'Der Stille Don' - 1. Buch, 3. Teil

  • Nein, ein "roter" Roman ist "Der stille Don" wirklich nicht. Dafür wird der Agitation des Lesers viel zu wenig Raum eingeräumt. Ich selbst fühle mich von diesem Werk gar nicht agitiert, noch sehe ich darin Propaganda. Was in dieser Richtung darin vorkommt, sehe ich als der Zeit geschuldet. Es gehört dazu um die Zustände und die einzelnen Parteien zu spezifizieren.


    Auch mich regt dieser Roman an, andere Romane von Scholochow wieder aus dem Regal zu holen, ganz weit vorn, in der Warteschlange steht dabei "Ein Menschenschicksal".

  • Zitat

    Original von Karthause
    Nein, ein "roter" Roman ist "Der stille Don" wirklich nicht.


    Du siehst nicht die hundert kleinen Anspielungen des Erzählers, dass das Zarenregime den kleinen Mann unterjocht, dass die Offiziere des Zaren liebend gerne einen Bürgerkrieg entfachen möchten, wo dann Bauer gegen Kosak, ein Stand, auf kosten der Oberen, sich die Köpfe einschlagen sollen :gruebel (Was ja auch noch kommt.) Also für mich ist die Tendenz eindeutig rot. Von einen Roten-Roman habe ich niemals gesprochen.

  • Zitat

    Original von Lipperin
    Er hat erkennbar aus seinem Herzen keine Mördergrube gemacht ... und ich frage mich zunehmend, ob er sich der Wirkung dessen, was er da eigentlich alles geschrieben hat, wirklich (im Zeitpunkt des Schreibens) bewusst war (und nicht erst später, als er auch Kritik zu hören bekam).


    Nicht nur das, ich frage mich manchmal, ob die offiziellen sowjetischen Stellen gemerkt haben, was er da schrieb. Denn manches (da greife ich im Buch vor) paßt mMn nicht zur offiziellen Propaganda der später (bzw. zur Zeit der Entstehung des Buches) herrschenden Bolschewiki.



    Zitat

    Original von Karthause
    Ich selbst fühle mich von diesem Werk gar nicht agitiert, noch sehe ich darin Propaganda. Was in dieser Richtung darin vorkommt, sehe ich als der Zeit geschuldet. Es gehört dazu um die Zustände und die einzelnen Parteien zu spezifizieren.


    Das verwirrt mich ja ein bißchen. Letztlich habe ich einen Roman erwartet, der deutlich für die Bolschewiki Stellung bezieht. Und finde etwas vor, was auf mich den Eindruck eines vielleicht durch die Meinung des Autors eingefärbten, aber insgesamt relativ ausgewogenen und eben nicht missionierenden oder geschichtsentstellenden Romans macht. Ich gebe zu, ich bin ziemlich (positiv) überrascht.



    Zitat

    Original von Karthause
    (...) in der Warteschlange steht dabei "Ein Menschenschicksal".


    Den habe ich zwar nicht, aber ich werde ihn mir mit hoher Wahrscheinlichkeit zulegen. („Neuland unterm Pflug“ und „Die Don Erzählungen“ habe ich in alten DDR-Ausgaben.)



    Zitat

    Original von Heidi Hof
    Du siehst nicht die hundert kleinen Anspielungen des Erzählers, dass das Zarenregime den kleinen Mann unterjocht, dass die Offiziere des Zaren liebend gerne einen Bürgerkrieg entfachen möchten, wo dann Bauer gegen Kosak, ein Stand, auf kosten der Oberen, sich die Köpfe einschlagen sollen


    Sicher gibt es solche Hinweise, die Zarenoffiziere haben vermutlich so gedacht. Nur daß da auf beide Seiten zutrifft: die Roten wollen auch einen Bürgerkrieg entfachen. Beide Seiten waren/sind nicht zimperlich. Und natürlich hat jede recht und ist die „gute Seite“. Das war schon immer so. Und wird auch immer so bleiben. Ausbaden muß das immer das einfache Volk - damals wie heute. Oder glaubst Du (um mich eben nicht zurückzuhalten), daß einer von „denen da oben“ etwas von den Schulden, die durch die von den Banken (z. B. Lehmanns) durch ihre profitgierige Zockerei ausgelöste Weltwirtschafts- und systemkrise (denn eine solche haben wir meiner Meinung nach) auch nur einen Cent bezahlen wird? Ne, wenn so ein Vorstand gehen muß, klagt er auch noch Millionen an Boni ein (Hypo Real Estate). Oder man denke an den Betrug der griechischen Regierung, als es um die Einführung des Euro ging. Wer zahlt das wohl? Mit Sicherheit nicht die, die uns das eingebrockt haben.


