Inhalt:
Was der Krieg vom Leben übrig lässt
Wir schicken unsere Soldaten in alle Welt - immer mehr kerhen traumatisiert aus ihren Einsätzen zurück. Daniela Matijevic ist eine von ihnen. Als Rettungssanitäterin im Kosovo hat sie Dinge erlebt, die die Grenzen unserer Vorstellungskraft sprengen. Die unfassbare Brutalität, die sie völlig unvorbereitet traf, hat tiefe Wunden in ihrer Seele hinterlassen. Noch nie hat eine Soldatin so offen über ihren Kriegsalltag gesprochen und darüber, was der Krieg mit ihr gemacht hat.
Über die Autorin:
Daniele Matijevic wurde 1975 in Osnabrück geboren und lebt dort bis heute. Nach einer kaufmännischen Lehre entschließt sie sich, zur Bundeswehr zu gehen und sich zur Rettungssanitäterin ausbilden zu lassen. Daniela Matijevic ist 24 Jahre alt, als sie 1999 in den Kosovo abkommandiert wird: 88 Tage und 4 Stunden, die ihr Leben für immer verändern. Von diesem Einsatz ist sie so traumatisiert, dass sie weder ihr Jurastudium beenden noch als Sanitäterin arbeiten kann. Als ein befreundeter Journalist eines Tages ihre Aufzeichnungen in die Hände bekommt, scheint der Weg zum Schreiben geebnet.
Leseprobe:
Autoreifen. Die Luft ist durchdrungen von dem Geruch nach Autoreifen. Sinne raubend, alles betäubend und überdeckend.
Die Hitze zerrt an meinen ohnehin schon zum Zerreißen gespannten Nerven und lässt sie, in der Erwartung des Schlimmsten, ungeduldig vibrieren.
"Hier! Ich hab was gefunden!"
Eine Pause entsteht, dann presst mein kamerad hervor "Oh mein Gott!"
Ein kurzer Moment der Stille. Dann höre ich, wie er sich geräuschvoll übergibt.
Meine Sinne, meine Vernunft, meine angst, alles warnt mich, nicht weiterzugehen. Hormone fluten meinen Körper, der Drang zu fliehen wird übermächtig - gleichzeitig zwingt mich etwas, mich dem Ort des Schreckens zu nähern. Ich werde fast zerissen von einer perversen Ambivalenz, die von uns Besitz ergreift, wenn wir etwa auf der Autobahn an einem schweren Unfall vorbeifahren: Man will eigentlich gar nicht hinschauen, kann den Blick aber nicht abwenden, und am Ende muss man dem Grauen ins Gesicht sehen...
Langsam, fast automatisch, schiebt sich ein Fuß vor den anderen. Ich habe den Blick auf den Boden gerichtet, mein Puls rast, im Nu ist mein Rücken schweißnass - die angst rinnt, zu Schweiß verdichtet, die Wirbelsäule hinunter.
Immer noch würgt mein Kamerad und erbricht sich. Ich versuche ihn zu ignorieren, meine ganze Umgebung auszublenden, alle Geräusche.
Ich konzentriere mich ganz darauf, die geschätzten zehn Meter bis zu der Holztür, hinter der offenbar das Unheil lauert, unfallfrei zu überwinden.
Autoreifen. Es stinkt nach Autoreifen.
Als ich den Blick hebe, stehe ich vor einem halbverfallenen alten Stall, dessen Holz stark verwittert ist. An den Wänden fehlen mehrere Bretter. Das Dach sieht aus, als könnte es Wind und Wetter schon lange nicht mehr trotzen. Dem Geruch nach zu urteilen, müssen hier irgendwann einmal Schweine gehalten worden sein. Die kleine Holztür, völlig verußt und verzogen, hängt schief in den Angeln. Langsam gehe ich darauf zu.
Ich gehe mit Mühe, denn eine unsichtbare Macht zerrt mit aller Gewalt an mir, zieht mich sogar zurück. Es scheint fast, als wäre mein Körper mit Seilen befestigt. Will mich etwas davon abhalten, weiterzugehen?
Doch keine Macht vermag mich aufzuhalten. Ich muss mit eigenen Augen sehen, was in diesem kleinen Stall geschehen ist.
Der Geruch nach verbrannten Autoreifen ist jetzt geradezu überwältigend. Langsam beuge ich den Kopf, um ungehindert in das Innere des Stalles schauen zu können. Nach dem gleißenden Tageslicht haben meine Augen Schwierigkeiten, sich an die Dunkelheit zu gewöhnen.
Was ich aber dann wahrnehme, sprengt meine Vorstellungskraft.
