'Der Stille Don' - 2. Buch, 2. Teil - Kapitel 01 - 19

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  • Auch hier ist wieder viel geschehen.


    Grigori hat sich für die Ideen der Bolschewiki begeistert oder er sympathisiert zumindest mit ihnen. Dabei ist er aber keineswegs unkritisch. Er sagt selber, dass er nach einem Ausweg für sich gesucht hat, und vorerst glaubt er ihn bei den neuen Strömungen gefunden zu haben, auch wenn er im Laufe dieses Abschnittes auch schon wieder zu zweifeln beginnt.


    Die Bolschewiki sind einfach besser vorbereitet als z.B. die Kosaken, rein ideologisch gesehen. Letztere haben ihnen kaum Argumente entgegenzusetzen. Alles klingt logisch und schlüssig, und das Versprechen eines besseren Lebens für alle winkt in der Ferne. Noch tritt aber nicht offen zu Tage, was alles verändert werden muss, ehe es so weit ist.


    Der Krieg selber ist vorbei, aber es tobt der Bürgerkrieg. "Der Feind" ist diesmal kein Fremder, und das macht das Ganze so schmerzhaft. So kommt es zu Ausbrüchen der Wut, zu unkontrollierten Aktionen (z.B. das Niedermetzeln der Offiziere, die eigentlich vor ein Gericht gestellt werden sollten).


    Und es geht um Heimatliebe, die sich wie der ruhig dahinfließende Don durch das Buch zieht. Besonders deutlich wird diese im Bild der Vaterlandsliebe, das die heimkehrenden Kosaken bieten, wenn sie bei der Rückkehr an den Don bzw. bei seiner Überquerung die Mützen, Jacken etc. in den Fluss werfen als Opfer und aus Dankbarkeit für die Heimkehr.
    An solchen Stellen wird mir sehr bewusst, wie fremd uns dieser Menschenschlag und diese Mentalität doch sind...


    Buntschuk ist auch wieder ein Thema, der seine Genossen zu Maschinengewehrschützen ausbildet und da die junge Kommunistin Anna kennen und lieben lernt. Anna stellt das neue Frauenbild da, das später mal zum Sozialistischen Frauenbild wird: mutig, selbstbewusst, stark, klug, geachtet. Sie tut ihre Arbeit wie ein Mann, ist sich für nichts zu schade.

  • Seit längerem mal wieder etwas von Grigori. Er soll nun Bolschewik sein. Ob er es bleiben wird? Wenn ich mir so die Geschichte der Kosaken (bei Wikipedia) durchlese, dann haben sie ja öfter mal die Seiten gewechselt. Worauf es ihnen wohl in erster Linie ankam, war ihre Freiheit, dass ihr Boden ihrer blieb.


    Was mir immer mal wieder auffäll: Scholochow kann wunderbare poetische Sätze schreiben, dann wieder leuchtet ein Pathos auf, der dem ganzen einen „falschen“ Anstrich verleiht. Aber schon allein dieser Satz: „Gras überwuchert die Gräber, die Zeit überwuchert den Schmerz. Der Wind verwehte die Spuren der Dahingegangenen, die Zeit wird den blutigen Schmerz und das Gedächtnis jener verwehen, die ihre Angehörigen nicht wiedergesehen haben und nicht wiedersehen werden, denn nur kurz ist das Leben des Mensch, und nur wenig Gras niederzutreten ist uns allen beschieden...“ (meine Ausgabe Seite 675, in 5. Teil I). :anbet


    Auch in diesem Abschnitt bindet Scholochow die historischen Begebenheit sehr schön in die Romanhandlung ein. Das war unter anderem auch eine Fleißarbeit ohnegleichen! Unruhige Zeiten waren es ja allemal, ich bin froh, dass ich „nur“ darüber lesen muss, kann, darf. Die Grabenkämpfe innerhalb der Kosaken beschreibt er ebenso wie die Grausamkeiten, z. B. das Abschlachten der gefangenen genommenen Gegner. Etwas weniger anschaulich hätte es aber auch getan... „Was hattest du denn gedacht?“ frage man Grigori (meine Ausgabe 758, letzter Absatz in XII). Tja, was eigentlich?


    Und dann gibt es wieder so rührende Szenen wie das Wiedersehen von Buntschuk und seiner Mutter (in IV), Kleinigkeiten eigentlich nur, aber die Figuren werden für mich dadurch lebendiger. Er hätte es ja auch weglassen können, hat er aber nicht getan, und dafür bin ich ihm dankbar.


