"Eine iranische Liebesgeschichte zensieren" - Shariar Mandanipur

  • Titel der englischen Ausgabe: "Censoring an Iranian Love Story"


    Zum Buch


    Ein iranischer Schriftsteller ist es leid, immer nur düstere Romane mit tragischem Ausgang zu schreiben. Also beginnt er eine Liebesgeschichte - ein Projekt mit Tücken. Wie erzählen, wenn es den Liebenden verboten ist, sich allein zu begegnen, sich in die Augen zu schauen Wie ein mächtiger Schatten wacht Herr Petrowitsch, der Zensor, über jedes Wort und liest sogar die Gedanken des Schriftstellers zwischen den Zeilen. Also müssen Sara und Dara, das junge Paar aus Teheran, tausend Listen und Tricks ersinnen, um sich zu finden. Ihre Liebe muss sich bewähren gegen Anfeindungen und Gefahren, nicht zuletzt gegen die Verdikte des Zensors, der dem Schriftsteller genau dann in die Tasten fällt, wenn die Zauberkraft der Liebe ihre Wirkung zeigt.


    Über den Autor


    Shariar Mandanipur, der 1957 in Schiras geboren wurde, zählt zu den bekanntesten Schriftstellern Irans. Er studierte Politikwissenschaften, nahm als Freiwilliger am iranisch-irakischen Krieg teil und leitete zehn Jahre lang die in Schiras erscheinende Literaturzeitschrift „Asr-e Panjshanbeh“, die im vorigen Jahr verboten wurde. Für seine Werke bekam er zahlreiche Preise, darunter den Mehregan Award und den Golden Tablet Award. Fünf Jahre lang, von 1992 und 1997, durfte er in seiner Heimat nicht publizieren. Wegen der Zensur verließ der 2006 den Iran und lebt seitdem in den Vereinigten Staaten. Zurzeit ist er Gastdozent in Harvard


    Meine Meinung


    Die Handlung des Buches findet auf mehreren Ebenen statt, die sich durch das Druckbild unterscheiden. Fett gedruckt ist die Liebesgeschichte zwischen Sara und Dara, die damit beginnt, dass die beiden sich Briefe schreiben, indem sie Punkte unter Buchstaben bestimmter Bücher der öffentlichen Bibliothek setzen. Diese Geschichte enthält immer wieder antizipatorisch durchgestrichene Passagen, die verdeutlichen sollen, was der Autor gerne sagen würde, von dem er aber schon weiß, dass es nicht durch die Zensur gehen würde. Eine weitere Deutungsebene enthält die Liebesgeschichte jedoch erst über die - normal gedruckte - Geschichte über die Liebesgeschichte. Ein namenloser Erzähler, dessen Lebensgeschichte mir autobiographische Züge zu beinhalten scheint, spricht auf der Metaebene über die Liebesgeschichte. Diese Überlegungen des Erzählers nehmen weit mehr Raum ein als die eigentliche Liebesgeschichte selbst. Der Erzähler spricht sehr häufig, fast schon inflationär, die Leser direkt an, zum Beispiel mit "Fragen Sie mich nun, warum ich das so schreibe und ich antworte Ihnen: [...]". Der Ton hat, gerade zu Beginn, etwas Oberlehrerhaftes, und ich hatte das Buch deswegen auch schon mal vor Monaten abgebrochen. Mit der Zeit verschwindet der Erzähler jedoch mehr im Hintergrund, und es lohnt sich, sich durch die ersten 30-40 Seiten zu kämpfen.


    Der Erzähler befindet sich ständig im Konflikt eine gute Liebesgeschichte zu schreiben, eine mit Happy End, in einem Land, in dem sich eine Tragödie nach der anderen abspielt. Diese Geschichte möchte er aber auch veröffentlicht bekommen. Er erläutert Stilmittel, die er verwendet, um die Geschichte am gefürchteten Zensor Petrowitsch vorbei zu bekommen. Zum Beispiel erklärt er anhand eines jahrhundertealten Epos typische persische Metaphern und wie diese zu verstehen sind, oder auch das Stilmittel der drei Punkte, durch die iranische Autoren Dinge weglassen, die sie nicht schrieben können und die der Leser dann im Kopf ergänzt. Während der Autor diese Stilmittel erklärt, wendet er sie auch gleich an... Der Leser wird also praktisch während des Lesens ausgebildet, die symbolhafte Ebene mitzulesen und der Autor zeigt hier auch gleich, welches gewollte oder ungewollte Eigenleben die Phantasie des Lesers entwickeln kann.


    In der Geschichte über die Geschichte erhält man auch zusätzliche Hintergrundinformationen über die Figuren in der Liebesgeschichte und Dinge, die die Figuren außerhalb der eigentlichen Liebesgeschichte erleben. Hier und da vermischen sich auch die Ebenen und verschwimmen im Laufe des Buches immer mehr. In diversen mythenmetzschen Abschweifungen erfährt man einiges über den Erzähler selbst sowie über die Situation im Iran. Der Erzähler beschreibt zum einen Hindernisse, die jungen Menschen im Iran durch die rigorose Sittengesetze der Islamischen Republik in den Weg gelegt werden und ihrer Kreativität, Hindernisse zu umgehen. Zum anderen beschreibt er die diversen Arten der Zensur im Land - und hier geht es nicht nur um die Zensur mit Stift und Schere, sondern auch die, die bereits im Kopf stattfindet - und über die Schwierigkeiten, mit denen sich Schriftsteller und Filmemacher konfrontiert sehen. Immer wieder gibt es auch Anspielungen auf historische oder aktuelle politische Ereignisse und Themen, z.B. das iranische Atomprogramm. Dabei gelingt es dem Autor, die schwierige Situation, in der die Menschen im Iran leben, auf humorvolle, respektlose und leicht sarkastische Weise zu beschreiben und ein plastisches Sittengemälde der modernen iranischen Gesellschaft zu entwerfen. Die Leser werden aber auch mit verschiedenen Vorurteilen, die sie über den Iran haben könnten, konfrontiert.


    Das Buch ist voll von Anspielungen auf die iranische aber auch abendländische Literatur und Filmkunst. Das Pseudonym des Zensors Petrowitsch spielt zum Beispiel auf den Untersuchungsrichter in Dostojewskis Roman "Verbrechen und Strafe" an, der Raskolnikows Morde aufzuklären hatte. Um den nicht-iranischen Lesern die Bezüge zur iranischen Literatur zugänglicher zu machen, wurde das Buch in seiner englischen Übersetzung komplett überarbeitet und auf Wunsch des Autors nicht direkt aus dem Persischen, sondern aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt. Ich bedaure, den Roman nicht auf Englisch gelesen zu haben. Ich hatte die Leseprobe schon lange auf dem Kindle und da lief er mir in der deutschen Ausgabe antiquarisch über den Weg. Sprachlich gefällt mir die englische Version jedoch besser, die deutsche Übersetzung schien mir oft etwas holprig zu sein.


    Ein sehr ungewöhnliches Buch, dessen eigentliche Geschichte wohl hauptsächlich zwischen den Zeilen steht.


    „Eine iranische Liebesgeschichte zensieren“ konnte im Iran nicht veröffentlicht werden.


    8/10 Eulenpunkten (ein Punkt Abzug für die deutsche Übersetzung).
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