'Der Stille Don' - 3. Buch, 1. Teil - Kapitel 18 - 45

  • Die neue Macht regiert nun und die Kosaken müssen ihre Waffen abliefern. Wer sich weigert, ist selbstverständlich Konterrevolutionär, kommt vor das Revolutionstribunal und wird erschossen. Erstaunlich an der Sache ist ja eigentlich nur, wie früh so etwas anfing. Wer nicht für sie ist, ist halt gegen sie, etwas anderes gibt es nicht. Nur Schwarz und Weiß, Pardon, Rot und Weiß, andere Farben sind nicht mehr erlaubt. Die Kosaken wissen, als sie die Waffen abgeben sollen, sich zu helfen und die Roten wissen, dass sich diese zu helfen wissen. Und die Roten, tja, was soll man sagen, sie sind trotz allem die „alten“ Menschen und bleiben – wohl nicht nur in Einzelfällen, wenn man sich die Lage so betrachtet – korrupt (sh. Petros „Verhandlungen“ mit Fomin in XIX).


    Es gärt jedenfalls immer mehr unter den Kosaken. Die Gespräche, sei es das von Miron und Pantelej, sei es das von Grigori und Iwan Alexejewitsch lesen sich schon sehr interessant. Dass Scholochow diese verschiedenen Positionen so deutlich unterbringen konnte, wundert mich immer wieder. Aber auch hier muss man wohl sagen: Die Interpretation richtet sich sehr nach der Warte, von der aus man es liest. „Deine Worte sind – Konterrevolution“, lässt er Iwan Alexejewitsch zu Grigori sagen (in meiner Ausgabe Seite 186) und macht damit den Absolutheitsanspruch der Roten mehr als deutlich. Nach wie vor bin ich mir nicht sicher, ob sich Scholochow der Wirkung seiner Worte bewusst war, bewusst sein konnte. Wie unterschiedlich haben wohl die Zensoren, Pardon, die Leute, die in der Sowjetunion für die Veröffentlichung sorgten, und die Nobelpreisvergeber das Buch gelesen?
    Aus meiner Sicht jedenfalls wunderbar beschrieben die unsichtbare Grenze zwischen den Dorfbewohnern und dem Revolutionskomitee (Anfang XXII, bei mir Seite 191), die Szene stellt gut dar, mit welchem Widerwillen sich die Kosaken fremde Ideen aufdiktieren lassen wollten; aus Sicht des Autors sollte es wohl zeigen, wie „unterbelichtet“ die Bevölkerung war, die die großen kommenden Errungenschaften dieser Idee nicht sehen wollte oder konnte und sie deshalb ablehnte. Die Beschreibung des ehemals so schönen Hauses von Mochow wirkt – ob wohl nur auf mich? - eher desillusionierend (in XXV).


    Es gibt Verhaftungen, es gibt Kontributionspflichten, es gibt Tote (wofür man da sterben musste! - sh. die „Liste der verhafteten Feinde der Sowjetmacht“) - und es gibt eine große Rede resp. Rechtfertigung dazu von Stockmann. Er ist auch wieder aufgetaucht. Ich hatte mich schon gefragt, was aus ihm geworden ist. Er ist ein Idealist, brennt für seine Idee, für die Theorie dieser Idee, die sich schwer in die Praxis umsetzen lässt.


    Mischka Koschewoi – er ist mir nicht geheuer. Er entwickelt sich immer mehr zu einem unversöhnlichen Zeitgenossen, alles, was für ihn zählt, ist der Kommunismus, sind die Roten und dass sie an die Macht kommen. Macht sich selber „in die Hosen“, wenn er fast „dran“ ist, hat aber kein Problem damit, Petro eigenhändig zu erschießen. Ich glaube nicht, dass er in der Lage ist, seine politischen Ziele von seinen eigenen, ziemlich egoistischen Gedanken zu trennen.


    Dann kommt der nächste Umsturz. Wieder gibt es Kämpfe, Tote; Scholochow erspart nach wie vor dem Leser nichts, auch nicht die Schilderung, wie die Kosaken töten, bemüht sich sehr, deren Grausamkeit zu zeigen.