    In V lernt Buntschuk also Anna Pugodko kennen. Aber was für einen Blick der Mann hat: Er erkennt, dass sie Jüdin ist, an der „Form des Ohres“ und – natürlich – an den „Augen“ (auch in V). :wow Meine Güte …


    Aber wenn ich so lese, was die sich alles verdrücken konnten (meine Ausgabe Seite 775, in XIV), muss ich wieder an „Kummer mit jütländischen Kaffeetafeln“ von Siegfried Lenz denken. Da wurde mir auch beim bloßen Lesen schon ganz anders … Auch, wenn sie unter der Woche nicht so schlemmen, aber all das auf einmal …


    Pantelej verliert Pferd und Schlitten mitsamt dem, was darauf war. Und warum?


    Buntschuk hat Typhus überlebt und kommt Anna immer näher. Aber Liebe in den Zeiten des bolschewistischen Kampfes, ob das wohl gut gehen wird?



    Zitat

    Original von Clare
    Der Krieg selber ist vorbei, aber es tobt der Bürgerkrieg. "Der Feind" ist diesmal kein Fremder, und das macht das Ganze so schmerzhaft.


    ... und die Frage nach dem Warum - bei mir - immer lauter.

  • Zitat

    Original von Lipperin
    ...


    ... und die Frage nach dem Warum - bei mir - immer lauter.


    Wie meinst du das?


    Mit "Feind" meinte ich, wie im Buch oft erwähnt, dass sich hier Menschen gegenüber stehen, die eigentlich vom gleichen Menschenschlag sind, im gleichen Land leben, manchmal sogar miteinander bekannt sind.

  • Zitat

    Original von Clare


    Wie meinst du das?


    Mit "Feind" meinte ich, wie im Buch oft erwähnt, dass sich hier Menschen gegenüber stehen, die eigentlich vom gleichen Menschenschlag sind, im gleichen Land leben, manchmal sogar miteinander bekannt sind.


    Entschuldigung, mein Warum bezog sich darauf, dass ich immer weniger verstehe, warum sich Nachbarn, Freunde, Verwandte die Köpfe einschlagen müssen, warum es nicht möglich ist, sich einfach mal hinzusetzen und zu reden. Von jetzt auf gleich setzt das großen Hauen und Stechen ein. Ich weiß, auf meine Frage gibt es keine Antwort. Mensch ist eben so. Mich lässt solches immer mehr resignieren.

  • Zitat

    Original von Lipperin
    ...
    Entschuldigung, mein Warum bezog sich darauf, dass ich immer weniger verstehe, warum sich Nachbarn, Freunde, Verwandte die Köpfe einschlagen müssen, warum es nicht möglich ist, sich einfach mal hinzusetzen und zu reden. Von jetzt auf gleich setzt das großen Hauen und Stechen ein. Ich weiß, auf meine Frage gibt es keine Antwort. Mensch ist eben so. Mich lässt solches immer mehr resignieren.


    Mir fällt es auch schwer, so etwas zu verstehen. Am ehesten würde ich sagen, dass die Unzufriedenheiten an einem bestimmten Punkt der Geschichte, egal bei welchem Konflikt, die Unzufriedenheit der Menschen, der Unterdrückten, ein unerträgliches Maß erreicht hat und sie aufstehen.
    Hier sind es die Arbeiterklasse und vielleicht noch die unterdrückten Bauern, die nicht mehr weiter im Unrecht verharren wollen.

  • Ganz auf die Schnelle zum Warum.


    Ein Punkt war sicher auch die unterschiedliche Sicht der Dinge. Einige waren für die Bolschewiki, andere dagegen. Mein Verständnis für Kriege hält sich sehr in Grenzen. Aber wenn Nachbarn auf Nachbarn schießen und Brüder gegeneinander zu Felde ziehen, da hört auch das letzte bischen Verständnis bei mir auf. Das ist so die Historie betreffedn und auch bei den aktuellen Konflikten.


    Mehr zu diesem Abschnitt später.

  • Zitat

    Original von Karthause
    Ganz auf die Schnelle zum Warum.


    Ein Punkt war sicher auch die unterschiedliche Sicht der Dinge. Einige waren für die Bolschewiki, andere dagegen. Mein Verständnis für Kriege hält sich sehr in Grenzen. Aber wenn Nachbarn auf Nachbarn schießen und Brüder gegeneinander zu Felde ziehen, da hört auch das letzte bischen Verständnis bei mir auf. Das ist so die Historie betreffedn und auch bei den aktuellen Konflikten.


    Mehr zu diesem Abschnitt später.