Es müssen Menschen sein, die da vor mir liegen oder sitzen - bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Allein ihre Größe und Körperhaltung lassen erahnen, dass es Frauen und Kinder gewesen sein müssen, bevor sie das Feuer bei lebendigem Leib erfasste.
Dies dürften wohl die restlichen Familienmitgleider sein, geht mir durch den Kopf, denn die Männer des Hauses haben wir bei unserer Ankunft im Hinterhof vorgefunden. Sie warene rschossen worden.
Die Täter müssen Brandbeschleuniger über die Menschen geschüttet haben, dessen Geruch sich deutlich abhebt von jenem des verbrannten Menschenfleisches oder dem der Autoreifen.
Aber das hat ihnen offenbar noch nicht gereicht. Um die Qualen der Menschen im lodernden Feuer zu steigern, haben sie Autoreifen auf die Frauen und Kinder geworfen - so wurde der Kampf mit dem Tod tatsächlich zur Hölle.
Fassungslos stehe ich vor der Szenerie und weiß nicht welchem Impuls ich zuerst nachgeben soll. Mein Magen will es dem Kameraden gleichtun und mein frühstück im Gebüsch vor dem Stall loswerden, während meine Beine für sofortige, unwiderrufliche Flucht plädieren. Mein Kopf dagegen, und leider soll er das Sagen haben, kann den Blick nicht von dem grauen ablenken. Wie zur Salzsäure erstarrt, stehe ich im Türrahmen des Stalls, während meine Augen pausenlos von einem ehemaligen menschlichen Wesen zum anderen wandern. Sie erfassen jedes Detail....nehmen jeden Körper wahr....verinnerlichen alles....
Plötzlich höre ich Gezwitscher. Und sehe Vögel, gewöhnliche Vögel, die an diesem sonnigen Tag im Kosovo, irgendwo zwischen Prizren und Wahnsinn, um die Wette singen.
Eigene Meinung:
Eines der ergreifendsten Bücher die ich jemals gelesen habe.
Daniela lässt sich bei der Bundeswehr als Rettungssanitäterin ausbilden und wird wegen ihrer sprachlichen Kenntnisse für 88 Tage in den Kosovo geschickt. Dort erlebt sie die schlimmsten Tage ihres Lebens. Genauso schlimm wird aber die Zeit danach: Albträume plagen sie und die Zeit im Kosovo holt sie immer wieder ein.
Bei manchen Stellen im Buch wurde mir fast schlecht: vor Schock und wegen der Graudamkeit, die sich Menschen gegenseitig antun.
Es ist so unfassbar, was damals passiert ist. Ich bin ein Kind der 90er und habe nichts anderes als Frieden erlebt - zum Glück.
Was die Menschen wärhend eines Krieges empfinden werde ich nie zu 100% nachempfinden können (und ich will es auch nicht nachempfinden müssen). Aber nach diesem Buch verstehe ich umso besser, warum viele Menschen aus ihrem Heimatland geflohen sind.
Ich kenne viele Mädchen in meinem Alter, deren Eltern aus Bosnien&Herzegowina, Kroatien oder dem Kosovo geflohen sind. Nach diesem Buch habe ich eine leise Ahnung, was damals passiert ist. Ich habe mich oft gefragt, wie schlimm eine Situation, ein Leben sein muss, dass man alles zurück lässt: Familie, Freunde, Haus etc.
Nachdem ich durch Daniela einen Einblick in dieses Kapitel der Gesichte erhalten habe, weiß ich es. Die Menschen sind aus Todesangst geflohen. Es tut mir im Herzen weh zu lesen, dass sich Menschen gegenseitig abschlachten (entschuldigt bitte diesen Ausdruck...aber genau das passierte meiner Meinung nach) und vor nichts Halt machen.
Wenn ich über die oben beschrieben Szene wieder lese (Leseprobe), denke ich daran, dass an der Stelle dieser Familie jede meiner Freundinnen stehen könnte.
Ich kann verstehen, dass Daniela nach diesem Einsatz, selbst als sie schon lange Zeit zuhause war, immer noch von Albträumen geplagt wurde.
Die Bilder die sie gesehen hat, werden vermutlich nie gänzlich aus ihrer Erinnerung verschwinden - egal wie viel zeit vergeht.
Ich finde es eine großartige Leistung von Daniela, über ihren Einsatz im Kosovo zu berichten und ihre Gefühle und Gedanken für uns alle zugänglich zu machen.
Jeder Soladt, der nachdenkt sich für das Ausland verpflichten zu lassen, sollte dieses Buch lesen. Sie sollten es lesen um darüber anchzudenken, ob sie diesen Schritt wirklich wagen wollen. Und sie sollten wissen, welche Folgen solch ein Einsatz haben kann.
Ich gebe dem Buch "Mit der Hölle hätte ich leben können" 10 von 10 Punkten.