Quitt - Theodor Fontane

  • Quitt gehört zu den unbekannteren Romanen Fontanes, er wird gern als unwichtig abstempelt. Tatsächlich erzählt Fontane hier eine vertrackte, vor allem aber für das klassische Fontanebild ungewohnte Geschichte. Es dauert eine gute Zeit, bis man den altvertrauten Autor darin findet, so gut verkleidet er sich und seine Absichten.
    Der Roman entstand ab Mitte der 1880er Jahre und zwar während der Urlaubsmonate Fontanes im Riesengebirge. Dort spielt seine Geschichte auch, es ist kein Berlin-Roman. Es gibt aber noch einen weiteren Schauplatz, die USA, vornehmlich im indian territory, unter Missionaren und Indianern. Wahrhaftig fremd für Fontane und seine LeserInnen zunächst auch.


    Für die Grundhandlung greift Fontane einen Kriminalfall aus der Gegend auf, den Mord an einem Förster durch einen Wilddieb. Er erzählt allerdings keinen Krimi, sondern spinnt seine Geschichte aus dem Verhältnis zwischen zwei Männern, von denen einer Mörder, der andere zum Opfer wird. So treffen wir den 27jährigen Lehnert Menz, ehemaliger Soldat, jetzt verarmter Gelegenheitsarbeiter, und Opitz, hochherrschaftlicher Förster. Die beiden haben ganz ähnliche Charaktere, aber aufgrund des unterschiedlichen Stands in der engen Welt, in der sie leben, hat das für jeden eine gegensätzliche Auswirkung. Beide sind stolz, dickköpfig, leicht beleidigt, rechthaberisch und eitel.
    Aus Lehnert macht das einen Hitzkopf, der unter seiner Armut leidet, sich aber vorgeblich um nichts und niemanden schert und sich unter dem Vorwand von Freiheit sein recht nimmt. Opitz ist ein aufgeblasener Beamter, der stets und ständig auf seine höhere Stellung pocht und seine Freiheit darin sieht, strengste Einhaltung jedes Buchstabens des Gesetzes zu fordern. Daß Opitz in der Armee Vorgesetzter Lehnerts war und durch eine Eigenmächtigkeit verhindert hat, daß Lehnert einen Orden bekam, macht das Verhältnis der beiden nicht besser. Aus dem Weg gehen können sie sich aber auch nicht, im Gegenteil scheinen sie unter einem immer stärker werdenden Zwang zu stehen, zusammenzukommen und zu streiten. Dabei machen beide Fehler, immer wieder und immer schlimmere.


    Ausgerechnet Lehnert, der so gern von Freiheit und besseren Lebensbedingungen für die Menschen schwärmt, redet sich schließlich ein, daß es keinen anderen Ausweg gibt, als Opitz zu ermorden. Sein langer abendlicher Weg durch den Wald die Schneekoppe hinauf, sein inneres Ringen und die ständig wachsende Bessessenheit, den Mord auszuführen, ist in einer Art beschrieben, die einer auch heute noch beim Lesen das Gruseln lehrt. Fontane beläßt es nicht dabei, im Gegenteil läßt er eine mit der gleichen kühlen Grausamkeit an Lehnerts nachfolgenden Gewissensqualen und am Sterben von Opitz teilhaben. Am Ende des ersten Teils flieht Lehnert in die USA. Sein angeblich hehrer Kampf gegen die bedrückende Obrigkeit endet schmutzig und mies.


    Im zweiten Teil des Romans treffen wir Lehnert sechs Jahre später auf einer Zugreise im Mittleren Westen. Er hat vieles von dem mitgemacht, was die USA Einwanderern bieten, war Cowboy, Goldsucher, Spieler, reich und ist nun fast wieder ohne Vermögen. Einen Ort zum Bleiben hat er nicht gefunden. Dieser scheint sich ihm dann in einer Siedlung von Mennoniten zu bieten. Auch dort stößt Lehnert auf eine Obrigkeit, in Gestalt des Führers der Gemeinde, Obadja Hornbostel. Obadja ist eine wirklich eigenartige Gestalt. Überzeugter Mennonit, dabei absolut tolerant gegenüber anderen Religionen, hat er außer seiner Familie in seinem Haus Menschen unterschiedlichster Überzeugungen versammelt, von der polnischen katholischen Haushälterin bis zum flüchtigen Kommandanten aus dem Paris der Commune, eine Art areligiöser Frühkommunist. Obadja nimmt Lehnert als Hilfsverwalter auf.


    In diesem neuen Leben, das vom bäuerlichen Alltag bestimmt wird, kommt Lehnert tatsächlich zur Ruhe, muß sich aber auch den Problemen seiner Vergangenheit stellen. Fontane nützt die Situation zu eingehenden Diskussionen des Kernthemas, nämlich Freiheit und Einschränkung. Wer darf wie über wen bestimmen? In der Figur des Franzosen L’Hermite wagt er sich auch an die Frage von Revolutionen, von Verantwortung bis zu Blutvergießen. Ebenso eingehend geht es um Religionen, denn auch hierbei geht es um Obrigkeit versus persönliche Freiheit und Freiheiten. Beim Lesen trifft man einen sehr offenen, offenherzigen und zugleich staunenden Fontane, hin und wieder hat man das Gefühl, daß ihn die Argumente seiner eigenen Figuren selbst überraschen. So tief ist er in die Problematik nie zuvor vorgestoßen, so weit hat er sich nie zuvor in Richtung moderner Gedanken gewagt. Diese denkerischen Versuche, die noch dazu keineswegs trocken beschrieben sind, sondern fest in die Handlung eingebaut, halten durchaus eine gewisse Spannung aufrecht.


