich hat das ein bisschen etwas von einer Schatzsuche, und die macht mir jedes Mal Freude.


    Ich bin dabei trotzdem manchmal frustriert - bis ich an den Punkt komme, an dem ich meine eigenen Erwartungen, meine konkreten Vorstellungen aufgebe und mich einfach durch die Suche treiben lasse. Durchaus auch mit rationalenem Recherche-Verstand, aber sonst mit offenen Sinnen und Intuition.


    Viel frustrierender ist es für mich, wenn ich ein passendes Zitat gefunden habe, mir aber die Übertragung ins Deutsche nicht gelingt. Wenn zuviel von dem, was mir an Wortwahl, Ausdruck, Wirkung am Original wichtig ist, verloren geht, auch in der x-ten Variante, die ich versuche, und ich einsehen muss, dass ich dieses Zitat deshalb nicht nehmen kann und ein anderes suchen muss.


    Und trotzdem lerne ich jedes Mal aufs Neue: Es findet sich. Immer. Und immer das Richtige.