    Und Grigori? „Weit hatte er es in der Kunst des Tötens gebracht“ - was für eine Charakterisierung. Aber sein Hin- und Herschwanken wird immer deutlicher. Wenn ich eine Antwort auf die Frage geben müsste, für wen er den sei, ob für die Roten oder die Weißen, würde ich sagen: „für sich selbst“. Und dann noch „in diesen Tagen begann Grigori zu trinken ...“; er gerät fast in einen Blutrausch, dreht fast durch, und dan befreit er wieder Gefangene. Dass es schwer ist, bei dem vielen Töten bei guter geistiger Gesundheit zu bleiben, kann ich mir jedenfalls lebhaft vorstellen.


    In diesem Abschnitt gibt es aber endlich mal etwas zu lachen: Die „Höschen“-Szene mit Darja und Petro kann ich mir allzu lebhaft vorstellen, besonders, als er versucht, dieses Höschen anzuziehen. Es ist eine herrliche Szene, auch wenn Scholochow dem Leser selbstverständlich etwas ganz anderes damit zeigen wollte.


    Es gibt in diesem Abschnitt auch mal wieder die Erwähnung des Namens Listnizki. Was wohl aus ihnen geworden ist? Man erfährt es nicht und ehrlich gesagt glaube ich auch nicht, dass der fesche Offizier noch einmal auftauchen wird. Verzichten kann ich allemal auf ihn. Was ich mich frage: Dieses Beiseitelassen der Gutsleute, die wir ja nun einigermaßen gut kennengelernt haben – will Scholochow wohl damit – auch – ausdrücken, dass sie – in der neu angebrochenen Zeit - belanglos sind, dass nach Meinung überzeugter Kommunisten solche Leute eh keine Daseinsberechtigung haben und daher nicht einmal mehr etwas über ihr Schicksal zu sagen ist?

  • Die Entwaffnung der Kosaken habe ich beim Lesen als eine Art Entmannung empfunden. Dass die auf Ehre und Mannhaftigkeit bedachten Kosaken das nicht so einfach wegstecken würde, war eigentlich nur folgerichtig.


    Scholochow geht in diesem Abschnitt auch, oder vielleicht auch nur scheinbar, hart mit den Kommunisten ins Gericht. Die Methoden, die sie anwenden, die Erschießungen, die Plünderungen lassen sie in keinem guten Licht erscheinen. Die Funktionäre üben sich hier auch schon in Kritik und Selbstkritik, auch ein Element der Sozialistischen Ideologie. Ich weiß nicht so recht, wie ich Scholochow und seinen Roman einschätzen muss.


    Der Krieg ist vorbei, aber hart sind die Zeiten. Schlimme Sachen passieren im Buch auch weiterhin. Die Väter werden erschossen, ohne Urteil und ohne stichhaltigen Grund.
    Es scheint ein ewiger Kreislauf zu sein.


    Ich weiß nicht mehr so recht, ob ich noch weiter lesen möchte. Das Buch packt mich einfach nicht mehr. Im Moment ist es eher so, dass ich nur weiter lese, weil das eine Leserunde ist und ich nicht schlapp machen will. Aber ist das etwas, was der Grund zum Lesen eines Buches sein sollte.
    Ich lasse den Gedanken mal ein wenig sacken, mal sehen... :-(

  • Zitat

    Original von Clare
    Ich weiß nicht mehr so recht, ob ich noch weiter lesen möchte. Das Buch packt mich einfach nicht mehr. Im Moment ist es eher so, dass ich nur weiter lese, weil das eine Leserunde ist und ich nicht schlapp machen will. Aber ist das etwas, was der Grund zum Lesen eines Buches sein sollte.
    Ich lasse den Gedanken mal ein wenig sacken, mal sehen... :-(


    Einerseits kann ich Dich gut verstehen, andererseits nehme ich doch die Gelegenheit wahr zu versuchen, Dir Mut zu machen. Da kommt noch einiges, was zu lesen sich lohnt.
    Bedauern würde ich es allerdings sehr, wenn Du nicht mehr mitlesen würdest. :knuddel1

  • Zitat

    Original von Clare
    Ich weiß nicht mehr so recht, ob ich noch weiter lesen möchte. Das Buch packt mich einfach nicht mehr. Im Moment ist es eher so, dass ich nur weiter lese, weil das eine Leserunde ist und ich nicht schlapp machen will. Aber ist das etwas, was der Grund zum Lesen eines Buches sein sollte.
    Ich lasse den Gedanken mal ein wenig sacken, mal sehen... :-(


    Ich habe hier mal reingelinst, obwohl ich ganz zu Anfang des Abschnitts bin.