    Es muss eine sehr bewegte Zeit mit Menschen, die sich zerrissen und ratlos fühlten, gewesen sein. Ich weiß nicht, ob überhaupt jemand verstehen kann, warum sich Menschen gegen Menschen, Nachbarn gegen Nachbarn, Brüder gegen Brüder wenden, warum aus Freunden plötzlich Feinde werden. Ich bin geneigt zu sagen, dass das wohl immer in der Natur des Menschen liegen könnte...

  • Zitat

    Original von Lipperin
    Entschuldigung, mein Warum bezog sich darauf, dass ich immer weniger verstehe, warum sich Nachbarn, Freunde, Verwandte die Köpfe einschlagen müssen, warum es nicht möglich ist, sich einfach mal hinzusetzen und zu reden.


    Das frage ich mich auch. Aber ganz banal. Wir geraten hier nämlich zusehends zwischen die Fronten eines Familienkrieges, den unser Hausherr mit seinem Sohn, dem das Haus hier nebenan gehört, vom Zaun gebrochen hat. Das nimmt Formen an, wie man sie aus Schmierenkomödien oder aus dem Bauerntheater kennt. Nur daß das kein TV, sondern Realität ist, vom richtigen Köpfeeinschlagen wohl nicht mehr weit entfernt.
    Ich kann einfach nicht in einem Testament eine von Juristen vorgeschlagene Formulierung, die im schlimmsten Fall mein Kind enterben (bzw. auf den Pflichtteil beschränken) würde, unterschreiben, eben weil es mein Kind ist, auch wenn wir - was hoffentlich nie eintritt - mal sehr verschiedener Meinung sein sollten. Und hier erlebe ich, wie mit allen Mitteln einander bekämpft wird (Vater gegen Sohn, Großvater gegen seine Enkel). Ich glaube, mich wundert langsam gar nichts mehr.



    Zitat

    Original von Lipperin
    Mich lässt solches immer mehr resignieren.


    Diesen Zustand habe ich bereit erreicht. :rolleyes



    Zitat

    Original von Clare
    Es muss eine sehr bewegte Zeit mit Menschen, die sich zerrissen und ratlos fühlten, gewesen sein.


    Allerdings. Das schafft Scholochow prima zu schildern. Ich bin ja ein Fan von „Downton Abbey“, dessen 2. Staffel während und kurz nach dem 1. Weltkrieg spielt. Es handelt sich zwar um die Geschichte eine englischen herrschaftlichen Hauses bzw. dessen Bewohner „Upstairs“ und „Downstairs“, die Schützengräben sind die der Briten, aber etliche Probleme hier aus dem Buch tauchen auch dort auf. Und eine der Hauptfiguren ist Sozialist. Es war damals eine Zeit, in der alles bis dato Bekannte und Vorhandene umstürzte. Wenn mans genau nimmt, die „richtige“ Situation für einen Weltkrieg, wenn es denn nicht schon einen gegeben hätte.



    Zitat

    Original von Karthause
    Was ich hier eigentlich noch anbringen wollte, die Szene, in der Buntschuk heimkehrt und von seiner Mutter begrüßt wird, fand ich ungemein gefühlvoll und intensiv.


    :write Im nächsten Korrektur: In diesem Abschnitt kommt noch die eine oder andere sehr emotionale Szene. Ich fürchte mich jedoch davor, mich zu sehr auf die Figuren emotional einzulassen, weil ich nicht weiß, wie das Ganze ausgeht. Und wer dann noch lebt, und unter welchen Umständen. Das ist wohl wirklich ein Buch zum mehrfachlesen. (Bin gespannt, ob ich das am Ende auch noch meine. Bei „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“ hätte ich das über weite Strecken des Buches auch gesagt, bis dann die letzten drei Seiten kamen. Nie wieder. Umgekehrt ging es mir mit der vor diesem Buch gelesenen Familiengeschichte von Francine Rivers. Was habe ich in den Leserunden dazu - auf Lovelybooks - über die Bücher geschimpft. Bis ich, nach einem weiten und schmerzhaften Weg, es zu den letzten fünfzig Seiten des zweiten Bandes geschafft hatte. Da ist meine Meinung um 180 Grad gekippt, ich kaue immer noch daran, und ich werde das mit Sicherheit nochmals lesen.)

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

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  • Zitat

    Original von Karthause
    Was ich hier eigentlich noch anbringen wollte, die Szene, in der Buntschuk heimkehrt und von seiner Mutter begrüßt wird, fand ich ungemein gefühlvoll und intensiv. Eine der besten Szenen, die ich in dieser Art bisher gelesen habe.