    Für eine Leserin heute kommt noch eine weitere Ebene dazu, die der Indianer nämlich. In der Geschichte tauchen die Bekehrten auf, die Zwangsgetauften, die eigentlich ihre Rechte und Freiheiten verloren haben. Obadja, in seiner umfassenden Toleranz für alles Christliche, selbst ehemalig christliche, wie L’Hermite, duldet Indianer nur, wenn sie getauft sind. Das wirft ein zusätzliches Licht auf diesen Weisen, der tatsächlich ein Diktator aus eigenem Recht ist, und man fragt sich beim Lesen immer wieder, ob Fontane diese Kritik beabsichtigte, oder ob sie ihm einfach in die Feder rutschte, weil er ein so ausgezeichneter Beobachter war. Jedenfalls fehlt keine andere Dimension von ‚Obrigkeit versus Freiheit’, selbst die Frauenrolle wird immer wieder angetippt.


    ‚Quitt’, der Titel sagt es schon, ist Lehnert mit seiner Vergangenheit erst, als er den Mord in seiner alten Heimat mit seinem Leben sühnt. Sein Sterben ist auf seine Art ebenso schrecklich wie das des Försters Opitz, obwohl Lehnert nicht durch die Hand eines Menschen stirbt. Hier sehen wir noch einmal einen grausamen Fontane am Werk.
    Umrahmt wird das Ganze mit einer eigenen Geschichte einer Gruppe von Touristen im Kurort unter der Schneekoppe, recht selbstgefälligen Bürgersleuten aus Berlin, die sich aufgrund ihrer ökonomisch guten Lage frei fühlen, dabei blind für andere und in ihren Konventionen gefangen sind, und die Grenzen nur diskret mit heimlichen Liebeleien zu durchbrechen wissen. Dramen auch das, stiller als das um Lehnert, allerdings überläßt diesen Figuren Fontane eher die Rolle des ‚comic relief’. In machen Halbsätzen und Charakterisierungen aber erkennt man schon die Vorboten von ‚Effi Briest’.


    Der kleine Roman ist ein etwas anderer Fontane, anspruchsvoll, mit Gewinn vor allem heutzutage zu lesen, wo wir doch so viel mehr von Freiheit und Zwang und Verantwortung und den Rechten des Individuum wissen.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Gelesen habe ich unten verlinkte sehr schöne Ausgabe aus dem Verlag der Nation von 1973 (aus einer Antiquariatskiste gefischt, die üblichen Werkausgaben von Fontane enthalten 'Quitt' meist nicht, wenn es sich nicht um die Gesammelten Werke handelt).
    Diese Ausgabe hat Zeichnungen von Ernst Lewinger, die die unheimliche Atmosphäre noch betonen.


    Es gibt auch ein Nachwort, in dem jemand zwanghaft versucht, die Geschichte in eine sozialistische Realität zu übertragen, selbst Engels wird bemüht, dabei vor lauter Eifer das eigentlich Fortschrittliche an diesem Buch übersieht, und verrückterweise auch für die Indianerproblematik keinen Blick hat. Lehnert wird auf diese Weise zu einer Art Freiheitsheld, was er nicht ist und auch nicht sein soll.
    Das schadet der Ausgabe aber nicht, im Gegenteil kann man eben auch das Nachwort unter dem Aspekt 'Obrigkeit/Freiheit' lesen und eigenen Schlüsse ziehen. Noch ein Mehrwert, der Fontane möglicherweise sogar gefallen würde.



    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Ja, verstehe ich. Für mich war 'Quitt' ganz neu, aber ich habe zunächst schwer gegrübelt, was das denn nun soll. Vor allem die großstädtischen Touristengruppen haben mich verwirrt. Ich hatte zuerst den Verdacht, daß Fontane hier Dickens spielt und skurrile Figuren (die berühmten 'oddities') einführt, um Spaß zu machen bzw. zu haben. Bei Dickens nervt mich das enorm und führt immer wieder dazu, daß ich seine Bücher abbreche.


    Aber natürlich war das mein Fehler, ich hätte mich auf Fontane verlassen sollen. Das Konstrukt ist mutig, um es vorsichtig auszudrücken, aber es gelingt. Wie kann es anders sein.


    Zu knabbern gibt einer auch der zweite Teil, der eher an eine Novelle erinnert, als an einen Bestandteil eines Romans. Ich gebe zu, daß ich an der Stelle mit Ruth und der Schlange aufgestöhnt habe ('Och, neee' ), aber Wendepunkte in einer Novelle sind eben brutal. *räusper*
    :grin


    Und am Ende hat Fontane doch recht behalten.
    Ich hoffe, ich werde in den nächsten Jahren Zeit für eine Relektüre finden.




    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

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