    Es wäre wirklich sehr schade, wenn Du abbrechen würdest, ich würde Deine Kommentare (und z. B. Verweise auf andere sowjetische Literatur, die ich so gar nicht kenne) sehr vermissen.


    Andererseits habe ich dieses Jahr auch schon einige Bücher abge- bzw. unterbrochen ("Die Frau in Weiß" will ich auf jeden Fall dieses Jahr noch fertiglesen), verstehe Dich also; es waren teilweise auch kleine Leserunden. Wenn es zum Zwang wird, hat es keinen Sinn, dann solltest Du wirklich aufhören.


    Ich bin froh, daß diese LR zustande gekommen ist, denn ohne die hätte ich es doch wieder - wie seit Jahren - beim Lesevorsatz gelassen. Und zumindest bisher gibt es bei mir überhaupt keine Anzeichen, daß ich nicht fertig lesen würde. Nur daß ich immer mal Pausen zwischenrein machen muß, um mich zu erholen (meist in Form von ... (Vor-)Weihnachtsfilmen :rolleyes).


    Es wäre schön, wenn Du Dich fürs Weiterlesen entscheiden könntest. Aber wenn es nicht geht, geht es eben nicht! :knuddel1 :wave

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Lipperin und SiCollier
    Das ist sehr lieb von euch, und es ist auch motivierend für mich! :knuddel1


    Ich glaube auch, dass ich mich über mich selbst ärgern würde, nun, wo ich schon so weit gekommen bin.
    Aha, es kommt also noch so Einiges. Nun, ich erwarte es! :wave


    Ich mache also nur eine kurze Pause wegen einer anderen LR, und dann bin ich wieder da.

  • Zitat

    Original von Clare
    Aha, es kommt also noch so Einiges. Nun, ich erwarte es! :wave


    Ich mache also nur eine kurze Pause wegen einer anderen LR, und dann bin ich wieder da.


    Ähm, ja. Ich bin gerade etwa in der Mitte dieses Abschnitts und zum ersten Mal erging es mir, wie Lipperin schon öfters: ich hätte eine Stelle nicht so ausführlich gebraucht, wie sie da stand. "Bestialisch ermordet" hätte mir völlig gereicht. :rolleyes


    @ Clare
    die SciFi LR hatte ich gesehen, interessiert mich aber nicht. Ich hatte ursprünglich überlegt, zwischen Band 1 und 2 eine andere LR einzuschieben (als Erholung quasi), habe das aber aufgegeben. Mich hat der "Stille Don" zu sehr in den Bann gezogen, als daß ich vor dem Ende einen anderen Roman lesen könnte.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Zitat

    Original von SiCollier
    @ Clare
    die SciFi LR hatte ich gesehen, interessiert mich aber nicht. Ich hatte ursprünglich überlegt, zwischen Band 1 und 2 eine andere LR einzuschieben (als Erholung quasi), habe das aber aufgegeben. Mich hat der "Stille Don" zu sehr in den Bann gezogen, als daß ich vor dem Ende einen anderen Roman lesen könnte.


    Bin auch gleich wieder bei euch! :wave

  • Den ganzen Leseabschnitt ist man als Leser in den Bürgerkrieg involviert. Die ganze Sache ist so festgefahren, die Fronten sind so verhärtet, eigentlich kann es – wie so oft – nur Verlierer geben. Ob die Bolschewiki oder die Kosaken, die Brutalität ist enorm. Scholochow beschönigt nichts, er schreibt nicht drum herum, er berichtet wie ein moderner Kriegsreporter und stößt den Leser mit der Nase auf alle Widrigkeiten und Grausamkeiten des Krieges. Was mich immer sehr erschüttert, dass es den Kämpfenden auch gleichgültig ist, ob sie Freund oder Feind niedermetzeln. (siehe Mischka Koschewoi)


    Zitat

    Original von Lipperin
    Ich glaube nicht, dass er in der Lage ist, seine politischen Ziele von seinen eigenen, ziemlich egoistischen Gedanken zu trennen.


    Das sehe ich auch so. Er ist fanatisch. Ich habe zwar keinen Helden in diesem Roman, er mutiert aber mehr und mehr zum Antihelden. Das hatte ich so gar nicht mehr in Erinnerung.