    Ich habe diese Szene etwas anders empfunden, obwohl auch ich fand, dass es eine sehr starke Szene ist. Für mich überwog nicht die Intensität der Gefühle Buntschuks für seine gealterte Mutter, sondern mich hat diese Szene irgendwie traurig gemacht.
    Ich musste an ein Lied denken, obwohl der Text nicht genau zu der Szene passt. Es war eher die Stimmung. Komisch, dass ist nicht da erste Mal in diesem Roman, dass mit Lieder einfallen, die wir damals in der Schule lernen mussten.
    Ach so, das Lied ist "Auf einer Bahnstation tausend Meilen hinter Brest" ("Es ziehn die Söhne los").
    Es geht um die, die fortgehen und die, die zurückbleiben. Buntschuks Mutter wird nichts mehr von den Veränderungen haben, die ihr Sohn versucht zu erkämpfen, außer, dass sie einsam zurückbleibt. Er selbst merkt die Entfremdung auch, die sich unbemerkt eingeschlichen hat und hält es auch nicht lange bei ihr aus. Fühlt er Schuld?

  • Zitat

    Original von SiCollier


    :write Im nächsten Abschnitt kommt noch die eine oder andere sehr emotionale Szene. Ich fürchte mich jedoch davor, mich zu sehr auf die Figuren emotional einzulassen, weil ich nicht weiß, wie das Ganze ausgeht. Und wer dann noch lebt, und unter welchen Umständen. Das ist wohl wirklich ein Buch zum mehrfachlesen. (Bin gespannt, ob ich das am Ende auch noch meine. Bei „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“ hätte ich das über weite Strecken des Buches auch gesagt, bis dann die letzten drei Seiten kamen. Nie wieder. Umgekehrt ging es mir mit der vor diesem Buch gelesenen Familiengeschichte von Francine Rivers. Was habe ich in den Leserunden dazu - auf Lovelybooks - über die Bücher geschimpft. Bis ich, nach einem weiten und schmerzhaften Weg, es zu den letzten fünfzig Seiten des zweiten Bandes geschafft hatte. Da ist meine Meinung um 180 Grad gekippt, ich kaue immer noch daran, und ich werde das mit Sicherheit nochmals lesen.)


    Finde ich auch, die Szene, meine ich.
    Großartig gemacht finde ich das von Scholochow, dieser Bogen von den großen Umwälzungen zu den kleinen, intimen Szenen, die mir wieder zeigen, wie sehr die große Politik das Leben der kleinen Leute auf den Kopf stellt. Ohne sie wäre das Buch jedenfalls nicht halb so lebendig.
    Auch den stete Kontrast zwischen den Kämpfen und den Naturschilderungen lese ich so; auf der einen Seite die Vergänglichkeit und doch immerwährende Natur, auf der anderen Seite das Sterben der einzelnen Menschen, das Leben der verschiedenen Personen in und mit der Natur und das Zerstören derselben durch den Menschen.

  • Sorry, ich bin irgendwie mit den Abschnitten durcheinander geraten. :rolleyes (Eine falsche Formulierung in meinem Post von heute Nachmittag habe ich geändert.) Jedenfalls bin ich froh, daß ich nicht doppelt so viele (oder wenigstens deutlich mehr) eingeteilt habe.



    Zitat

    Original von Lipperin
    Worauf es ihnen wohl in erster Linie ankam, war ihre Freiheit, dass ihr Boden ihrer blieb.


    So habe ich da auch verstanden. Wie mir überhaupt „die Kosaken“ bis zu einem gewissen Grade rätselhaft bleiben. Wenn ich das Buch durch habe, will ich mich etwas mit deren Geschichte beschäftigen. Das früher verlinkte, vor über zwanzig Jahren gekaufte Buch lasse ich auf jeden Fall mal heraußen aus dem Regal.



    Diesen Abschnitt habe ich jetzt durch. Gleich zu Beginn ein Absatz, den ich nur bewundern kann:
    Gras überwuchert die Gräber, die Zeit überwuchert den Schmerz. Der Wind verweht die Spuren der Dahingeschiedenen - die Jahre werden das bittere Leid und die Erinnerung jener verwehen, die ihre Angehörigen nicht wiedergesehen haben. Kurz ist das Menschenleben, und nicht bestimmt ist es uns, viel Gras auf der weiten Erde niederzustampfen... (Seite 491)