    Was mich zunehmend auf die Palme bringt ist, daß sich außer den Begriffen nichts geändert hat. Das Prinzipielle ist damals wie heute das Gleiche. Es heißt nur anders. Und damals wie heute „darf“ man das gerade herrschende System als das beste aller möglichen loben.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Ich habe die ersten 9 Kapitel gelesen und leider muss ich sagen, mit Unlust. Ich weiß nicht, woran das liegt.

    Es gibt immer wieder Metaphern, die mir einfach zu weit gehen. "Die gelblichblauen Wolken siedeten vor Hitze." "Die Konturen der Pferde ertranken in der Finsternis." "flaumiges Reisig"

    Da bleibe ich beim Lesen hängen.


    Oder liegt es am distanzierten Schreibstil? Alles wird aus der Außensicht berichtet. Der Leser weiß nicht wirklich, was in den Personen vorgeht. Das finde ich nicht per se schlecht. Allein aus dem sachlich Beschriebenen kann man sich das oft selbst vorstellen. Aber eben nicht immer. Und manchmal hätte ich schon gern gewusst, was eine Person gerade denkt oder fühlt.


    Und gerade deshalb wirkt die erste beschriebene Kriegshandlung, der Vorposten der Kosaken gegen die Deutschen, völlig planlos, fast wie das heillose Durcheinander, wie es oft in Stummfilmen vorkommt. Ich ärgerte mich darüber, dass nichts erklärt wird, kein Plan, keine Absichten. Erst später kommt die Auflösung: Es gab überhaupt keinen Plan. :grin

    Zitat

    "Geschehen war aber folgendes: Auf dem Felde des Todes waren Menschen zusammengestoßen, die ihre Hände noch nicht in der Vertilgung von ihresgleichen geübt hatten. In tierischer Angst waren sie aufeinandergeprallt, stachen und schlugen um sich, ... jagten dann auseinander, von einem Schuß erschreckt, der einen Menschen getötet hatte, und ritten schließlich, moralisch verkrüppelt, auf und davon."

    Diese nachträgliche Erklärung der Planlosigkeit ist genial.

  • Wenn Scholochow Truppenbewegungen beschreibt, interessiert mich das weniger. Aber mit Erzählungen von Begebenheiten mit einzelnen Personen kann er mit fesseln.

    Das 12. Kapitel hat mich sehr beeindruckt. Ein österreichischer Kriegsgefangener soll das Koppel mit dem Säbel abnehmen.

    Zitat

    „Er schien sich zu freuen, dass er vom Tragen der Waffen befreit wurde."

    Es wird deutlich, dieser junge Mann will keinen Krieg, will nicht töten, will seine Waffen loswerden.


    Ganz im Gegenteil der Kosak Urjupin, genannt Der Lockige. Er kann Menschen ohne Grund töten. Er ist der Meinung:

    Zitat

    „Den Feind im Kampf zu töten ist ein heilige Sache. Für jeden Menschen, den du erschlägst, wird Gott dir eine deiner vielen Sünden verzeihen... Aber den Menschen muss man vernichten. Der Mensch ist scheußlich … dreckig ist er und stinkt ...“

  • Grigoris und Aksinjas Kind stirbt. Und Aksinja lässt sich trösten, wird – zunächst – in ihrer Schwäche ausgenutzt. Aber die anderen Male? Ich weiß einfach nicht, was ich von dieser Frau halten soll. Ein schwankendes Schilfrohr?

    Aksinja ist in der vielleicht schwersten Situation ihres Lebens. Nur ein einziges Mal schwach zu werden reicht halt nicht. Die Situation ist danach noch die gleiche. Außerdem ist schon seit ihrer Schwangerschaft ein Entfremdung zwischen ihr und Grigori eingetreten.

    Dazu kommt, dass sie ein sehr leidenschaftlicher Mensch ist. Und sie braucht einfach, um das mal ganz klar auszudrücken, Sex. Auch die anderen Frauen, die durch den Krieg Strohwitwe geworden sind, suchen sich vorübergehend andere Männer.

    Als Grigori davon erfährt, rastet er aus. Aber was hatte denn er gemacht. Er hatte doch auch die Ehefrau eines anderen verführt.