    Zitat

    Original von Lipperin
    Und Grigori? „Weit hatte er es in der Kunst des Tötens gebracht“ - was für eine Charakterisierung. Aber sein Hin- und Herschwanken wird immer deutlicher. Wenn ich eine Antwort auf die Frage geben müsste, für wen er den sei, ob für die Roten oder die Weißen, würde ich sagen: „für sich selbst“. Und dann noch „in diesen Tagen begann Grigori zu trinken ...“; er gerät fast in einen Blutrausch, dreht fast durch, und dann befreit er wieder Gefangene. Dass es schwer ist, bei dem vielen Töten bei guter geistiger Gesundheit zu bleiben, kann ich mir jedenfalls lebhaft vorstellen.


    „Für sich selbst“ trifft es auch ganz gut. Er hat sein eigenes Weltbild und darin kommen Elemente von beiden Seiten vor. Das macht es so schwierig für ihn. Ideologisch steht er zwischen den Fronten nur im Kampf wird von ihm eine Position abgefordert. Nur der Alkohol scheint ihm die einzige Fluchtmöglichkeit zu sein. Er betäubt sich damit. Das löst zwar keine Probleme, wie wir wissen, aber irgendwie kann ich es nachvollziehen, dass er sich besäuft. Er hat seine Mitte verloren und dabei fällt ihm Aksinja wieder ein.


    Zitat

    Original von Clare
    Die Entwaffnung der Kosaken habe ich beim Lesen als eine Art Entmannung empfunden. Dass die auf Ehre und Mannhaftigkeit bedachten Kosaken das nicht so einfach wegstecken würde, war eigentlich nur folgerichtig.


    Entmannung – da hast du gar nicht so unrecht. Schlimmer wäre wohl nur noch die Enteignung.


    Zitat

    Original von Clare
    Ich weiß nicht mehr so recht, ob ich noch weiter lesen möchte. Das Buch packt mich einfach nicht mehr. Im Moment ist es eher so, dass ich nur weiter lese, weil das eine Leserunde ist und ich nicht schlapp machen will. Aber ist das etwas, was der Grund zum Lesen eines Buches sein sollte.


    Das würde ich sehr bedauern. Ich kann aber verstehen, wenn einem das Ganze zu viel wird. Es gibt Stellen, die auch ich nur schwer ertragen kann. Mich durch ein Buch zu quälen bringt nicht, da würde ich konsequent sein. Denn unsere Lesezeit ist ja begrenzt. Dass du nach eine Pause wieder dabei bist freut mich sehr.

  • Zitat

    Das würde ich sehr bedauern. Ich kann aber verstehen, wenn einem das Ganze zu viel wird. Es gibt Stellen, die auch ich nur schwer ertragen kann. Mich durch ein Buch zu quälen bringt nicht, da würde ich konsequent sein. Denn unsere Lesezeit ist ja begrenzt. Dass du nach eine Pause wieder dabei bist freut mich sehr.


    Wenn ich mir das jetzt so durchlese, denke auch ich, dass ich das Buch wohl eher im >Eisschrank< liegen lasse (Joey von "Friends" macht das bei bösen Büchern :grin ). Aber ich würde ganz gerne die Verfilmungen sehen.

  • Zitat

    Original von Heidi Hof


    Wenn ich mir das jetzt so durchlese, denke auch ich, dass ich das Buch wohl eher im >Eisschrank< liegen lasse (Joey von "Friends" macht das bei bösen Büchern :grin ). Aber ich würde ganz gerne die Verfilmungen sehen.


    Das Problem sind für mich nicht so sehr die schlimmen Szenen. Ich habe im Moment sehr wenig Zeit, zu Hause und dienstlich stark eingespannt, und daher fehlt mir einfach die Konzentration, die ich für diesen Roman brauche.

  • Zitat

    Original von Clare
    Das Problem sind für mich nicht so sehr die schlimmen Szenen. Ich habe im Moment sehr wenig Zeit, zu Hause und dienstlich stark eingespannt, und daher fehlt mir einfach die Konzentration, die ich für diesen Roman brauche.


    Wem sagst Du das. :rolleyes Ich werde wohl auch erst am Samstag oder Sonntag substantiell weiterkommen.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • So, mal sehen, ob ich mit meinen Notizen noch etwas anfangen kann:


    In diesem Abschnitt geht es immer wieder um Grigori. Er zweifelt, trauert, erinnert sich und verfällt fast dem Wahnsinn, als er mitten in die Roten Reihen reitet und wie wild den Säbel schwingt. Es ist wie ein Zusammenbruch im Kampf, so als werde ihm die ganze Sinnlosigkeit des Blutvergießens bewusst, das er, auch er, anrichtet. Und er erlebt so einen Moment, in dem er neben einer fremden Frau aufwacht und für sich erkennt, dass er eigentlich immer nur Aksinja wollte und immer noch will.