    Dann etwas weiter im 2. Kapitel (Seite 495) eine interessante Stelle:
    Es kann im Leben nicht allen gleich gut gehen. Gewinnen die Bolschewiki die Oberhand, so wird’s den Arbeitern gut gehen, allen anderen schlecht. Wird die Monarchie wiederaufgerichtet, wird’s den Gutsbesitzern und ihresgleichen gut gehen, den anderen aber schlecht. Wir brauchen weder die einen noch die anderen! Wir brauchen etwas ganz Besonderes, Eigenes!
    Dem kann man eine gewisse Wahrheit nicht absprechen. Wenn ich das denn von der damaligen Zeit löslöse und etwas abstrahiere, sind schon wieder bei den Problemen unserer Zeit. Bloß daß ich nur eine Richtung sehe (und ein Artikel in der Zeitung vom Wochenende über die Verteilung der Vermögen in Deutschland sowie die Entwicklung der Verteilung bestätigt das): Banken und Konzerne (sowie deren oberste Vertreter) verdienen immer mehr, Politik macht was sie will, Hauptsache sie bleibt an der Macht (N.B.: diese Erkenntnis war vor rund dreißig Jahren einer meiner Hauptgründe, mich aus der aktiven Politik zurückzuziehen. Bis dahin dachte ich, es ginge um die Menschen oder gar ums Land. Falsch gedacht.) Und das Volk kann sehen, wie es klar kommt und vor allem alles bezahlen.


    Beispiel gefällig? Es gab doch diesen Unfall mit der Ölplattform im Golf von Mexiko, der BP riesige Summen kostete. Und dennoch gab’s einen Rekordgewinn. In dem Jahr, versteht sich.


    Gegen Ende des 5. Kapitels (Seite 511) merkt man dann, daß das Buch schon einige Jahre auf dem Buckel hat. Denn wer würde sich heute noch trauen, von äußerlich sichtbaren „Rassemerkmalen“ (mir fällt gerade kein anderes Wort ein) zu schreiben, für Juden oder für weiß wer wen? Unterschiede oder mehr oder weniger typischen Merkmale darf es doch heute keine mehr geben und wenn, dürfen die keinesfalls direkt erwähnt werden, sondern müssen in ewig langen „politisch korrekten“ Umschreibungen ausgeführt werden. (ich habe das gerade in einer LR zu "Liebe braucht Helden" erlebt, als die Bezeichnung "Schwarzer", die im Buch mehrfach vorkommt, ziemlich kritisiert wurde.)


    Beim Kapitel 9 findet sich bei mir der Vermerk „Durchblick fehlt“. Ich vermisse zunehmend genauere Kenntnisse der historischen Abläufe. Ich nehme es so: das war so eine komplizierte verworrene Lage, daß auch die, welche darin steckten, nicht mehr durchblickten. Insofern geht es mir wie den damaligen Menschen. Paßt also.


    Ende Kapitel 12 (Seite 554):
    wie hast du dir das eigentlich vorgestellt?
    Gute Frage. Die Vorkommnisse bei der Revolution jedenfalls durchaus so, wie wir sie hier im Buch geschildert bekommen. Kraß ausgedrückt: was kann man von Leuten erwarten, die die Zarenfamilie zum Foto bestellen - und dann einfach abknallen?


    Handlungsmäßig schwankt es hin und her zwischen den Schauplätzen; wie die Sache steht, überblicke ich - wie erwähnt - derzeit nicht. und Sympathien traue ich mich nicht zu entwickeln. Denn noch hat die Revolution ihre Kinder nicht gefressen, und wer weiß, wer das alles wie übersteht...
    .

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Ich habe mich durch diesen Abschnitt gekämpft. Beinahe hätte ich abgebrochen. Diese ganzen Abläufe im Bürgerkrieg interessieren mich in dieser Ausführlichkeit einfach nicht. Ich habe nur durchgehalten, weil dann doch wieder private Begebenheiten vorkamen. Anna und Buntschuk kommen sich näher und Grigori ist wieder zu Hause (Kap. 13)

    Sein Verhältnis zu seiner Frau ist mir nicht ganz klar. Ich vermute, er sieht sie mehr als Ersatz für Axinja an, die er nicht haben kann.

    Aufgefallen ist mir, dass Grigori vor seiner Heimkehr sehr intensiv an Axinja dachte, aber zu Hause scheint er überhaupt nicht an sie zu denken. Hat er sie erfolgreich verdrängt? Allerdings heißt es bei seiner Ankunft, als er seine Frau sieht und ihm auffällt, wie schön sie ist und anscheinend Eifersucht bei ihm aufkommt:

    "etwas Feindliches, Unbewußtes rührte sich in ihm in diesem Augenblick gegen seine Frau."

    :gruebel

    Ich habe mir jetzt vorgenommen, noch den nächsten Abschnitt zu lesen und dann zu entscheiden, ob ich weitermache.