Titel: Mittendrin. Die Tagebücher 1966-1972
Autor: Hans Werner Richter
Verlag: C. H. Beck
Erschienen: September 2012
Seitenzahl: 382
ISBN-10: 3406638422
ISBN-13: 978-3406638428
Preis: 24.95 EUR
Hans Werner Richter (1908-1993) wurde bekannt als Gründer und Organisator der „Gruppe 47“ – einer Gruppe, die das literarische Leben im Nachkriegsdeutschland entscheidend beeinflusst hat. Richter als Autor eher wohl nur „durchschnittlich“, hat mit dieser Gruppe 47 Literaten wie Günter Grass, Heinrich Böll, Uwe Johnson, Ingeborg Bachmann und vielen anderen mehr zum Durchbruch verholfen. Die Gruppe bestand von 1947 bis 1967, sie hatte keine feste Mitgliederzahl und auch keine Organisationsform. Die Mitglieder/Teilnehmer rekrutierten sich aus der Einladungspraxis Richters. Er ausschließlich lud ein und konnte so auch die Zusammensetzung der Gruppe immer wieder neu steuern. Die Gruppe 47 war keine in sich homogene Gruppe, sie war eher ein loser Zusammenschluss literarisch tätiger Menschen. Natürlich sind auch die Namen Reich-Ranicki oder auch Raddatz mit dieser Gruppe 47 eng verbunden.
Hans Werner Richter selbst hat die Gruppe 47 so beschrieben: „Was ist die Gruppe 47? Nun, nichts weiter als ein immer wiederholtes Werkstattgespräch unter Schriftstellern, ein Werkstattgespräch, in dem aus noch unveröffentlichten Arbeiten gelesen und diese nach der Lesung von allen Anwesenden kritisiert werden."
Anfangs war diese Gruppe eine „Startsignal“ für einen Neubeginn der deutschen Literatur nach dem Zweiten Weltkrieg. Später dann nahm ihr Einfluss zu und sie wurde zu einer – wenn auch nicht unumstrittenen – Institution in der deutschen Literatur.
Jedes Jahr verlieh die Gruppe den „Preis der Gruppe 47“.
In seinen Tagebüchern schildert Richter die Jahre 1966 bis 1972. Der Vorsitzende der Hans Werner Richter-Stiftung Bansin Hans Dieter Zimmermann beschreibt die Intention dieses Tagebuches so: „Es ist kein intimes, es ist ein literarisch-politisches Tagebuch, das Richter wohl für eine spätere Veröffentlichung vorgesehen hat.“.
Richter beschreibt in seinen Tagebüchern nicht nur den „literarischen Geist“ der damaligen Zeit, er beschreibt auch die politischen Stimmungen die man in jener Zeit beobachten konnte.
Man könnte diese Tagebücher unter das Motto stellen:
„Als Walser noch links war und Grass nicht nur dummes Zeug geredet hat!“
Richter geht mit seinen Schriftstellerkollegen teilweise sehr hart ins Gericht und das jetzt nicht nur auf deren literarischen Arbeiten bezogen. Genaugenommen hat er eigentlich an fast jeder Kollegin und fast jedem Kollegen etwas auszusetzen. Man könnte fast denken da sei jemand neidisch auf den Erfolg anderer. Und dabei – vielleicht auch ungewollt – charakterisiert Richter in bemerkenswerter Weise diese Kaste der Schriftstellerinnen und Schriftsteller. Ohne jetzt verallgemeinern zu wollen – und merkt es auch in heutiger Zeit – kreisen diese schreibenden Menschen ausschließlich um sich selbst. Interessiert nur an sich selbst und dabei eben auch keinen Gedanken an den Mitmenschen verschwendend, bewegen sie sich in ihrem kleinen Kosmos, der ihnen aber so vorkommt, als sei es das Universum schlechthin. Sie sehen sich als der Mittelpunkt, als den Nabel der Welt und des gesamten übrigen Seins.
Und dabei sind gerade unter den Schriftstellerinnen und Schriftstellern unglaublich „arme Würstchen“ unterwegs. Sie scheinen von sich zu glauben, sie könnten politisch etwas ändern, schaffen es aber nicht, sich in endlosen Diskussionen (Palaver wäre hier der bessere Ausdruck) auf eine gemeinsame Erklärung zu einigen – und wenn sie sich dann auf ein oder zwei Sätze geeinigt haben, ist die politische Situation – über die sie ausufernd geredet haben – bereits in hohem Tempo an ihnen vorbei gebraust. Diese zum Teil unglaubliche Selbstüberschätzung kommt in diesen Tagebüchern wirklich gut zum Ausdruck.
Diese Tagebücher lesen sich unglaublich spannend. Sie bieten einen herrlichen Einblick in eine literarische Welt, die eher klein- und spießbürgerlich als fortschrittlich ist. Die Literaten reden wo andere bereits handeln. Vielfach reden sie an der Wirklichkeit vorbei und man fragt sich als Leser dieser Tagebücher, wie haben es diese Klein- und Spießbürger nur schaffen können, teilweise wirkliche literarische Kunstwerke zu schaffen.
Der Leser bekommt einen Einblick in die literarische Welt der sechziger und siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Es wurde integriert, niedergemacht und angelächelt (allerdings mit dem geöffneten Klappmesser hinter dem Rücken). Es gab nur sehr selten die brutale Blutgrätsche von hinten in die Hacken des Gegners, nein, es wurden vielmehr meisterhaft Nadelstiche gesetzt (die sicher auch sehr schmerzhaft sein konnten), die Falschheit feierte wahre Triumphe. All das findet sich hier komprimiert in den Tagebüchern von Hans Werner Richter.
Die Gruppe 47 gibt es nicht mehr. Wiederbelegungsversuche verliefen insgesamt erfolglos. Das mag auch daran liegen, dass heutzutage kein Bedarf mehr nach einer „Gruppe 47“ besteht; die Zeiten haben sich eben geändert – eine Floskel zwar, in diesem Falle aber mehr als zutreffend.
Diese Tagebücher, geschrieben von Hans Werner Richter, sind sehr lesenswert. 9 Eulenpunkte für eine hochinteressante Lektüre.