    Wo ist Aksinja überhaupt? Im ganzen Abschnitt kam sie nicht vor, ebenso wenig wie Listnizki. :gruebel

  • Zitat

    Original von Clare
    Wo ist Aksinja überhaupt? Im ganzen Abschnitt kam sie nicht vor, ebenso wenig wie Listnizki. :gruebel


    Da habe ich mich auch schon gefragt, vor allem wo Listnitzki ist. Der müßte doch inzwischen in ziemliche Schwierigkeiten geraten sein? ich nehme an, wir erfahren das noch.


    Diesen Abschnitt habe ich übrigens durch, nur noch nicht die Ruhe gehabt, meine Gedanken soweit zu ordnen, daß sie sich hier sinnvoll posten lassen. Kommt später am Abend oder morgen.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Zitat

    Original von Lipperin
    ...
    Es gibt in diesem Abschnitt auch mal wieder die Erwähnung des Namens Listnizki. Was wohl aus ihnen geworden ist? Man erfährt es nicht und ehrlich gesagt glaube ich auch nicht, dass der fesche Offizier noch einmal auftauchen wird. Verzichten kann ich allemal auf ihn. Was ich mich frage: Dieses Beiseitelassen der Gutsleute, die wir ja nun einigermaßen gut kennengelernt haben – will Scholochow wohl damit – auch – ausdrücken, dass sie – in der neu angebrochenen Zeit - belanglos sind, dass nach Meinung überzeugter Kommunisten solche Leute eh keine Daseinsberechtigung haben und daher nicht einmal mehr etwas über ihr Schicksal zu sagen ist?


    Das könnte möglich sein. Das wäre so, als würden sie in der Bedeutungslosigkeit versinken. Mal sehen, ob es wirklich so ist.

  • Heftig, heftig. Aber eigentlich war das ja zu erwarten.


    Im 20. Kapitel (Seite 146) heißt es:
    Ist der der Herr schlimm, so ist der Knecht, der zum Herrn wird, noch tausendmal schlimmer!
    Das ist mir das Sprichwort „Wenn Dreck Pfeffer wird, beißt er“ eingefallen. Das kann man im Kleinen auch heute noch vielfach beobachten.


    Ende des 22. Kapitels (ab Seite 155) dann das, worauf ich schon lange gewartet habe: die Ideologie. Allerdings, wenn ein Kommunist einem anderen etwas erklärt, muß sich das auch so anhören (bzw. lesen), als wenn ein Kommunist erklärt. Insofern ist es schon konsistent, denn was hätte Stockmann sonst von sich geben sollen?


    War es diese Stelle oder wo anders in diesem Abschnitt? Es war von zwei Wahrheiten die Rede, und daß es eine dritte nicht gibt. Nun ja, die dritte Wahrheit, jenseits der roten und der weißen - es gibt sie schon. Leonid Borodin hat darüber einige Jahrzehnte später in seinem gleichnamigen Roman „Die dritte Wahrheit“ geschrieben.


    Im Kapitel 24 (Seite 162) heißt es: Hier in eurer allernächsten Nähe hauste der Gutsbesitzer Listnitzki.
    Aus der Vergangenheitsform schließe ich, daß er nicht mehr dort haust. Aber wo dann? Ich hoffe, darüber noch etwas zu erfahren.


    Sehr aufschlußreich fand etwas später (Seite 165) die Liste der Hingerichteten bzw. weshalb man die erschoß. Da zeigt sich dann das wahre Gesicht.


    Als zum Ende des 31. Kapitels dann Lichatschow dran glauben mußte, ging es mir erstmals so, wie Lipperin es schon ein paar Mal geschrieben hat: es hätte nicht so deutlich sein brauchen. „Bestialisch ermordet“ hätte mir gereicht. Völlig. :yikes


    Und dann stirbt mit Petro eine der Hauptfiguren! :cry Damit hatte ich, zumindest zu diesem Zeitpunkt, denn doch nicht gerechnet.


    Grigori wird Kommandeur, und langsam aber sicher scheint sein schreckliches Handwerk ihn zu verändern bzw. ins Innere durchzudringen. Ich frage mich sowieso schon die ganze Zeit, wie sich Menschen dermaßen stark verändern können, wie das hier beschrieben wird. Zuhause Bauer, und dann wird man zur rasenden Furie und tut anderen das an, was man selbst zuhause nicht erleiden möchte.


    Diese Unruhe, die Grigori angesichts des aufgetauchten Offiziers empfindet (Kapitel 38), kann ich nachvollziehen. So ganz geheuer ist mir der auch nicht, irgendwas stimmt da überhaupt nicht.



    So, ich poste das jetzt erst Mal so. Auf die bisherigen Beiträge gehe ich morgen (bzw. später) ein, für heute reicht es erst mal.
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    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Zitat

    Original von Lipperin
    Erstaunlich an der Sache ist ja eigentlich nur, wie früh so etwas anfing. Wer nicht für sie ist, ist halt gegen sie, etwas anderes gibt es nicht.


    Erstaunlich für mich ist aber auch, daß das anscheinend eine Regel ist, die sich sehr allgemein anwenden läßt. Wenn man ein bißchen abstrahiert, scheint das so eine Art „Grundgesetz“, ein Axiom, zu sein.



    Zitat

    Original von Lipperin
    Dass Scholochow diese verschiedenen Positionen so deutlich unterbringen konnte, wundert mich immer wieder.
    (...)
    Nach wie vor bin ich mir nicht sicher, ob sich Scholochow der Wirkung seiner Worte bewusst war, bewusst sein konnte. Wie unterschiedlich haben wohl die Zensoren, Pardon, die Leute, die in der Sowjetunion für die Veröffentlichung sorgten, und die Nobelpreisvergeber das Buch gelesen?


    :write Das wundert mich bzw. würde mich auch interessieren.



    Das Listnitzki schon für alle Zeit aus dem Buch verschwunden ist, glaube ich nicht; es sind - zumindest bei mir - noch 550 Seiten, auf denen viel passieren und viele (wieder) auftauchen können. Zumindest irgendeine Nebenbemerkung über sein Verbleiben wird wohl noch kommen.



    Zitat

    Original von Clare
    Ich weiß nicht so recht, wie ich Scholochow und seinen Roman einschätzen muss.


    Offen gesagt, regt sich in mir inzwischen etwas der Selbstzweifel und die Selbstkritik. Ich hatte erwartet, einen Roman vorzufinden, der - überspitzt ausgedrückt - die sowjetische Seite in den Himmel hebt und die anderen in die Hölle verbannt. Und finde eine über weite Strecken durchaus ausgewogene Darstellung vor, in der auch die Weißen ihre Position in sich schlüssig darstellen. Jetzt frage ich mich, ob ich dauernd nach Bestätigungen für mein Vorurteil suche und den Roman durch eine stark gefärbte Brille lese; nach dem Motto „da muß doch das kommen, was ich erwartet habe“.


    Nun ja, ich werde mich sicherlich noch etwas näher damit beschäftigen und mir das früher erwähnte Buch über Fernleihe besorgen. Vielleicht findet sich da dann mehr drinnen.
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    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Grigoris Verhalten drückt den Irrsinn dieses Bürgerkriegs aus. Er sucht die Wahrheit, zuerst auf der einen, dann auf der anderen Seite. Schließlich erkennt er, dass es nicht nur eine Wahrheit gibt, sondern dass jeder seine eigene Wahrheit hat, nämlich sein Leben, sein Land zu verteidigen.

    Er erklärt einem Kampfgenossen, dass man sich für die eine oder andere Seite entscheiden muss, für das kleinere Übel, auch wenn man einen dritten Weg für den besseren hält. In der Mitte würde man zerrieben.

    Und es wird auch klar, dass man keine Möglichkeit hat, sich aus diesem Bürgerkrieg herauszuhalten. Es ist eben nun mal die Einstellung von Fanatikern: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns.


    Man könnte meinen, Scholochow erzählt aus eigener Erfahrung. Er beschreibt ausführlich den seelischen Zustand Grigoris, der nach dem Tod seines Bruders in einen krankhaften Tötungsrausch verfällt. Dann wieder lässt er einen Gefangenen frei und ärgert sich anschließend über sein Mitleid.


    Scholochow kennt sich auch mit den unterschiedlichen Verletzungen aus, die in solchen Kämpfen vorkommen, z. B. dass ein Kämpfer seinen Gegner mit dem Säbel vom Schlüsselbein bis zum Gürtel spaltete. :yikes

    Oder auch die raffinierte Hiebtechnik, mit der Grigori einen Vorteil daraus zieht, als Linkshänder den Gegner zu täuschen.